Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Aktivisten des Front National wegen Körperverletzung vor Gericht
Bruno Gollnisch, Vizepräsident der Partei, unterstützt sie im Prozess. Urteilt fällt am 10. August 2010

7-8/10

trend
onlinezeitung

Am 29. 06. 2010 fand in Villefranche-sur-Saône (im Département Rhône, dem Bezirk von und um Lyon) der Prozess gegen zwei Aktivisten des Front National statt. Den beiden Plakatklebern der rechtsextremen Partei wird „Körperverletzung“ und „bewaffnete Zusammenrottung“ vorgeworfen, weil sie am 11. April 2007 in Thizy (im selben Département) zwei Jugendliche – migrantischer Herkunft – anlässlich eines Streits zusammenschlugen und verletzten.

An jenem 11. April 2007 befand Frankreich sich im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen von Ende April und Anfang Mai, sowie für die Parlamentswahl im Juni desselben Jahres. Am fraglichen Tag befanden mehrere FN-Anhänger sich an Bord zweier mit französischen Nationalfahnen bestückter Fahrzeuge, um den Wahlkampf des rechtsextremen Parlamentskandidaten Geoffroy Daquin zu unterstützen. In Thizy trafen die beiden Autos auf einen Jugendlichen, Amaël, der die Straßenfahrbahn auf einem Zebrastreifen überquerte. Wie er selbst anlässlich des Prozesses einräumte, ging er „mit provozierender Langsamkeit“ vor den Fahrzeugen, die ihrerseits ohne anzuhalten auf den Zebrastreifen zurollten, über die Straße. Der Fahrer des ersten Autos versuchte den jungen Mann dadurch zu beeindrucken, dass er den Motor aufheulen ließ, während Amaël sich schützend mit den Händen auf die Motorhaube abstützte. Amaël wurde durch das Auto mehrere Meter weit geschoben und schlug daraufhin dessen vordere linke Scheibe ein. (Weshalb er selbst jetzt wegen Sachbeschädigung angeklagt wurde.)

Dies wurde zum Anlass dafür, dass die Anhänger der rechtsextremen Partei ausstiegen und ihn sowie einen weiteren jungen Mann „mit Migrationshintergrund“, der zu dem Zeitpunkt anwesend war, Raschid, zusammenschlugen. Dabei setzten sie einen Stock (der normalerweise zum Umrühren von Kleister dient, wie sie vor Gericht ausführten), eine Fahnenstange und mehrere innen hohle Eisenstangen oder –Röhren – die sonst zum Plakatebefestigen benutzt werden – ein. Amaël erhielt einen Tritt ins Gesicht, aufgrund dessen er einen Kieferbruch und 64 Tage Arbeitsunfähigkeit davontrug. Raschid, der sich einer der Nationalflaggen auf dem Auto bemächtigt hatte, wurde diese zu entreißen versucht. Dabei, aber auch bei anschließenden Prügeln mit der Fahnenstange, wurde er an der Stirn verletzt und holte sich eine bis heute deutlich sichtbare breite Narbe.

Aufgrund dieses Vorfalls wurden nun zwei der Plakatkleber des FN, „Bruno“ und „Renaud“, im Hauptberuf Busfahrer respektive Sozialarbeiter/Erzieher, vor Gericht gestellt. Einer von ihnen, circa fünfzigjährig, hatte zuvor sechs Jahre in der Fremdenlegion verbracht. Ihnen wurde bewaffnete Zusammenrottung, aufgrund des Einsatzes der mitgeführten Eisenstäbe und eines Stocks als Waffe, und Körperverletzung vorgeworfen.

Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, auf Notwehr zu erkennen, wofür die Verteidigung plädiert hatte. Und forderte zwölf Monate Haft (davon die Hälfte auf Bewährung) im einen Falle, acht Monate Haft (davon die Hälfte zur Bewährung ausgesetzt) im anderen. Das Urteil wird für den 10. August dieses Jahres erwartet.


FN-Prominenz


Anlässlich des Prozesses tauchte auch der in Lyon ansässige Vizepräsident des FN, Bruno Gollnisch, auf. Der Europarparlaments-Abgeordnete ist seit dem 1. Juli dieses Jahres nun auch offiziell einer von zwei Bewerbern (neben Marine Le Pen) für den Parteivorsitz, die sich qualifizieren konnten, um auf dem Parteitag am 15./16. Januar 2011 in Tours um die Nachfolge Jean-Marie Le Pens zu kandidieren. Eine Wahl Gollnischs muss dabei jedoch als unwahrscheinlich gelten. – Bruno Gollnisch, der an jenem 11. April 2007 zu späterer Stunde ebenfalls nach Thizy kommen sollte, war nicht Augenzeuge der Streitszenen bzw. Schlägerei gewesen. Er wollte aber als Zeuge der Verteidigung zugunsten der beiden angeklagten Parteimitglieder auftreten. Sein Hauptargument (das er vor den anwesenden Journalisten abspulte) lautete: „Wie(so) hätten die Parteimitglieder sich daneben benehmen sollen/können, wo sie doch wussten, dass sie von einem Europaparlamentarier“ – also ihm selbst – „erwartet wurden?“ Der Vorsitzende Richter, Gérard Canolle, lehnte es jedoch ab, Gollnisch als Zeuge zuzulassen oder im Prozess anzuhören. Entschlossen forderte er ihn in der Verhandlung zum Schweigen auf.


Präzedenzfälle


Nicht zum ersten Mal sind Plakatkleber des FN in Gewalttaten verwickelt (schon im Parlamentswahlkampf 1986 hatten sie einen Toten zu verantworten), und nicht zum ersten Mal findet ein Prozess deswegen statt. Auch nicht zum ersten Mal tritt Prominenz der rechtsextreme Partei vor Gericht auf, um für gewalttätig gewordene Plakatkleber auszusagen. Im Juni 1998 beispielsweise trat der damalige Chefideologe und „Nummer Zwei“ des FN, Bruno Mégret, höchstpersönlich in einem Prozess in Aix-en-Provence auf. Damals ging es um Plakatkleber des FN, die im Februar 1995 in Marseille - im damaligen Präsidentschaftswahlkampf - den 17jährigen Rapsänger (komorischer Herkunft) Ibrahim Ali nächtens erschossen hatten. „In Notwehr“, wie sie behaupteten. Schon kurz nach der Tat hatte Mégret behauptet, die Plakatkleber seien „angegriffen“ worden, die Ursache dafür sei „die unkontrollierte Massenzuwanderung“; und „falls unsere Plakatkleber nicht bewaffnet (gewesen) wären, dann wären sie jetzt wahrscheinlich tot“. Das 17jährige Opfer war nicht bewaffnet gewesen, sondern war spät abends zum letzten Bus gelaufen. Der damalige Todesschütze, Robert Lagier, wurde im Prozess zu 15 Jahren Haft verurteilt und starb später im Gefängnis. Mario d’Ambrosio, der selbst mehrere Schüsse abgefeuert hatte, erhielt 10 Jahre Haft und wurde nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis durch das rechtsextrem geführte Rathaus von Vitrolles – dessen Bürgermeisterin damals Bruno Mégrets Ehefrau Catherine war – angestellt. Pierre Giglio, der die Plakatklebergruppe angeführt hatte, erhielt damals zwei Jahre Haft (davon eines auf Bewährung) wegen illegalen Waffenbesitzes.


Zu dem jüngsten Prozess im Lyoner Umland vom 29. Juni 10 vgl. auch folgende Video-Ausschnitte:

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.