Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die Leiden des alten W.
Das Sarkozy-Regime beginnt intensiven Fäulnisgeruch auszuströmen

7-8/10

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Die Woerth-Bettencourt-Affäre bietet einen tiefen Einblick in den Korruptionssumpf, der sich zwischen den obersten Etagen der französischen Bourgeoisie und der konservativ-wirtschaftsliberalen Regierungspartei Sarkozys (UMP) erstreckt. Dass es dabei zum Teil zuging wie in der TV-Serie ,Denver Clan’, trägt zwar zum Amüsement des (ansonsten durchaus erbosten) Publikums bei, macht diese Praktiken aber nicht besser.

Der Skandal lässt sich in einer Zahl zusammenfassen: Eine einzelne Person (!), die Milliardärin Liliane Bettencourt - Erbin des Konzerngründers von L’Oréal, Tochter und Witwe aktiver Nazikollaborateure – erhielt in den letzten drei Jahren insgesamt 100 Millionen Euro (!) an Steuern zurück erstattet. Gleichzeitig betrieb sie Steuerhinterziehung in dreistelliger Millionenhöhe. Laut Aussagen früherer Beschäftigter schmierte dieselbe werte Dame bürgerliche Politiker mit dicken Geldscheinbündeln „in braunen DIN A 5-Umschlägen“. Das Personal packt jetzt aus...

Unterdessen setzt die bürgerliche Regierungs-Rechte darauf, sich selbst als Opfer „faschistischer Attacken“ seitens des kritischen Teils der französischen Presselandschaft hinzustellen – und die extreme Rechte systematisch zur einzigen glaubwürdigen „Anti-Korruptions-Opposition“ aufzubauen. Nach dem Motto „Entweder Ihr müsste die politische Elite unterstützen, oder mit den Rechtsextremen mitheulen“ soll verhindert werden, dass „die Affäre“ der parlamentarischen Opposition nutzt, und stattdessen auf eine Polarisierung zwischen konservativer und neofaschistischer Rechter hingearbeitet werden. Eine riskante Strategie; im Vorgriff auf neue Bündnisdebatten von (über)morgen?

Die geplante Renten„reform“, für die just der (noch?) amtierende Arbeits- & Sozialminister Eric Woerth zuständig ist, dürfte nunmehr erheblich schwerer durchsetzbar werden. Die Glaubwürdigkeit des mehrfach faktisch (nicht gerichtlich) der Korruption überführten Ministers ist dahin. Dennoch, oder gerade deswegen, hält Präsident Nicolas Sarkozy eisern an seinem Minister fest: Jetzt nur nicht klein beigeben! Dem Druck nachzugeben wäre Verrat! - Am vergangenen Dienstag (13. Juli) präsentierte Letzterer nun den Entwurf für das Renten-„Reform“gesetz auf der Kabinettssitzung. Der Gesetzentwurf wurde durch den Ministerrat angenommen und wird nun ab dem 06./07. September 10 im Parlament debattiert werden – Fortsetzung folgt garantiert.. !

Die Sendung mit der Ratte – Sarkozy hält TV-Show ab und wittert „Anti-Reform-Komplott“

Der Präsident wittert eine Verschwörung: „Nicolas Sarkozy gibt einem Komplott gegen die Reformen die Verantwortung“, fasste die Agentur Reuters am späten Montag Abend vergangener Woche (12. Juli) zusammen. Sein Arbeits- und Sozialminister Eric Woerth steht im Zentrum eines mutmablichen Korruptionsskandals und wird der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in dreistelliger Millionenhöhe verdächtigt? Alles nur ein Manöver finsterer Kräfte, um die Renten„reform“ zu verhindern oder blockieren. Originalton Sarkozy: „Wenn Sie Reformen in Angriff nehmen, dann rühren Sie an Interessen, rühren Sie an Besitzstände, dann stören Sie eine bestimmte Zahl von Leuten. Und die Antwort besteht oft in Verleumdung.“ Es sei „kein Zufall“, dass „genau in der Minute, wo Eric Woerth die Rentenreform vorlegt, eine bestimmte Zahl von Leuten ihn aufhalten wollen.“ (Anm.[1])

Um auch ja nicht den Eindruck zu erwecken, dass sein einstündiger Fernsehauftritt vom Abend des 12. Juli (ab 20.15 im zweiten Kanal) mit „der“ Affäre zusammenhängt, ließ Sarkozy am Wochenende zuvor mitteilen, seine Ansprache auf den Bildschirmen seit „schon seit einem Monat geplant“ gewesen. Pech nur, dass der Präsident bis Ende vergangener Woche vergessen hatte, irgendjemandem etwas davon mitzuteilen. Ein echtes Geheimprojekt gewissermaßen.

Die dem Dachverband CGT angegliederte Journalistengewerkschaft SNJ-CGT hat übrigens heftig auf das brave Abfrageinterview des Fernsehjournalisten David Pujadas mit dem Staatspräsidenten reagiert: „Eine Schande“ für den Journalismus und „eine Stunde Werbung“ für Sarkozy sei es gewesen, teilte die Gewerkschaft am Dienstag, den 13. Juli mit. Auch bei offenen Unwahrheiten, die Nicolas Sarkozy ausgesprochen habe, sei ihm nicht im Leisesten widersprochen worden. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/  oder http://www.liberation.fr

Die Sarkozy-Sendung wurde durch 6,6 Millionen Fernsehzuschauer/innen verfolgt (vgl. http://www.programme-tv./ ). Im Anschluss daran erklärten 57 % der befragten Französinnen und Franzosen, dass Sarkozy ihnen „nicht Vertrauen erweckend“ erschienen sei; nur 32 % verspürten aufgrund seines TV-Auftritts „Vertrauen“ zu ,ihrem’ Präsidenten. (Vgl. http://www.leparisien.fr) 

Dass es sich um ein seit längerem geplantes Interview handelt, ist in Wirklichkeit höchst unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher aber ist, dass die viel stärker verbreitete Vermutung zutrifft, wonach Nicolas Sarkozy in höchster Not den „Feuerwehrmann“ spielte, um zu verhindern, dass seine Regierung bis auf die Grundmauern niederbrennt. Das nimmt nicht wirklich wunder, denn die politische Situation hat begonnen, sich für das Regierungslager zuzuspitzen. Am vergangenen Mittwoch (07. Juli) zitierte die auf Enthüllungen sowie Satire spezialisierte Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ einen namentlich nicht genannten Minister, bei dem es sich der Beschreibung nach um Innenminister Brice Hortefeux handeln könnte. Dieser wird mit den Worten wiedergegeben, wenn es so weiter gehe, dann komme die bürgerliche Rechte bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in gut anderthalb Jahren gar nicht erst in den zweiten Wahlgang. Die Stichwahl würde demnach zwischen den Sozialdemokraten und der extremen Rechten ausgetragen.  

Das Regierungslager versucht, die extreme Rechte als Anti-Korruptions-Partei aufzubauen – Ihr letztes politisches Schutzschild? 

Der Minister sprach demnach von einem „umgekehrten 21. April“, unter Anspielung auf jenen Tag im Jahr 2002, an dem der damalige sozialdemokratische Premierminister und Präsidentschaftskandidat Lionel Jospin nach der ersten Runde aus dem Rennen flog. Den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl machten damals der Konservative Jacques Chirac und der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen unter sich aus. Schon seit den Regionalparlamentswahlen vom März dieses Jahres sagen Beobachter, aber auch manche Abgeordnete der Regierungspartei UMP für 2012 eine vergleichbare Konstellation voraus, aber ohne die bürgerliche Rechte. Im März und April machte bereits das geflügelte Wort von „Marine versus Martine“ die Rede, also einer Stichwahl zwischen der sozialdemokratischen Parteichefin Martine Aubry und der rechtsextremen Nachwuchspolitikerin Marine Le Pen, die auf dem nächsten Parteikongress am 15./16/ im Januar 2011 voraussichtlich ihren Vater an der Parteispitze des Front National (FN) ablösen wird. Letztere vermied es bisher, auf ähnliche Weise wie ihr Vater etwa mit Holocaustleugnung oder -verharmlosung oder Nazisympathien öffentlich anzuecken, und gilt als ungleich „moderner“. Der durch den ,Canard enchaîné’ zitierte Minister prognostizierte ihr vergangene Woche 22 Prozent als Präsidentschaftskandidatin. Nicolas Sarkozy selbst wird durch die Zeitung mit den Worten zitiert, die derzeitige Situation könne dem FN „fünf Prozent der Stimmen“ zusätzlich einbringen.

