Über die
»Peripherie« debattieren wir, seit es die iz3w gibt. In
unserem Kontext bezeichnet der Begriff die drei Kontinente des
Südens. Genau genommen ist aber eigentlich die Bevölkerung des
Nordens peripher, würde man demokratisch die Köpfe zählen. So
fragten wir uns schon oft, wo diese Peripherie eigentlich ist.
Die verehrten KollegInnen der Zeitschrift »Peripherie«
schlugen vor, die Welt »von den Rändern her zu denken«. Im
Verlaufe der letzten Jahre rückte die Peripherie mal nach
Europa und in die USA, indem das neoliberale Projekt
Armutszonen auch im Norden erweiterte. Umgekehrt mischte sich
die Peripherie im Süden wieder auf, sie brachte
Schwellenländer hervor oder sie verfestigte sich in Zonen auf
dem afrikanischen Kontinent. Die Peripherie verschwindet hier
und taucht da wieder auf.
Ausgerüstet
mit diesem Wissen könnten wir abgeklärt auf die jüngste
Peripherisierung blicken. Aber dass jetzt ausgerechnet das
einstige Zentrum Europas in die Peripherie versetzt wurde,
verwundert doch. Europas Kopf und Herz ist nun mal – jetzt
wissen Sie, wovon wir sprechen – Griechenland. Ohne das hätte
Europa nicht mal seinen Namen. Die »Peripherie« übrigens auch
nicht, ebenso wenig wie »Politik«, »Demokratie« oder »Ökonomie«
– allesamt Kernbegriffe der Europäischen Union, die aus dem
Altgriechischen abgeleitet sind.
Seit einigen
Wochen passieren mit Griechenland Dinge, die eigentlich in der
Peripherie üblich sind. Dem Land wird ein IWF-Sparprogramm
verordnet, das der bisherigen Krisenpolitik in der EU diametral
entgegensteht. Während Deutschland in der Krise von einer
einigermaßen intakten Konsumnachfrage im In- und Ausland
profitieren konnte und sich Unfug wie die Abwrackprämie als
Konjunkturspritze erlaubte, soll Griechenland seine Krise durch
ein rigides Sparprogramm bewältigen.
Kulturell
untermauert wird die Peripherisierung durch Demagogie (der
Hinweis auf die griechische Herkunft der Begriffe unterbleibt ab
jetzt). Die unsäglichste kommt verlässlich aus Deutschland: »Wir
sind wieder mal Europas Deppen!« titelt die BILD-Zeitung.
Selbsteinsicht steckt nicht dahinter. »Wir« meint Deutschland,
das für die »Pleite-Nachbarn« 123 Milliarden Euro Sicherheiten
bereitstellt. Skandalisiert wird, dass »ordentlich
wirtschaftende Staaten für Schulden-Hallodris einspringen«. Das
wirtschaftlich robuste Deutschland konstruiert sich als Zentrum:
Ein Kerneuropa ohne Herz und Kopf, aber wieder mit Stahlhelm.
Und so lautet das Welt-BILD: »Zehn Jahre lang haben wir Deutsche
für einen stabilen Euro geschuftet, haben Opfer gebracht. Haben
uns bei Löhnen zurückgehalten, haben – ohne groß zu murren – bei
den Renten Nullrunden hingenommen.« Eigentlich vorBILDlich, aber
es gibt ein Problem: »Wir haben die Zeche gezahlt – während
andere auf unsere Kosten schamlos Party feiern konnten!«
Also alle
auf die Griechen. Dabei war das doch schon ganz anders. In der
frühen Moderne verwies der Klassizismus auf die kulturellen
Wurzeln Europas. In den 1820er Jahren äußerte sich ein heftiger
Philhellenismus in der Parteinahme für Griechenland anlässlich
dessen »Befreiungskampfes« gegen türkische Fremdherrschaft.
Gerade in Deutschland triezten klassische Philologen ihr
Völkchen in einer Weise, dass Heinrich Heine dagegen spottete: »Iliaden,
Odyseen / Kündigst du uns prahlend an / Und wir sollen in dir
sehen / Deutscher Zukunft größten Mann.« Fast zeitgemäß fährt er
fort: »O, ich kenne solche Sorten / Geistger Schuldenmacher
längst.« Momentan klingt Heines folgender Reim etwas
befremdlich: »Wahre Prinzen aus Genieland / Zahlen bar, was sie
verzehrt, / Schiller, Goethe, Lessing, Wieland, / Haben nie
Kredit begehrt.«
Die Griechen
hingegen mussten jetzt einen Kredit bei der EU begehren.
Ungewöhnlich ist das nicht, denn alljährlich werden Staaten
zahlungsunfähig. Bloß hat nicht jeder wie Deutschland 1953 im
Londoner Schuldenabkommen das Glück, dass die Gläubiger eine
großzügige Entschuldung anbieten. Und nicht jedes Land kann sich
selbstbewusst gegen seinen Ausverkauf stellen, wie 2002 das
bankrotte Argentinien.
In Europa
verschulden sich alle Staaten mehr oder weniger in griechischen
Dimensionen. Griechenland hat lediglich das Pech, ein kleineres,
ärmeres Land zu sein und entsprechend wenig Konkursmasse zu
besitzen. Auf dem folgerichtigen Weg in die Peripherie können
wir Heine also zustimmend zitieren: »Hat man viel, so wird man
bald / Noch viel mehr dazu bekommen / Wer nur wenig hat, dem
wird / Auch das wenige genommen.«
Immerhin
hält die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Baden-Württemberg
tapfer dagegen und demonstriert mit der Parole: »Wir sind
Griechen!« Die Gewerkschaft verweist auf die Verantwortung des
internationalen Finanzsystems und nimmt die griechische
Arbeitsbevölkerung dafür in Schutz, dass sie sich in den letzten
Jahren recht erfolgreich gegen Sozialabbau und Lohnstagnation
zur Wehr gesetzt hat.
Wir im iz3w
setzen noch eins drauf: Wir sind sogar Pleitegriechen! Also
denken Sie bitte an uns und abonnieren sie unsere Zeitschrift
über die ständig wechselnde Peripherie. Denn möglicherweise
werden wir bald mehr aus Griechenland zu berichten haben.
die redaktion
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