Der 19. Mai 2010 wird als
schwarzer Tag in die Geschichte Thailands eingehen. Bei der
Räumung der »Roten Zone« in Bangkok hat die thailändische Armee
über fünfzig Menschen getötet. Die meisten Menschen wurden von
Scharfschützen kaltblütig erschossen. Nicht mal im
vermeintlichen Schutz des Wat Pathum Wanaram-Tempel waren die
Menschen sicher. Die Gewalt
der Militärs wurde von einer beispiellosen Hetzkampagne der
Regierung und der Medien begleitet, und die Rothemden und der im
Exil befindliche ehemalige Premierminister Thaksin Shinawatra
als »Terroristen« bezeichnet. Für die ganz und gar
undemokratische Haltung des Establishments stehen
Massenverhaftungen, das Schließen lokaler Radiostationen und des
People’s TV sowie von über hundert kritischen Internetseiten.
Die »Good Governance«-Rhetorik des smarten Oxford-Absolventen
und Premierminister Abhisit und seine Verbindungen zu westlichen
Parteien (wie der FDP) können das hässliche Gesicht der
herrschenden Klasse in Thailand nicht länger übertünchen.
Dabei muss man mit einem verbreiteten Missverständnis aufräumen.
Im Ausland fragen sich viele, warum der König denn nicht
eingreift. In Thailand weiß man: das königliche Netzwerk greift
ein, und zwar permanent und systematisch. Sowohl der Putsch 2006
gegen Thaksin als auch zwei Gerichtsentscheidungen, die die
beiden nachfolgenden Thaksin-nahen Premiers Samak und Somchai
absetzten, sind auf den Einfluss dieses Netzwerkes
zurückzuführen. Sowohl Abhisit als auch die Armeeführung hätten
ohne grünes Licht aus diesen Kreisen niemals die Proteste der
Rothemden mit Militärgewalt auflösen können.
Die Härte und auch die Taktik der
Räumungen mitten in Bangkok sind vor allem als Reaktion auf die
Niederlage der Armee am 10. April zu verstehen. An diesem Tag
schlugen die Rothemden die Soldaten in die Flucht, einige
konnten sie auf ihre Seite ziehen. Das Bild von stehen
gelassenen Panzern um das Demokratie-Denkmal an der
Ratchadamnoen Allee sprach Bände.
Die Stärke der United Front for
Democracy against Dictatorship (UDD), dem organisatorischen
Zentrum der Rothemden, gründet auf zwei Säulen: auf eine Basis
von Thaksin-AnhängerInnen und einem Netzwerk von
Pro-Demokratie-AktivistInnen, die sich gegen den Putsch vom 19.
September 2006 organisiert haben. Beide radikalisierten sich
nach jeder anti-demokratischen Intervention aus dem königlichen
Lager weiter. Die Erfahrung, dass ihr gewählter Premier
weggeputscht wird, und dass der Wahlsieg der Nachfolgeparteien
People’s Power Party (PPP) und Puea Thai nicht anerkannt wurde,
machte aus eher passiven Thaksin-AnhängerInnen aktive
StreiterInnen für Demokratie. Die Verbindung mit vielen
Neupolitisierten aus der Bauernschaft und der
ArbeiterInnenklasse erdeten andererseits die Demokratie-Aktiven,
so dass die Rothemden zunehmend sowohl eine Bewegung für
Demokratie als auch eine Klassenpolarisierung zwischen »wir hier
unten und die da oben« verkörperten.
Damit emanzipierten sich die
Rothemden auch ein Stück weit von Thaksin. Sie sind längst nicht
mehr Ausführungsorgane einer von oben organisierten und von
einem Milliardär finanzierten Partei. Auffällig ist die
Selbstorganisation, die sich in einer Vielzahl von lokalen
Gruppen, Radiosendern, und in einer Reihe von Untergruppierungen
und Strömungen äußert. Hierzu gehören auch das diffus linke
»Rotes Siam« und die vom Professor Sutachai Yimprasert
gegründete kleine sozialistische Partei.
