Die Finanzmärkte drohen den Euro-Staaten mit Kreditentzug
Deutschlands Antwort: „Das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik"

von der Gruppe "vonmarxlernen.de"

7-8/10

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Milliardenschwere Bankenrettungen und Konjunkturprogramme haben die  Staatsverschuldung der Euro-Staaten enorm wachsen lassen. Prompt werfen die gerade geretteten Finanzkapitalisten die Frage auf, ob diese Schulden ihrer staatlichen Retter überhaupt noch „solide" sind, aus künftigen Staatseinnahmen bedient werden können, und  was die Staatsschuldpapiere, die sie fleißig gekauft haben, noch wert sind. Und prompt sehen sich die Euro-Staaten herausgefordert, den aufgekommenen Zweifeln an ihrer Kreditwürdigkeit, also ihrer ökonomischen Potenz als Staaten, nach Kräften entgegenzutreten. Sie sehen sich genötigt, die Zweifel zu dementieren, indem sie den  Zweiflern dahingehend Recht geben, dass sie in der Tat „zu viele Schulden" aufgehäuft hätten. Also antworten sie auf die „Schuldenkrise", in die sie die Finanzbranche gestürzt hat, mit einer entschlossenen Schuldenabbaupolitik. Die haltlos gewordene Qualität ihrer Schulden definieren sie als quantitatives Übermaß und die wegen Rettung der Crash-Wirtschaft und der kreditunwürdigen Europartnerstaaten aufgelaufenen 1,5 Billionen Euro  Schulden veranlassen sie zu einer entschlossenen Haushaltssanierung. Die deutsche Regierung geht als leuchtendes Beispiel voran und verordnet sich für die nächsten Jahre im Bundeshaushalt eine Einsparung in Höhe von 80 Milliarden Euro. Das soll den Märkten, die die Solidität der Euro-Staatsschulden bezweifeln, den Wind aus den Segeln nehmen!

Die Lage ist ernst: „Ich glaube, die letzten Monate haben im Zusammenhang mit Griechenland und anderen  Eurostaaten gezeigt, von welch herausragender Bedeutung solide Finanzen sind und dass sie  sozusagen die Voraussetzungen dafür sind, dass wir in Stabilität und Wohlstand leben können…" (Merkel, Pressekonferenz vom 7.6.)Mit dem Verweis auf die „Voraussetzungen" erinnert Merkel daran, dass alles Wirtschaften  und Leben kaputt geht ohne „solide Finanzen" – des Staates versteht sich. Das weiß das Volk schon lange, weswegen es die FDP mit ihren monotonen Steuersenkungsplänen nicht mehr so richtig leiden kann. „Die größte Sorge unserer Mitbürger ist, dass die öffentlichen Defizite ins Unermessliche wachsen können", erklärt Schäuble. Die Sorgen des Finanzministers hält das  Volk nicht aus, weil es die Abhängigkeitslogik (je weniger einem die Abhängigkeit von Staat  und Kapital bekommt, desto mehr muss man darauf setzen, dass diese Herrschaften Erfolg haben) schon lange gefressen hat. Deswegen verspricht ihm die Regierung ein „Sanierungspaket", das alle gehörig in die Pflicht nimmt. Und das ist ganz sachlich nach der Funktionalität der einzelnen Stände für den nationalen Kapitalstandort sortiert:

Sparen, wo es am leichtesten fällt – bei den Armen

Den größten Batzen Einsparung geben die Kürzungen im Sozialbereich her – aber das ist nur gerecht, denn schließlich: „Im laufenden Jahr machten sie mehr als die Hälfte aller Bundesausgaben aus, heißt es." (FAZ, 7.6.) Ach so, ja dann: „Dies macht deutlich, dass eine nachhaltige Rückführung der staatlichen Defizite nur gelingen kann, wenn auch dieser Bereich einen zielgerichteten und fairen Beitrag leistet." (ebenda) Ja, wer das Pech hat und mit seiner mickrigen Sozialknete zusammen mit Millionen anderen armen Schluckern „mehr als die Hälfte aller Bundesausgaben ausmacht", der soll sich nicht fragen, ob diese ganze Armut nicht irgendwie systemrelevant ist, sondern einsehen, dass es nur „zielgerichtet" und „fair" ist, wenn er noch ein Stück weiter verarmt wird – auch wenn er sich womöglich eingebildet hatte, dass mehr einfach nicht möglich ist. Denn es ist nun einmal so: „Wie finanzwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, belastet eine solche Strategie weniger das  Wachstum der Wirtschaft." (FAZ, 8.6.)

