Das Wort «Weltanschauung» fand erst um 1800 einen von
«Weltbild» verschiedenen Gebrauch. Besonders durch die deutsche
Romantik (Schleiermacher: Reden über die Religion) entwickelte
sich seine von «Weltbild», der Summation der Resultate bloßer
Objektbetrachtung, unterschiedene Bedeutung als eine auf das
Denken, Fühlen, Wollen und Tun des Menschen bezogene gedankliche
Zusammenfügung des Wissens, der Erfahrung bzw. der Vorstellung
von der Welt und vom menschlichen Dasein als eines Sinnganzen.
Als schöpferischer Entwurf, vom Subjekt als ihrem Träger
ausgehend, wurde «Weltanschauung» hier als subjektive
gedankliche Aneignung der Welt, als Sinngebung menschlichen
Daseins und Handelns in ihr, dem mehr kontemplativen «Weltbild»
entgegengestellt.
Dieser stark subjektivistische Ansatz, dem rational
das Streben nach Erfassung des Gesamtzusammenhangs von Natur,
Gesellschaft und Mensch in einem einheitlichen System zugrunde
lag, wurde in der Niedergangsepoche der bürgerlichen
Philosophie einseitig dahingehend verzerrt, daß es Aufgabe
der Philosophie sei, jene Gesamtansicht von der Welt und der
Stellung des Menschen in ihr zu erbauen bzw. systematisch zu
durchleuchten, während es der Naturwissenschaft zufalle, das
«Weltbild», die umfassende gültige Theorie der objektiven
Realität, zu liefern (vor allem Dilthey, Scheler, Jaspers,
litt). Damit wurde dem Begriff «Weltanschauung» gegenüber dem
«Weltbild» der sog. exakten Wissenschaften einseitig die Sphäre
der «metaphysischen» (anthropologischen, ethischen und
geschichtsphilosophischen) Aspekte der Weltbetrachtung
zugeordnet und somit eine scharfe Trennung zwischen (Natur-)Wissenschaft
und Weltanschauung und damit auch von (Natur-) Wissenschaft und
Philosophie vorgenommen. Andererseits strebte Husserl
(wie auch Cohen, Rickert
u. a.) unter Berufung aufsog. Wahrheitsgehalte
außerwissenschaftlicher Weltanschauungen eine Entwertung der
wissenschaftlichen Aussagen und Erkenntnismethoden in
weltanschaulichen Belangen an. Beide Richtungen nivellieren die
Bedeutung der Wissenschaft für die Weltanschauung und bereiten
ideologisch den Boden für die heute von der imperialistischen
Philosophie in vielfältigen Varianten verbreitete Auffassung von
der Unmöglichkeit einer nach wissenschaftlichen Prinzipien
aufgebauten Weltanschauung und für den Subjektivismus in allen
Weltanschauungsfragen. Eine gleiche Rolle spielt hierin der
Positivismus, der die Verallgemeinerung
einzelwissenschaftlicher Angaben in Richtung auf die Gewinnung
eines geschlossenen weltanschaulichen Gesamtsystems, das
zugleich Wertgesichtspunkte enthält, ablehnt. Alle diese
Richtungen der bürgerlichen Philosophie mindern die Rolle der
Wissenschaften bei der Lösung weltanschaulicher Fragestellungen
und öffnen der Religion und dem Aberglauben Tür und Tor.
Wenn des näheren unter Weltanschauung die Gesamtauffassung
(Theorie) vom Weltganzen, vom Ursprung, von der Natur und der
Entwicklung des Weltalls, von der Entstehung und Entwicklung der
Menschheit und ihrer Zukunft, vom Wesen und Sinn des
menschlichen Lebens, vom gesellschaftlichen Verhalten des
Menschen, von den Fähigkeiten des menschlichen Denkens und den
Werten der menschlichen Kultur und von ähnlichen grundsätzlichen
Problemen zu verstehen ist, so ergibt sich, daß in die
Weltanschauung die philosophischen, gesellschaftspolitischen,
ethischen, ästhetischen und die
naturwissenschaftlichen Anschauungen in bestimmter Weise
einfließen. Der Charakter einer
Weltanschauung wird danach hauptsächlich durch die ihr
zugrunde liegenden philosophischen Anschauungen und durch die
Rolle, die der Wissenschaft in ihr zukommt, bestimmt.
