Kritik des Aufrufs des Berliner Bündnisses zu der Demonstration vom 12. Juni 2010 in Berlin (“Die Krise heißt Kapitalismus”)

von der Gruppe Bündnis 31. Januar

7-8/10

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Der Berliner Aufruf  unterscheidet sich nur durch einen chronischen Hang nach links vom zentralen Aufruf des Bündnisses “Wir zahlen nicht für Eure Krise!” zu den Demonstrationen am 12.Juni 2010. Seine Grundauffassung ist jedoch im großen und ganzen dieselbe. Von daher auch unsere Kritik. 

Wir halten die Inhalte von Aufrufen für wichtig, zumal die Demonstrationen, zu denen sie aufrufen, von Zehntausenden getragen werden. Uns geht es nicht darum, in Krümeln herumzusuchen, sondern Klarheit über die Ursachen der Krise und die notwendigen Forderungen und Konsequenzen zu schaffen. Wir halten geistiges Durcheinander für schädlich. Forderungen sind kein Gemischtwarenladen. Sie haben nur Bestand, wenn sie auf klaren analytischen, wissenschaftlichen Grundlagen beruhen. 

Zunächst zu den Forderungen:

Wir beschränken uns auf einige wenige Punkte. Zurecht stehen am Anfang  Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn, nach Arbeitszeitverkürzung und nach einem höheren Eckregelsatz (die sogenannte Triade 500/30/10). Es war den Organisatoren jedoch nicht möglich, auch nur eine einzige dieser Forderungen aufzustellen, ohne sie zu verfälschen bzw. ihre Wirkung zu übertreiben. 

*“Unbegrenzte Verlängerung von ALG I ! - als erster Schritt: sofortige Erhöhung von ALG II auf 500 EUR repressionsfrei.” 

Die Forderung nach unbegrenzter Verlängerung von ALG I teilen wir, obwohl wir uns aus taktischen Gründen für eine Befristung auf mindestens fünf Jahre ausgesprochen haben. Die Verlängerung des Bezugs von ALG I beschränkt den Wirkungsbereich von Hartz IV. Um den Absturz in Hartz IV weiter zu verringern, treten wir zusätzlich dafür ein, dass das ALG I 80 % des Nettolohns betragen soll statt der bisherigen 60 % (bzw. 67 % bei Berechtigten mit Kindern).

 ALG II soll auf 500 EUR erhöht werden. Gemeint ist, dass der Eckregelsatz auf 500 EUR erhöht werden soll. Die “Erhöhung von ALG II auf 500 EUR” bedeutet jedoch, dass, ohne es zu wollen, eine Senkung von ALG II gefordert wird. Denn ALG II setzt sich aus Regelsatz plus Warmmiete zusammen. Warum ist es notwendig, eine klare Forderung auf diese Weise unbrauchbar zu machen?

Die ungewollt geforderte Kürzung soll aber wenigstens repressionsfrei sein.

Ohne Zweifel ist es richtig, gegen Repressionen zu kämpfen. Was aber sind Repressionen? Manche verstehen darunter die Bedürftigkeitsprüfung, die Prüfung von Einkommen und Vermögen. Wäre das gemeint, würde sich die 500 Euro Eckregelsatz-Forderung in eine Vorstufe zum Bedingungslosen Grundeinkommen verwandeln.

Es wäre besser, die Repressionen, die bekämpft werden müssen, konkret zu benennen, z.B. die sanktionsbewehrten Bestimmungen über die Zumutbarkeit von Lohnarbeit. Vom bürgerlichen Staat zu fordern, dass er – selbst ungeachtet möglicher missbräuchlicher Erschleichung – direkte oder indirekte Transferleistungen grundsätzlich “repressionsfrei” auszuzahlen habe, ist illusionär. Fordert man das, schwächt man den Kampf gegen Repressionen. Die 500 Euro-Eckregelsatz-Forderung sollte aus all diesen Gründen nicht mit der zu allgemeinen Zusatzbedingung  “ohne Repression” versehen werden.