Gemessen an diesem Zweck, das staatliche Sparen nicht auf Kosten des Wachstums zu  betreiben, sind die sozialstaatlichen Kostgänger natürlich ganz und gar kontraproduktiv – sie bekommen Geld, obwohl sie nicht arbeiten! Von daher ist ihre noch so schäbige Alimentierung von gestern heute ein einziger Luxus, den der Staat sich immer weniger leisten will, zumal das an die Finanzmärkte die völlig falschen Signale aussendet. In diesem Lichte betrachtet brauchen die Empfänger die mickrigen Zuschüsse aber ohnehin nicht, weil sie ja sowieso schon Stütze bekommen: wozu etwa brauchen Hartz-IV-Empfänger Elterngeld, sie kriegen doch schon Hartz-IV! (Einspareffekt:1,6 Milliarden) Und ältere Wohngeldempfänger brauchen auch keinen Heizkostenzuschuss mehr, zumal die Regierung herausgefunden hat, dass das Heizen ständig billiger wird. Sie alle brauchen die mickrigen Zuschüsse aber auch  deshalb nicht, weil sie so mickrig sind, dass das Streichen für die Betroffenen kaum ins Gewicht fällt, für die Staatskasse aber schnell ein paar Milliönchen zusammenkommen (wie die Streichung des Zuschusses für die Rentenkasse bei den Langzeitarbeitslosen zeigt). Dem entfesselten staatlichen Sparwillen fällt auch so manche liebgewordene Ideologie zum Opfer,  wie z.B. die, dass Langzeitarbeitslose durch Fortbildungsmaßnahmen wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könnten. Absurd, weiß man heute: „Im politischen Berlin kursieren Gerüchte, nach denen Gabelstaplerfahrer zu Gabelstaplerfahrern weiterqualifiziert worden sind." (FAZ, 9.6.) Der Rechtsanspruch auf die Teilnahme an  Qualifizierungsmaßnahmen entfällt. Auf Dauer unbrauchbarer menschlicher Ausschuss darf in Zukunft von den Arge-Mitarbeitern nach deren Ermessen von denen, die vielleicht durch Weiterbildung noch eine Chance haben, unterschieden werden – die kennen schließlich ihre Pappenheimer! Und siehe da: 4,5 Milliarden sollen durch die Umdefinition von „Pflichtleistungen" in „Ermessensleistungen" in die Staatskasse gespült werden, auch wenn das die arme Arbeitsministerin noch vor allerhand knifflige Probleme stellt. o zynisch wird eben gedacht, wenn der Staat seine Sozialleistungen durchmustert. Weil er das Geld dafür nicht mehr ausgeben will, sollen sie für die Betroffenen gleich überflüssig sein.

