Krisenfolgen: Kommunaler Kollaps

von Peter Lenz

7-8/10

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Die Finanzlage der Kommunen wird immer kritischer. So plant die hessische Landesregierung, die Überweisungen an die Kommunen zu kürzen. Der kommunale Finanzausgleich soll ab 2011 um 400 Mill. Euro gekappt werden. Die Kommunen haben dann 12,5% weniger Geld.

Dabei sind diese Zuweisungen für viele Gemeinden die Haupteinnahmequelle. Wird der kommunale Finanzausgleich gekappt, wird das Defizit der Gemeinden noch größer. Kommunen wie Offenbach oder Alsfeld waren z.B. bereits vor der Krise von 2008 hoch verschuldet, allein Kassel drücken 640 Mill. Euro Schulden.

Einbruch der Gewerbesteuer

Die Gewerbesteuereinnahmen in Hessen sanken im ersten Quartal 2009 um 9,4% gegenüber dem Vorquartal und um sogar 27,7% gegenüber dem Vorjahresquartal. Solche Einbrüche gab es in früheren Kriseneinbrüchen noch nicht.

2009 brach die Gewerbesteuer um 21,5% ein. Insgesamt lagen die Gesamtsteuereinnahmen in den ersten drei Quartalen 2009 um 13% niedriger als im Vorjahreszeitraum. Das Aufkommen aus der Gewerbesteuer macht durchschnittlich 18% der kommunalen Einnahmen aus. Die Summe, welche die Kommunen aus Umsatz- und Einkommenssteuer bekommen, ist mit der Krisenentwicklung kleiner geworden.

Der Anteil der Kommunen an den gesamten Steuereinnahmen ist von 14% 1980 auf inzwischen 11,5% gesunken, rechnete der Deutsche Städtetag vor (Presseerklärung, 8.8.03). Damit gehen den Kommunen gegenüber 1980 heute jährlich über 11 Milliarden Euro verloren, während zugleich die Kosten aufgrund von Bundesgesetzen stiegen, v.a. im Sozialbereich durch die Einführung der Hartz-Reformen. Allein die Senkung der Bundesbeteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose wird weitere Löcher reißen. 2009 mussten daher schon für 33,8 Mrd. Euro Kredite für die Deckung laufender Ausgaben aufgenommen werden.

Die Folgen

Jetzt versuchen die Kommunen, Gebühren zu erhöhen und kommunale Angebote zu streichen. Es wird versucht, Dienststellen zu schließen und Stellen nicht neu zu besetzen. So will Duisburg z.B. bis 2014 680 Stellen streichen.

Vielen Kommunen macht auch der vom Gesetzgeber beschlossene Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren zu schaffen. So sollen bis 2013 für 35% dieser Altersgruppe Kita-Plätze zur Verfügung stehen. Hessen hat beschlossen, die Bundeszuschüsse für den Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder unter 3 nicht an die Kommunen weiterzugeben, wenn  diese schon vor einem Stichtag das notwendige Personal eingestellt haben. Da Hessen auch im Bildungsbereich Mittel kürzt, macht sich das zusätzlich im kommunalen Bereich bemerkbar. So wird u.a. Geld für Vertretungspersonal an den Schulen gekürzt.

Im Mai 2010 erfolgte die aktuelle Steuerschätzung. Danach fallen die Steuereinnahmen des Staates von 2010 bis 2013 um fast 40 Mrd. Euro niedriger aus als noch im Herbst 2009 vorhergesagt.

Unternehmen und Vermögende haben lt. Statistischem Bundesamt 2009 erheblich weniger Steuern gezahlt als im Vorjahr. Etwas mehr als die Hälfte aller Einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen sind Steuereinnahmen mit zuletzt 567 Mrd. Euro. Sozialbeiträge und Gebühren machen fast den gesamten Rest aus. Im Vergleich zu 2008 flossen rund 30 Milliarden weniger in die Kassen.

Während das Lohnsteuer-Aufkommen um knapp 10% auf 182 Mrd. Euro stieg und die Mehrwertsteuer als Haupteinnahmequelle überholte, gingen die Abgaben der Unternehmen und Vermögenden zurück. So fiel z.B. die Körperschaftsteuer von 17,8 auf 8,8 Milliarden, die Gewerbesteuer von 42 auf 31 Milliarden und Zins-/Abgeltungssteuer von 32 auf 24 Milliarden Euro.

Privatisierung

Schon seit den 1990er Jahren versuchen viele Kommunen, ihre Finanzprobleme zu mildern, indem sie ihr „Tafelsilber“ opfern: Grundstücke und Gebäude werden verkauft, Kommunalbetriebe privatisiert, öffentliche Bäder, Theater, Büchereien usw. geschlossen.

Für oft fragliche, kurzfristige Kostensenkungen und Zusatzeinnahmen verloren die Kommunen so langfristige Einnahmequellen. Auch Geschäfte wie „Sale and lease back“ erwiesen sich oft als finanzieller Bumerang. Hierbei zeigte sich, wie leichtgläubig, dumm oder korrupt KommunalpolitikerInnen und Bürokratie handelten. Die oft beschworene „Demokratie“ erwies sich dabei oft genug als Selbstbedienungsladen für Firmen, Finanziers und deren lokale Partner.

