Kritik am begrenzten Universalismus
Peter Ullrich: Begrenzter Universalismus

von Peter Nowak

7/8-08

trend
onlinezeitung

Über die Linke und den Nahostkonflikt ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Trotzdem ist die von dem Leipziger Soziologen und Kulturwissenschaftler Peter Ullrich herausgegebene Broschüre zum schwierigen Verhältnis der Linken zum Nahostkonflikt und Judentum mit Gewinn zu lesen. Für Menschen, die mit dem Thema noch nicht so vertraut sind, bietet sie eine gute historische Einführung in die Thematik. Mit der Materie vertraute Leser bekommen eine gute Zusammenfassung der Diskussion geliefert. Ullrich zieht einen Bogen von den von antisemitischen Formulierungen nicht freien Schriften vieler Frühsozialisten bis zur Kontroverse um den Text „Zur Judenfrage“ von Karl Marx.

Die frühe Sozialdemokratie sei von der Assimilierung der jüdischen Bevölkerung in einer neuen sozialistischen Gesellschaft ausgegangen und haben sich aus dieser Position gegen den Antisemitismus gewandt, ihn aber auch unterschätzt, so der Autor. Erst mit der Spaltung der Arbeiterbewegung im Zuge des ersten Weltkrieges habe sich auch die Stellung zum Judentum polarisiert. Große Teile der Sozialdemokratie und ihrer internationalen Vereinigung Sozialistische Arbeiterinternationale (SAI) bezogne sich zunehmend positiv auf die noch junge zionistische Bewegung. Zu dieser Positionierung hat nach Ullrich neben unverkennbar vorhandenen sozialistischen Elementen im frühen Zionismus auch eine positive Bewertung des Kolonialismus innerhalb der Sozialdemokratie beigetragen. Dem Zionismus wurde in dieser Lesart eine Aufklärungsmission gegenüber der arabischen Landbevölkerung zugewiesen.

Die Kommunistische Internationale hingegen, die den Zionismus weiterhin ablehnte, solidarisierte sich oft unkritisch mit den arabischen Aufständen der 20er und 30er Jahre, selbst wenn sie eindeutig antijüdische Züge trugen. „Für beide Positionen der Arbeiter(innen)bewegung gilt, dass sie zu lange den Antisemitismus unterschätzt haben...“, so die kritische Bewertung des Autors.

Wie antisemitisch war die DDR?

Seine differenzierte Betrachtungsweise behält Ullrich auch bei der Erörterung der Frage bei, ob es die DDR antisemitisch war. Er referiert die unterschiedlichen Positionen und spart nicht mit Kritik am Umgang mit der Shoah und der fehlenden Entschädigung für die Überlebenden. Ullrich betont aber auch, dass es dort trotz aller außenpolitischen Frontstellung gegen Israel zu einer Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung nur eine kurze Zeit zu Beginn der 50 Jahre auf dem Höhepunkt der von der spätstalinistischen KPDSU ausgehenden Anti-Kosmopolitismuskampagne kam. Auch bei den Beziehungen zur palästinensischen Bewegung habe die DDR versucht, „mäßigend gegen allzu nationalistische, terroristische und anti-israelische Positionen vorzugehen“, so der Autor.
Mit einem kurzen Überblick über die Positionen der Neuen Linken und der Trotzkisten zum Nahostkonflikt endet die anregende Broschüre. Der Autor zeigt mit seiner Arbeit, dass auch bei einem solch umstrittenen Thema eine differenzierte Betrachtung möglich ist, ohne die eigene klare Positionierung für eine kritische Israelsolidarität aufzugeben. Sehr positiv ist anzumerken, dass Ullrich sehr unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lässt. So zitiert er bei der Frage, zum Antisemitismus in der DDR mit Klaus Polkehn einen dezidiert antizionistischen Autor, ohne ihn gleich mit dem Etikett des Antisemitismus zu versehen, wie es heute häufig gemacht wird.

