Am
29. 06. 2010 fand in Villefranche-sur-Saône (im Département
Rhône, dem Bezirk von und um Lyon) der Prozess gegen zwei
Aktivisten des Front National statt. Den beiden Plakatklebern
der rechtsextremen Partei wird „Körperverletzung“ und
„bewaffnete Zusammenrottung“ vorgeworfen, weil sie am 11.
April 2007 in Thizy (im selben Département) zwei Jugendliche –
migrantischer Herkunft – anlässlich eines Streits
zusammenschlugen und verletzten.
An jenem 11. April 2007 befand Frankreich sich im Wahlkampf
für die Präsidentschaftswahlen von Ende April und Anfang Mai,
sowie für die Parlamentswahl im Juni desselben Jahres. Am
fraglichen Tag befanden mehrere FN-Anhänger sich an Bord
zweier mit französischen Nationalfahnen bestückter Fahrzeuge,
um den Wahlkampf des rechtsextremen Parlamentskandidaten
Geoffroy Daquin zu unterstützen. In Thizy trafen die beiden
Autos auf einen Jugendlichen, Amaël, der die Straßenfahrbahn
auf einem Zebrastreifen überquerte. Wie er selbst anlässlich
des Prozesses einräumte, ging er „mit provozierender
Langsamkeit“ vor den Fahrzeugen, die ihrerseits ohne
anzuhalten auf den Zebrastreifen zurollten, über die Straße.
Der Fahrer des ersten Autos versuchte den jungen Mann dadurch
zu beeindrucken, dass er den Motor aufheulen ließ, während
Amaël sich schützend mit den Händen auf die Motorhaube
abstützte. Amaël wurde durch das Auto mehrere Meter weit
geschoben und schlug daraufhin dessen vordere linke Scheibe
ein. (Weshalb er selbst jetzt wegen Sachbeschädigung angeklagt
wurde.)
Dies wurde zum Anlass dafür, dass die Anhänger der
rechtsextremen Partei ausstiegen und ihn sowie einen weiteren
jungen Mann „mit Migrationshintergrund“, der zu dem Zeitpunkt
anwesend war, Raschid, zusammenschlugen. Dabei setzten sie
einen Stock (der normalerweise zum Umrühren von Kleister
dient, wie sie vor Gericht ausführten), eine Fahnenstange und
mehrere innen hohle Eisenstangen oder –Röhren – die sonst zum
Plakatebefestigen benutzt werden – ein. Amaël erhielt einen
Tritt ins Gesicht, aufgrund dessen er einen Kieferbruch und 64
Tage Arbeitsunfähigkeit davontrug. Raschid, der sich einer der
Nationalflaggen auf dem Auto bemächtigt hatte, wurde diese zu
entreißen versucht. Dabei, aber auch bei anschließenden
Prügeln mit der Fahnenstange, wurde er an der Stirn verletzt
und holte sich eine bis heute deutlich sichtbare breite Narbe.
Aufgrund dieses Vorfalls wurden nun zwei der Plakatkleber des
FN, „Bruno“ und „Renaud“, im Hauptberuf Busfahrer respektive
Sozialarbeiter/Erzieher, vor Gericht gestellt. Einer von
ihnen, circa fünfzigjährig, hatte zuvor sechs Jahre in der
Fremdenlegion verbracht. Ihnen wurde bewaffnete
Zusammenrottung, aufgrund des Einsatzes der mitgeführten
Eisenstäbe und eines Stocks als Waffe, und Körperverletzung
vorgeworfen.
Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, auf Notwehr zu erkennen,
wofür die Verteidigung plädiert hatte. Und forderte zwölf
Monate Haft (davon die Hälfte auf Bewährung) im einen Falle,
acht Monate Haft (davon die Hälfte zur Bewährung ausgesetzt)
im anderen. Das Urteil wird für den 10. August dieses Jahres
erwartet.
FN-Prominenz
Anlässlich des Prozesses tauchte auch der in Lyon ansässige
Vizepräsident des FN, Bruno Gollnisch, auf. Der
Europarparlaments-Abgeordnete ist seit dem 1. Juli dieses
Jahres nun auch offiziell einer von zwei Bewerbern (neben
Marine Le Pen) für den Parteivorsitz, die sich qualifizieren
konnten, um auf dem Parteitag am 15./16. Januar 2011 in Tours
um die Nachfolge Jean-Marie Le Pens zu kandidieren. Eine Wahl
Gollnischs muss dabei jedoch als unwahrscheinlich gelten. –
Bruno Gollnisch, der an jenem 11. April 2007 zu späterer
Stunde ebenfalls nach Thizy kommen sollte, war nicht
Augenzeuge der Streitszenen bzw. Schlägerei gewesen. Er wollte
aber als Zeuge der Verteidigung zugunsten der beiden
angeklagten Parteimitglieder auftreten. Sein Hauptargument
(das er vor den anwesenden Journalisten abspulte) lautete: „Wie(so)
hätten die Parteimitglieder sich daneben benehmen
sollen/können, wo sie doch wussten, dass sie von einem
Europaparlamentarier“ – also ihm selbst – „erwartet wurden?“
Der Vorsitzende Richter, Gérard Canolle, lehnte es jedoch ab,
Gollnisch als Zeuge zuzulassen oder im Prozess anzuhören.
Entschlossen forderte er ihn in der Verhandlung zum Schweigen
auf.
Präzedenzfälle
Nicht zum ersten Mal sind Plakatkleber des FN in Gewalttaten
verwickelt (schon im Parlamentswahlkampf 1986 hatten sie einen
Toten zu verantworten), und nicht zum ersten Mal findet ein
Prozess deswegen statt. Auch nicht zum ersten Mal tritt
Prominenz der rechtsextreme Partei vor Gericht auf, um für
gewalttätig gewordene Plakatkleber auszusagen. Im Juni 1998
beispielsweise trat der damalige Chefideologe und „Nummer
Zwei“ des FN, Bruno Mégret, höchstpersönlich in einem Prozess
in Aix-en-Provence auf. Damals ging es um Plakatkleber des FN,
die im Februar 1995 in Marseille - im damaligen
Präsidentschaftswahlkampf - den 17jährigen Rapsänger (komorischer
Herkunft) Ibrahim Ali nächtens erschossen hatten. „In
Notwehr“, wie sie behaupteten. Schon kurz nach der Tat hatte
Mégret behauptet, die Plakatkleber seien „angegriffen“ worden,
die Ursache dafür sei „die unkontrollierte Massenzuwanderung“;
und „falls unsere Plakatkleber nicht bewaffnet (gewesen)
wären, dann wären sie jetzt wahrscheinlich tot“. Das 17jährige
Opfer war nicht bewaffnet gewesen, sondern war spät abends zum
letzten Bus gelaufen. Der damalige Todesschütze, Robert Lagier,
wurde im Prozess zu 15 Jahren Haft verurteilt und starb später
im Gefängnis. Mario d’Ambrosio, der selbst mehrere Schüsse
abgefeuert hatte, erhielt 10 Jahre Haft und wurde nach seiner
Entlassung aus dem Gefängnis durch das rechtsextrem geführte
Rathaus von Vitrolles – dessen Bürgermeisterin damals Bruno
Mégrets Ehefrau Catherine war – angestellt. Pierre Giglio, der
die Plakatklebergruppe angeführt hatte, erhielt damals zwei
Jahre Haft (davon eines auf Bewährung) wegen illegalen
Waffenbesitzes.
Zu dem jüngsten Prozess im Lyoner Umland vom 29. Juni 10
vgl. auch folgende Video-Ausschnitte:
Editorische Anmerkung
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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