Ohne dass man sich dessen bewusst ist, stellen sich diejenigen, die repressionsfreie Hartz IV-Leistungen fordern, einen bürgerlichen Staat vor, der gegenüber Erwerbslosen seinen unterdrückenden Charakter aufgeben könnte. Hartz IV ist ein Gesetz, das vom Bundestag im Interesse des Kapitals verabschiedet wurde, um Löhne zu drücken und den Lebensstandard von Erwerbslosen zu verschlechtern. Die Arbeitsagenturen sind die staatlichen Behörden, die das durchsetzen. Eine repressionsfreie Behörde eines bürgerlichen Staates zu fordern, ist ein Widerspruch in sich. Im übrigen sind alle Staaten  grundsätzlich Repressionsinstrumente, egal auf welcher ökonomischen Grundlage sie existieren.

 * “10 EUR Mindestlohn netto! Gleiche Tariflöhne und unbefristete Übernahme aller Leiharbeiter_innen, Auszubildenden und befristet Beschäftigten!”

 Bekanntlich sind mit  Arbeitgebern vereinbarte Löhne zunächst Bruttolöhne. Die Forderung nach zehn Euro netto bedeutet, dass für Alleinstehende ein Mindestlohn von brutto rund 16 EUR die Stunde verlangt wird (bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden).  16 EUR brutto liegen noch über dem Durchschnittslohn sozialversicherungspflichtig beschäftigter VollzeitarbeiterInnen. Die Organisatoren der Berliner Demonstration forderten also, den Durchschnittslohn als Mindestlohn. Sie forderte weiter, dass der Mindestlohn nach Familienstand variiert. Bei Steuerklasse III würde der Mindestlohn auf rund 13 EUR brutto sinken usw. Der gesetzliche Mindestlohn kann weder im Durchschnittslohn bestehen noch eine Nettolohnforderung sein. Die Forderung nach 1.670 Euro netto als Mindestlohn drückt  andererseits aus, dass zehn Euro brutto zu wenig sind. Dieser berechtigten Kritik muss man unserer Meinung nach dadurch Rechnung tragen, dass das Lohnniveau auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns als Existenzminimum eines Erwerbstätigen lohnsteuerfrei bleibt, dass also der steuerliche Grundfreibetrag auf 20.000 Euro erhöht wird.  

Gleiche Tariflöhne für alle Leiharbeiter zu verlangen, ist konfus. Soll es keine unterschiedlichen Tariflöhne für Facharbeiter und ungelernte mehr geben? Gemeint ist wohl die alte Formel “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!”, also gleiche Bezahlung der  Belegschaften der Entleihbetriebe und der Leiharbeiter. So wird aus einer richtigen Forderung eine undurchdachte Forderung nach einer Verschlechterung, die man aber natürlich nicht will.

* “Arbeitszeitverkürzung statt Arbeitslosigkeit: Für die Perspektive einer 30 Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!”

Die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich wird  in dieser Form alternativ zur Arbeitslosigkeit gestellt, soll diese also beseitigen. Eine drastische Arbeitszeitverkürzung würde die Massenarbeitslosigkeit aber bestenfalls zeitweise reduzieren, sie aber nicht abschaffen. Die Arbeitslosigkeit ist nicht die Folge einer “zu langen Arbeitszeit”, sondern der Produktivitätsentwicklung unter kapitalistischen Bedingungen, verschärft durch Überproduktionskrisen. Die Arbeitslosigkeit kann also u.U. auch dann steigen, wenn die Arbeitszeit verkürzt wird. Ein Kapitalismus ohne Arbeitslosigkeit ist unmöglich.

* “Abschaffung des Hartz IV-Regimes von Zwangsarbeit und Sanktionen”.

Was unter Abschaffung des Hartz IV-Regimes von Zwangsarbeit und Sanktionen zu verstehen ist, ist ebenfalls vieldeutig. Lohnarbeit als solche ist eine Form von Zwangsarbeit, weil sie durch Eigentumslosigkeit erzwungen und fremdbestimmt ist. Abschaffung aller Sanktionen kann bedeuten, dass die Aufnahme von Lohnarbeit als unzumutbar betrachtet wird. Auch hier sollte, damit die Forderungen sich nicht in  Einfallstore zum Bedingungslosen Grundeinkommen verwandeln, konkret gesagt werden, was unter Zwangsarbeit zu verstehen ist (z.B. Ein-Euro-Jobs,  Arbeitsaufnahme unter unzumutbaren Zumutbarkeitsbestimmungen usw.) bzw. welche Sanktionen für welche Zwecke abgelehnt werden.

