Zeiten des Zorns – Zeiten der Klärung – Anmerkungen zum jüngsten
Buch von Jutta Ditfurth


von Peter Nowak

7/8-09

trend
onlinezeitung

"Schade, dass es keine Revolution mehr gibt." Mit diesem Satz eines Busfahrers,
dem durch die Wirtschaftskrise der Verlust seines Reihenhauses droht, beginnt das
neue Buch von Jutta Ditfurth. Doch für die linke Publizistin, die 2007 mit
ihrer Biographie über Ulrike Meinhof Furore machte, ist die Revolution keine schöne
Idee aus der Vergangenheit. »Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die auf Solidarität
aufbaut und auf soziale Gleichheit, in der es keine Ausbeutung und keine
Herrschaft von Menschen über Menschen mehr gibt. Das ist ein tollkühner Plan.
Die Mittel, durch die wir dieses Ziel erreichen könnten, werden manche eine soziale
Revolution nennen. Einverstanden.«

Das Buch rekapituliert noch einmal kurz und prägnant die letzten 20 Jahre der globalisierungskritischen Bewegung, die nicht erst mit Seattle begann. So erinnert Ditfurth an die Proteste gegen den Weltwirtschafts- und EU-Gipfel 1992 in München und 1999 in Köln, an dem sie mit gewirkt hat. Sie zeigt auch auf, wie die neuen globalisierungskritischen Proteste seit 2000 von den Repressionsorganen zunehmend mit Massenfestnahmen, Folter bis zur Verwendung von Schusswaffen beantwortet wurden. Nicht erst in Genua 2001 sondern schon einige Monate vorher bei dem EU-Gipfel in Göteborg waren von Polizisten Schusswaffen eingesetzt worden. Sie beschreibt auch noch einmal, wie damals Jugendliche, die sich spontan zur Einrichtung eines Infotelefons bereiterklärten, um Festnahmen und Polizeirepression zu melden, als Terroristen behandelt wurden und wegen der Versendung einer SMS zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Wohlgemerkt: Die Anklagen erfolgen vor den vielzitierten 11.September 2001. Es hat sich größtenteils um junge Menschen gehandelt, die durch die damals entstandene neue globalisierungskritische Bewegung aktiviert wurden, die noch wenig politische Erfahrung hatten und nach ihrer Kriminalisierung wenig Solidarität bekamen. Ein in Deutschland wenig gezeigter Film macht deutlich, wie ein Teil dieser AktivistInnen auch psychisch unter Druck gesetzt worden sind. Es ist gut, dass Ditfurth noch einmal daran erinnert, wo gerade die EU mit dem Label der Freiheit auch bei Linken (mit und ohne Partei) erfolgreich hausieren kann.

Linkspartei keine Linke

Es ist gerade der Charme von »Zeit des Zorns«, dass Ditfurth an den Zielen festhält, die Ende der 70er Jahre viele teilten, die mit ihr die Grünen gründeten. Ditfurth verließ diese Partei, deren Bundesvorsitzende sie von 1984 bis 1988 war, schon 1991. In den vergangenen Jahren ging sie radikal mit ihren ehemaligen Parteifreunden ins Gericht. In der aktuellen Streitschrift spielen die Grünen keine große Rolle mehr. Nur gelegentlich werden sie zum Vergleich mit der PDS bzw. Linkspartei (es ist sehr verdienstvoll die Partei so nennen, um den angemaßten Anspruch „Die Linke“ zu sein, entgegenzutreten) “ herangezogen, die dabei nicht gut wegkommt. »Die PDS zum Beispiel, die Anfang der 90er noch vorgegeben hatte, eine linke, explizit antikapitalistische Partei sein zu wollen, war längst zu einer Möchte-gern mitregieren-Partei geworden, hatte sich – schneller als die Grünen – angepasst.«

Ein ganzes Kapitel widmet Ditfurth der neuen Linkspartei, die sie für eine »Sackgasse« hält. Dabei kritisiert sie weniger, dass die Partei ihre SED-Vergangenheit nicht genügend aufgearbeitet habe. Im Gegenteil moniert sie, dass viele ehemalige SED-Mitglieder, um verlorene Macht und Reputation zurückzugewinnen, den Rücken beugten und in allerlei Talkshows Buße tun.

Doch viel schärfer ins Gericht geht Ditfurth mit den Sozialdemokraten, die mit der PDS zur Linkspartei fusionierten. Dabei zitiert sie aus einer Rede, die sie im September 1990 auf der Wahlprogrammversammlung der Linken Liste/PDS gehalten hatte, zu der sie als linke Grüne eingeladen war. Darin warnte sie vor Illusionen und Wunschträumen, die in Äußerungen von PDS-Vertretern über die SPD zu finden seien. In ihrem Beitrag nannte sie den damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine einen »prototypischen Sozialdemokraten«.
Dass Lafontaine seit 2007 Chef der LINKEN ist, ist für Ditfurth kein Indiz, dass dieser sich nach links, sondern dass die Partei sich nach rechts entwickelt hat. Süffisant merkt sie an: »Die Zuhörer müssen mich falsch verstanden haben. « Heute ist für sie entschieden, dass die LINKE den Weg der Grünen gehen wird. Ditfurth setzt dagegen auf eine staatsunabhängige außerparlamentarische Bewegung, die Hartz-IV-Empfänger, Migranten, Künstler und Facharbeiter zusammenbringt. Auch der Busfahrer soll darin Platz haben.