Die Frage ist, ob es nicht genau dies ist, was die konservative Rechte derzeit anstrebt, jedenfalls für den Fall, dass es ihr momentan nicht gelingt, ihren eigenen Niedergang aufzuhalten. Jedenfalls tut sie beinahe alles dafür, einen Aufstieg der extremen Rechten zu beschwören, für den Fall, dass die Kritik an den Praktiken der Konservativen weiterhin anschwelle - als ob die Neofaschisten, und auf keinen Fall die sozialdemokratische oder linke Opposition, allein die „natürliche Alternative“ zum Regierungslager bildeten. Man könnte auch anders an die Sache herangehen, und etwa die Frage stellen, warum bitte schön ausgerechnet die extreme Rechte Frankreichs am besten platziert sei, um über Korruption und Vetternwirtschaft herzuziehen. Eine Partei, die seit ihrer Gründung im Oktober 1972 durch denselben Vorsitzenden angeführt wird? Die sich nun darauf vorbereitet, dass ihre Führung durch ein Familienmitglied - dessen Tochter - übernommen wird? Eine Partei, deren Chef, der alternde Jean-Marie Le Pen, in den siebziger Jahren zum Multimillionär wurde, indem er unter trüben Umständen das Alleinerbe eines geistig umnachteten Anhängers namens Hubert Lambert antrat? Warum sollte ausgerechnet ein solcher Verein sich dazu ausersehen fühlen, mit Fingern auf andere zu zeigen und bei ihnen Korruption und Nepotismus anzuklagen - so könnte man mit einigem Recht fragen.

Dies tut die bürgerliche Rechte jedoch nicht, sondern sie setzt es als quasi naturgegeben voraus, dass allein die extreme Rechte automatisch und zwingend davon profitiere, falls die konservative Regierung mit ihren Korruptionsaffären in die Enge getrieben wird.  Marine Le Pen wird in den letzten Tagen auf fast allen Radio- und Fernsehkanälen dazu eingeladen, die Korruptionsaffären des Regierungslagers zu kommentieren. Die frühere rechtssozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal sprach ihrerseits schon am 30. Juni 10 vom „Sarkozysmus, einem korrupten System“. Jean-François Copé, Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei UMP, verglich sie daraufhin prompt mit Marine Le Pen: Die Sozialdemokratin rede wie die rechtsextreme Nachwuchspolitikerin. Das bedeutet, Letztere ist das Original und die sozialdemokratische Populistin nur die Kopie.

Die eher linke Internetzeitung ,Médiapart’ enthüllt Einzelheiten über die Korruptionspraktiken des konservativen Lagers? Ein Entrüstungssturm - gekünstelt oder nicht - wird bei den Konservativen entfesselt. Es hagelt Vergleiche mit der antisemitischen Hetzpresse der 30er Jahre und faschistischen Publikationen. Die im Subtext vermittelte Botschaft lautet: Wer die Korruptionspraktiken der konservativen Rechten und in den obersten Etagen der Bourgeoisie kritisieren möchte, der oder die ist allein bei den Rechtsradikalen gut aufgehoben.

So verglich etwa der amtierende UMP-Parteichef Xavier Bertrand bei einer öffentlichen Veranstaltung am o6. Juli in Le Raincy, bei Paris, ,Médiapart’ (die Internetzeitung des früheren Chefredakteurs von ,Le Monde’, Edwy Plenel) mit einer Presse, die „faschistische Methoden“ benutze. Edwy Plenel hat, diesen Vorwurf betreffend, inzwischen Strafanzeige wegen diffamierender Hetze erstattet. (Vgl. http://lci.tf1.fr )

Christian Estrosi, Minister für Industrie und Bürgermeister von Nizza, wiederum fühlte sich angeblich an Roger Salengro erinnert; Salengro war Innenminister des ‚Front populaire’ (nach der vergröbernden deutschen Übersetzung: der linken „Volksfrontregierung“) im Jahr 1936 und wurde durch die damalige rechtsradikale Massenpresse in den Selbstmord gehetzt. Estrosi bemühte ferner noch den früheren Premierminister Pierre Bérégovoy, der am 1. Mai 1993 infolge von Korruptionsvorwürfen Suizid beging. Hingegen sprach die, für ihre verbalen Ausfälle bekannte – und hinreichend berüchtigte –, Staatssekretärin für Familienpolitik Nadine Morano eher von „einem Zusammenspiel von Medien, Politikern und Trotzkisten“. (Edwy Plenel war in sehr viel jüngeren Jahren einmal bei der trotzkistischen LCR gewesen, aber das ist circa 30 Jahre her.) UMP-Sprecher Frédéric Lefebvre, dessen Spitzname „Pitbull“ lautet, seinerseits war wenigstens halbwegs originell: Er witterte eher eine höchst eigentümliche Mischung aus „Rechtsradikalismus, Trotzkismus und einer Rache der Reichen, die dem Minister Woerth seinen Kampf gegen Steuerbetrug nicht verziehen haben“ (sic!). Und da malt das konservative Regierungslager noch – bei Kritik von anderer Seite an seinen eigenen Praktiken – das Gespenst des „Populismus“ an die Wand... 

,Médiapart’ war die Publikation, die am 16. Juni erstmals Einzelheiten über jene Affäre publizierte, die Feuer an die Lunte legte. Schon zuvor waren im Laufe des Juni einige andere Korruptions- oder Selbstbedienungspraktiken von geringerer Bedeutung ruchbar geworden. Etwa die Zigarren, die der Staatssekretär Christian Blanc verpaffte und für die er 12.000 Euro vom Steuerzahler übernehmen ließ. Oder die Villa in Grimaud an der Côte d’Azur, die der bisher für die französische Afrikapolitik zuständige Staatssekretär Alain Joyandet[2] sich mit illegal erworbener Baugenehmigung erweitern ließ. Die beiden Staatssekretäre wurden in den ersten Julitagen durch Präsident Sarkozy und Premierminister François Fillon aus dem Amt geekelt und zum Rücktritt, den beide am vorletzten Sonntag (4. Juli) einreichten, gemobbt. Auch wenn sie dem Vernehmen nach früher zurücktraten, als es Sarkozy lieb gewesen wäre (so schreibt jedenfalls ,Le Monde’), da der Präsident ihren Rücktritt oder ihren Rausschmiss gerne noch eine Weile lang als Trumpfkarte für spätere Momente aufbewahrt hätte. Besonders pikant dabei war, dass Blanc sich auch noch auf hochnotpeinliche Weise herauszureden versuchte, indem er die Schuld von sich schob und an einen Untergebenen mit Namen Guillaume Jublot weiterreicht: Dieser habe ihm die Zigarren geklaut, so dass er selbst gar nicht mitbekommen habe, dass sie fehlten. Premierminister Fillon soll angesichts seiner peinlichen Verteidigungsversuche einen Wutanfall bekommen haben. 

EINSCHUB: Rückblick auf die im Laufe des Juni 2010 zuerst ruchbar gewordenen „Affären“

Christian Blanc, der bis am Sonntag, den o4. Juli als Staatssekretär für das zukünftige ,Grand Paris’ (also den geplanten administrativen Zusammenschluss von Paris und eines Teils seiner Banlieue/Trabantenstädte) zuständig war, wurde aufgrund von flagranter Selbstbedienung aus dem Amt gedrängt. Er hatte auf Staatskosten für 12.000 Euro Zigarren verpafft. Als es herausgekommen war, zahlte er die Summe erst nach ausdrücklicher Aufforderung von Premierminister François Fillon - der darüber erbost war - in die Staatskasse zurück. Besonders peinlich war, dass Blanc seine Selbstbedienung auf Staatskosten auch noch einem Untergebebenen - Guillaume Jublot - anzulasten versuchte, der dafür in einem Interview mit der Sonntags-Ausgabe des ,Parisien’ vom o4. Juli zurückkofferte : „Ich habe die Zigarren von Christian Blanc nicht gestohlen.“ Wer hat die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss, wer hat die Koooo-kosss-nusss geklauuuut...  (Vgl. http://www.leparisien.fr/) Auch werden Blanc Tricksereien im Zusammenhang mit seiner Steuererklärung vorgeworfen. 

Christine Boutin, bis vor einigen Monaten - rechtskatholische - Ministerin für Wohnungsbaupolitik, wurde im Juni 2009 aus diesem Amt abgelöst. Um die solcherart degradierte Ex-Ministerin (die das ultra-christliche Wählerspektrum abdecken soll) zufriedenzustellen, verlieh Präsident Nicolas Sarkozy ihr daraufhin den Auftrag, eine schwammig-vage gehaltene Untersuchung zum Thema „Soziale Folgen der Globalisierung“ durchzuführen. Diese « Mission » wurde ihr mit saftigen 9.500 Euro monatlich entlohnt. Diese stolze Entlohnung, die ohne reale und überprüfbare Gegenleistung blieb, kam zu einer Parlamentarier-Rente in Höhe von 6.000 Euro zuzüglich einer Pension für sonstige frühere Funktionen von 2.500 Euro hinzu. Nachdem die Wochenzeitung ,Canard enchaîné’ am 16. 06. 10 über diese satte Bedienung der Ex-Ministerin berichtet hatte, musste Madame Boutin dann jedoch auf die Dopplung - fettes (Pseudo-)„Gehalt“ plus fette Rente - verzichten.