Unter den übrigen Forderungen des Aufrufs sind eine ganze Reihe, die wir unterstützen. Eine Anmerkung nur noch zu “Abschaffung der 'Rente mit 67'. Warum wird nicht die Rente mit 60 ohne Abschläge gefordert? Die Forderung nach einer deutlichen Senkung der Lebensarbeitszeit korrespondiert mit der Forderung nach der deutlichen Wochenarbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden.

Der Aufruf verzichtet dankenswerterweise darauf, die 18 Forderungen, die aufgestellt werden, als Schritte auf dem Weg zu einer solidarischen Gesellschaft zu bezeichnen. Auf Basis der kapitalistische Produktionsweise und des zugrundeliegenden Privateigentums an den Produktionsmitteln könnte das nur heißen:  eine Gesellschaft, in der Lohnarbeit und Kapital versöhnt sind. Ein Anklang daran findet sich nur in der Losung am Schluss:

* “Für eine Gesellschaft, deren Reichtum allen gehört!”

Würde der Reichtum allen gehören, wenn jeder zehn Euro Nettolohn hätte oder 500 Euro ALG II? Wäre das nicht ein bisschen wenig? Der Aufruf lässt das offen.

 Die Organisatoren der Berliner Demonstration meinen aber wohl, dass der Reichtum schon dann allen gehört, wenn ihre Forderungen befriedigt sind. Sie erklärten, die 20.000 Demonstranten in Berlin hätten einen “Politikwechsel gefordert. “Dieser muss die Profiteure der Krisenpolitik an den Kosten beteiligen und einen Einstieg in eine sozial gerechte Gesellschaft bieten (PM des Berliner Bündnisses vom 15.06.2010). Mindestlohn u.a. Forderungen sollen Einstieg in einen sozial gerechten Kapitalismus sein, in dem jeder zu seinem Recht kommt,  Kapitalisten und Lohnabhängige. In einer Gesellschaft, die auf Kapitalverwertung beruht, kann es  keine gerechte Beziehung zwischen Lohnarbeit und Kapital geben. Eine sozial gerechte kapitalistische Gesellschaft ist eine ähnliche Illusion wie ein repressionsfreier Staat. 

Zum Forderungskatalog gehört auch die Forderung

*  “Banken und Konzerne müssen zahlen – radikale Umverteilung des Reichtums!”

und

* “Hohe Steuern auf Vermögen und Unternehmensgewinne!”

Richtig. Was jedoch bedeutet “hoch”?  In welcher Weise sollen Banken und Konzerne zahlen? Auf eine konkrete Forderung zur Erhöhung der Körperschaftsteuer der Kapitalgesellschaften und des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer wird verzichtet. Eine “hohe” Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften kann auch in 25 % bestehen, statt der jetzigen 15 %. Wir halten die bis Ende der 80er Jahre geltenden 56 % für richtig. 

Obwohl die Höhe der Steuerforderungen unbestimmt ist, sollen diese trotzdem, unabhängig von ihrer Höhe, eine radikale Umverteilung des Reichtums bewirken. Von einer “Umverteilung”, d.h. einer Umkehr der Verteilungsverhältnisse, kann man unserer Meinung nach aber erst dann sprechen, wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter öffnen, sondern ein Stück schließen würde. Auch erhebliche Steuererhöhungen würden jedoch allenfalls dazu führen, dass die Schere nicht mehr so schnell auseinandergeht wie vorher. Die Organisatoren der Demonstration scheinen zu glauben, dass jeder Euro, den die Oberen mehr an Steuern zahlen müssen, allein schon eine “Umverteilung” wäre. Auch hier wieder eine vollmundige Übertreibung der Wirkung von (auch noch in ihrer Höhe unbestimmten) Forderungen.

Die wichtigste Forderung, wie Banken und Konzerne zahlen sollen, ist

* “Statt Airbag für Banken – Einführung einer Krisensteuer für alle Banken zur Finanzierung von Arbeitsplätzen im sozial und ökologisch sinnvollen Bereich!”

Diese Forderung geht in eine andere Richtung als die, dass die Verursacher für die Krise zahlen sollen. Sie lenkt davon ab. Die Forderung müsste darauf hinauslaufen, dass das Kapital für die Verluste in voller Höhe selbst aufkommen muss, die es auf den Staat, d.h. auf die Gesamtheit abgewälzt hat. Es müsste nicht nur eine “Krisensteuer” der Banken sein, sondern des gesamten Kapitals. Die “Krisensteuer” müsste sich auf die Kosten der Krise beziehen, nicht auf die allgemein notwendige Finanzierung von Arbeitsplätzen im sozialen und ökologischen Bereich. Dazu brauchen wir keine Krisensteuer, sondern eine allgemeine Erhöhung der Gewinnsteuern.