Reformismusfreie Zonen?

Wenn Ditfurth betont¸ dass diese neue Linke eine reformismusfreie Zone sein müsse,
ist er die Zustimmung nicht nur auf der Revolutionären 1.Mai-Demonstration sicher,
wo die Autorin auch in diesem Jahr eine mit viel Applaus quittierte Rede gehalten hat.

Doch, wenn das Buch, das als Streitschrift gerade ohne viel theoretischen Hintergrund auskommt, das von der Autorin gewünschte Ziel erreichen soll, müssen wir kritisch nachfragen. Was heißt eine reformismusfreie Zone? Das von Ditfurth an anderer Stelle halb ironisch, halb ernst vermisste, fortschrittliche Bürgertum ist es ebenso wenig, wie die Grünen selbst in ihrer progressivsten Phase. Es ist zu fragen, ob es eine Linke als reformismusfreie Zonen überhaupt geben kann, wenn sie über eine Kleinstgruppe hinauswächst. Zumindest, wenn man die neuen auch marxistischen Theorien über Gesellschaft und Staat zugrundelegt, ist das schwer möglich. Denn danach ist der Staat eben nicht außerhalb des Widerstands. Auch linke und zivilgesellschaftliche Praxen sind nicht per se antistaatlich. Umgekehrt schreiben sich auch die Erfolge von Kämpfen in den Staat ein. Die Metapher von der Linken als reformismusfreie Zone hingegen legt eine strikte Trennung zwischen Staat und linker Bewegung nahe. Eine andere Frage wäre in diesem Fall auch interessant. Ditfurth begründet das Postulat der Linken als reformismusfreier Zone bis zur Bewilligung der Kriegskredite der SPD 1914. Wäre dann nicht aber schon ihr Engagement bei den Grünen nach diesen Grundsätzen fraglich gewesen, die ja, was man immer über sie kann, eine reformismusfreie Zone mit Sicherheit nie waren? Es fäll auf, dass Ditfurth in dem Buch ihre prononcierten Thesen nur selten mit ihren Erfahrungen als nicht ganz unbedeutende Politikerin bei den Grünen begründet und belegt. Das hätte aber den oft nur postulierten Grundsätzen eine bessere Grundierung gegeben.

