Der Streit um Felicia Langer und der Antisemitismus

von Peter Nowak

7/8-09

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„Zum ersten Mal seit 1945 wurde in Deutschland wieder ein Orden für besonders engagiertes Vorgehen gegen Juden verliehen“, heißt es auf dem rechtskonservativen Internet-Portal Politycall Incorrekt. Gleich darunter gibt es Betätigungsmöglichkeiten: „Wer dem Bundespräsidialamt zur ersten antijüdischen Verdienstkreuzverleihung seit Kriegsende NICHT gratulieren möchte“, kann eine Mail schreiben.

Der Kommentarbereich dieser Seite wurde allerdings schon nach 24 Stunden geschlossen. Denn dort tobte sich die Wut über diejenige, die Gegenstand der Kritik war, in nicht mehr zitierfähigen Beschimpfungen aus. Es war die Person Felicia Langer, die angegriffen wurde. Gegen die Jüdin, die nur knapp der Vernichtung im Nationalsozialismus entkommen war, die Kommunistin, die bis Ende der 80er Jahre Mitglied des Zentralkomitees der israelischen Kommunistischen Partei war und die selbstbewusste Frau, die sich auf keine Nation und kein Vaterland festlegen lässt.

Diese Kombination der Jüdin, Kommunistin, Antinationalistin und emanzipierten Frau ließ Rosa Luxemburg schon zur Hassfigur der deutschen Rechten werden. Ihre dümmsten Nachfolger schwadronieren nach wie vor vom Weltjudentum und sind in ihren Antisemitismus auch bereit, mit den Islamisten zu paktieren, wenn sie sich nur nicht in Deutschland ansiedeln.

Die schlaueren Epigonen der Rechten scheinen die Lektion aus der Geschichte gelernt zu haben. Sie respektieren Juden, wenn sie in Israel wohnen und die israelische Politik verteidigen. Ihr durchaus auch antisemitischen Mütchen kühlen sie dann an den Jüdinnen und Juden, die Israel nicht als ihre Heimat anzusehen. Im Umfeld von Politycall Incorrekt gibt es diese Sorte von Rechten. Während Israel dort außerhalb jeder Kritik steht, ist jeder Jude, der nicht gleichzeitig stolzer israelischer Staatsbürger ist, zum verbalen Abschuss freigegeben.

Felicia Langer bietet sich für sie besonders als Feindbild an. Sie hat nämlich etwas gemacht, was den deutschen Rechten besonders verwerflich erscheint: sie hat sich in Deutschland angesiedelt. Der schlaue Rechte hat gelernt, da die Juden doch jetzt einen eigenen Staat haben, sollen sie auch dort leben. Felicia Langer aber lässt sich auf ein Heimat- und Vaterland festschreiben. Sie steht damit durchaus in einer kosmopolitischen jüdischen Tradition, die von den Nazis und ihren Verbündeten weitgehend zerstört wurde.

Die falschen Freunde Israels haben auf Versuche diese Tradition wieder zu beleben, immer mit besonderer Aversion reagiert. Die Juden sollen gefälligst in Israel bleiben. Für den rechten Israelkritiker hat die antisemitische Vorstellung von der Macht der Juden durchaus Bedeutung. Seine Israel-Verteidigung ist oft gleichzeitig sein Ticket, mit dem er belegen will, gar kein Antisemit sein zu können. Das konnten wir in Deutschland schon in den späten 60er Jahre erleben, als sich NS-Täter und Mitläufer als besonders laute Israel-Verteidiger aufspielten. Die damalige Konkret-Publizistin Ulrike Meinhof hat damals in ihrer Kolumne „Die falschen Freunde Israels“ die richtigen Worte dazu gefunden.

Keine adäquate linke Antwort

Doch davon scheint heute wenig übrig geblieben. Denn die Kampagne der rechten Israel-Verteidiger fand keine adäquate linke Antwort. Es gab einige Solidaritätserklärungen für Felicia Langer. Doch die ließen sich in der Regel inhaltlich ein und verteidigten die vehemente Israelkritik der Ausgezeichneten oder bekräftigen sie noch. Doch genau darum geht es mir nicht. Ich verteidige weder Langers Erklärungen zu Israel noch ihre manchmal fragwürdige Bündnispolitik, die sie sogar dazu brachte, einen Jürgen Möllemann vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu verteidigen. Ich verteidige das Recht einer linken Jüdin im Jahr 2009, in Deutschland zu leben und hier ihre Meinung zu vertreten. Ich verteidige das Recht von Frau Langer, sich nicht auf einen Verhaltungscodex gegenüber Israel festlegen zu lassen und sich für ihre Haltung nicht rechtfertigen zu müssen. Das gilt natürlich auch für Anhänger der israelischen Politik.