* “Banken unter gesellschaftliche Kontrolle: entschädigungslose Enteignung aller Banken statt Verstaatlichung bankrotter Banken!”

 Die entschädigungslose Enteignung aller Banken zu fordern, bedeutet, die Verstaatlichung aller Banken zu fordern, sofern sie nicht, wie die Landesbanken und Sparkassen, schon staatlich sind. Der heutige Staat ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt der einzige Repräsentant der Gesellschaft, der zur Enteignung fähig wäre. Es ist deshalb eine bloße Phrase, die Enteignung der Verstaatlichung entgegenzustellen. Die einzige Bank, die bisher enteignet wurde (allerdings mit geringfügiger Entschädigung) war die Hypo Real Estate. Die Enteignung führte zur Verstaatlichung. Diese von der Deutschen Bank betriebene Verstaatlichung bedeutet die Vergesellschaftung der Verluste dieser Bank und die Rettung ihrer Gläubiger auf Staatskosten. Sie ist Grundlage für die Sanierung der Bank auf Rechnung der Gesellschaft und ihre zukünftige Reprivatisierung. Wer die Vergesellschaftung der HRE befürwortet, setzt sich damit, ohne es zu wollen, dafür ein, dass die Verursacher der Krise nicht für ihre Krise zahlen sollen. Die Forderung nach “gesellschaftlicher Kontrolle” bzw. “demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und der Bevölkerung” übersieht, dass  umgekehrt die gegenwärtige Lage eben darin besteht, dass das Finanzkapital den Staat kontrolliert. Das geschieht nicht nur über die staatliche Haftung für Bankverluste, sondern schon allein über die explodierenden Staatsschulden, über die der Staat gewissermaßen privatisiert wird. Je umfangreicher die Schulden sind, desto mehr.

Wir treten für konkrete Forderungen ein, die darauf abzielen, dass die Verursacher der Krise, d.h. das Gesamtkapital, in möglichst großem Umfang zahlen müssen.

Dazu gehört die Forderung nach einer drastischen Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes und des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer. Dazu gehört die Forderung nach einer Millionärssteuer auf deren Vermögen. Da die Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme sowie die Rettungspakete für Griechenland und andere Staaten der Eurozone das Gesamtkapital subventionieren, muss dieses auch insgesamt für die Kosten aufkommen.

Notwendig ist auch eine drastische Ausweitung des Einlagensicherungsfonds vor allem der Privatbanken, um der Abwälzung der Kosten auf die Allgemeinheit entgegenzuwirken..

Dazu u.a. gehört auch die Absicherung von Bankgeschäften mit erheblich mehr Eigenkapital, um die abenteuerliche Vergabe von Krediten einzuschränken. Wir denken an mindestens zehn Prozent der Bilanzsumme.

Zum allgemeinen Teil des Aufrufs

Der allgemeine Teil des Aufrufs ist unseres Erachtens oberflächlich.

Das Motto “Die Krise heißt Kapitalismus” klingt radikal, vertuscht aber das Problem, dass es Konjunkturzyklen gibt, die nur von Zeit zu Zeit in einer Krise enden. Wenn der Kapitalismus schon als solcher die Krise ist, braucht man sich mit den Ursachen der konkreten jetzigen, 2007/2008  ausgebrochenen Krise nicht beschäftigen. Allerdings bewegen sich die kapitalistischen Krisenzyklen in ihrem  Auf und Ab nicht um immer das gleiche Niveau herum, sondern werden  –  unterbrochen durch die atypische Nach-Weltkrieg-II-Phase -  wieder kürzer, dichter, in der Tendenz immer schärfer.

Wenig später heißt es: “Die Krise ist nicht vorbei”. Warum? Weil es “keine Richtungsänderung” bei Banken und Konzerne gibt. Solange also die Richtung nicht geändert wird, gibt es die Krise. Dann dauert sie unabhängig von Konjunkturzyklen und und hat schon lange bestanden, bevor sie aktuell ausgebrochen ist. Wenn aber Standortpolitik, Sozialabbau, Privatisierung, Lohndumping usw. nicht mehr fortgesetzt würden, die Richtung also “geändert” wäre, würde es dann keine Krise mehr geben? Unterschwellig scheint man zu denken, dass man mit einem “Politikwechsel” Krisen verhindern könnte.