Jeanette Bougrab, 36, Tochter eines Harki (früheren pro-französischen Kämpfers im Kolonialkrieg in Algerien), wurde im April 2010 durch Präsident Nicolas Sarkozy an die Spitze der Anti-Diskriminierungs-Behörde HALDE ernannt. Eine ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, am o3. Mai über eine Anpassung ihres Gehalts abstimmen zu lassen, das (laut einem Artikel der Enthüllungszeitung ,Le Canard enchaîné’ vom 23. 06. 10) von gut 6.100 Euro unter ihrem Vorgänger Louis Schweitzer auf 14.000 Euro wuchs. Also mehr als verdoppelt wurde. Bougrab hat die Zeitungsinformation allerdings als „diffamierend“ bezeichnet und dementiert, musste laut Angaben des ,Canard enchaîne’ dennoch auf die kleine Verdoppelung ihres Gehalts nachträglich verzichten. 

Die Leiden des alten Sackes W.
Oder: mit der Hand auf der Brieftasche erwischt...
 

Doch Joyandet und Blanc „wurden“ wohl allem deswegen zurückgetreten, weil es in den Augen der beiden Herren an der Staatsspitze galt, den in ihren Augen strategisch wichtigsten - und zugleich am tiefsten in den Korruptionssumpf verstrickten - Minister zu retten: den amtierenden Arbeits- und Sozialminister Eric Woerth. (Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com ) Dessen Aufgabe besteht derzeit darin, die so genanten „Reform“ der Renten zu retten, die derzeit vorbereitet wird. Das französische Kabinett verabschiedete die Vorlage dazu an diesem Dienstag (13. Juli), das Parlament wird in einer dreiwöchigen Sondersitzung - während die Abgeordneten normalerweise noch im Urlaub wären - ab der zweiten Septemberwoche darüber debattieren. 

Diese „Reform“ ist ausgesprochen unpopulär, 67 % erklären sie für „ungerecht“. Am 24. Juni demonstrierten bereits anderthalb bis zwei Millionen Menschen dagegen, für den Frühherbst werden noch stärkere Proteste erwartet. Kernbestandteil der Reform ist die Anhebung der Zahl obligatorischer Beitragsjahre zur Pensionskasse von derzeit 40 auf 41,5 bis im Jahr 2018. Vor wenigen Jahren waren es noch 37,5 gewesen, bis zur bisher letzten „Reform“.

Auch wird das gesetzliche Mindestalter für den Eintritt in die Rente von 60 auf 62 angehoben. Dieses Mindestalter aber gilt ausschließlich für jene, die die erforderlichen Beitragsjahre zusammen haben - was mit jeder Anhebung immer schwieriger wird. Die anderen müssen entweder hohe Extra-Strafbeträge und Abzüge akzeptieren, für zwei fehlende Beitragsjahre machen sie bereits zehn Prozent der Rente aus, oder aber bis zum gesetzlichen Eintrittsalter warten. Dieses lag bislang bei 65 Jahren. Bis 2023 soll es nun auf 67 angehoben werden. Auch dann wird noch bestraft, wem Beitragsjahre fehlen - zwar nicht durch Extra-Abzüge, wohl aber fällt die Rente durch ein geringeres Gesamtvolumen der Beiträge doch kleiner aus.

Sarkozy hält diese „Reform“ für einen Fortschritt im Namen der „wirtschaftlichen Vernunft“, mit dem er in die Geschichte eingehen möchte. Deshalb kommt es für ihn im Augenblick auf keinen Fall in Betracht, seinen Minister Eric Woerth zu opfern, auch wenn dieser unter normalen Umständen wohl bereits unhaltbar geworden wäre. Sonst, so glaubt Präsident Sarkozy, droht ihm die ganze „Reform“ zu kippen. 

Eine Serie von unglaublichen Zufällen: Sachen gibt’s... 

Die Ehefrau des Ministers, Florence Woerth, arbeitete seit November 2007 in Diensten des Vermögensverwalters der Milliardärin - und Erbin eines Nazikollaborateurs - Liliane Bettencourt, mit Namen Patrice de Maistre. Die Ministergattin war in dessen Beraterfirma Clymène[3] als Vermögensbetreuerin angestellt - „um Eric Woerth einen Gefallen zu tun“, wie de Maistre laut (im Hause Bettencourt illegal angefertigten) Tonbandaufnahmen äußerte.

Nun ist Liliane Bettencourt die reichste Frau in Europa, Inhaberin des drittgröbten Einzelvermögens in Frankreich (das ihre wird auf rund 20 Milliarden Euro geschätzt, davon überlieb sie seit Jahresbeginn eine halbe Milliarde an die Stiftung „Fondation Bettencourt-Schueller“ für wohltätige Zwecke wie die AIDS-Bekämpfung) und zweitgröbte Steuerzahlerin im Land. Zu ihrem Erbe zählt eine Position als Hauptaktionärin (über 30 % Kapitalanteil) beim Kosmetik- und Luxuswarenhersteller L’Oréal; der Konzern hat einen Jahresumsatz von 17 Milliarden Euro und beschäftigt 64.000 Lohnabhängige. Ihm gehören auch die Produktmarken Yves Saint Laurent, Ralph Laurent oder Vichy. Liliane Bettencourt hält ferner Anteile an dem, in der Schweiz ansässigen, Nahrungsmittel-Multikonzern Nestlé. 

Die 87jährige ist aber auch eine Großspenderin der Regierungspartei UMP. Und dies auf legaler, höchstwahrscheinlich aber eben (darüber hinaus) auch auf illegaler Ebene. Deren Schatzmeister, der die Spenden von Privatsponsoren einkassiert, war wiederum bis vor kurzem und seit dem Jahr 2002 Eric Woerth; er trat infolge des seit Juni dieses Jahres ausgebrochenen und sich ausweitenden Skandals um die „Bettencourt-Affäre“ am 13. Juli 2010 von diesem Amt zurück. Am Vortag hatte Nicolas Sarkozy ihm dies, bei seinem Fernseh-Auftritt vom Abend des 12. Juli 10, öffentlich „angeraten“.

Er war in den Jahren 2007 bis 2009 auch Haushaltsminister, also auch für Steuereintreibung und den Kampf gegen Steuerbetrug zuständig.  

Rein zufällig ist Madame Bettencourt aber auch eine Steuerhinterzieherin in großem Maßstab - es geht um dreistellige Millionenbeträge in Euro -, wie ab dem 16. o6. 10 stückweise herauskam. Damals publizierte ‚Médiapart’ Auszüge aus illegal aufgenommenen Tonbandmitschnitten, die für den jüngst begonnen Prozess um Familienstreitigkeiten zwischen Liliane Bettencourt und ihrer Tochter Françoise Bettencourt-Meyers angefertigt wurden. Nach ihrem Überspielen auf CD füllen sie insgesamt 28 CD-Rom. (Vgl. dazu den Artikel, der die Affäre ins Rollen brachte: http://www.mediapart.fr) Die Aufnahmen waren von Liliane Bettencourts früherem Hausverwalter Pascal Bonnefoy angefertigt worden. Sie wurden im Zeitraum zwischen Mai 2009 und Mai 2010 angefertigt. In den mitgeschnittenen Gesprächen kommt vor allem Liliane Bettencourts Vermögensverwalter, Patrice de Maistre, zu Wort, und äubert sich u.a. freimütig über Steuerflucht in die Schweiz. 

Die Justiz von Naterre – in deren räumliche Zuständigkeit auch der Pariser Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine fällt - ermittelte deswegen u.a. wegen „Verletzung der Privatsphäre“, die Anklage wurde jedoch gerichtlich (bislang in erster Instanz, das zweitinstanzliche Urteil fällt am 23. Juli 10) abgelehnt. 

Die Justiz musste aber u.a. auch wegen des Vorwurfs des massiven Steuerbetrugs (der sich aus dem Inhalt der aufgezeichneten Gespräche ergibt) Untersuchungen einleiten und zumindest den Eindruck erwecken, der Sache nachzugehen. Am 9. Januar 2009 wies der Staatsanwalt von Nanterre, Philippe Courroye, vor diesem Hintergrund die Finanzbehörden darauf hin, dass der Verdacht der Steuerhinterziehung (ob durch Patrice de Maistre oder François-Marie Banier, lieb er dabei offen) bestehe; vgl. http://www.lepoint.fr . Nichts passierte daraufhin jedoch aus dem Finanzministerium. 

