Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

„Großreinemachen“ beim öffentlich-rechtlichen Radio
Unter Nicolas Sarkozy und dem Ex-Linken Philippe Val werden kritische und „zu unverschämte“ Satiriker aus dem Rundfunksender ‚France Inter’ verbannt
 

7-8/10

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Junge Demonstranten vom MJS - den französischen Jusos - stehen, am letzten Freitag (25. Juni), mit symbolischen Knebeln im Gesicht vor dem Rundfunksitz ,Maison de la Radio’ im Westen von Paris. Sechs verschiedene Gewerkschaften unter den 4.500 Beschäftigten der Sendeanstalt schlagen Alarm, sprechen von einer Bedrohung des Meinungspluralismus und riefen ihrerseits für diesen Donnerstag (1. Juli) zu einer Protestkundgebung auf. Zu ihr sind waren den Radiojournalisten und technischen Angestellten auch die Hörerinnen und Hörer aufgerufen; rund 2.000 Teilnehmer/innen kamen, an einem Werktag-Abend um 18 Uhr kein schlechter Mobilisierungserfolg (vgl. auch http://abonnes.lemonde.fr oder http://www.purepeople.com ) Auch in weiteren Städten, wie Nantes (vgl. http://www.nantes-info.fr ) und Toulouse, fanden Kundgebungen vor den regionalen Sitzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders ,Radio France Inter’ statt. Manche lokalen Ableger des Senders durften, laut Anordnung von oben, nicht über diese Kundgebungen berichten. (Vgl. http://www.lepost.fr )

Oppositionsparteien und –politiker/innen, von der radikal linken „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (NPA) über die Grünen und die Chefin der Sozialistischen Partei – Martine Aubry - bis zur früheren bürgerlichen Umweltministerin Corinne Lepage (und ihrer Kleinpartei ,Cap 21’), sprechen von autoritären Angriffen auf die Sendefreiheit und unterzeichnen Solidaritätspetitionen.

„Kleine Tyrannen der Satire“

Die Reaktionen auf die radikale Überarbeitung des Programms der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ,France Inter’, die ab Herbst 2010 gelten wird, fielen und fallen heftig aus. Am auffälligsten in den Augen der Kritiker sind die Entlassung der beiden linken Kabarettisten Stéphane Guillon und Didier Porte, die bislang Satiresendungen leiteten - für Guillon von Montag bis Mittwoch früh, für Porte am Donnerstag morgen. Beide erhielten am Mittwoch, den 24. Juni 10 einen Einschreibebrief von ihrer Direktion, der ihnen die Aufkündigung der Mitarbeit - ab sofort - mitteilte.

In einem Interview, das am Nachmittag desselben Mittwoch in der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ erschien, begründete der Direktor der gemeinsamen Sendeanstalt aller öffentlichen Rundfunksender – ‚Radio France’ - , Jean-Luc Hees, dies u.a. mit den Worten: „Der Humor darf nicht von kleinen Tyrannen als Geisel genommen(/zur Geisel gemacht) werden.“ Hees warf seinen beiden Untergebenen vor, ihre Chefs auf Sendung kritisiert und madig gemacht zu haben: Auf Dauer lasse „kein Arbeitgeber“ sich so etwas bieten. – Unterdessen fand das Kulturmagazin ,Les Inrockuptibles’ folgenden genialen Titel, durch ein Wortspiel mit dem Namen des Radio-Generalintendanten: ,Bonjour, triste Hees!’ (Vgl. http://www.lesinrocks.com )