Die Krise ist vor allem deshalb nicht vorbei, weil die Industrieproduktion immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau liegt, weil der Abschreibungsbedarf der Banken noch nicht am Ende ist, weil neue Abschreibungsbedarfe dazukommen, weil die Explosion der Staatsschulden, die die Folgen der Krise abgemildert hat, zu drastischen Angriffen auf die breite Masse führt und noch führen wird usw.

Die Krise äußert sich auch darin, dass die Unternehmensgewinne eingebrochen sind. Dem  Aufruf kann man jedoch eher entnehmen, dass der Staat den Kapitalismus vor seinen Krisen rettet, während Löhne und Sozialleistungen unter Druck geraten, die Unternehmen aber mit Steuergeschenken subventioniert werden.  Die Kapitalverwertung hätte also dank der Hilfe des Staates in der Krise nicht gelitten, obwohl “Unternehmens- und Vermögenseinkommen” 2009 um rund 80 Mrd. €, d.h. um rund 12 % gesunken sind? 

Dass die wachsende Konzentration  hier und jetzt “die Demokratie” zerstört, ist übertrieben. Richtig ist auch unserer Ansicht nach, dass die politische Absicherung des kapitalistischen Verwertungsprozesses und seiner “Krisenlösungen” die staatliche Repression gegen alles Widerständige  stark ausweitet. Doch die bürgerliche Demokratie bleibt bestehen,  auch wenn die Entscheidungsgewalt immer mehr zentralisiert wird. ”Zerstörung der Demokratie” würde Faschismus in Deutschland bedeuten. Haben wir den oder steht der vor der Tür?

Am Ende gibt es doch noch Erkenntnisse über die gegenwärtige Krise. Was erzeugt sie? Es soll die “zwanghafte Wachstumskonkurrenz von Unternehmen und Staaten” sein”. Es  soll die “Weltmarktkonkurrenz um Löhne und Arbeitsbedingungen” sein und die Spekulationen. Warum aber gibt es Weltmarktkonkurrenz? Ihre Grundlage sind gegeneinander konkurrierende Kapitalien, die sich profitabel verwerten müssen, wenn sie weiter existieren wollen. Ihre Grundlage ist ferner die Produktion von Waren. Das alles erzeugt sachliche Zwänge der kapitalistischen Produktion, die eben in Überproduktion und Krise münden. Aber wir lesen am Schluss des Flugblatts, dass die “Sachzwänge des Kapitalismus” nur “vermeintliche Sachzwänge” sind.  Das legt die Vorstellung nahe, es sei möglich, den Kapitalismus von seinen vermeintlichen Sachzwängen zu befreien und ihn in einen sozialen gerechten Kapitalismus zu verwandeln. Wir teilen diese Vorstellung nicht.

Angemerkt sei schlussendlich zur Klarstellung, dass wir – im Interesse eines möglichst breiten Bündnissen zur Durchsetzung konkreter Forderungen gegen das Kapital - nicht der Meinung sind, dass ein Appell zur Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in einen Bündnisaufruf gehört. Genauso wenig darf aber ein Bündnisaufruf Positionen Platz geben, die die Möglichkeit einer “solidarischen”, “sozial gerechten”, “menschenwürdigen” Gesellschaft auf der Basis kapitalistischer Produktionsverhältnisse behaupten.

Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne 

Frankfurt, den 19. Juni 2010 

Kontakt: Michael Köster, Schumannstr. 51, 60325 Frankfurt, Tel. 069/74 01 69

info@rmb-ffm.de 
http://www.rmb-ffm.org 

 

Editorische Anmerkung

Die Stellungnahme erhielten wir von Leuten aus der  Gruppe Bündnis 31. Januar. Obgleich die Stellungnahme vom 19.6.2010 datiert, war sie bisher in dieser Fassung nicht öffentlich zugänglich, weil noch an einzelnen Formulierungen "gefeilt" wurde. Nunmehr ist sie auch auf den Seiten des Bündnisses nachzulesen.

Da es verschiedene Aufrufe zur Demo am 12.6.10 gab, verweisen wir auf die entsprechende Webseite: http://www.kapitalismuskrise.org