Wie in der TV-Serie ,Denver Clan’: Familien(clan)streit um die Milliarden 

Hintergrund der illegalen Tonband-Aufzeichnungen sind Vorwürfe von Seiten der Tochter und ihrer Umgebung, die 87jährige Mutter lasse sich von Strebern, Schleimern und Günstlingen in ihrem Umfeld ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Insbesondere aber von ihrem Gefährten und „Kulturminister“, dem Fotographen und Schöngeist François-Marie Banier (vgl. http://www.lexpress.fr/), der insgesamt bereits eine Milliarde Euro von ihr erhielt. Vor allem in Form von Kunstwerken und des Abschlusses einer Lebensversicherung zu dessen Gunsten. Dazu ein klitzekleines Sittengemälde, das au seiner Beschreibung in ,Le Monde’ (vom 22.o7.10) hervorgeht: „Im Mai 2007 verfällt (Buchhalterin) Claire Thibout in eine Depression. Schuld daran trägt ihr zufolge der starke Druck, den Monsieur Banier ausübt. <Eines Tages rief er mich an und trug mir auf, Liliane Bettencourt zu bestellen, dass er sie liebe und dass er zwei oder drei Millionen wolle, um sein Schwimmbad fertigzustellen. Ab 2006 wollte François-Marie Banier auch, dass Liliane Bettencourt ihm die Insel Arros überschreibt. Damals übte er auch einen starken Druck aus, um Schmuckstücke zu erhalten. > Sie weigert sich, ihm die Schmuckstücke zu holen.“ 

Banier war aber auch über einen mutmablichen Gefälligkeitsvertrag beim Konzern L’Oréal (Hauptaktionärin: Liliane Bettencourt) angestellt, für ein stolzes Jahresgehalt in Höhe von 405.000 Euro, um dort ein paar „künstlerische Tipps“ zu erteilen. (Ein Kleinaktionär des Konzerns hat deswegen inzwischen Strafanzeige gegen ihn erstattet, vgl. http://abonnes.lemonde.fr und http://www.lefigaro.fr/ . Darauf folgte die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens, vgl. http://www.liberation.fr/ )

Die Tochter wittert dahinter die Umtriebe eines Hochstaplers, der vor allem an das Vermögen der Mutter heran will. Ähnlich sieht sie auch die Absichten der sonstigen Umgebung ihrer Mutter - was wohl zum guten Teil auch zutrifft. Gar so tütelig ist die Frau Mutter allerdings noch nicht, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters von 87 Jahren körperlich noch relativ fit erscheint und täglich schwimmt. Allerdings ist Liliane Bettencourt erkennbar schwerhörig. In jedem Falle aber ist sie umgeben von Leuten, die sozusagen nur ihr Bestes – nämlich sich an ihre Kohle heranmachen – wollen, und dies dürfte ihr im Grundsatz auch bewusst sein, so dass sie es (ein Stück weit) resignierend in kauf nimmt.

Die Frau Tochter ihrerseits hat wohl schlicht & einfach Angst um den Verbleib ihres Erbes. Allerdings kommen auch noch weitere Konfliktfaktoren hinzu, denn Françoise Meyers-Bettencourt ist mit einem jüdischen Bankkaufmann verheiratet, während Liliane Bettencourts Vater - Eugène Schueller[4] - und ihr im November 2007 verstorbener Ehemann André Bettencourt zu ihren „Hochzeiten“ glühende Pétainisten, Nazikollaborateure und Antisemiten waren. (Siehe auch ANMERKUNG[5] zum Thema der mancherorts vermuteten antisemitischen Motive.) - Vgl. u.a. http://www.liberation.fr/ . Siehe zum „Krieg“ zwischen Mutter und Tochter auch die jüngst erschienene Titelstory des Wochenmagazins ,L’Express’: http://www.lexpress.fr/

Eine schrecklich nette Familie...: Vom führenden Nazikollaborateur zum Milliardär 

André Bettencourt war „immerhin“ Frankreich-Chef der, Joseph Goebbels unterstellten, „Propagandastaffel“ während der Besatzung gewesen, wie sogar der französischsprachige Wikipedia-Eintrag zu seiner Person angibt. Bei der Libération (Befreiung Frankreichs von der Nazibesatzung im Jahr 1944) kam er jedoch ungeschoren davon: Wie andere mehr oder weniger prominente Kollaborateure auch, etwa ein gewisser Vichy-Beamter namens François Mitterrand, hatte er es geschafft, sein Fähnchen beim Wechsel des Kriegsverlaufs in den Jahren 1942/43 zu drehen. Als der Wind sich gegen die „Achsenmächte“ zu drehen begann, hatte er also Kontakte zur Résistance aufgenommen. Unter den Staatspräsidenten Charles de Gaulle und Georges Pompidou brachte André Bettencourt es später zum Minister.  

Eugène Schueller seinerseits hatte während der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts diverse faschistische Gruppierungen, u.a. die ab 1937 aktive rechtsterroristische Vereinigung ,La Cagoule’ (in welcher auch André Bettencourt aktiv war), finanziell gesponsert. Auch ihm war jedoch am Ausgang des Zweiten Weltkriegs, leider, nichts passiert. Bei seinem Tod im Jahr 1957 vererbte er sein Vermögen an seine damals 35jährige Tochter Liliane, die seit 1950 mit André Bettencourt verheiratet war. 

Die Tochter prozessiert seit circa zwei Jahren gegen den „Clan“ rund um ihre Mutter Liliane Bettencourt, konkret vor allem gegen deren Günstling François-Marie Banier. Im Dezember 2009 forderte sie ferner, dass ihre Mutter unter Vormundschaft gestellt wird. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/) Am 1. Juli 2010 sollte ein Prozess darum in Nanterre loslegen, welcher jedoch aufgrund der politischen Bombe, die im Zusammenhang mit dem Vermögen der Bettencourts und dessen „politischer Verwendung“ platzte, erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben worden ist. Jüngst, am 14. Juli 10, formulierte Françoise Meyers-Bettencourt einen neuen Antrag darauf, ihre Mutter gerichtlich unter Vormundschaft stellen zu lassen. (Vgl. http://www.rmc.fr  oder http://www.lalsace.fr/ und zur Reaktion Bettencourts darauf: http://www.20minutes.f

Die aus diesem Anlass, vor dem Hintergrunde dieses Konflikts, getätigten Enthüllungen haben es in sich. Allein auf zwei nicht angegebenen Konten der Dame Bettencourt in der Schweiz liegen 78 Millionen Euro, wie sie inzwischen auch freimütig einräumte (und dabei eine „Klärung“ ihrer steuerlichen Situation ankündigte). Ferner ist sie Eigentümerin der Insel d’Arros, die zum Archipel der Seychellen - einem Steuerparadies - zählt und früher, 1975, einem Familienangehörigen des persischen Schah gehörte. Formell gehört die Insel inzwischen einer Stiftung, die in Liechtenstein ansässig ist. Unklar war zunächst, wem in der Bettencourt-Familie die Insel gehört oder ob sie durch die 87jährige Liliane B. schon an ihren geschätzten Fotographen François-Marie Banier vermacht worden ist. Inzwischen hat sich bestätigt, dass sie derzeit (noch?) in Liliane Bettencourts Eigentum fällt. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr ) Unterdessen hat das staunende Publikum wenigstens erfahren, dass es auf der Insel doch letztlich relativ ungemütlich zuzugehen scheint, weil es dort haufenweise Mücken gibt. Aus diesem Grunde jedenfalls hatte der Fotograph François-Marie Banier ausweislich seiner Erklärungen keine Lust, sich auf der Insel Arros aufzuhalten: „Ich verabscheue diese Insel, es wimmelt von Mücken, sie ist winzig klein, und das Klima ist sehr feucht. Überdies gibt es Haie.“ Aber vielleicht handelt es sich dabei auch nur um eine Schutzbehauptung, um sich unter dem Vorwurf wegzuducken, er nutze die Gunst der Milliardärin Bettencourt schamlos aus. Hinterher sind dem Fuchs die Trauben schon immer zu sauer gewesen ;)

Zu den Vermögensverhältnissen des Bettencourt-Clans fassen wir also noch mal zusammen: Dreistellige Millionenbeiträge waren also in, für ihre Steuertransparenz nicht unbedingt bekannten, Staaten wie der Schweiz und Liechtenstein plus den Seychellen geparkt. 

Keine Steuerkontrolle – aber Steuer-Rückzahlung über 100 Millionen 

Ebenso purer Zufall ist es, dass bei Liliane Bettencourt seit nunmehr 15 Jahren keine Steuerkontrolle vorgenommen wurde. Noch zufälliger aber ist, dass Eric Woerth - wie durch einen Bericht der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ am 02. Juli 10 herauskam - am 30. Januar 2008 persönlich bei Bettencourt in ihrer Privatwohnung im Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine zu Abend speiste. Genau eine Woche zuvor, am 23. Januar 2008, hatte er übrigens ihren Vermögensverwalter Patrice de Maistre mit der ,Légion d’honneur’, einer Art französischer Entsprechung zum deutschen Bundesverdienstkreuz, ausgezeichnet.

Und, ein Zufall kommt selten allein: Kaum ein paar Wochen war es her, dass die Schwermögende einen Antrag darauf gestellt hatte, als sie im März 2008 auch schon eine Steuer-Rückzahlung in Höhe von 30 Millionen Euro (allein für das Jahr 2007) erhielt. 

Diese Rückzahlung deckt jedoch allein das Jahr 2007 ab. Über die letzten drei Jahre hinweg hat Bettencourt insgesamt, wie die Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ am Mittwoch, den 21. Juli 10 schreibt, stolze 100 Millionen Euro zurückerstattet bekommen. Aufgrund des durch Premierminister Dominique de Villepin für das Haushaltsjahr 2006 eingeführten und unter Präsident Sarkozy ab 2007 verschärften Mechanismus des ,bouclier fiscal’ („steuerlichen Schutzschilds“, vgl. http://www.liberation.fr ) – eine Deckelung des Spitzensteuersatzes – Jahr für Jahr fette Rückzahlungen von den Finanzämtern erhalten. 

