Der Delegiertenrat der Westberliner
Betriebsbasisgruppen hat beschlossen, eine Kampagne zum 1. Mai
zu beginnen. Ihre Ziele sind
1. die kritische Überprüfung der bisherigen Ansätze zur
Basisarbeit (zu diesem Zweck will eine Arbeitsgruppe eine
Enquete aller bisher arbeitenden Gruppen anfertigen);
2. der Ausbau und die gezielte Neugründung von
Basisgruppen;
3. Ausarbeitung strategischer Perspektiven;
4. verstärkte Organisierung der Zusammenarbeit zwischen
Basis- und Universitätsgruppen.
Drei Sektoren der Arbeit haben sich bisher
herauskristallisiert:
1. eine Neukonzipierung
traditioneller Betriebsarbeit unter dem Begriff der
Arbeiterkontrolle;
2. eine Einbeziehung bisher
vernachlässigter Bereiche in die Betriebsarbeit,
wie spezielle Unterdrückung der weiblichen Arbeiter, familiäre
Konflikte, Sexualaufklärung, Arbeiterkommunen;
3. zentralisiertere Möglichkeiten von Arbeiterschulung.
Mit der Veröffentlichung eines ersten
Diskussionspapiers zur Arbeiterkontrolle möchten die
Basisgruppen die Diskussion um eine zukünftige Strategie der
Betriebsarbeit eröffnen. Ein Beitrag zur Konzeption einer
Sex-Pol-Arbeit im Betrieb folgt in der nächsten Ausgabe der
RPK.
Eine Kampagne zum 1. Mai muß zum Ziel haben, die Ansätze
einer strategischen Perspektive und Organisierung der
Betriebsarbeit weiterzutreiben. Sie ist also nicht an einer
kurzfristigen Mobilisierung mit dem Ziel 1. Mai fixiert. Als
zentrale strategische Konzeption hat sich in der Diskussion der
Westberliner Betriebs-Basisgruppen der Begriff der
ARBEITERKONTROLLE herausgestellt. Wichtigste Aufgabe der
Kampagne wäre, in Zusammenarbeit zwischen Universitäts- und
Basisgruppen das Konzept der ARBEITERKONTROLLE theoretisch zu
entfalten und es auf seine konkrete Anwendbarkeit in der
Betriebsarbeit zu überprüfen.
Das Konzept der ARBEITERKONTROLLE geht davon aus, daß sich
heute der Interessengegensatz zwischen dem Kapital und seinen
Beauftragten und den Lohnabhängigen am ehesten in der
Herrschaftsstruktur der Betriebe massenhaft bewußt machen läßt.
Solange die Ökonomie von privaten Profitinteressen und vom Markt
bestimmt ist, kann Teilhabe an der Macht für die Arbeiter nur
bedeuten, Mitverantwortung zu übernehmen, wo sie die
entscheidenden Regulatoren der Ökonomie (Profitverteilung und
Marktmechanismen) nicht kontrollieren können. Wie sich am
schlagendsten am Beispiel von Entlassungen zeigt, dient die
gegenwärtige institutionalisierte Vertretung der Arbeiter im
Betrieb wesentlich dazu, Konflikte im Interesse der Unternehmer
nicht offen ausbrechen zu lassen. Ob entlassen wird, richtet
sich ausschließlich nach den Interessen des Kapitals; die
Arbeitervertreter können lediglich die Modalitäten der
Entlassung dämpfend und damit verschleiernd beeinflussen. Sie
handeln damit objektiv als Vertreter der Macht der Unternehmer
und nicht als Repräsentanten der Arbeitermacht. Die bestehenden
Mitbestimmungsinstitutionen sind so konstruiert, daß den
Arbeitervertretern, solange sie sich an den legalen Rahmen ihrer
Tätigkeit halten, nichts anderes übrigbleibt, als letzten Endes
die Logik der kapitalistischen Ökonomie anzuerkennen,
nach der Entlassungen aus Profitrücksichten von Zeit zu
Zeit eben unumgänglich sind. Die bestehenden Institutionen
erlauben es den Arbeitern also nicht, ihre Interessen
wirkungsvoll durchzusetzen.