Sparen auch bei der Wirtschaft, obwohl das viel schwerer fällt

Etwas anders geht es auf dem Feld der Wirtschaft und der Vermögenden zu. Hier ist staatlicherseits größte Rücksichtnahme auf die Beteiligten geboten. Schließlich will das Sanierungspaket beim Haushalt-Sanieren auch noch die „Grundpfeiler unserer Zukunft stärken", und das ist nun mal ohne erfolgreiches Unternehmertum und flächendeckendes  Kapitalwachstum nicht zu haben. Also Vorsicht! Ein zielführender Ansatz ist es da, sich  einige Sparten herauszupicken, die sozusagen stellvertretend für „die Wirtschaft" Federn lassen müssen. Auch da allerdings mit der gebotenen Rücksicht und eingedenk dessen, dass sich die Betroffenen unter staatlicher Oberaufsicht bereits milliardenschwere Sondervorteile in Form von bisher gewährten großzügigen Steuerausnahmeregelungen unter den Nagel gerissen haben, die man jetzt zurückfahren will. Das Ganze läuft unter dem Obertitel  „ökologische Ausrichtung unserer Volkswirtschaft" (Merkel). Bei der Ökosteuer etwa soll es weniger Ausnahmen geben, aber: „Wenn die Regierung zu scharf vorgeht, werden energieintensive Betriebe im Inland dazu motiviert, ihre Produktion in Länder zu verlagern, wo die benötigte Energie geringer besteuert wird."(FAZ) Das weiß auch die Regierung und  stellt klar, dass „diese Steuervergünstigungen nicht komplett gestrichen werden." ie Steuer auf Atomstrom schöpft in Zukunft Sondergewinne ab, die die Kraftwerksbetreiber ganz unabhängig von der geplanten Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke in den letzten Jahren eingestrichen haben: „Die Kernenergiewirtschaft sei im Vergleich zu anderen
Energieproduzenten vom Emissionshandel nicht betroffen. Gleichzeitig sind durch die  Einpreisung der Kohlendioxid-Zertifikate in den Strompreis die Preise gestiegen, die Stromproduktionskosten dagegen nicht…Das rechtfertigt eine Besteuerung der Kernenergie aus ökologischen und ökonomischen Gründen." Auch die „ökologische Luftverkehrsabgabe"  beendet eine lukrative Ausnahmeregelung für die Luftfahrtindustrie in der Größenordnung  von 1Mrd. Euro pro Jahr.

Gleichwohl ist der Regierung bewusst, dass ihre Maßnahmen ein einziger Widerspruch sind  zu ihrem Ziel, die Wachstumskräfte zu stärken. Die massiven Beschwerden und Klageandrohungen der Betroffenen fallen deshalb schwer ins Gewicht und werden noch für die eine oder andere Modifikation sorgen. Doch es sind nun mal „ernste Zeiten, es sind schwierige Zeiten" (Merkel). Immerhin beweist die Regierung Glaubwürdigkeit, wenn sie, obwohl selbst vom neoliberalen CDU-Wirtschaftsrat gefordert, den Spitzensteuersatz nicht erhöht: Wenn sie den Reichen die Steuer nicht wie versprochen senken kann, dann erhöht sie sie wenigstens auch nicht. Das ist sie nicht nur dem Koalitionspartner, sondern überhaupt dem wirtschaftsfreundlichen Klima in Deutschland schuldig.

Kein Schloss, weniger Beamte, die Bundeswehrstrukturreform – der Staat spart an sich selbst Und das nicht nur im Kleinen, wie bei der Verschiebung des Neubaus des Berliner Schlosses um zwei Jahre und der Nichtbesetzung freiwerdender Beamtenstellen, sondern auch im Großen, wie bei der „großangelegten Streitkräftereform", die zwar noch nicht zu Ende gedacht ist, bei der aber „geprüft wird, ob die Bundeswehr um 40.000 Soldaten verkleinert  werden kann". (Merkel auf der Pressekonferenz am 7.6.) Unter dem Gesichtspunkt Haushaltssanierung steht das Ergebnis dieser Prüfung aber schon vorher fest: 2 Mrd. pro Jahr ab 2013 werden als Sparposten fest verbucht. Eigentlich ein schwerer Schlag ins Kontor einer aufstrebenden Nation, die nicht müde wird zu betonen, dass sie bereit ist, mehr  Verantwortung in der Welt zu übernehmen, und dazu gehört ja wohl ein wachsendes Gewaltpotential und die Freiheit, sich die entsprechenden Mittel dazu zu verschaffen. Für den schneidigen Verteidigungsminister stellt sich die Sache nun so dar, dass ihn die „schwierigen Zeiten" zu dem Kunststück nötigen, aus dem Zwang zur Kostenersparnis heraus gleich auch noch eine effizientere und schlagkräftigere Armee zu basteln.