In derselben Ausgabe schildert die Zeitung auch, wie die Milliardärin Bettencourt es schafft, einen Löwenanteil ihrer Gewinne – als Erbin und Hauptaktionärin des Konzerns L’Oréal, ihr gehören knapp 31 % des Konzernkapitals – nur geringfügig zu versteuern. Ihre Aktionärsdividenden flieben nicht an die Dame als Privatperson direkt, sondern an die ihr (zu 100 % und ausschlieblich) gehörende Vermögensverwalterfirma Thétys. So lange das Geld bei der Firma verbleibt und nicht durch Bettencourt für ihren „Privatbedarf“ von der Bank abgehoben wird, gilt es als Unternehmenskapital – das so behandelt wird, als sei es (als solches) bereits besteuert worden, da der Konzern L’Oréal ja Unternehmenssteuern bezahlt. „Um Doppelbesteuerung zu vermeiden“, werden die durch den Konzern an die Milliardärin ausgeschütteten Aktionärsdividenden also zunächst gar nicht besteuert. Und auch weiterhin nicht, solange sie im Finanzkreislauf bleiben; die Firma Thétys kann sie also etwa in Finanzspekulationen investieren, in internationale Steuerparadiese transferieren oder auf der Bank liegen lassen, und bis dahin überhaupt keinerlei Steuern abführen. Erst wenn Liliane Bettencourt Geldbeträge von diesem Kapital in Frankreich abhebt, wird eine Besteuerung fällig. Auf diese Weise bezahlte Bettencourt im Jahr 2009 für einen Reingewinn in Höhe von 280 Millionen Euro (das ist die allein für sie als Einzelperson ausgeschüttete Aktionärsdividende!) insgesamt 25 Millionen an Steuern, also kaum neun Prozent. Ja, 9 %. Die Zeitung ,Le Canard enchaîné’ kommentiert dazu in ihrer oben zitierten Ausgabe: „Nicht für das besteuert zu werden, was man einnimmt (Anm.: hier die Aktionärsdividende), sondern für das, was man ausgibt (Anm.: also das, was Madame Bettencourt von der Firma, die ihr zu 100 % gehört, in ihr Privatkapital oder in laufende Ausgaben überführt), das ist in der Tat ein gutes Geschäft. Es wäre dringend, alle Steuerzahler/innen in den Genuss davon kommen zu lassen.“ Darauf wird man wohl ziemlich lange warten dürfen. 

(Unsererseits würden wir dringend einen neuen Besteuerungssatz für Leute wie Steuer hinterziehende Milliardäre, ihre Nutznieber und Berater anraten: einen Steuersatz in Höhe von 100,00 % auf ihr vollständiges Vermögen, und einen tüchtigen Tritt in den Hintern noch dazu. Und falls die Damen & Herren Bourgeois sich damit unzufrieden zeigen sollten, dann setzt es, wenn’s denn sein muss, eben was mit der Guillotine. Empfohlen sei, das Gerät immer gut geölt zu halten.) 

Fortgang der Enthüllungen: Sarkozy bekommt unmittelbar Spritzer ab 

Auch Nicolas Sarkozy selbst wird inzwischen durch diese Affäre in Mitleidenschaft gezogen. Am Dienstag, o6. Juli, kam beispielsweise heraus, dass die Milliardärin Bettencourt 150.000 Euro in bar ( !) an Eric Woerth „für den Präsidentschaftswahlkampf Nicolas Sarkozys von 2007“ bezahlt haben soll. (Vgl.Politique/Depeches/Avocat-Bettencourt-Des-versements-a-Woerth-205344/  und http://www.lejdd.fr ) Dies resultierte aus Aussagen der früheren Buchhalterin von Madame Bettencourt in den Jahren 1995 bis 2009, Claire Thibout - die diese zuerst bei einer polizeilichen Vernehmung und später gegenüber dem Internet-Magazin ,Médiapart’ (Ausgabe vom o6. o7.) tätigte. Vgl. dazu http://www.mediapart.fr oder http://inforom.over-blog.com 

Das Regierungslager hat dies, na klar, energisch dementiert. Am Mittwoch, den 07. Juli kündigte Minister Eric Woerth an, er werde in Nanterre Strafanzeige „gegen Unbekannt“ wegen „Diffamierung“ bzw. „verleumderischer Anklage“ in Sachen illegale Parteienfinanzierung erstatten (vgl. http://info.sfr.fr/). Ihm tat es kurz darauf Bettencourt Vermögensverwalter Patrice de Maistre gleich, der mit einer eigenen Strafanzeige „gegen Unbekannt“ nachzog (vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com). Schon zuvor hatte auch des Ministers Ehefrau, Florence Woerth, ihrerseits Strafanzeige wegen diffamierender Kommentare gegen den sozialistischen Abgeordneten & Rechtsanwalt Arnaud Montebourg sowie gegen die Ex-Untersuchungsrichterin Eva Joly erstattet. Weil diese ihr nämlich eine Rolle als Bindeglied zwischen ihrem Mann – dem Minister – und dem Vermögen der Milliardärin Bettencourt zuschrieben. Doch auffällig war dabei, dass bislang keine einzige Strafanzeige aus diesen Kreisen gegen die „Quelle“ gerichtet worden ist: Weder gegen das Internetmagazin ‚Médiapart’ noch gegen Ex-Buchhalterin Claire Thibout wurde eine Strafanzeige eingereicht. (Vgl. http://miltondassier.over-blog.com/) Allein die Milliardärin Liliane Bettencourt hatte ihrerseits Anzeige gegen die Publikation ,Médiapart’ erstattet, allerdings nicht aufgrund angeblich falscher Informationen, sondern wegen der Verwendung illegal erstellter Aufzeichnungen – der inzwischen berühmten Tonbänder ihres früheren Hausverwalters Pascal Bonnefoy. In erster Instanz war ihr diesbezüglicher Strafantrag jedoch gerichtlich abgeschmettert worden, aufgrund des öffentlichen Interesses am Inhalt dieser Tonbandmitschnitte, die ab dem 16. Juni die ganze Affäre ja ins Rollen brachten. Am Freitag, den 23. Juli 2010 wird nun das Urteil in der Berufungsinstanz dazu erwartet. (Vgl. ausführlich: http://www.mediapart.fr 

Aber die Polizei bestätigte ihrerseits an demselben o7. Juli, dass die Angaben der früheren - über eine Bar-Abhebung von 50.000 Euro am 26. März 2007 zu diesem Zwecke zutreffend gewesen sei. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/) Claire Thibout hatte angegeben, an jenem Tag 150.000 Euro abgehoben zu haben : 50.000 in bar von einem Konto bei der BNP, und 100.000 von einem Schweizer Geheimkonto ; ferner seien vergleichbare Summen zwei mal pro Monat in Bargeld abgehoben worden, um Sarkozys UMP auf illegalem Wege zu finanzieren. Am Donnerstag, o8. Juli 10 verlautbarte jedoch, dass die Familie Bettencourt über Quittungen in Höhe von circa 40.000 Euro von Ende März 07 verfüge, die angeblich die Verwendung dieser Gelder von jenem Tag im März 2007- zu anderen Zwecken als der illegalen Parteienfinanzierung - belegen. Im Laufe des Tages zog Claire Thibout (unter massivem pyschologischen Druck stehend) einen Teil ihrer zuvor getätigten Aussagen zurück : Die Angaben gegenüber ,Médiapart’ seien « ausgeschmückt » gewesen/worden. Claire Thibout steht natürlich unter massivem Druck ihrer Umgebung, zudem möchte sie möglicherweise nicht eines Tages erhängt in einem Waldstück aufgefunden werden. Vermutet wird ferner, dass jener (kleinere) Teil ihrer Aussagen vom 06./07. Juli, in denen sie einen begrenzten Teil-Rückzug unternahm, durch den mit Sarkozy befreundeten Staatanwalt Courroye – oder direkt durch Präsidentenberater Claude Guéant - an ,Le Monde’ und ,Le Figaro’ durchgereicht worden sind (vgl. ,Libération’ vom 16. Juli). 