Hees und der ihm untergeordnete Direktor von ,France Inter’, Philippe Val, werfen Guillon und Porte unterdessen vor allem vor, mit „Beleidigungen“ und persönlichen Angriffen auf Politiker über die Stränge geschlagen zu haben. Vor allem Guillon ist dabei im Visier. Ihm wird vorgeworfen, den früheren sozialliberalen Wirtschaftsminister und jetzigen Direktor des IWF in Washington, Dominique Strauss-Kahn, als Sexbesessenen dargestellt zu haben. Diesem eilen allerdings eine entsprechende Reputation und mehrere Affären voraus; in gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen ist die Rede von Sexpartys auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise und der Existenz entsprechender Videokassetten. Auch soll Stéphane Guillon die sozialistische Parteivorsitzende, Martine Aubry, in einer satirischen Sendung auf unreputierliche Weise - als „kleine Tabakdose“ - bezeichnet haben. Diese Worte fielen allerdings in einem Kontext, in dem Guillon die gegenseitigen Beschimpfungen von Führungsmitgliedern der zerstrittenen Partei mit jeweils verstellter Stimme imitierte. Aubry jedenfalls fühlt sich nicht nachträglich beleidigte, sondern verteidigte Ende vJuni ausdrücklich Guillon und Porte sowie „das Recht von Satirikern auf Spott und auch auf Übertreibung“. Besonders wenig verziehen werden Stéphane freilich seine Angriffe auf Präsident Nicolas Sarkozy und auf den Minister für Einwanderung und nationale Identität, Eric Besson, den er im März 10 als Verbündeten der extremen Rechte portraitiert hatte.

Noch am Mittwoch (24. 06.) – dem Tag, an dem Guillon und Porte die Kündigung zugestellt erhielten - solidarisierte sich ihr Kollege Stéphane Bern, an dessen Satiresendung „Der Hofnarr“ bislang auch Didier Porte teilnahm, mit ihnen. Das Publikum seiner Sendung reagierte live, zeigte sich empört, und Rufe wie „Val, Rücktritt!“ wurden laut. Bern drohte mit seinem eigenen Rücktritt von der Sendeanstalt. Die Entfernung der Satiriker Guillon und Porte ist dabei nur „der Baum, der den Wald nicht verdecken darf“, wie viele Kritiker meinen. Sechs Sendungen wurden bei der Neufassung des Herbstprogramms ersatzlos gestrichen. Darunter die Sendung für internationale Politik Et pourtant elle tourne („Und sie dreht sich doch“) von Jean-Marc Four, die sehr erfolgreich war. Zu ihrer Verteidigung wurde ein Facebook-Forum eingerichtet, das nach einigen Stunden schon 4.500 Mitglieder, und mehrere Dutzend Hörer - auch aus Orléans und anderen Städten angereist - demonstrierten am Nachmittag des Samstag, 26. Juni vor ‚Radio France’. Verschwinden, ersatzlos, wird etwa auch die kritische Kultursendung ‚Esprit critique’ von Vincent Josse.

Der Präsident schafft sich ein Ernennungs- und Absetzungsrecht: direkte Einmischung von der Staatsspitze aus

In breiten Kreisen wird ein Zusammenhang zwischen dem „Großreinemachen“ oder der „Säuberungswelle“ bei dem Radiosender und den neuen Machtstrukturen bei der übergeordneten Rundfunkanstalten hergestellt. Denn der Chef von ‚Radio France’, Jean-Luc Hees, war im Mai 2009 der erste, der unmittelbar durch Präsident Nicolas Sarkozy ernannt wurde. Ihm folgte kurz darauf die Ernennung von Philippe Val durch den Staatschef.

In Kürze wird nun die Ernennung eines neuen Direktors der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt ‚France Télévisions’ durch Sarkozy erwartet. Die Personalentscheidung über die Nachfolge des bisherigen Direktors Patrick de Carolis wird am 24. August 10 gefällt werden. Bislang wurde die Ernennung eines jungen Günstlings von Nicolas Sarozy, des etwa 40jährigen Alexandre Bompard, erwartet. Seit wenigen Tagen ist nun jedoch der Name von Rémy Pflimlin, bislang Chef des Pressevetriebs-Unternehmens Presstalis, für den Posten im Gespräch (vgl. http://www.lepost.fr); Alexandre Bompard soll möglicherweise „ein Ministerium zum Trost erhalten“ (vgl. http://www.challenges.fr ), wobei es sich gut trifft, dass Sarkozy für Oktober 10 eine Regierungs-Umbildung angekündigt hat.