Sie sind auch nicht nur »arme
Bauern und Bäuerinnen« aus dem Norden und Nordosten, wie oft
behauptet wird. Zirka 70 Prozent der TeilnehmerInnen der
wochenlangen Proteste stammten aus Bangkok oder den umliegenden
Gegenden. Statt eines Gegensatzes zwischen Stadt und Land muss
man eher die vielfachen Verbindungen zwischen beiden betonen.
Mit dem Wirtschaftsboom der 1980-90er Jahre wurden Bauern
marginalisiert, während ihre Kinder in die schlecht bezahlten
Sektoren der Exportwirtschaft migrierten. In ihrer Basis
vereinigen die Rothemden daher sowohl Bauern und Bäuerinnen als
auch ArbeiterInnen – und damit die VerliererInnen und die
MehrwerterzeugerInnen der Industrialisierung – eine ungeheuer
wichtige Entwicklung für Thailand.
Die Verbindung zwischen
»Demokratiefrage« und »Klassenfrage« erzeugte bei den Rothemden
eine republikanische Dynamik. Dies äußerte sich in der Kritik
der »Aristokratie«, jenem königlichen Netzwerk, das seit dem
kalten Krieg hinter den Kulissen die Fäden zieht. Diese Kritik
kommt inzwischen bei sehr vielen Thais an. Der Erfolg vom 10.
April ist der Unterstützung durch viele einfache Soldaten
geschuldet, auf die die Rothemden zählen und damit eine Spaltung
zwischen oben und unten auch in der Armee erzeugen konnten. Und
obwohl niemand in der UDD-Führung offen für eine Republik
argumentiert, wird an der Basis die Rolle des Königs hinter
vorgehaltener Hand kritisiert.
Die Stärke der Rothemden ist
gleichzeitig ihre größte Schwäche. Denn die entstehende Einheit
zwischen Landbevölkerung und Arbeiterklasse beruht nicht auf
Koalitionen selbständiger Organisationen, etwa zwischen dem
Forum der Armen und Gewerkschaften. Vielmehr ist es eine
»Volksfront« mit einem kapitalkräftigen Flügel um den sich
populistisch gebenden Thaksin. Die unter Thaksin lancierten
Sozialprogramme sind nicht selbst erkämpft worden, sondern waren
Beigabe seines Programms kapitalistischer Modernisierung, das
mit sozialen Maßnahmen flankiert wurde.
Dementsprechend beschränkte sich
die Führungsriege der UDD (allesamt Männer) auf das Einfordern
einer parlamentarischen Demokratie – um der Kapitalfraktion rund
um Thaksin wieder zur Macht zu verhelfen. Die politischen
Strategien kreisten um die Rückkehr Thaksins – etwa durch die
Ausrufung einer Exilregierung im Falle der Niederschlagung der
Bewegung. Dies erklärt auch, warum die Führung die weitere
Zuspitzung wollte und sie ihre Basis letztlich ans Messer
lieferte. Nach dem teuer erkauften Erfolg vom 10. April und den
Zugeständnissen Abhisits, beispielsweise Neuwahlen im November
auszurufen, hätte man eher einen taktischen Rückzug antreten
müssen. Prozesse der lokalen Organisierung und politischen
Reifung hätten gestärkt werden sollen, um dann mit sozialen
Forderungen in den Wahlkampf zu gehen. Mit der gewaltsamen
Repression, der Verhaftung von über hundert UDD-Führern und der
Medienzensur wird dies nun ungemein schwieriger.
Trotzdem: die rückkehrenden
RothemdaktivistInnen werden die Politisierung der Subalternen in
Stadt und Land weiter vorantreiben. Die Gewalt des königlichen
Netzwerkes ist Ausdruck seiner Schwäche. Seine Tage sind
gezählt.
Oliver Pye ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Orient- und
Asienwissenschaften der Universität Bonn.
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