Zwischen Selbstunterwerfung
und prekären Kämpfen

"Souveränitäten – von Staatsmenschen & Staatsmaschinen"

besprochen von Peter Nowak

7-8/10

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Spätestens in der aktuellen Krise wird wieder nach dem starken Staat gerufen, der die Banken und auch machen Konzern retten soll. Haben sich all die linken Theoretiker vor der Wirklichkeit blamiert, die angesichts der Globalisierung davon sprachen, dass die Staaten an Bedeutung verlieren? Und welche Bedeutung haben in dieser Situation soziale Kämpfe?

Um diese Fragen drehen sich die 10 Aufsätze, die in dem Sammelband „Souveränitäten“ versammelt sind, die von der Berliner Jour-Fixe-Initiative herausgeben wird. Sie organisiert seit Jahren Veranstaltungen zu aktuellen Themen auf hohem theoretischem Niveau und publiziert die Referate einmal jährlich in einem Buch im Unrast-Verlag.
Mehrere Aufsätze drehen sich um das Staatsverständnis von Lenin und den Bolschewiki. Bini Adamczak hat die mehr als hundert Jahre alten Debatten zwischen Kautsky, Lenin und Trotzki neu gelesen und interpretiert. Als Quelle diente ihr ein im Jahr 1990 im Dietz-Verlag erschienenes Buch. Anders in blieb Sie blieb in ihrer Ablehnung revolutionärer Gewalt hinter den Erkenntnissen zurück, die sich in ihren früheren im Unrast-Verlag erschienenen Bücher zum Kommunismus finden. „Müsste eine kommunistische Politik ihre Formulierung in der Metatheorie der Politik nicht zu sprengen versuchen?“ Dass ist sicher eine wichtige Frage, war aber in der frühen Sowjetunion für die Bolschewiki nicht das vorrangige Problem.

Michael Koltan nimmt sich ebenfalls ein historisches Thema, das Verhältnis zwischen den Räten und der Bolschewiki nach der Oktoberrevolution, vor und unterzieht dazu Lenins berühmte Schrift „Staat und Revolution“ dabei einer gründlichen Analyse. Anders als Adamczak ging er dabei auch auf die konkrete historische Analyse ein.

Jamme(r) n auf hohen Niveau …

Der kürzlich verstorbene französische Philosoph Daniel Bensaid, dem die Herausgeber das Buch gewidmet haben, setzt sich in seinen letzten Text kritisch mit verschiedenen linken Theorien zur Staatstheorie – und –kritik von David Harvey, Antonio Negri bis zu John Holloway auseinander.

Theoretisch unterkomplex hingegen ist der Aufsatz des französischen Philosophen Alan Brossat, der das größte Problem in einer Regierung sieht, „die diejenigen nicht mehr loslässt, die sie regiert, und deren Ideal darin besteht“ … gegen die Unbeschwertheit zu erreichten.“ Bei Brossat scheint sich Macht und Staat letztlich auf die Bosheit der Politiker zu reduzieren. Ebenso diffus ist das Plädoyer des Hallenser Soziologen Ulrich Bröckling für „eine andere Souveränität“. Seine „Widerstände im kybernetischen Kapitalismus“ erschöpfen sich in dem Vorschlag: „Anders zu sein, schließt Verweigerung ebenso ein, wie die Verweigerung der Verweigerung“. Da kann man tagsüber seine ID-Firma gewerkschaftsfrei halten und abends zum Tocotronic-Konzert gehen. Denn, so Bröckling, „die Vorstellung von sozialen Kämpfe, gar Klassenkämpfen im Feld der Arbeit werden in der Totalität des Sogs in die Selbstunterdrückung erstickt“. Mit Rückgriff auf die Musik schreibt Bröckling: „Gefordert ist Improvisation statt Komposition, und jeder Jazzmusiker weiß, wie viel Übung, Erfahrung und kollektive Abstimmung es braucht, um zu jammen“. Bröcklings Beitrag zeigt, wie viel Hantieren mit angesagten Soziologen und Kulturwissenschaftlern es braucht, um auf zugegeben hohem Niveau zu jammern.

oder Bündnis der Emmelys dieser Welt

Danach dürfte es die Emmelys dieser Welt gar nicht mehr geben, für die die Nürnberger Soziologin Ingrid Artus eine Lanze bricht. Sie stellt den Kampf einer Berliner Kaiser’s-Kassiererin gegen ihre Kündigung wegen eines angeblich falschabgerechneten Flaschenbon in Höhe von 1,30 Euro in den Mittelpunkt ihres Aufsatzes über „Prekäre Kämpfe. Bei Drucklegung hatte die als Emmely bekannt gewordene Frau ihren Kampf noch nicht gewonnen. Nach ihrem Erfolg ist Artus Fazit noch aktueller: „Die wichtigste Wache des neuen Prekariats ist sicherlich dieselbe wie die des alten Proletariats: Solidarität“.
 
 

Jour fixe Initiative Berlin (Hg.):
Souveränitäten
Von Staatsmenschen & Staatsmaschinen
Münster 2010, 202 Seiten,
broschürt, 16 Euro.,
Unrast-Verlag, ISBN: 978-3-89771-503-5