Die in diesem Zusammenhang wichtigsten Bestimmungen des
Betriebsverfassungsgesetzes binden den Betriebsrat, den
Betriebsfrieden zu wahren, d.h. keine Arbeitskämpfe zu führen.
Damit kann bei einem Konflikt zwischen den Interessen der
Unternehmer und denen der Arbeiter die Macht der Arbeiter als
solidarische Aktion nicht legal ins Feld geführt werden. Dem
Betriebsrat ist es außerdem untersagt, wirtschaftliche
Informationen gegen den Willen der Betriebsleitung an die
Arbeiter weiterzugeben. Es entfällt also die Grundbedingung für
jede wirksame Kontrolle der Maßnahmen der Geschäftsleitung,
soweit diese mit ökonomischen Notwendigkeiten begründet werden:
die umfassende Information der Arbeiter. Da die Betriebsräte auf
drei Jahre gewählt und zwischendurch von ihren Wählern nicht
abberufen werden können, ist die Möglichkeit äußerst
eingeschränkt, sie im Konfliktfall zur kompromißlosen Vertretung
der Arbeiterinteressen zu zwingen. Die Bindung der Arbeiter
-Vertreter an die Legalität, die von der kapitalistischen
Staatsmacht und ihren Institutionen geschützt wird, verfestigt
das institutionelle und legalistische Denken bei den Arbeitern
und fördert ihre Resignation.
Demgegenüber ist eine Strategie des Betriebskonfliktes
notwendig, die dazu beiträgt, das Bewußtsein der Arbeiter von
ihrer eigenen Macht zu entwickeln. Der Macht der Unternehmer, im
Interesse des Kapitals zu bestimmen, wie die Produktion
reguliert und organisiert werden soll, muß systematisch die
Macht der Arbeiter entgegengestellt werden, die als Endziel die
Organisierung der Produktion im Sinne einer
Bedürfnisbefriedigung aller Arbeitenden haben muß. In diesem
Sinne bedeutet ARBEITERKONTROLLE den Kampf darum, den
Unternehmern ihre alleinige Verfügungsgewalt zu entreißen und
sie der Kontrolle der Arbeiter zu unterstellen. Die Resignation
und Ohnmacht der Arbeiter, die in Deutschland historisch vor
allem durch die Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den
Faschismus begründet ist, läßt sich in der Produktion nur dort
durchbrechen, wo die unmittelbaren Erfahrungen der Unterdrückung
gemacht werden: am Arbeitsplatz. Der Kampf muß deshalb dort
ansetzen.
Ein Beispiel für ARBEITERKONTROLLE auf dieser unteren Ebene
ist die Forderung nach Wahl der Vorarbeiter durch das
Arbeitsteam . Das kann vor allem dort eine mobilisierende
Wirkung haben, wo durch das Gruppen-Akkord-System die
Vorarbeiter unmittelbaren Einfluß auf Arbeitstempo und
Lohnverteilung haben. Mit dieser Forderung würde ein
entscheidendes Vorrecht der Unternehmensleitung, die
Vorgesetzten zu ernennen, in Frage gestellt.
Der Kampf um ARBEITERKONTROLLE muß ständig ausgedehnt werden,
um einer Festlegung auf einen institutionalisierten Rahmen und
damit auf Bedingungen der Kapitalbeauftragten zu entgehen. Im
obigen Beispiel wäre es denkbar, daß eine "aufgeklärte"
Unternehmensleitung den Arbeitern nach längerem Kampf das Recht
auf Wahl der Vorarbeiter zugesteht. Es kommt also darauf an, im
Verlauf des Konfliktes bereits weiterführende Forderungen
aufzustellen und das Bewußtseinspotential, das im Kampf
entstanden ist, für den Kampf auf einer erweiterten Stufe zu
nutzen. Dieses Weitertreiben ist Aufgabe der bewußten Kader im
Betrieb. Ihre Schulung und Organisierung ist die Hauptaufgabe
der Betriebs-Basisgruppen. Ein weiteres Beispiel soll zeigen,
wie dieses Weitertreiben aussehen könnte.
