Die Opposition im Iran und die deutsche Linke

von
Pedram Shahyar

7/8-09

trend
onlinezeitung

Ausgelöst durch eine spontane Massenbewegung befindet sich der Iran in einer revolutionären Situation, die für westliche Beobachter völlig unerwartet kommt. Das Bild dieses Landes war geprägt von religiösen Eiferern, Ayatollahs und dem einzigen Präsidenten auf der Welt, der öffentlich den Holocaust leugnet. Doch das Land war voller Widersprüche, vieles hatte sich aufgestaut, Iran war längst von der Saat der Revolte befruchtet. Die Oppositionsbewegung ist relativ jung, trägt aber die Spuren einer langen Geschichte. Das iranische System war nach der Revolution von 1979 sehr viel moderner als vorher. Neben einer bunten politischen Landschaft gab es nun es auch einen gewissen Pluralismus innerhalb des Staates. Bei den Islamisten gab es einen „linken Flügel“ dem z.B. der jetzige Herausforderer Moussawi angehörte. Diese verbanden die islamische Werte und die Prinzipien des Gottesstaates mit einer revolutionären Gesten und starken sozialen und antikapitalistischen Programm.

Ausschalten der Opposition

Ihre Basis waren die städtischen Armen und die Jugend, die die Revolution und den Krieg gegen den Irak an der vordersten Front gefochten hatten. Auf der Rechten waren Leute wie das heutige geistliche Oberhaupt Chamenei oder der großer Oligarch und die dauerhafte Nummer 2 des Systems, Rafsandschani. Sie Stützten sich auf den islamistischen Mittelstand, insbesondere im Handelssektor, die so genannten Bazarris. Der seinerzeitig Revolutionsführer Khomeini verstand es bestens zwischen diesen Flügeln auszugleichen.
Gestützt auf eine bewaffnete Massenbasis konnten die Islamisten die Opposition zu Beginn der 1980er nacheinander ausschalten: die Linken, die Mudschaheddin und die politischen Kurden wurden in einer bürgerkriegsähnlichen Situation abgeschlachtet. Der in dieser Zeit tobender Krieg gegen den Irak half bei der Niederschlagung der Opposition und hilet die verschiedenen Lagers innerhalb des Systems zusammen. Der Premierminister in dieser Zeit war im Übrigens niemand anderes als Mussawi, der als ein sehr enger Vertrauter Khomeinis galt.

In den 90er wandelte sich das Bild. Die Nachkriegsgeneration fand enttäuscht von den Versprechungen der Revolution ein sozial tief gespaltenes Land vor, in dem die Führungsriege des Staates ungeheuren Reichtum angehäuft hatte. Für diese Generation lag der Schrecken des Terrors nach Innen und des Kriegs nach Außen biographisch zu weit weg. So nahmen die sozialen Unruhen stetig zu. Mitte der 1990er, unter der Präsidentschaft Rafsandschanis gab es bereits lokale Aufständen, wie z.B. in Mashhad oder Islamshahr.

Reform und Reaktion

Diese Verschiebung zu einer sich entladenden Unzufriedenheit erfasste das politische System: vor diesem Hintergrund kam es zur Kandidatur Chatamis, der 1997 mit einem erdrutschartigen Sieg zum ersten Reformpräsidenten wurde. Die Reformbewegung war geboren. Die politischen Eliten spalteten sich entlang einer neuen Linien: die Reformer wollten gegen die Konservativen eine politischen Öffnung nach Innen und nach Außen durchsetzen. Sie waren Ausdruck des erhöhten zivilgesellschaftlichen Drucks, ihr Wahlerfolg steigerte wiederum diesen Druck.

Doch die Macht des Präsidenten ist im Iran sehr begrenzt. Die wichtigen Organe werden von dem religiösen Führer geleitet und waren fest in konservativer Hand. Bald begannen sie, den Reformprozess zurückzu-
drehen. Bei ihrem Versuch, auf einem Schlag die kritische Presse mundtot zu machen, kam es 1999 zu den ersten großen Protestdemonstrationen von Studierenden, die das progressive Rückgrat der iranischen Gesellschaft darstellen.

Solche Bewegungen, gewinnen sie einmal an Dynamik, gefährden ganz schnell das Grundgerüst einer Diktatur. Daher stellte sich Chatami gegen die Studierenden und die Proteste wurden niedergeschlagen. Danach war die Dynamik der Reformer gebrochen. Chatami gewann zwar auch die nächste Wahl, konnte aber fast nichts mehr durchsetzten. Seine Gesetzesvorlage für die Verbesserung der Pressefreiheit wurde 2001 auf Anordnung des religiösen Führers nicht einmal im Parlament debattiert.