Die Hauptfrage der Weltanschauung ist identisch mit
der Grundfrage der Philosophie, von deren jeweiliger
Lösung die Grundauffassungen in allen anderen Fragenkomplexen
der Weltanschauung beeinflußt werden. Unter dem Gesichtspunkt
der Fragestellung nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein
in einer Weltanschauung lassen sich erstens zwei Grundformen
der Weltanschauungen systematisch voneinander abheben: die
materialistischen und die idealistischen bzw.
idealistischreligiösen. Zweitens wird unter dem
Gesichtspunkt des Grades der Anwendung philosophischer
(rationaler) Methoden, wobei die Anwendung der Methoden der
philosophischen Verallgemeinerung eine vorrangige Stellung
innehat, unterschieden zwischen philosophischen und
religiösen Weltanschauungen (-»• Religion). Unter dem
Gesichtspunkt der Rolle, die der Wissenschaft in einer
Weltanschauung zukommt, und des wissenschaftlichen Charakters
der in ihr angewandten philosophischen Methoden sind drittens
Aussagen über den wissenschaftlichen Charakter einer
Weltanschauung möglich.
Insofern die Weltanschauung nach Auffassung der
marxistisch-leninistischen Philosophie die Widerspiegelung
des materiellen gesellschaftlichen Seins der Menschen ist, ist
ihr jeweiliger Charakter keineswegs zufälliger,
subjektiv-willkürlicher Na-
tur. Der Charakter einer Weltanschauung hängt vielmehr vom
allgemeinen Stand der Entwicklung der Wissenschaft einer
historischen Periode ab, vom jeweiligen Charakter der
Gesellschaftsordnung sowie (in der Klassengesellschaft) von der
sozial-ökonomischen Stellung ihrer Träger. Die Weltanschauungen
tragen demnach stets historischen Charakter; in der
Klassengesellschaft tragen sie Klassencharakter, wobei
die herrschende Weltanschauung diejenige der jeweils
herrschenden Klasse ist. Insofern ist z.B. die heute in der
bürgerlichen Weltanschauungsphilosophie verbreitete
Geringschätzung der Wissenschaft, die einseitige Herausstellung
und Dämonisierung der Technik, die Trennung von
Naturwissenschaft und Gesellschaftsphilosophie in Fragen der
Weltanschauung ein Ausdruck des Interesses der imperialistischen
Bourgeoisie an der Verschleierung der tatsächlichen, durch die
marxistisch-leninistische Gesellschaftswissenschaft erforschten
Gesetze der modernen kapitalistischen Gesellschaft, wie darüber
hinaus die bürgerliche Weltanschauung der Gegenwart - als
ideologischer Reflex des Niedergangs der kapitalistischen
Gesellschaft im Weltmaßstab - Dekadenz, Irrationalismus,
Antihumanismus, Weltuntergangsstimmung
und Flucht in die Religion verbreitet.
