Ein Kommentar
Hubertus Knabe schnappt langsam über


von Anne Seeck

7-8/10

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Die Linkspartei darf überwacht werden, damit hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Klage vom Fraktionschef der Thüringer Linken Bodo Ramelow abgewiesen. Eine “offene Beobachtung” sei gerechtfertigt, d.h. die Sammlung von Informationen aus Zeitungen und anderen öffentlich zugänglichen Materialien ohne Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Daraufhin erklärte der Historiker und wissenschaftliche Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe am 25.7.2010 dem Nachrichtenmagazin FOCUS, dass die Linkspartei mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden sollte. Die Linkspartei predige im “Hinterzimmer die Revolution” und kämpfe für einen “Systemwechsel”.

Hubertus Knabes Feindbild ist die Linkspartei, das hat er mit seinem Buch “Honeckers Erben” von 2009 untermauert. Dabei ist die Linkspartei, jedenfalls dort wo sie an der Macht ist, längst im Kapitalismus angekommen. Sie macht mit bei der Sparpolitik und allem, was im Kapitalismus so an der Tagesordnung ist. Im Berliner Stadtbezirk Neukölln protestierten die Grünen und nicht “Die Linke” gegen eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus, was zur Auflösung der Zählgemeinschaft von SPD, Grünen und Linken führte. Im Bund übt sich die Partei noch in verbaler Radikalkritik. Warum sollte man die Linkspartei also mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwachen lassen? Die paar Altstalinisten sterben auch bald weg. Im Osten ist “Die Linke” Volkspartei. Sie hat es geschafft, das DDR-Bild zu prägen und damit die Ostalgie anzuheizen. Das Potential der Ostalgie haben übrigens auch Rechtsextreme entdeckt, ein autoritärer Sozialismus sei gut, er müsse nur national sein. In der DDR herrschte Ordnung, es gab kaum Kriminalität und Ausländer. So stellt sich der anständige Deutsche eine Gesellschaft vor.

Nicht nur die Linkspartei, sondern auch große Teile der außerparlamentarischen Linken haben ein Problem mit der Kritik an der DDR, auf dem linken Auge scheinen viele blind zu sein. So hörten sie sich am 17.1.2010 im Kato in Berlin- Kreuzberg fast ohne Murren auf der Veranstaltung “Die DDR und die radikale Linke” die von der Antifa-Gruppe “arab” organisiert und dem Enkel eines ehemaligen DDR-.Botschafters in den USA moderiert wurde, einen langen Vortrag eines ehemaligen NVA-Offiziers an. “Konterrevolutionäre Kräfte” waren danach für den Aufstand am 17. Juni 1953 ebenso wie für 68 in der Tschechoslowakei und den Solidarnosc- Aufstand in Polen verantwortlich. Ein Sozialismus mit menschlichem Angesicht, das sei nicht machbar. Inge Viett, die als RAF-Kämpferin in der DDR untergetaucht war, wartete mit dem Satz auf: “Wir wissen heute noch nicht, welche Mauern, Dämme oder Abwehrschirme wir bauen werden müssen, um die nächsten Anläufe zu verteidigen.” So macht Sozialismus wirklich Spaß. Am besten einmauern, damit keiner weglaufen kann. Viele Linke, vor allem auch in der Linkspartei, verteidigen den Realsozialismus. Dabei lassen sich selbst “soziale Errungenschaften” leicht widerlegen. Was nützt zum Beispiel ein Recht auf Wohnen, wenn die Altbauten verfallen und sich eine Wohnungsnot ankündigt. Was nützt ein Recht auf Arbeit, wenn ich gleichzeitig zur Arbeit gezwungen bin. Was nützt eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wenn ich als Frau doch hauptsächlich für Kindererziehung und Haushalt verantwortlich bin und Gleichberechtigung nur ein schöner Wunschtraum bleibt. Was sollen diese ständigen Rechtfertigungen von Linken, nur um das eigene Lebenswerk nicht zu beschädigen.