Andere Angaben wurden jedoch durch ein Tagebuch der früheren Buchhalterin, das die Ermittler beschlagnahmen konnten, bestätigt. Den Teil-Rückzug der am Abend des o6. Juli erneut polizeilich befragten Dame nutzt nun das politische Lager des Präsidenten, um in die Offensive zu gehen und alle Vorwürfe als Lug & Trug hinzustellen. Doch am Freitag, o9. Juli kam heraus, dass in den vier Monaten vor der letzten französischen Präsidentschaftswahl vom April/Mai 2010 allein 388.000 Euro in bar nachweisbar von Konten der Bettencourts bei der Bank BNP-Paribas abgehoben wurden. (Vgl. http://www.lejdd.fr/ ) Dies förderten Einträge in den, durch die Ermittler beschlagnahmten, Tagebüchern Claire Thibouts zu Tage. Nun dürfte es erst einmal Erklärungsbedarf für den Verbleib dieser Summen geben, für die Friseur-Rechnungen der Madame Bettencourt dürften sie jedenfalls nicht vollständig draufgegangen sein. Seit dem heutigen Tage (16. Juli) kommen, laut einem Bericht des Wochenmagazins ,Marianne’, nochmals weitere 100.000 Bar-Abhebungen während der Wahlkampfzeit, in den ersten Jahresmonaten 2007, von einem Konto bei einer anderen Bank (Dexia) hinzu. Vgl. http://www.marianne2.fr/

Allerdings wurde die Glaubwürdigkeit der 52jährigen Claire Thibout inzwischen durch neueste Informationen des ,Canard enchaîné’ (vom 21. Juli 10) indirekt, aber erheblich geschwächt. Denn es stellte sich heraus, dass die Dame selbst in jüngerer Vergangenheit eine ordentliche Geldgier an den Tag legte – ihre langjährige Umgebung dürfte dabei auf sie abgefärbt haben – und sich ihre knapp 15 Dienstjahre, die sie im Hause von André & Liliane Bettencourt verbracht hat, quasi in Gold aufwiegen lassen wollte, als Madame sie nach dem Tod von Monsieur (André Bettencourt starb Ende 2007) zu kündigen anschickte. Claire Thibout verlangte eine Million. Nun kam durch den ,Canard’ heraus, dass sie zwar 500.000 Euro von Madame Bettencourt erhielt, aber auch zusätzliche 400.000 Euro, die ihr durch deren Tochter Françoise Meyrs-Bettencourt zugesteckt wurden. Angeblich, um einen testamentarischen „Letzten Willen“ des toten Vaters zu vollstrecken. Da die jeweiligen Clans rund um Mutter und Tochter auf das Heftigste miteinander zerstritten sind, wird dies jedoch durch die Kritiker der aktuellen Korruptionsvorwürfe an Bettencourt/Woerth/Sarkozy natürlich so ausgelegt werden, dass der ihnen feindliche Clan rund um „die Tochter“ die Ex-Buchhalterin in ihren Aussagen beeinflusst habe. Jene, die aktuell eine Verteidigungslinie rund um Eric Woerth und das Sarkozy-Lager zu ziehen versuchen, werden sich jedenfalls darauf berufen, um die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu erschüttern.

Staatsanwalt & Sarkozyfreund Courroye ermittelt – um die Affäre besser zu ersticken?

Am Freitag früh, o9. Juli fanden Hausdurchsuchungen u.a. bei Liliane Bettencourts Vermögensverwalter Patrice de Maistre statt. Am Donnerstag, den 15. Juli wurden dann vier Personen in polizeilichen Gewahrsam genommmen und durch die Finanzinspektion (Steuerfahndung) verhört. Sie blieben bis am Freitag Abend gegen 20.45 Uhr in den Händen der Polizei. Es handelte sich um Patrice de Maistre, den Vermögensverwalter und Finanzberater der Bettencourt ; ihren Gefährten François-Marie Banier ; einen von de Maistres unzähligen früheren Steuerberatern, den Anwalt und Steuerrechtsexperten Fabrice Goguel ; und den frühere Verwalter der Seychellen-Insel Arros, mit Namen Carlos Vejerano.

Allerdings scheint die Sache einen ziemlich dicken Haken zu haben : Der zuständige Staatsanwalt, der die Ermittlungen führt, ist der in Nanterre ansässige Philippe Courroye. In einem Interview mit der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ (das in ihrer Ausgabe vom 16. Juli 10 erschien, vgl. http://abonnes.lemonde.fr) erhebt die frühere Untersuchungsrichterin und mutmabliche künftige grüne Präsiderntschaftskandidatin Eva Joly – die in den neunziger Jahren den Riesenskandal um den Erdölkonzern ELF Aquitaine, der ab 1994 losging, aushob – schwere Vorwürfe gegen ihren früheren Kollegen Courroye. Letzterer, der sich einer persönlichen Freundschaft zu Nicolas Sarkozy rühmt, tue in Wirklichkeit (laut Eva Joly) so ziemlich Alles, um die Angeklagten in Wirklichkeit zu schützen : vorher angekündigte Durchsuchungen, Verfahrensfehler, Beihilfe zum Vernichten von Beweisen…

Auch die Tageszeitung ,Libération’ (Ausgabe vom 16. o7. 10) erblickt die Aufgabe dieses Staatsanwalts eher darin, « den Brand einzugrenzen » und der ebenfalls zu der Sache ermittelnden, aktiven Untersuchungsrichterin Isabelle Prévost-Desprez das Wasser – Vorsitzende der 15. Strafkammer am Gericht von Nanterre - abzugraben.

Zu den Ungereimtheiten (auf die wiederum Eva Joly in ihrem am Vorabend publizierten Interview in ,Le Monde’ hinweist) zählt dabei, dass zwar eine Richterin, aber nicht ein Staatsanwalt internationale Amtshilfe etwa in der Schweiz für die Untersuchung von dort ansässigen Konten beantragen kann. Unbewusst oder bewusst sabotiert Staatsanwalt Courroye auf diese Weise also Teile der Ermittlungen. Ferner sei darauf hingewiesen, dass Staatsanwälte im französischen Recht an Weisungen aus dem Justizministerium gebunden sind, nicht aber Richter/innen. Auch deswegen plante die Regierung ja auch, das Amt des/r Untersuchtungsrichters/richterin abzuschaffen und die Ermittlungen nur noch auf die Staatsanwaltschaften zu übertragen. (Vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0310/t380310.html) Diese höchst umstrittene « Reform » wurde jedoch infolge der schweren Niederlage der Konservativen bei den Regionalparlamentswahlen, im März 10, durch Justizministerin Michèlle Aliot-Marie auf unbestimmte Zeit verschoben (und vorläufig beerdigt). Staatsanwalt Courroye bemüht sich jedoch eifrig, diesen „Reform“plänen schon einmal in der Praxis vorzugreifen… manche bezeichnen Courroye auch spöttisch als einen « Courroye de transmission » (vom Ausdruck ,courroie de transmission’, für Transmissionsriemen), nämlich des Elyséepalasts; vgl. http://www.mediapart.fr/oder http://www.lepost.fr/

Unterdessen berichtete allerdings die Enthüllungs- (und Satire-)Zeitung ,Canard enchaîné’ in ihrer Ausgabe vom Mittwoch, 14. Juli, das Präsidentenlager mache sich Sorgen darüber, dass Courroye zunehmend unkontrollierbar agiere. Nebelkerzen oder reale Befürchtungen? Fakt ist jedenfalls – wie auch ,Libération’ vom 16. Juli schrieb -, dass jene Fakten, die die Ermittlung von Staatsanwalt Courroye ihrerseits zu Tage fördert, jedenfalls nicht mehr unter den Teppich gekehrt oder ungeschehen gemacht werden können. Die zuletzt zitierte Tageszeitung spricht lediglich von einer Strategie der „Brandbegrenzung“, die darauf hinausläuft, einige Zonen (unter Kontrolle) abbrennen zu lassen, um noch schlimmere Schäden aus Sicht des Regierungslagers zu verhindern.  

Andererseits wirft u.a. Eva Joly dem (nicht über)eifrigen Staatsanwalt Courroye vor, dass er bislang eben nur „Vorermittlungen“ – im französischen Originalausdruck ,une enquête préliminaire’ – führt. In diesem Rahmen wurden die vier Protagonisten am Doennerstag/Freitag, 15. und 16. Juli wegen des Verdachts auf Steuerdelikte vernommen. Solche Vorermittlungen sind als solche qua Verfahrensregeln nicht dazu bestimmt, unmittelbar ein Strafverfahren zu eröffnen. Alternativ könnte er auch eine Ermittlungen führen, die ein offizielles Strafverfahren einleiten, französisch hiebe das dann ,une information judicaire’. Nur würden in diesem Falle die ermittelten Fakten irgendwann auf dem Tisch eines Richters oder einer Richterin landen. Genau dies scheint Courroye bislang vermeiden zu wollen, um die Richterschaft daran zu hindern, ihre eigenen Aufgaben in Sachen Bettencourt-Affäre wahrzunehmen. Aus Furcht um seine Machtvollkommenheit, oder aber, um effektive Untersuchungen zu sabotieren?

In einem Interview mit ,Le Monde’ vom 13. Juli rechtfertigt Courroye sein Vorgehen jedenfalls damit, dass er „keinerlei Grund“ (,aucune raison’) habe, eine ,information judiciaire’ zu eröffnen; d.h. ein Strafverfahren unter Einschaltung eines Gerichts einzuleiten. (Vgl. dazu auch ,Libération’ vom 19. Juli, unter der Artikelüberschrift „Eric Woerth umzingelt, Philippe Courroye stur“). Welche Rolle der Staatsanwalt dabei also genau spielt, bleibt bislang reichlich undurchsichtig. An dem Punkt scheint die Sache jedoch ziemlich gewaltig zu stinken.