Ein Gesetz, das Anfang 2009 verabschiedet und im März desselben Jahres vom Verfassungsgericht bestätigt wurde (vgl. http://fr.jurispedia.org/  und http://www.lefigaro.fr), sieht die Ernennung und Entlassung der Direktoren der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalten – also der jeweiligen Generalintendanten, wie man es in Deutschland nennen würde - direkt durch den Staatspräsidenten vor. Anfänglich versuchte das Regierungslager die öffentliche Meinung zu beruhigen: Dieses Ernennungsrecht des Staatsoberhaupts eröffne ihm keine neuen Machtpositionen, vielmehr stehe es unter enger Kontrolle des Parlaments, da es „vom Parlament mit 60prozentiger Mehrheit bestätigt werden“ müsse. Es handelte sich um eine Lüge, wie der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Laurent Fabius aufzeigen konnte: Nicht drei Fünftel des Parlaments müssen zustimmen, sondern drei Fünftel des Parlaments können ihr Veto gegen eine vom Präsidenten vorgenommene Ernennung oder Entlassung einlegen. (Vgl. http://blogdejocelyne.canalblog.com )) Aber aufgrund des in Frankreich geltenden Mehrheitswahlrechts hat die regierende Partei fast immer mindestens 60 Prozent der Sitze inne, diese Bedingung ist also für die Opposition schwer zu erfüllen. Zudem schafften die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung über das Gesetz das Vetorecht bei der Entlassung wieder ab: Entscheidet der Präsident, einen Rundfunk- oder Fernsehdirektor zu feuern, kann das Parlament lediglich eine nicht bindende Meinungsäußerung abgeben. Kritiker sprechen von einer „Rückkehr zum ORTF“, jener berüchtigten staatskontrollierten Propaganda-Fernsehanstalt, die unter Präsident Charles de Gaulle in den sechziger Jahren bestand. Demonstranten hatten ihre Funktion damals, im Mai 1968, in dem Slogan resümiert: „20 Uhr: Die Polizei spricht zu Ihnen“.

Mögen Hees und Val nun in bewusstem Gehorsam zu Sarkozy handeln oder nur die Wünsche der Staatsmacht unbewusst einbeziehen und antizipieren - in einem Interview in ,Le Monde’ vom 20. April 10 hatte Val freilich deutlich davon gesprochen, „der Aktionär“, gemeint war der Staat, dürfe auf Sendung „nicht beleidigt werden“ -, jede ihrer wichtigen Entscheidungen wird notwendig in diesem Kontext interpretiert. Unmittelbar oder auch nur mittelbar nimmt Nicolas Sarkozy seinen Einfluss auf die grundsätzliche Gestaltung von Programmen und Inhalten. In diesem Falle erfolgreicher als bei seinen Versuchen, auf die Geschicke der französischen Presse Einfluss zu nehmen - am Montag, den 28. Juni fiel die Entscheidung für die Übernahme der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ zugunsten der drei Geschäftsleute Pierre Bergé, Mathieu Pigasse und Xavier Niel. Das gemeinsame Angebot von Pressezar Claude Perdriel und der französischen Telekom, das durch Nicolas Sarkozy und seinen Berater Alain Minc unverkennbar unterstützt worden war, war zuvor durch die Mitarbeitervertreter- als interne Aktionäre - mit über 90 Prozent abgelehnt worden.