Die kritische Öffentlichkeit: voll auf Linie

Den Zweck: Sanierung der Staatsfinanzen teilen die Journalisten in Presse und Fernsehen durch die Bank. Nach dem Motto „Sparen, aber immer – bloß: kann es die Regierung auch wirklich?" werden die Maßnahmen von allen Seiten kritisch unter dem Maßstabs ihres Erfolgs beäugt: „Merkels Luftschloss: von zweifelhafter Qualität sind die meisten der eigentlichen Sparvorhaben. Hinter viele wird man Fragezeichen machen, weil sie gänzlich unausgegoren  sind und damit, was ihre Durchsetzbarkeit und den tatsächlichen Spareffekt angeht, heute kaum zu beurteilen…Insgesamt fallen die Kürzungen in den Sozialausgaben (die mehr als die Hälfte des Bundesetats ausmachen), viel zu zaghaft aus. So wird jenes Volumen nicht zustande kommen…" (FAZ 8.6.)

Das Volk hat aber ein Recht auf echtes Sparen und will klare Ansagen: „Selten hat sich die  Bundeskanzlerin so gewunden und geschraubt ausgedrückt wie bei der Vorstellung der Haushaltsbeschlüsse…Wer Angela Merkel zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, das einzige handfeste Ergebnis sei die Verschiebung des Baus des Berliner Stadtschlosses."(FAZ, ebenda)

Und überhaupt, wie kommt das Sparpaket rüber? „Es trifft vor allem die weniger Betuchten.  Selbstverständlich sind auch die Ausgaben für die Langzeitarbeitslosen nicht sakrosankt. Aber: Sparpakete dieser Größenordnung werden gesellschaftlich nur akzeptiert, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es einigermaßen gerecht zugeht." (SZ 8.6.) Na toll! So billig, wenn nur irgendwie – symbolisch - der Schein von sozialer Ausgewogenheit gewahrt  wird, ist die Zustimmung des SZ-Redakteurs schon mal zu haben. Wenn die Erhöhung des Spitzensteuersatzes den Menschen das Gefühl von Gerechtigkeit suggerieren könnte, dann wäre doch irgendwie alles im Lot – jedenfalls schon mal für die Redaktionsstuben der mainstream-Presse.

Ein spekulatives Machtwort!

Als wäre sie eine sparsame Hausfrau von anno dunnemals wiederholt Kanzlerin Merkel fürs Volk immer wieder die Spruchweisheit, dass man auf Dauer nicht mehr ausgeben könne als man einnehme. In einer vom Kredit beherrschten kapitalistischen Welt ist das extrem albern. Kein Unternehmen und noch nicht einmal das Gros der kleinen Leute kann auf geliehene, mit Zinspflichten bezahlte Zahlungsfähigkeit verzichten. Schon gar nicht der Staat, für dessen Haushaltsdisziplin sich Frau Merkel stark macht. Kapitalistische Staaten geben grundsätzlich und in wachsendem Maße mehr aus als sie einnehmen: Sie haben große Ambitionen in der Konkurrenz mit ihresgleichen, brauchen viel Geld, um ihr Hoheitsgebiet in einen profitablen Kapitalstandort zu verwandeln – immer nach den neuesten Vorgaben der globalisierten Konkurrenz, aber auch, um die Folgen des kapitalistischen Wachstums beim überflüssig gemachten oder wegen Krankheit und Alter ausgemusterten Arbeitsvolk oder bei der natürlichen Umwelt unter Kontrolle zu halten oder um mit Gewalt weltweit für die passende Ordnung zu sorgen. Sie nehmen zwar auch viel Geld in Form von Steuern auf Einkommen und Umsätze in ihrer Wirtschaft ein, achten aber darauf, dass dieses Einkassieren privat verdienter Gelder der Steuerbürger das Wachstum nicht zu sehr beeinträchtigt und damit künftige Steuereinnahmen gefährdet. Also tut sich zwischen Einnahmen und Ausgaben der Staatsmacht in Bund, Ländern und Gemeinden regelmäßig und tendenziell wachsend eine Lücke auf, die anderweitig zu schließen ist: durch Schuldenmacherei.