Soziale Bewegungen

Die Reformbewegung hatte an Legitimität verloren und war enorm geschwächt. Die sozialen Bewegungen hatten sich aber davon unabhängig weiterentwickelt. Diese laufen vor allem in vier Bereiche. Als erstes sind es die Studierenden zu nennen. In der zweiten Legislatur Chatamis radikalisierte sich die Bewegung an den Unis zunehmend. Die Hegemonie der Reform-Islamisten wurde von Liberalen und einer immer stärker werdenden neuen Linke herausgefordert. Von enormer Stärke ist die Frauenbewegung im Iran, mit sehr vielen Strukturen, NGOs und Netzwerke, sogar unter Ahmadinedschads Präsidentschaft rechtliche Verbesserungen erkämpfen konnten.

Die Arbeiterbewegung fing ebenfalls zunehmend an, sich neu zu organisieren. Im Iran verging in den letzten Jahren kaum ein Tag ohne spontane Streiks und Arbeiterdemonstrationen. Zwar wurde jeder Ansatz von Organisierung mit brutaler Repression überzogen, aber die Aktionen radikalisierten sich, und erste unabhängige Gewerkschaften, wie z.B. bei den Teheraner Busfahrern oder Lehrern waren nicht mehr zu verhindern.

Schließlich erlebte der Iran eine neue Welle der Bewegungen von ethnischen Minderheiten für mehr Autonomie. Es kam zu teilweise riesigen Demonstrationen und Aufständen, insbesondere im Süden, in turkmenischen Gebieten und bei den Kurden.
Polarisierung

All diese Proteste wurden von der Reformbewegung nicht mehr politisch kanalisiert, die dann auch zunehmend zerfiel. Aber auch die Konservativen spalteten sich. Die Oligarchen versuchten mit moderaten Reformen den Druck von Unten abzudämpfen und eine ökonomische Westöffnung zu forcieren – sie waren nun die moderaten Konservativen, repräsentiert durch Rafsandjanis Kandidatur 2005. Seinen Gegenpart bei den Konservativen bildete Ahmadinedschad. Um ihn herum formierten sich die jüngeren religiösen Eiferer, die zweite Generation der Revolution, die zwar in den Apparaten saßen, aber noch nicht an dem großen Tisch der Korruption mitspielen durften. Er versprach eine Vitalisierung der revolutionären Werte, also kultureller und politischer Strenge im Alltag und eine sozialen Umverteilung gegen die korrupten Oligarchen. Das ganze wurde mit einer antiimperialistischen Geste in der harten Außenpolitik gemischt und ergab zusammen einen fanatisch-religiösen sozialen Nationalismus. Ahmadinedschads Präsidentschaft spaltete das konservative Lager noch tiefer. Durch seine Außenpolitik der Isolation, des hartes Durchgreifens nach innen, und das rigide Neubesetzen staatliche Stellen mit Leuten aus seinem Lager wurde er zunehmend zu einer Bedrohung für viele aus dem Establishment.

Wahlputsch

Seine aktuellen Gegenspieler kommen eigentlich aus dem Lager der moderaten Konservativen. Karrubi ist liberal, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Er ist ein geistlicher, der als sehr mutig gilt und nicht sehr viel von der religiösen Autorität Chameneis hält. Moussawi liegt ganz in den neuen globalen Trends. Er vertritt eine Art Neokeynsianismus und fühlt sich durch Obamas Wahlsieg für das Projekt einer neuen Kooperation mit dem Westen bestätigt. Hinter ihm stehen die mächtigen Figuren wie Rafsandschani oder der Oberfunktionär und Atomunterhändler Laridjani. In seiner Wahlkampagne versuchte Moussawi sehr viele zu integrieren – neben der Unterstützung der grauen Eminenz des islamischen Staates benutzte er z.B. das Lied der Studentenbewegung und sogar die Hymne der ehemaligen linken Guerilla für seinen Wahlkampf.

Der Wahlputsch Ahmanidnedschads ist nun der Versuch, mit den verschiedenen Flügeln innerhalb des Systems aufzuräumen. Unmittelbar nach der Wahl und unter dem Eindruck der Demonstrationen wurden viele Funktionäre der Reformer und moderate Konservative verhaftet. Doch die Bewegung auf der Straße ist nicht auf diese zu reduzieren – in ihr sind auch die sozialen Bewegungen präsent.

Die Protestbewegung hat eine eigenständige Dynamik, welche zunimmt und sich weiter radikalisiert. Vor der ersten Großdemo am Montag nach der Wahl hatte Chatami öffentlich abgeraten teilzunehmen. Erst als klar war, dass alle hingehen, kamen auch die Oppositionsfiguren. Einen Tag später kündigte Moussawi an, nicht demonstrieren zu wollen, und am Mittwoch gab es schließlich zwei Demos, wobei die von ihm empfohlene die deutlich kleinere war.