Bei der Beurteilung der Linkspartei fällt auf, dass vor allem die Zeit nach der Westausdehnung nur sehr knapp behandelt wird. Das aber ist ein Manko, können KritikerInnen von Ditfurths Totalverriss darauf verweisen, dass in den letzten 3 Jahren die von ihr sehr gut als Möchte-gern-Sozialdemokraten klassifizierten Ost-Politiker teilweise an den rechten Rand der Partei gedrängt wurden und sich lautstark über einen Linksruck beklagen, der von Lafontaine zumindest toleriert werde. Hier hätte Ditfurth doch gerade einiges an Erfahrung beisteuern können. Denn viele derjenigen, die über die WASG in die Linkspartei gekommen sind, waren Betonsozialdemokraten in mittlerer Position, die die junge grüne Bewegung erbittert bekämpft haben. Die Frage nach den Unterschieden zwischen den Grünen der 80er Jahre und der heutigen Linkspartei drängt sich nun mal auf, wenn Jutta Ditfurth mit ihren langen auch praktischen politischen Erfahrungen ein Buch schreibt. Tatsächlich wird die Frage auf Veranstaltungen häufig gestellt. Bei einer Buchvorstellung in Berlin am 2. Mai, bei der neben Ditfurth auch weitere PolitikerInnen der Ökologischen Linken, die in dem Buch seltsamerweise keine Rolle spielt, anwesend waren, wurde von denen der Unterschied so markiert. Sicherlich habe es bei den Grünen immer viele ReformistInnen gegeben, aber insgesamt war es ein Projekt, das aus einer radikalen, linken Bewegung entstanden ist und sich in der Breite anfangs als antistaatlich verstand. Das aber war und ist bei der PDS und der Linkspartei nie der Fall gewesen. Zu dieser Darstellung gäbe es aber einige Einwände. Sicher entstand ein großer Teil der Grünen aus einer radikal antistaatlichen Bewegung, die aber nach den sogenannten Deutschen Herbst durchaus Wege in den Staat suchte. Man braucht sich nur die Schriften des Tunix-Kongresses anzusehen, der eine wesentliche Rolle bei der Formierung der Grünen spielte und wo auch der SPD-Politiker Peter Glotz auftrat, um zu sehen, dass schon damals, lange vor jeglichen Realo/Fundi-Diskussionen das theoretische Amalgam vorhanden war, dem sich später Fischer und Co. nur bedienen brauchten. Zudem war eben ein großer Teil der Grünen von der Klassenlage gesehen durchaus für den neuen postfordistischen Kapitalismus brauchbar. Die scheinbare Staatsfeindschaft war vor allem eine Ablehnung des Fordismus mit all seinen Scheußlichkeiten und Zumutungen. Die Linkspartei wiederum speist sich im Gegenteil, zumindest was den Westzuwachs betrifft, vielfach gerade aus dem gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Milieu, die im Fordismus relativ abgesichert schienen und die die postfordistische Regulationsphase des Kapitalismus als Verlust dieser Sicherheiten empfinden und sich dadurch von der alten SPD, die unter Schröder zum Hauptakteuer des Umbruchs vom Fordismus zum Postfordismus wurde, entfremdete. Anders als das aufstrebende Bürgertum der Grünen haben diese Kreise aber kaum die Möglichkeiten, in den Staat wieder kooperiert zu werden. Was das für die Entwicklung der Linkspartei bedeutet, und man die These, ob sie denselben Weg wie die Grünen macht, mit einem Fragezeichen versehen sollte, wird in dem Buch nicht diskutiert. Momentan spielen im theoretischen Milieu der Linkspartei linkssozialdemokratische TheoretikerInnen eine zunehmende Rolle, was auch der Bedeutung der Partei entspricht. Angefangen von TheoretikerInnen der USPD in der frühen Weimarer Republik bis zu dem westdeutschen Gewerkschaftslinken wie Viktor Agartz oder den marxistischen Marburger Professor Wolfgang Abendroth werden da angeführt. Aber gerade die haben bei den Grünen auch in ihrer linken Phase kaum eine Rolle gespielt und werden auch in Ditfurths Buch nicht erwähnt. Dadurch ergeben sich aber Schwierigkeiten für eine adäquate Beurteilung der theoretischen Grundierung von aktuellen Positionen der Linkspartei. So führt Ditfurth Zitate aus Dokumenten an, aus denen hervorgeht, dass man das freie Unternehmertum grundsätzlich positiv betrachtet. Solche Positionen finden sich aber auch in den Schriften linkssozialdemokratischer Theoretiker wie des erwähnten Viktor Agartz. Dabei es um die Unterscheidung vom Besitz eines Unternehmens und der Kontrolle über die Produktion. Agartz und anderen Gewerkschaftslinken war es wichtig, dass die Gewerkschaften über Instrumente der Mitbestimmung wesentlich mitentscheiden sollten. Dann würde die Frage des Eigentums eine viel geringere Rolle spielen. Diese Positionen kann man aus den heutigen Erfahrungen als naiv und falsch qualifizieren. Wichtig ist aber, dass man sie erst einmal zur Kenntnis nimmt.

Randgruppenstrategie reloaded?

So wird in dem Buch von Ditfurth einmal mehr deutlich, wie tief auch theoretisch der Graben zwischen ehemaligen linken Grünen und dem linkssozialdemokratischen Milieu der BRD der 50er und 60er Jahre. Das galt für beide Seiten. Ein Großteil dieses Milieus stand den Grünen sehr skeptisch gegenüber und umgekehrt wurden ihre Positionen kaum wahrgenommen. Wie eng umgekehrt Ditfurth weiterhin mit den Positionen der Linksgrünen verbunden ist, zeigt ihr Bezug auf Herbert Marcuse, wenn sie auf ein Bündnis vom unzufriedenen Busfahrer, über den Hartz IV-Empfänger bis zur prekären Kulturarbeiterin setzt. Die Arbeiterklasse spiele dagegen heute nicht mehr die Rolle als Subjekt der Veränderung, so Ditfurth. Das ist aber im Grunde eine Neuauflage von Marcuses Randgruppenstrategie. Das muss ja nicht falsch sein. Nur ist es wichtig, die theoretischen Prämissen auch für ein jüngeres Publikum zu benennen, um die Strategien adäquat diskutieren zu können.

Denn Ditfurths Buch bietet auf jeden Fall viel Diskussionsstoff für den Aufbau eines antagonistischen linken Pools, der sich unabhängig von der Linkspartei konstituieren muss. Es gibt dafür bisher wenig theoretische und praktische Grundlagen für ein solches Projekt. Neben dem auf schon besprochenen Diskussionsband des Ums-Ganze-Bündnis mit dem Titel „Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit - Zur Kritik des kapitalistischen Normalvollzugs ist Ditfurths Buch eine wichtiger Baustein dazu. Für den Oktober hat die Ökologische Linke zu RebellInnengesprächen nach Frankfurt/Main eingeladen.

Es ist zu hoffen, dass hier einige der auch in dem Buch genannten Subjekte zusammenkommen. Und hoffentlich ist der anfangs erwähnte Busfahrer auch dabei.
   

Jutta Ditfurth
Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft, Droemer Verlag
267 S., 16,95 €.