Der Staat als Schuldner

Das ist auch prinzipiell kein Problem, denn der Staat ist ein besonders beliebter Schuldner: Er erwirtschaftet mit dem geliehenen Geld, dem Kredit, zwar keinen Profit, wie das erfolgreiche Unternehmen tun, die hieraus die Zinspflichten bedienen können. Aber er steht den Investoren, die seine Staatsschuldpapiere gekauft und ihm ihr Geld zur Verfügung gestellt haben, mit etwas anderem dafür ein, dass sich deren Investment als sich vergrößerndes Kapitalvermögen bezahlt macht: Mit seinem hoheitlichen Zugriff als Steuerstaat auf alle wirtschaftlichen Vorgänge auf seinem Standort. Die Freiheit zur Verschuldung und zu einer weiter steigenden Verschuldung, so dass Altschulden jederzeit durch neu aufgenommene Schulden abgelöst werden können, verdient sich ein Staat dadurch, dass er mit seinem Haushalt, zu dem die Schulden als wichtiger und bleibender Posten dazugehören, Geschäftbedingungen schafft und auch direkt Geschäfte anstößt, also ein Wirtschaftswachstum generiert. Und in dem Maße, wie die auf Kapitalmärkten zirkulierenden Staatsschuldtitel selber die Kreditmacht der Finanzhäuser stärken, mit der das Wachstum angeschoben wird, wird rückwärts die Kreditwürdigkeit des staatlichen Emittenten gestärkt. Das alles muss freilich im internationalen Vergleich der Staaten und ihrer Standorte erfolgreich herbeiregiert werden.

Die jetzige Staatsschuldenkrise

Dass Drittweltstaaten wie Argentinien, Mexiko oder Indonesien Probleme mit ihren Schulden haben, hat man schon öfter erlebt. Jetzt aber haben sich im Grunde alle Staaten der kapitalistischen Welt in eine Schuldenkrise hineinmanövriert. Die Ablösung alter durch neue Schulden gerät ins Stocken, staatliche Emittenten von Schuldpapieren kriegen nur noch Käufer, wenn sie die Verzinsung anheben, die umlaufenden Papiere werden eher verkauft als nachgefragt und verlieren an Wert. Einige Staaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien können ihren Finanzbedarf aus eigener Kraft nicht mehr decken, sind auf Garantien anderer Staaten, der Führungsnationen im Euro-Währungsverbund, angewiesen. Das bekommt auch der Kreditwürdigkeit, also der Verschuldungsfähigkeit der Garantiestaaten wie Frankreich und Deutschland nicht gut. Andere Staaten wie USA und Großbritannien müssen ihre Notenbanken anweisen, die neu ausgegebenen Staatsanleihen aufzukaufen, um angesichts der ausbleibenden Nachfrage am Kapitalmarkt nicht den Zinssatz erhöhen und damit die Konjunktur abwürgen zu müssen. Die Profis der Finanzmärkte, Banken und andere Finanzunternehmen, die normalerweise die Verschuldung der Staaten abwickeln, weil sie selbst daran verdienen, versagen momentan diesen Dienst. Sie beglaubigen die Staatskredite nicht, sie stellen sie in Frage. Was ist da los?

Der Grund der Staatsschuldenkrise: Die staatlichen Rettungspakete zur Eindämmung der großen Finanz- und Wirtschaftskrise