Dafür wurde Ullrich von einem weniger kritischen Teil der israelsolidarischen Strömung schon kritisiert.

Für einen unbegrenzten Universalismus

So moniert Olaf Kistenmacher, dass Ullrich selber keinen Antisemitismusbegriff entwickelt hat. Das trifft nicht zu. Der Autor bekennt sich zu einem Universalismus, der weltweit jegliche nationalen Besonderheiten hinterfragt. In diesem Kontext kann auch ein Antizionismus der ArbeiterInnenbewegung verortet werden, der sich für eine Assimilation der jüdischen Bevölkerung in eine Gemeinschaft der Freien und Gleichen ausgesprochen hat. Diese Forderung, wie sie beispielsweise von Marx, Rosa Luxemburg vertreten wurde, war gerade für alle zeitgenössischen Antisemiten, die sich gegen die Judenemanzipation wandten, ein rotes Tuch. Den emanzipatorischen Anspruch eines unbegrenzten Universalismus mag der Autor nicht kritisieren. Wohl aber die Schwundstufe des begrenzten Universalismus.

„Ein großer Teil der das Verhältnis von Sozialismus/Kommunismus und Judentum kritisierenden Literatur.... wirft dem Kommunismus nicht seine manifesten antijüdischen Elemente vor, sondern seinen Assimilationismus. Die Kritik trifft aber nur, weil Assimilation als Forderung vorrangig an Jüdinnen und Juden herangezogen wurde und eben nur dem äußeren Anspruch nach universales Bestreben nach Auflösung nationaler und religiöser Partikularismen war, die in der Praxis so oft nicht eingelöst wurden. Genau in dieser Ungleichbehandlung liegt das Problem, nicht jedoch in der universalistischen, antinational-internationalistischen Idee....“. Mit dieser Ungleichbehandlung beginnt der Antisemitismus könnte man hinzufügen.

Impulse für aktuelle Debatte

Die Broschüre könnte die aktuelle Debatte um das Verhältnis der Linken zu Israel, die seit einigen Monaten auch in den Reihen der Linksjugend Solid geführt wird, mit historischen Hintergrundwissen bereichern. Auch für die Diskussionen innerhalb der der Linkspartei fernstehenden Teile der israelsolidarischen Bewegung, wie sie in der Jungle Word in den letzten Wochen zu lesen war, könnte sie Impulse liefern. So schreibt Stephan Grigat:

„Der Zionismus ist für die Ideologiekritik in der Tradition der Kritischen Theorie zwar nicht die richtige Antwort auf den Antisemitismus (das wäre nach wie vor die Errichtung der klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft, die freie Assoziation freier Individuen, die befreite Gesellschaft, die es den Menschen ermöglicht, ohne Angst und Zwang verschieden zu sein“. Damit nimmt Grigat positiv auf jenen unbegrenzten Universalismus Bezug, den auch Ullrich im Sinn hat.

Aufs Grigats Beitrag antworten die beiden liberalen Israelksolidarischen Stefan Wirner und Ingo Way völlig ohne jeden universalistischen Bezug. Für sie ist das gegenwärtige Deutschland unter Merkel der beste Freund und Handelspartner Israels schon das Ende der Fahnenstange. Jegliche Vorstellungen darüber hinaus werden von den beiden Freunden der offenen Gesellschaft als Restbestände der totalitären Linken gebrandmarkt. Bei soviel Utopieverbot gepaart mit einer gnadenlosen Realpolitik ist der Rückgriff auf einen unbegrenzten Universalismus und Kosmopolitismus, wie sie die emanzipatorischen Teile der ArbeiterInnenbewegung propagierten, dringend zu empfehlen. Dazu hat die kleine Broschüre von Ullrich einen Anstoß geliefert.


Peter Ullrich
Begrenzter Universalismus

Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt

Berlin 2007

AphorismA Verlagsbuchhaltung
50 Seiten, ISBN 9783865755261