Untersuchungsrichterin Isabelle Prévost-Desprez setzte unterdessen ihrerseits zur Gegenoffensive an. Am 16. Juli 10 lieb sie mehrere Stunden lang die Ex-Buchhalterin von André und Liliane Bettencourt, Claire Thibout, in ihrem Büro aussagen. Die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ übertitelte ihre Ausgabe vom 22. Juli 10 – die am Abend des Mittwoch, 21. Juli herauskam – deswegen ,La guerre des magistrats’ („Der Krieg der Richter & Staatsanwälte“) und spricht von einer „Herausforderung“ von Staatsanwalt Courroye durch Untersuchungsrichterin Prévost-Desprez. 

Wo genau der Hase entlang läuft, bleibt also abzuwarten: Wirft der derzeit sehr aktiv auftretende Staatsanwalt nur Nebelgranaten, oder treibt er tatsächlich – u.U. auch gegen seine Absichten - brauchbare Ermittlungen voran? Die nahe Zukunft wird uns vielleicht ein bisschen Aufschluss darüber geben. Bis dahin jedenfalls bleiben Zweifel angebracht, denn in den durch ,Médiapart’ publizierten Tonbandaufzeichnungen (vgl. oben) wird Courroye durch Patrice de Maistre und dessen Anwalt in einem Gespräch als verbündetes Element dargestellt. Bei dem Rechtsanwalt handelt es sich um Georges Kiejman, einen frühere Hofschranze am Hofe des republikanischen Monarchen François Miterrand, unter dem er auch als „Informationsminister“ amtiert hat. 

Es war eben jener Philippe Courroye, der eine (am 19. Dezember 2007 eingereichte) Klage der Tochter Françoise Bettencourt-Meyers wegen Vertrauensmissbrauchs und Veruntreuung des Vermögens ihrer Mutter durch deren Umgebung abgeheftet und das dazu eröffnete Ermittlungsverfahren am 22. September 2009 eingestellt hatte. 

Neue Details 

Auf neue Enthüllungen  & Erkenntnisse dürfen wir gespannt bleiben. In ihrer Ausgabe vom Freitag, den 16. Juli berichtet die Zeitung ,Le Monde’, dass Bettencourts früherer Hausverwalter Pascal Bonnefoy und ihre frühere Sekretärin Chantal Trovel – von 1997 bis 2007 im Hause beschäftigt – die Übergabe von dicken Geldbündeln in bar, « in braunen DIN A 5-Umschlägen », an eine Reihe von Politikern bestätigen. Die Angestellten waren nicht unmittelbar Augenzeugen von Übergabeszenen, aber sie sahen vor allem in Wahlkampfzeiten den Reigen von ein- und ausgehenden Politikern, und André Bettencourt bestätigte ihnen gegenüber mündlich explizit den (finanziellen) Zweck ihres Auftauchens. Die Szenerie reicht von Eric Woerth und den UMP-Politiker Pierre Lellouche bis zum Fernseh'philosophen’ Bernard-Henri Lévy. Auch das Ehepaar Chirac ging demnach ein und aus, allerdings eher zu einem Zeitpunkt, als Jacques C. seine politische Karriere schon eher hinter sich hatte. 

Auf einer anderen Flanke wird Eric Woerth attackiert, seitdem der ,Canard enchaîné’ am 14. Juli 10 berichtete, dass er – sechs Tage vor seinem Abgang aus dem Haushaltsministerium – eine riesige Pferderennbahn (das Hippodrome de Compiègne, rund 50 Kilometer nördlich von Paris, mit einem Gelände von 57 Hektar) für den Spottpreis von gut 2 Millionen Euro, einem Zehntel des üblichen Kaufpreises, an Freunde verscherbelt hat. Seine Ehefrau Florence Woerth ist übrigens Besitzerin eines Rennpferdestalls in Chantilly – einem Pariser Reichen-Vorort, dessen Bürgermeister ihr werter Gatte Eric W. ist -  und in diesem Geschäft, welches das Kontakteknüpfen in hohen Bourgeoiskreisen erlaubt, sehr aktiv. 

Auf diesem Nebenkriegsschauplatz verteidigte die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ (in ihrer Ausgabe vom 21. Juli 10, die am Nachmittag/Abend des 20. 07. erschien) dann doch noch Eric Woerth: Der Kaufpreis für das Gelände rund um die Pferdelaufbahn von Compiègne sei nicht unterbewertet gewesen, wie der ,Canard enchaîné’ knapp eine Woche zuvor schrieb, sondern entspreche ungefähr dem üblichen Kaufpreis für ein Waldstück. (Vgl. auch http://www.slate.fr/ ) Am darauf folgenden Tag attackierte der ,Canard enchaîné’ erneut und ging zum Gegenangriff über: Es handelte sich um ein bebautes und weiter bebaubares Grundstück (und nicht einfach einen Wald) von hohem Wert. Unterdessen steht fest, dass, wie sowohl ,Le Monde’ auch als der ,Canard’ einvernehmlich feststellten, dass weitere Seltsamkeiten in dem Dossier auftauchten. So hätte die Stadt Compiègne rechtlich ein Vorkaufsrecht gehabt, und den Verkauf des Geländes an den Pferderennclub also verhindern können. Doch informierte der zuständige Minister Eric Woerth den Club-Präsidenten am 29. Oktober 09 vom definitiven Vollzug des An- bzw. Verkaufs der Hektar, Wochen bevor das Rathaus von Compiègne im Dezember 2009 auf ihr Vorkaufsrecht verzichtete. Der UMP-Bürgermeister von Compiègne ebenso wie die Damen & Herren vom Pferderennclub sind jedoch persönlich mit Eric Woerth befreundet. Sehr vieles scheint hier also auf dem „kleinen Dienstweg“ angebahnt worden zu sein...

Ausblick 

Der Minister Eric Woerth beginnt seit Anfang Juli - und vor allem bis zur jüngst (am o8. Juli) einsetzten Gegenoffensive -, für das Regierungslager allmählich unhaltbar zu werden. Doch Woerth schloss schon am Dienstag, o6. Juli, einen Rücktritt kategorisch aus und bleibt seither bei diéser Position. Präsident Nicolas Sarkozy hält bis zur Stunde eisern an ihm fest. Premierminister François Fillon seinerseits beklagte eine « Menschenjagd » auf den armen Minister (s. http://www.lejdd.fr/), und das Regierungslager - u.a. in Gestalt des derzeitigen Haushaltsministers François Baroin - beschuldigt die sozialdemokratische Parlamentsopposition, aufgrund ihrer Kritik nur absichtlich die extreme Rechte zu stärken, um den Konservativen zu schaden (vgl. http://www.lejdd.fr). Die sozialistischen Abgeordneten waren am Nachmittag des 06. Juli, als symbolischer Protest aufgrund dieses Vorwurfs der bewussten Komplizenschaft mit der extremen Rechten, aus dem Parlament ausgezogen.  

Eric Woerth soll nach Auffassung Sarkozys seinen Kopf aus der Schlinge ziehen können, weil ein von ihm bestellter und am Sonntag Abend (11. Juli) publizierter Rapport des Direktors der Allgemeine Steuerinspektion (IGF) - die die Finanzämter kontrolliert - zum Schluss kommt, es seien keine Spuren einer Intervention des Ministers zugunsten der steuerlichen Situation von Liliane Bettencourt gefunden worden. Der Bericht, der im Rekordzeitraum von anderthalb Wochen - während derer 6.247 Steuerakten untersucht worden sein sollen - entstand, ist aber höchst umstritten. Er wird nicht durch die Steuerinspektion insgesamt, sondern nur durch ihren Direktor verantwortet. Dieser aber ist ein direkter Untergebener des Haushaltsministers, derzeit Woerths Nachfolger François Baroin (UMP) und kann von ihm je, frei nach politischer Entscheidung, jederzeit ausgetauscht werden. (Vgl. http://www.marianne2.fr) Ferner bestätigt der Rapport sogar ausdrüklich, dass Eric Woerth über die steuerliche Situation der Bettencourt „informiert“ war. Der Berichterstatter fand lediglich keinen schriftlichen Beleg für irgendeine schwarz auf weiß gegebene Anordnung Woerths in seiner Amtszeit als Haushaltsminister. Einen solch enormen Zufall konnte man aber wohl auch nicht vernünftiger Weise erwarten.  

Der Minister, der ursprünglich aus einem rechtskonservativ-monarchistischen Umfeld stammt, ist politisch schwer angeschlagen. Präsident Sarkozy steht sich aber nach wie vor eisern hinter ihm, aufgrund der strategischen Position, die Woerth derzeit besetzt. Dadurch droht sich aber die politische Krise zu verschärfen, weshalb das Regierungslager schon jetzt die extreme Rechte aufzublasen versucht - die wohl statt der Linksopposition gestärkt werden soll, um notfalls längerfristig über einen Bündnispartner zu verfügen.