Die Verschuldung der Kommunen hat für Bund und Länder aber auch einen Vorteil: Über die Zwangsverwaltung durch die Kommunalaufsicht kann bis in die kommunale Ebene hinein „durchregiert“ werden. In den Landkreisen und kreisfreien Städten regieren die Regierungspräsidenten mit, die Landräte gängeln die Gemeinden.

Die Gemeindegesetze stehen dem Einfluss der Bevölkerung auf die Gemeindeorgane entgegen. Die Parlamente auf Gemeindeebene und die Kreistage werden alle vier oder in manchen Ländern gar nur alle 5 Jahre gewählt; Bürgermeister oder Landräte werden für 6 Jahre gewählt. Gewählte müssen von der Aufsichtsbehörde in ihrem Amt bestätigt werden.

Diese Mechanismen lassen der Bevölkerung außer der Wahl nichts zur Entscheidung übrig. Daran ändern auch gelegentliche „Bürgerbegehren“ und „Volksentscheide“ kaum etwas. Die Abgeordneten sind 5 Jahre nicht abwählbar und nur ihrem „Gewissen“ und dem Gesetz verantwortlich.

Die Kommune darf nur die ihr gesetzlich zugestandenen Steuern erheben. Hauptsächlich soll sich die Gemeinde so durch diese Steuern und Gebühren finanzieren. Da die Mittel nicht ausreichen, werden über den Finanzausgleich und zweckgebundene Zuschüsse für die zentrale Staatsgewalt Möglichkeiten geschaffen, die Ausgaben der Gemeinden vorzuschreiben. Hierzu dient auch die Kommunalaufsicht. Ca. 80% der Gemeindeaufgaben werden so vom Staat festgelegt. Selbst wenn eine Kommune selbst den Bau einer Schule oder die Schaffung von Wohnraum beschließt, dann bedarf es dazu nicht nur der finanziellen Mittel, sondern auch der Genehmigung der Aufsichtsbehörden, die dem Innenminister unterstehen.

Der kapitalistische Staat ist teuer, auch auf kommunaler Ebene. Für bürgerliche Parteien bietet der Parlamentarismus genug Möglichkeiten, eigene Leute „unterzubringen“. Die Mandatsträger stehen in engem Kontakt mit den örtlichen und regionalen Kapitalisten.

Was tun?

Die heutigen Schulden der öffentlichen Haushalte sind meist kapitalismustypisch. Die hohen Sozialausgaben sind Folge von Arbeitslosigkeit und Minilöhnen. Im Bildungsbereich fließen Gelder in die Förderung von Privatschulen und in die Schulbürokratie.

Als revolutionäre Organisation haben wir eine grundsätzlich andere Vorstellung von einem Staat. Den repressiven, fast unkontrollierbaren bürgerlichen Staat als Interessenswahrer des Kapitals lehnen wir ab. Die bürgerliche Demokratie ist im Kern nichts als ein Schwindel, mit dem nur die faktische Herrschaft des Kapitals verdeckt wird.

Das zeigt sich entgegen der landläufigen Vorstellung, dass auf kommunaler Ebene leichter etwas zu bewegen wäre, gerade dort. Die Kommune ist ohnmächtig angesichts fehlender Mittel. Die Wahlperioden sind oft länger als auf Bundesebene, der Filz sprichwörtlich.

Gegen diese Zustände muss auch die Arbeiterklasse mobilisiert werden! Die großen Organisationen, die sich auf die Arbeiterklasse stützen (DGB, SPD, Linkspartei) müssen aufgefordert werden, Kämpfe gegen Privatisierungen, Kürzungen usw. aktiv zu unterstützen. Die gängige Praxis von SPD oder Linkspartei, ihre Leute in kommunale Ämter zu hieven, um eine „intelligentere“ Kommunalpolitik zu machen, erweist sich stets als Verlängerung des Übels, nicht als dessen Überwindung. Denn auch Kommunalpolitik ist nicht eine Frage des Personals; es ist eine Frage der Macht: Bestimmen die Interessen der Kapitalisten oder die Interessen des Proletariats und damit der großen Mehrheit der Bevölkerung?

- Verteidigt die Sozialleistungen, nein zu allen Privatisierungen! Streichung der kommunalen Schulden! Entschädigungslose Rückverstaatlichung der Unternehmen, die privatisiert wurden (z.B. Telekom, Post, Lufthansa, Energieunternehmen, Wohnungsgesellschaften, Schulen und Unis) unter Arbeiterkontrolle!

- Keine Entlassungen in den Kommunen! Schluss mit Ein-Euro-Jobs! Statt dessen: Neueinstellungen zu tariflichen Bedingungen, um die kommunalen Dienste zu sichern, und Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

- Offenlegung der Geschäftsbücher, Verträge von Kommunen und der Privatwirtschaft, Konten und Finanzpläne! Für eine Programm öffentlicher, gesellschaftlich und ökologisch nützlicher Arbeit (Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit, öffentlicher Verkehr) unter Arbeiterkontrolle!

- Sofortige Wiedereinführung der Vermögenssteuer und einer Wertschöpfungsabgabe! Die Reichen sollen für die Misere ihres Systems zahlen! Für eine Progressivsteuer auf Einkommen, Kapital und Eigentum!

 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 497
15. Juli 2010


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