Demgegenüber war z. B. die Weltanschauung des aufsteigenden
Bürgertums die Zusammenfassung aller fortschrittlichen Ideen,
naturwissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen
Auffassungen der Zeit des Kampfes gegen den Feudalismus und die
diese Gesellschaftsordnung stützende und verklärende
religiös-idealistische Weltanschauung der weltlichen und
geistlichen Großgrundbesitzer. Während die materialistischen
Weltanschauungen der Zeit des Sturzes des Feudalismus, da ihr
Träger - das aufsteigende Bürgertum - selbst eine ausbeutende
Klasse war, hinsichtlich der Interpretation der Fragen des
gesellschaftlichen Lebens zu idealistischen Inkonsequenzen
gelangten, hat die marxistisch-leninistische Weltanschauung,
die unter den Bedingungen des Kapitalismus entstand und die
Interessen der konsequent revolutionären Klasse des Proletariats
und aller unterdrückten Werktätigen ausdrückt, die Einheit von
Weltanschauung, Wissenschaft, Philosophie und Politik in sich
verwirklicht. In ihrer Theorie ist jeder Dualismus zwischen
naturwissenschaftlichem Weltbild einerseits und Geschichts- und
Menschenbild andererseits beseitigt, da sie von der materiellen
Einheit der Welt, vom objektiv existierenden Zusammenhang von
Natur und Gesellschaft, ausgeht. In ihr ist die Einheit vom
wissenschaftlichen Weltbild und wissenschaftlicher
Weltanschauung realisiert, insofern sie einerseits aus der
Zusammenfassung aller Aussagen der Wissenschaften über die
objektive Realität (Struktur und Entwicklung) der Welt,
Gesellschaft usw. erwachsen ist, d.h. das
Weltbild der Naturwissenschaften und das Gesellschafts- und
Menschenbild wissenschaftlicher Gesellschaftsbetrachtung zur
Voraussetzung hat; andererseits ist sie die philosophische
Verallgemeinerung aller einzelwissenschaftlichen Angaben und der
gesamtgesellschaftlichen Praxis der Menschen in Richtung auf
Aussagen über die Welt in ihrer Gesamtheit, über ihre
allgemeinen inneren Gesetzmäßigkeiten, über die Stellung des
Menschen in ihr usw. Für den dialektischen und historischen
Materialismus kann es dabei keinen Gegensatz zwischen
Wissenschaft und Weltanschauung geben, weil die
weltanschaulichen Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen
unter Befolgung der den Wissenschaften eigenen Methoden gewonnen
werden und in der Praxis ihre objektive Bestätigung rinden.
Die Fragen der Weltanschauung haben indes nicht nur
theoretische, erkenntnismäßige, sondern hervorragende praktische
Bedeutung für das Denken und Handeln der Menschen. Indem sie
eine allgemeine Ansicht über die Welt im ganzen vermitteln,
bestimmen sie das Verhältnis der Menschen zur Umwelt und ihr
Verhalten in ihr. Während die reaktionären,
antiwissenschaftlichen Weltanschauungen den historisch
überlebten Klassen zur Aufrechterhaltung ihrer Machtpositionen
und zur Niederhaltung und Täuschung der Volksmassen dienen und
sich unüberbrückbare Widersprüche zwischen ihren allgemeinen,
die Klassengegensätze verschleiernden Postulaten und der im
Namen dieser Weltanschauungen von den herrschenden Klassen
betriebenen gesellschaftlichen und politischen Praxis auftun,
lenkt die wissenschaftliche revolutionäre Weltanschauung des
Marxismus-Leninismus die Tätigkeit der Arbeiterklasse und der
Volksmassen insgesamt auf den Kampf für ihre Befreiung und für
die Errichtung einer menschlichen sozialistischen und
kommunistischen Gesellschaft hin, die frei von Ausbeutung und
Unterdrückung ist und Glück und Wohlstand inmitten einer die
Selbstverwirklichung des Individuums ermöglichenden wahren
Menschengemeinschaft, d.h. echte Verwirklichung des Sinns des
menschlichen Lebens für alle Menschen verheißt. In völliger
Übereinstimmung mit der progressiven Entwicklung der
menschlichen Gesellschaft hilft sie so, den gesellschaftlichen
Fortschritt zu forcieren und die Menschen zu selbstbewußter
schöpferischer gesellschaftlicher Tätigkeit auch geistig zu
befreien. Unter sozialistischen Bedingungen entwickelt sich die
Weltanschauung des Marxismus-Leninismus immer mehr zur
vorherrschenden Weltanschauung, sie trägt ihren völligen Sieg
als wissenschaftliche Weltanschauung in dem Maße davon, in dem
sich die Volksmassen - von ihr durch die bewußte Tätigkeit von
marxistisch-leninistischer Partei und sozialistischem Staat in
ständig wachsendem Maße geleitet - im
Prozeß ihrer eigenen gesellschaftlichen Tätigkeit anhand der
Praxis des siegreichen Aufbaus der neuen Gesellschaft nach allen
weltanschaulichen Aspekten hin von ihrer Überlegenheit
überzeugen.