Woerth dürfte in naher Zukunft jedenfalls wachsende Schwierigkeiten dabei haben, den „kleinen Leuten“ die Notwendigkeit des „Verzichts“ und des Abbaus sozialer Garantien nahe zu bringen. (Vgl. auch http://abonnes.lemonde.fr/) 

IN LETZTER  MINUTE 

Wie kurz vor Fertigstellung dieses Artikels bekannt wurde, wird die „Bettencourt-Affäre“ nun in Bälde auch noch verfilmt werden. In naher Zukunft möchte der Regisseur Michel Hazanavicius nun einen Kinofilm daraus machen und, nach Ausarbeitung des Drehbuchs, im Sommer 2011 die Dreharbeiten dazu vornehmen. Um Liliane Bettencourt in der Hauptrolle zu spielen, hat er an Jeanne Moreau gedacht. (Vgl. http://actu.orange.fr/).

Anmerkungen
 

[1] Zum sonstigen Inhalt von Nicolas Sarkozys Ausführungen in der rund einstündigen Sendung, vgl. von unterschiedlichen Standpunkten aus betrachtet: http://www.filoche.net/ oder http://www.ripostelaique.com
[2] Joyandet hatte bis dahin und seit Anfang des Jahres 2008 die neokoloniale Afrikapolitik Frankreichs als „Staatssekretär für Kooperation“ (deutsch: ungefähr „für Entwicklungszusammenarbeit“) exekutiert. Die Ausübung dieses Amts war jedoch nicht Gegenstand der Kritik in den Medien und von der Staatsspitze aus, die ihn letztlich das Amt kostete. Ihm wird ferner vorgeworfen, für knapp 117.000 Euro einen Privatjet angemietet zu haben, als er sich Ende März dieses Jahres auf die französische Antilleninsel La Martinique begab. Dort fand eine – lange genug vorher angekündigte - Konferenz zum Umgang mit dem bitterarmen, vom Erdbeben am 12. Januar verwüsteten Karibikstaat Haiti statt. La Martinique wird täglich von französischen Linienflügen angesteuert. (Vgl. bspw. http://www.lepost.fr/
[3] Clymène ist in der altgriechischen Sage die Tochter der Meeresgöttin Thetys. « Thétys » wiederum ist im Zusammenhang mit den Dingen, die uns heute an diéser Stelle interessieren, der Name jenes Investmentfonds, der ausschlieblich im persönlichen Eigentum von Liliane Bettencourt steht und an den die Aktionärsdividenden dieser Hauptaktionärin von L’Oréal flieben. (Vgl. dazu Ausführungen im oben stehenden Artikel) Leiter der Firma ist Patrice de Maistre, der seit dem Jahr das Vermögen der Familie Bettencourt verwaltet. Dessen andere Firma, Clymène, nimmt nachgeordnete Aufgaben in der Vermögensbetreuung und bei dem Versuch der Vermögensvermehrung wahr: Konjunkturanalysen, Entwerfen von Anlagestrategien...
 Laut Angaben von ,Le Monde’ (Ausgabe vom 21. o7. 10) übt Ministergattin Florence Woerth dort die Funktion einer Direktorin wahr, mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 200.000 Euro (davon 140.000 Euro Festgehalt und 60.000 Erfolgsprämie). Sie ist demnach einem Team zugeordnet, das Vermögenswerte in Höhe von 1,3 Milliarden Euro betreut.
[4] Der Chemiker Eugène Schueller hatte in den Jahren 1907 bis 1909 ein „revolutionäres“, weil gesundheitlich unschädliches Mittel zum Haarefärben erfunden. Er wurde dadurch reich und begründete die Firma L’Oréal, den späteren Weltkonzern.

 

[5] ZUR FRAGE EVENTUELLER ANTISEMITISCHER BEWEGGRÜNDE:  

So lautet jedenfalls eine These, die in einem Teil der Medienlandschaft und der Öffentlichkeit wiederholt vorgetragen wurde, siehe dazu u.a. ,Libération’ vom 15. 07. 10 und die dort publizierten Portraits zu den wichtigsten handelnden Personen. Allerdings ist auch diese Hypothese zweifellos mit Vorsicht anzufassen. Aus der Aufzählung von Personen, die bei den Diners im Hause von Liliane Bettencourt prominente Gäste waren – und von denen zumindest ein Teil mit Geldscheinen gefüllte Briefumschläge zugesteckt bekam – in ,Le Monde’ vom 16. Juli 10 ergibt sich, dass jedenfalls auch einzelne jüdische Prominente dazu gehörten. Die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ nennt den Abgeordneten Pierre Lellouche, Aubenpolitikexperte vom Atlantikerflügel der Regierungspartei UMP, sowie den TV-Dummphilosophen Bernard-Henri Lévy (BHL). Inzwischen scheint die Auswahl der Gäste nicht strikt antisemitischen Kriterien gehorcht zu haben.

Allerdings muss die Witwe und Tochter, Liliane Bettencourt, nicht in allen Punkten oder in aller Konsequenz die Ideologie ihres 1957 verstorbenen Vaters und ihres 2007 verstorbenen Ehemanns teilen. Doch die Serie der Diners fing beileibe nicht erst nach dem Ableben des Ehegatten André Bettencourt an. - Als Gegenargument zu der Idee, der frühere Nazikollaborateur André Bettencourt habe auch in jüngerer Vergangenheit noch nach antisemitischen Motiven gehandelt, wird auch angeführt, dass der jüdischstämmige Ehemann der Tochter (Jean-Pierre Meyers) u.a. 1987 in den Vorstand des durch die Familie kontrollierten Konzerns L’Oréal geholt wurde, und als stellvertretender Direktor der Familien-Holding Thétys – die heute das Vermögen von Liliane Bettencourt verwaltet – amtiert hat. Dort sitzt er heute nicht mehr, da die „Clans“ rund um die Mutter Liliane B. einerseits und um die Tochter Françoise Meyers-B. andererseits heute definitiv miteinander verkracht sind.

Es ist dabei durchaus denkbar, dass bei einer Figur wie André Bettencourt das Herrenmenschen inklusive Antisemitismus zwar historisch nie gewichen war, jedoch nach dem (für die Nazis ungünstigen Ausgang des Zweiten Weltkriegs) einem kalkulierenden Nutzdenken teilweise Platz machte: Sofern man sich vermeintliche „jüdische“ Eigenschaften wie „Geschäftstüchtigkeit“ selbst zunutze machen kann, soll man davon profitieren. Ähnlich, wie viele alte Nazis und Antisemiten sich aufgrund von dessen pro-westlicher militärpolitischer Rolle auch seit den 1950er und 60er Jahren positiv auf den Staat Israel bezogen (wobei Letzterer, aus ihrer Sicht, aber gefälligst auch die Juden aufnehmen und deren „Loswerden“ aus Europa erleichtern sollte).

Eines steht dabei unverrückbar fest: Rund um die Tochter und ihren Ehemann einerseits, die Mutter andererseits haben sich jeweils festgefügte Seilschaften oder „Clans“ herausgebildet. Allerdings scheinen die sich ehemals rund um den Vater, André Bettencourt, scharenden Figuren in diesem Spiel heute z.T. weitaus eher zur Tochter zu halten, wie die 1995 durch André Bettencourt angestellte und einige Monate nach dessen Tod (2008/09) dann durch die Witwe entlassene Buchhalterin Claire Thibout.

Dem Duo aus Tochter (Françoise Meyers-B.) und Schwiegersohn wird insbesondere vorgeworfen, anzuvisieren, ihren Anteil am Kapital von L’Oréal an den Schweizer Konzern Nestlé – der heute Miteigentümer in Höhe von 29,6 % der Anteile ist – veräubern zu wollen. Und dadurch zuzulassen, dass man den Kosmetikhersteller unter ausländische Kontrolle geraten lasse. Bis zum Jahr 2014 muss jede Veräuberung von Kapitalanteilen durch die Mutter (derzeit 30,8 %) bzw. auf Beschluss der Tochter & des Schwiegersohns (denen zusammen die Mutter ursprünglich, vor dem Streit, rund vierzig Prozent ihrer eigenen Anteile überlieb) oder durch Nestlé jeweils den beiden anderen Parteien zuerst angeboten werden. Nur im Falle einer Nichtannahme dieses Angebots können Aktienanteile auf dem Kapitalmarkt an Dritte, an Aubenstehende verkauft werden.

Auf solche finsteren Pläne des Verkaufs „ans Ausland“ verweist etwa der, durch die Tochter mit Hass & Abneigung bedachte, Günstling von Liliane Bettencourt: ihr kultureller Schöngeist François-Marie Banier, in einem Pressekommuniqué vom 03. März 2010. Diese „Horror“vorstellung dient etwa Präsident Nicolas Sarkozy dazu, seine Parteinahme zugunsten des Clans um die Mutter & Milliardärin – Liliane Bettencourt – im Namen eines angeblichen nationalen Interesses zu rechtfertigten. (Vgl. auch http://www.lexpress.fr

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.