In einem Großbetrieb sollen Überstunden gemacht werden. Der
Betriebsrat hatte zugestimmt. Eine Gruppe von Arbeitern weigerte
sich, der Überstundenregelung zuzustimmen, falls nicht u.a. eine
wesentlich höhere Überstundenprämie gezahlt, ein zusätzlicher
Jahresurlaub gewährleistet und die Überstundenaktion auf zwei
Monate beschränkt würde. Da die Arbeiter meinten, daß die häufig
notwendig werdenden Überstunden auf eine Fehlplanung der
Geschäftsleitung zurückzuführen sei, forderten sie außerdem eine
Kontrolle aller betroffenen Arbeiter über die
Arbeitsorganisation. - Die Firmenleitung ging auf diese
Forderungen nicht ein, und die Arbeiter verweigerten jegliche
Überstunden. Nach einer Woche gestand die Firmenleitung einen
Kompromiß zu, wonach eine höhere Prämie gezahlt und die
Überstunden auf zwei Monate beschränkt wurden. Bei dem
bestehenden Bewußtseinsstand der betroffenen Arbeiter war ein
Kampf um die Forderung nach Kontrolle der Arbeitsbedingungen
noch nicht konkretisierbar. Es kommt aber trotzdem darauf an, in
jedem Konflikt derartige Forderungen zu erheben. Wie das
Beispiel englischer Shop Stewards (gewählte Vertrauensleute
der Arbeiter) zeigt, führt die Ausdehnung des Kampfes und des
Bewußtseinsstandes der Arbeiter dazu, daß derartige Forderungen
nach ARBEITERKONTROLLE selbst zum Gegenstand des Kampfes werden.
Um diese ständig weitertreibenden Forderungen klar als
Etappen auf dem Weg zum Ziel - einer sozialistischen
Gesellschaft - zu erkennen, muß den
Kadern dieses Ziel selbst klar sein. Arbeiterkontrolle darf für
sie kein Selbstzweck sein, sondern deren strategische Aufgabe
besteht in der ständigen Erweiterung des Bewußtseins und der
Organisierung der Arbeiterklasse. Errungene Machtpositionen
dürfen deshalb nicht legalisiert werden, sondern gerade ihre
ausschließliche Fundierung auf der Kampfbereitschaft der
Arbeiter schafft das Bewußtsein, das in politischen oder
ökonomischen Krisen als Doppelherrschaft im Betrieb realisiert
werden kann (was z.B. im Mai 68 in Frankreich den Arbeitern
wegen ihres noch von bürokratischen Apparaten gefesselten
ökonomistischen Bewußtseins nur in Ansätzen gelungen ist.) Dabei
sind im Verlauf des Kampfes um ARBEITERKONTROLLE
wesentliche Elemente der Arbeiterdemokratie
unumgänglich, um diesen Kampf zu führen: Schaffung einer
Öffentlichkeit unter den Arbeitern, Kontrolle und ständige
Abberufbarkeit der Beauftragten, direkte Aktion als
Kampfinstrument. Arbeiterkontrolle heißt noch nicht
Selbstbestimmung der Arbeiter, die erst in einer demokratisch
geplanten Ökonomie verwirklicht werden kann, sondern sie ist der
Weg dorthin, in dessen Verlauf sich die politische
Machtübernahme der Arbeiterklasse als unumgängliche
Notwendigkeit ergibt. Im Konzept der ARBEITERKONTROLLE ist die
Verbindung zwischen Tageskampf und dem Ziel einer Umwandlung der
kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistische
strategisch hergestellt. In jedem simplen Lohnkonflikt läßt die
Forderung nach Arbeiterkontrolle die kapitalistische
Herrschafts-Struktur als anzugreifendes Ziel hervortreten.
Arbeiterkontrolle ist damit im Gegensatz zum verschleiernden
Begriff der Mitbestimmung ein Entlarvungsbegriff.