Das Wochenende nach dem Wahlputsch war ein historisches Datum in der iranischer Geschichte. Der geistlicher Führer Chamenei stellte sich während des Freitagsgebets, seine zentrale Bühne, bedingungslos hinter Ahmadinedschad und drohte den Protestierenden mit äußerster Härte. Dies war eine Kriegserklärung an die Protestbewegung, und das islamische Regime zeigte mal wieder seine Reformunfähigkeit.

Historischer Einschnitt

Am nächsten Tag fanden die größten Demonstrationen überhaupt statt, trotz massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte. An diesem Tag starben mehr als 100 Demonstranten, unzählige wurden verletzt und verhaftet. Doch dieser Tag brach einen Damm – die Massen widersetzen sich den Schüssen der religiösen Sicherheitskräften und dem Befehl der Ayatollahs in einer unbekannten Weise.Moussawi war auch auf den Demonstrationen, mit einer sehr unerwarteten Geste: er erklärte, das shiitische Märtyrer-Ritual gemacht zu haben und bereit zu sein, an diesen Tag zu sterben. Der Riss zwischen den Eliten war nun nicht mehr zu kitten. In den letzten Tagen werden auch dies Stimmen aus den rechten Blättern laut, die ihn wegen des Hochverrats vors Gericht bringen wollen. Zwar begann er auch wieder zu lavieren und die Leute beruhigen zu wollen, aber ein Kompromiss zwischen den Alten Eliten ist zu dieser Zeit überhaupt nicht in Aus- sicht. Somit können wir im von einer Konstellation extremer Spannung und einer vorrevolutionäre Periode ausgehen.

Spielarten des Zynismus

Die Deutsche Linke hat sehr spät und sehr uneindeutig reagiert. Hinsichtlich des Nahen Ostens, dem zentralen Schlachtfeld des westlichen Imperialismus gab es bisher zwei extreme Pole, zwei Arten eines Metropolenzynismus: die eine Seite stellte sich angesichts des reaktionären Antiimperialimus auf die Seiten der Imperialen Mächte – Emanzipation war für sie nur durch amerikanische GIs und israelische Bomber denkbar.

Der andere Pol sah die einzige Möglichkeit der Emanzipation im reaktionären Antiimperialismus des islamischen Fundamentalismus. So bezeichnete der in der globalisierungskritische Bewegung hoch angesehene Hugo Chavez Iran als ein sehr freies Land und war der erste Gratulant Ahmadinedschads; die junge Welt unterstütze die Version des iranischen Staates über den Ablauf der Wahlen und war besorgt über die Gefahr einer Verwestlichung des Irans.

Die überwältigende Mehrheit des linken Lagers befindet sich zwischen diesen Polen, eingeklemmt und paralysiert. So sahen wir weder große Beteiligung von den linken Kräften auf den Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg zu Beginn des Jahres noch auf den Demonstrationen für die Unterstützung der Revolte im Iran. So verliert die Linke nicht nur die aktive Achse ihres Internationalismus, sondern braucht sich auch nicht darüber zu wundern, dass sie im migrantischen Milieus keinen Fuß auf den Boden bekommt.Will die Linke hierzulande wirklich internationalistisch sein, muss sie mehr bringen als ein bisschen Solidarität mit Lateinamerika, so wichtig diese auch ist. Der Nahe Osten ist ein strategisches Schlüsselgebiet, und die Revolution im Iran der langersehnte Schlüssel, die katastrophale Polarisierung zwischen Imperialismus und islamischen Fundamentalismus zu knacken. Gelingt die Revolution, wird der islamische Fundamentalismus auf Jahrzehnte geschwächt. Darüber hinaus werden alle anderen Diktaturen im Nahen Osten destabilisiert, weil die Menschen frischen Mut schöpfen. Und ganz sicher, wird die israelische Gesellschaft einen enormen Humanisierungsschub erhalten, wenn die Gefahr des nuklearen Holocaust durch die Revolte im „Feindesvolk“ verschwindet. Je stärker die Linke sich hinter diese Revolte stellt, je ernsthafter die Linke die emanzipatorischen Kräfte und sozialen Bewegungen im Nahen Osten zum Maßstab und Kompass ihrer Politik macht, umso eher wird sie sich selbst in ihrem Internationalismus weiterentwickeln, und ihres Gleichen im Nahen Osten helfen, nach Jahrzehnten der Marginalisierung zu einer mächtigen politischen Kraft zu wachsen.

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 10.7. bei LINX. Wir spiegelten von dort.