Die Staaten haben mit der Förderung von Wachstumsbedingungen, mit ihrer Erlaubnis für finanzkapitalistische Kreditoperationen aller Art, selbst die Grundlage für die größte Weltwirtschaftskrise seit vielen Jahrzehnten geschaffen. Und sie selbst haben durch ihre Rettungsaktionen - erst für die Finanzwelt, dann für die abstürzende Realwirtschaft -, für die jede Menge Staatsschulden aufgelegt werden mussten, die jetzige Infragestellung ihrer eigenen Kreditmacht mitproduziert. Die führenden europäischen Wirtschaftsmächte wie Deutschland müssen jetzt ihre Kreditwürdigkeit sogar darüber hinaus weiter strapazieren, um Partnerstaaten innerhalb wie außerhalb des Euro-Währungsverbunds aus deren Kreditklemme herauszukaufen.
Bekanntlich ging die jetzige Krise im Zentrum der kapitalistischen Welt, bei den größten US-amerikanischen Banken los und dann wie ein Wirbelsturm um die ganze restliche Welt. Das Geldverdienen der Finanzinstitute mit Kredit und Kreditpapieren und daraus abgeleiteten Zusatzspekulationen brach zusammen und hätte ohne staatliches Eingreifen ein drastisches Ende genommen. Durch Mobilisierung von Billionen Euro seitens der Notenbanken und der Regierungen konnte die Liquidität des Finanzsystems aufrechterhalten werden. Und der rezessive Absturz der warenproduzierenden und -handelnden Restwirtschaft wurde durch wiederum kreditfinanzierte staatliche Konjunkturprogramme in nie gesehenen Ausmaßen gebremst. Die Finanzmärkte wurden mit Geld und Staatsschuldtiteln „überschwemmt“. Die fast kostenlose Bereitstellung von Zentralbankgeld und Staatsknete (oder -bürgschaften) verhinderte die Pleite der Banken, ermöglichte ihnen die Bedienung ihrer Schulden, die Abwicklung ihrer fallierten Altgeschäfte. Sie führte allerdings nicht zu neuen Geschäftgelegenheiten fürs Geschäft mit Kredit: Teilweise parkten die Banken das aufgenommene Geld unter Inkaufnahme von Zinsverlusten bei der Notenbank, nur um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern, als ob das pure Festhalten von Geld nicht der Tod einer Bank wäre.

Die Entwertung des Staatskredits durch seine Verwendung…

Neue finanzkapitalistische Geschäfte sind auch in Gang gekommen, allerdings fast nur in einem „Marktsegment“: Die Banken verdienten wieder Geld, und zwar ausgerechnet mit dem Stoff, den die sie rettenden Staaten mit ihrer Verschuldung in die Welt setzen mussten, den Staatsschuldtiteln. Natürlich muss der Handel mit dieser Sorte Schulden, der jetzt auf extrem ausgedehnter Stufenleiter stattfand, früher oder später die Frage aufwerfen, was überhaupt noch deren Wert ausmacht. Denn anders als `normale´ Staatsschulden, die direkt oder indirekt zur Förderung des kapitalistischen Wachstums aufgenommen werden und sich im Nachhinein in dem Maße `rentieren´, also rechtfertigen, wie dieses Wachstum auch wirklich zustandekommt, sind die jetzigen Schulden pur negativ begründet: Sie kamen in die Welt, um den Zusammenbruch des privaten Reichtums in der Hand von Finanz- und Realunternehmen zu unterbinden; und sie taugten auch nur dazu – nicht aber für die Wiederherstellung von Wachstumsprozessen, weder im Bankensektor noch in der Restwirtschaft. Diese ganzen Schulden waren zwar ungeheuer nötig: Sie waren unverzichtbar vom Standpunkt der Verhinderung eines Kollaps´ aller Geschäftemacherei und damit der Überlebensbedingungen aller „Menschen“ (Merkel), die offenbar Standortinventar sind und sonst nichts. Aber diese Sorte Schulden sind ein Widerspruch in sich. Sie sind nicht dazu angetan, Wachstum und damit Staatseinnahmen zu befördern. Die sonst übliche Beglaubigung als `Wechsel auf die Zukunft´, auf die Zukunft des Standortwachstums, gilt bei ihnen nicht und ihre Rolle als quantitativ enormer Sonderposten gefährdet rückwärts die Qualität aller bisher aufgelaufenen Staatsschulden gleich mit.