Der konformistische (Ex-)Rebell in Person: Philippe Val


Besonders satireverdächtig aber ist, dass ausgerechnet Philippe Val nun beim Radiosender ‚France Inter’ die Politik des Präsidenten - direkt oder indirekt - exekutiert und den Umtrieben missliebiger Satiriker ein Ende setzt. Philippe Val war zuvor über 15 Jahre lang Chefredakteur der einstmals linksradikalen und subversiven, heute (abgesehen von einzelnen guten Artikeln) eher langweilig gewordenen und im Mitte-Links-Spektrum angekommenen Satirezeitung ,Charlie Hebdo’ gewesen. Über „Beleidigungen“ oder sexuelle Anspielungen kann Val, dessen frühere Zeitungen unter seiner Regie oft einen eher rohen, „ungeschliffenen“ Stil hatte, sich kaum aufregen. Inhaltlich hingegen hat er die Zeitung „auf Kurs“ gebracht. Zunächst, 1999, durch eine explizite Unterstützung der Europaparlaments-Kandidatur des neoliberalen Grünen Daniel Cohn-Bendit – ein arrivierter Ex-Rebell wie er selbst – und des Kosovo-Kriegs der NATO gegen Serbien. Damals entstand, als Links-Abspaltung von ,Charlie Hebdo’, die bis heute existierende und in Marseille hergestellte Monatszeitung ,CQFD’. Später, im Juli 2008, feuerte Philippe Val den Altanarchisten und etwas unberechenbaren Zeichner Maurice Sinet (genannt ,Sinet’), unter dem Vorwurf einer antisemitischen Kolumne – der sich jedoch inhaltlich nicht wirklich aufrecht erhalten lie. Im Mittelpunkt der Aufregung stand eine, ziemlich harmlose, Häme von ,Siné’ Anfang Juli 2008 über den Karriererismus des Präsidentensöhnchens Jean Sarkozy und seine (laut Siné opportunistische) Heirat mit der Multimillionärs- und Firmen-Erbin Jessica Darty. (Vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd7808/t587808.html ) Auch Siné gründete daraufhin übrigens eine eigene Zeitung, das satirische Wochenblatt ,Siné Hebdo’, das soeben – im Mai 2010 – u.a. aus finanziellen Gründen eingestellt worden ist.

Seit der damaligen Affäre um Vals Intervention gegen die heimtückische „Attacke“ auf Präsidentensöhnchen Jean Sarkozy wurde des Öfteren gemunkelt, Philippe Val habe nun seine Eintrittskarte ins Establishment bezahlt. Und als Philippe Val dann 2009 durch Nicolas Sarkozy, im Doppelpack mit Generalintendant Jean-Luc Hees, zum Radiodirektor ernannt wurde, sagten Viele – die Ähnliches seit längerem vermutet hatte – sich dann nur noch: „Aha!“

Philippe Val, über den letzte Woche der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, dass er mit Präsidentengattin Carla Bruni-Sarkozy befreundet ist (vgl. http://www.lepoint.fr oder http://medias.blogs.challenges.fr, hat sich jedoch längst angepasst. Seinen früheren antiautoritären Stil hat er sich pro forma bewahrt, indem er sich in den letzten Jahren vor allem als heldenhaften Widerständler gegen „die Zumutungen des Islam“ aufspielte - wozu in Zürich oder Paris freilich weniger Wut oder Widerstandsgeist gehört als in Teheran oder Kabul. Vor nunmehr vier Jahren machte ‚Charlie Hebdo’ unter der Leitung Philippe Vals durch den Abdruck der umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen auf sich aufmerksam. Als es daraufhin im Februar 2007 in Paris zu einem Prozess - den eher reaktionäre islamische Vereinigungen angestrengt hatten - kam, schwang Val sich als heldenhaften Widerstandskämpfer für die bedrohte Freiheit der Presse und der Kunst in Pose. (Vgl. ausführlich dazu: Charlie Hebdo vom Vorwurf des Rassismus freigesprochen) Als Zeugen der Verteidigung ließ er den damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy auftreten, der in einem Brief an das Gericht betonte: „Zu viel Karikatur ist besser als zu wenig Karikatur.“ Aber für Radiosatiriker gilt diese Maxime heute offenkundig nicht - weder in den Augen Philippe Vals noch Nicolas Sarkozys.
 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.