Henryk M. Broder hat genau so das Recht, seine Lesart des Nahostkonfliktes zu verbreiten, ohne einer Kampagne ausgesetzt zu sein, wie Michel Friedmann und Felicia Langer. Es ist völlig normal, dass unter in Deutschland lebenden Juden – wie zu vielen anderen Themen – auch zur israelischen Politik unterschiedliche Ansichten bestehen. Damit stehen sie in einer guten Tradition. Es gab unter Juden in Deutschland immer pro, - nicht-, und antizionistische Positionen.

Ein auch polemisch ausgetragener Streit darum, ist das Normalste auf der Welt. Antisemitische Töne bekommt die Auseinandersetzung erst, wenn den Personen ihr Judentum vorgehalten oder abgesprochen wird. Dazu gehört die Vorstellung, ein Jude müsse die israelische Politik verteidigen ebenso wie das umgekehrte Ansinnen, er müsse sie kritisieren oder sich überhaupt dazu äußern.

In Teilen der deutschen Linken ist es üblich, sich ihre Kritik an der israelischen Politik durch jüdische Stimmen beglaubigen zu lassen. Die Kritik daran war berechtigt. Genau so vehement muss aber der Versuch von Israel-Verteidigern zurück gewiesen werden, gegen Juden vorzugehen, die eine andere Sicht auf Israel haben. Genau diese Haltung vermisse ich gerade auch von einer israelsolidarischen Linken.

Der Grund liegt daran, dass der Antisemitismus oft nur noch im Kontext zu Israel gesehen wird. Ein Artikel von Christian J. Heinrich in der August-Konkret zum Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz ist dafür ein gutes Beispiel. Dass es sich der Antisemitismus in erster Linie gegen Juden richtet, völlig unabhängig von ihrer Position zu Israel, kommt dabei gar nicht mehr vor. In den letzten Jahren wurde viel über eine Israelkritik diskutiert, in der antisemitische Elemente enthalten sind. Dabei stellte sich natürlich zwangläufig die Frage, wann Israelkritik antisemitisch wird. Jetzt wäre es an der Zeit, eine Israelverteidigung mit antisemitischer Grundierung einer genau so schonungslosen Kritik zu unterziehen. Dabei müsste auch die Frage gestellt werden, wann die Israelverteidigung mit antisemitischen Stereotypen einhergeht. Im Fall von Felicia Langer ist diese Grenze überschritten worden.

Vor 20 Jahren, als in kleinen Gruppen der Linken, die Auseinandersetzung mit dem linken Antisemitismus begann, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass einige der dort ausgetauschten Argumente einmal dazu benutzt werden könnten, um in Deutschland lebenden Juden klarzumachen, wie sie sich zu Israel zu positionieren haben.

Ein Argument von israelkritischer Seite wird am Beispiel von Felicia Langer gestärkt. Israel ist tatsächlich eine Schutzmacht für Juden. Diejenigen Juden, die sich wie Langer nicht unter israelischen Schutz stellen, sind dafür Hass und Hetze umso stärker ausgesetzt. Das ist ein Grund einen Antisemitismusbegriff stark zu machen, der den Schutz aller jüdischen Menschen auch den von Frau Langer beinhaltet. Gerade weil Jüdinnen und Juden, die ihren Schutzraum nicht in Israel sehen, besonders stark von Antisemitismus betroffen sind, müsste eine Öffentlichkeit, die gegen Antisemitismus agiert, auch Solidarität mit ihnen zeigen. Unabhängig von ihrer Haltung zu Israel.

P.S.: Zum eigentlichen Streit um das Bundesverdienstkreuz und Frau Langer sage ich aus folgenden Gründen nichts. Wenn, nachdem so viele Ex-, Post und Halbnazis Träger dieses Kreuzes sind, ausgerechnet die Preisverleihung einer Jüdin zum Gegenstand einer Kampagne gemacht wird, und suggeriert wird, das jetzt erstmals ein Preis für engagiertes Verhalten gegen Juden vergeben wurde, muss jemand, für den Antisemitismus nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, deutlich machen, dass hier eine Grenze überschritten wurde. Zudem bin ich der Überzeugung, dass wir nicht über Antisemitismus diskutiert haben, um in Deutschland lebenden Juden auf Linie zu bringen.
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.