…vollzogen von den dazu befugten Akteuren der Finanzmärkte

Die finanzkapitalistischen Profis, die mit Staatsschulden Geld verdienen wollen, müssen momentan befürchten, stattdessen Geld zu verlieren: Ob die Masse der derzeitigen Staatsschulden aus künftigen Staatseinnahmen jemals bedient werden kann, steht für sie ab sofort mehr als dahin – und damit ist die staatliche Schuldenkrise da! Die Analysten der Finanzmärkte machen die schlechte Qualität der Staatsschulden an quantitativen Maßverhältnissen fest – wie sollten sie auch anders verfahren? Für sie zeigen Kennziffern wie die Relationen Nettoneuverschuldung/Bruttoinlandprodukt oder Gesamtschulden/BIP und ihr Anstieg, wie prekär und unsolide die Schulden seien, wie sehr die Kreditwürdigkeit der staatlichen Schuldenmacher herabgestuft werden müsse. Und dann kommen noch kritische Prognosen hinzu, was künftige Wachstumspotenziale der Länder und Finanzbedarfe ihrer staatlichen Instanzen angeht. Die Akteure der Finanzmärkte machen diese negativen spekulativen Zukunftserwartungen durch ihre Taten, also das Kaufen und Verkaufen der Papiere, schon jetzt ein Stück weit praktisch wahr: Sie entziehen Staaten den Kredit. Sie stellen somit die Zukunft des jeweiligen Standorts praktisch in Frage – und das ganz ignorant gegen den Umstand, dass sie damit ihrer eigenen Geschäftsgrundlage den Boden entziehen.

Staaten `kämpfen´ mit den Finanzmärkten um ihre Kreditwürdigkeit

Die Staaten, die sich der Bewertung durch die Finanzmärkte bewusst aussetzen, weil sie anders ihre Schuldenwirtschaft nicht fortführen können und weil sie mit ihren Wirtschaftserfolgen eine gute Bewertung herbeiregieren wollen, sind schockiert über den Entzug des Vertrauens, von dem sie leben. Erst helfen die Stärkeren unter ihnen den Schwächeren mit nochmaligen Krediten und Garantien aus der akuten Zahlungsnot heraus, weil sie sonst selbst – mit ihren eigenen Banken, ihrem Geld, ihrer eigenen Kreditwürdigkeit – mit hineingerissen würden in die Krise anderer (Griechenland-/Eurorettungspakete). Dann aber verdonnern sie sich schweren Herzens selbst dazu, „ihre Finanzen in Ordnung zu bringen“, um das Vertrauen der Märkte, sprich: deren schöne Funktionalität von gestern, wiederzugewinnen. Sie akzeptieren nämlich das – praktisch wahr gemachte – Urteil der Märkte, dass viel zu viele Staatsschulden aufgehäuft worden sind, um glaubwürdig bedient zu werden. Sie versuchen durch Einsatz ihrer Macht über die Gesellschaft, der sie vorstehen und jetzt ein „Sparregime“ oktroyieren, zu beweisen, dass sie ab sofort ein besseres Urteil verdienen. Sie verbieten sich zumindest ein Stück weit selbst die altgewohnte Freiheit, im Interesse künftigen Wachstums schuldenfinanzierte Staatsausgaben zu beschließen, weil die zuvor aufgehäuften Schulden prekär geworden sind und damit ihre weitere Verschuldungsfähigkeit in Frage steht. Diesen Widerspruch erkennen und reflektieren sie selbst, ohne ihn allerdings aus der Welt schaffen zu können: Sie verordnen sich „drastische Sparhaushalte“ und verkünden gleichzeitig, dass ein „Kaputtsparen“ der Wirtschaft unbedingt vermieden werden muss.

Worauf die Sparpakete spekulieren

„Der Staat muss endlich wirklich sparen“, heißt es. Das ist natürlich nicht so mißzuverstehen, als wolle die Regierung ab jetzt auf ihre Schuldenwirtschaft gänzlich verzichten. So, als sollten ab sofort die aktuell 1,7 Billionen Euro deutsche Staatsschulden durch Sparen abgetragen werden! Oder wenigstens die in der Krise dazugekommenen Hunderten Milliarden! Auf lediglich 80 Milliarden Euro beläuft sich das von der Merkel-Regierung für die nächsten Jahre auf Basis von frohgemuten Hochrechnungen einkalkulierte Einsparvolumen bei den Ausgaben, das wachsende Neuverschuldung ersparen helfen soll…
Schon die ziemlich unterschiedliche Dimension der Zahlen ist ein Hinweis darauf, worum es wirklich geht. Es geht um eine Demonstration für die Märkte. Demonstriert wird die Bereitschaft und Fähigkeit der Sparstaaten, sich dem Schuldenproblem `endlich´ in einer radikalen Ernsthaftigkeit, die alle Tabus beiseite schiebt, zu widmen und damit wieder das zu ermöglichen, auf was es allein ankommt: das Wachstum aller Geldrechnungen.
Nehmen wir Deutschlands Sparpaket: Einerseits wird Wert darauf gelegt, dass der Staat alle Ausgabenposten kritisch auf Streichmöglichkeiten hin überprüft, also vieles infragestellt, was bisher für nötig befunden wurde, als ob es sich um überflüssigen Luxus handelte. Andererseits wird herausgekehrt, dass die Implikationen der Sparbeschlüsse für künftiges Wachstum auf dem Standort entscheidend sind für die Frage, wo gespart werden kann und muss: Das ergibt dann eine schöne klassenspezifische Rangordnung, wobei die Härten für die „sozial Schwachen“ die Seriosität der „intelligenten“ Sparpolitik unterstreichen sollen – auch wenn kein Schwein sagen kann, ob die eine Streichung (etwa bei Hartz-IV) wirklich keine Umsätze der Wirtschaft kostet, die andere Nichtkürzung (etwa im Bildungsbereich) wirklich Wachstumsimpulse freisetzt…
Dieses zwar widersprüchliche, aber machtvolle Signal ergeht also momentan an die Märkte. Es soll selber schon dafür sorgen, dass diese ihre Negativeinstellung zu den umlaufenden Schuldpapieren überdenken. Noch bevor absehbar ist, welche Einsparungen tatsächlich zustande kommen und wie sie sich auf das deutsche BIP auswirken werden, soll die Botschaft für Fakten sorgen – so erhofft es sich jedenfalls die Regierung in Berlin. Die Kreditwürdigkeit Deutschlands, die auch nicht mehr sakrosankt ist, soll gestärkt werden (und darüber indirekt auch diejenige der unterstützten Partner).
Das funktioniert allerdings nur dann, wenn das Signal von den Adressaten richtig verstanden wird…
Die aber nehmen es auf ihre bornierte Weise zur Kenntnis. Sie fragen – wie stets – nach Gewinnausssicht und Sicherheitsrisiko ihrer Investments, und reagieren deshalb widersprüchlich. Sie bejahen den Sparwillen und bezweifeln seine Wachstumswirkung, schwanken also in ihrem Urteil, was sie von dieser praktizierten staatlichen Selbstkritik, die sie selbst herausgefordert haben, jetzt halten sollen. „Die Unsicherheit an den Märkten nimmt zu“, heißt es dann in den Medienberichten. Die Kreditwürdigkeit der Staaten bleibt eine offene Frage.

PS: Wenn ein Staat wie Deutschland, dessen Schuldpapiere nach wie vor mit triple-A geratet sind, anderen vorangeht, bleibt das nicht ohne Wirkung auf andere seiner Art. Auch Staaten, die mehr Schulden zur Konjunkturankurbelung von Deutschland verlangen, weil sie davon profitieren wollen (Sarkozy, Obama), sollen seine Linie notgedrungen anerkennen, weil auch sie sich um den Zuspruch der Märkte sorgen müssen. Umso glaubwürdiger kann Deutschland dann anderen Pleitekandidaten Vorschriften für deren Sparpolitik machen kann...
 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel durch die AutorInnen mit der Bitte um Zweitveröffentlichung. Erstveröffentlicht wurde er in zwei Teilen auf deren Website www.vonmarxlernen.de