All das scheint Hubertus Knabe anzustacheln. Dabei muß man den Totalitarismustheoretikern (“Diktaturenvergleicher”) lassen, sie legen den Finger in die Wunde. Und das schmerzt die Linke, die es bisher nicht geschafft hat, mit einer kritischen Aufarbeitung des Realsozialismus, also ihrer eigenen Geschichte, zu beginnen. Wenn man DDR-Aufarbeitung betreibt, kommt man an Hubertus Knabe nicht vorbei. In seinem Buch “Die Täter sind unter uns”, das manchmal in Richtung Verschwörungsideologie geht, hat er mit der Aufarbeitung abgerechnet und damit auch einiges für die Opfer des Realsozialismus in der DDR getan. So rechnet er mit dem angeblichen “Rentenunrecht” ab, dass die ehemaligen Systemträger beklagten. In der DDR gab es nämlich ein Rentenunrecht. Während viele, vor allem Frauen, in Altersarmut lebten, bekamen Privilegierte Sonderrenten. Auch heute haben die Täter wieder viel höhere Renten als ihre Opfer. “Je länger sie daran mitwirkten, das Regime am Leben zu halten, desto höher sind ihre Altersbezüge.”, so Knabe. Und “Die Faustregel lautet: Je stärker sich ein DDR-Bürger mit dem System anlegte, umso geringer ist heute seine Rente....einen Ausgleich für die geraubten Lebenschancen gab es nicht...”

Oder das Thema juristische Aufarbeitung mit dem Strafgesetzbuch der DDR. Das führte dazu, dass kaum ein Täter nach der “Wende” inhaftiert wurde. Bis Mitte 1998 wurden 20 Stasi-Offiziere verurteilt, 12 bekamen Geldstrafen, 7 eine Freiheitsstrafe zur Bewährung. Knabe schreibt: “Aus dem Korps der 91 000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter musste nur einer ins Gefängnis.” Wegen zweifachen Totschlags. Nur 43 DDR-Bürger bei ca. 200 000 politischen Gefangenen und vielen (Grenz-) Toten, aber 51 (!) bundesdeutsche Agenten, mußten ins Gefängnis.

Das alles ist beschämend, wenn man bedenkt, wofür Menschen in der DDR inhaftiert wurden. Ein 27jähriger Theologe, der als Friedhofsarbeiter tätig war, verlieh das Buch ”1984” von Georg Orwell an Freunde. Wegen ”staatsfeindlicher Hetze” bekam er eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten. Als ein Dachklempner ein weißes Band (stand für Ausreise) am Auto befestigt, und nicht den Anweisungen der Polizei folgt, das Band zu entfernen, wird er wegen ”Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit” zu 18 Monaten Haft verurteilt. Als ein hartnäckiger Ausreiseantragsteller das Zeichen ”A” an seinem Wohnungsfenster befestigt hatte, wird er wegen ”Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit” zu 15 Monaten verurteilt.

Auch Todesschützen an der Grenze mußten fast nie ins Gefängnis. Man versuchte allerdings die Organisatoren des Grenzregimes anzuklagen. 29 Personen erhielten bis Mitte 2002 Freiheitsstrafen ohne Bewährung, acht von ihnen bekamen fünf oder mehr Jahre Haft.

Dass Hubertus Knabe sich für die Opfer des DDR-Regimes einsetzt, rechne ich ihm an, obwohl ich ihn als politischen Gegner ansehe. Denn auch ich will den Systemwechsel, gerade weil ich in der DDR sozialisiert wurde, als Teil der Subkultur und Ausreiseantragstellerin ein abweichendes Leben in der DDR führte und einen Systemwechsel erlebt habe. Eine Gesellschaft mit dieser enormen sozialen Spaltung kann nicht normal sein, der Kapitalismus ist eben nicht alternativlos. Und gerade das führt bei den vielen Verlierern in den neuen Bundesländern zur Ostalgie. Es gibt aber kein Zurück und wenn es um Perspektiven geht, dürfen diese nicht autoritär sein, deshalb ist die DDR-Aufarbeitung so wichtig.

Hubertus Knabes Lebensthema ist die DDR-Aufarbeitung und das hat Gründe.

Seine Eltern, die Mutter war schwanger mit Hubertus, flohen 1959 aus der DDR. 1978 gründete er ein Komitee für die Freilassung des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro. 1979 lernte er seine spätere Frau in der DDR kennen, die 1981 ausreisen durfte. 1980 bis 1987 war ihm die Einreise in die DDR verboten. Hubertus Knabe wird von Wissenschaftlern und von links kritisiert. Vom Bundespräsidenten Horst Köhler erhielt er dagegen das Bundesverdienstkreuz.
Auch wenn uns jetzt wieder das “Vereinigungsgefeier” erwartet, und viele es nicht mehr ertragen können, denn die sozialen Folgen in den neuen Bundesländern (und auch alten) waren verheerend, eine differenzierte DDR-Aufarbeitung ist immer noch notwendig. Ich lehne sowohl die Totalitarismustheorie, die mit dem Diktaturenvergleich den Nationalsozialismus verharmlost und die DDR dämonisiert, als auch die Verharmlosung durch die DDR-Systemträger, die Verklärung durch die Wendeverlierer, die Banalisierung durch Medien ab.

Wir sind das den vielen Opfern des DDR-Unrechtsstaates schuldig.

Editorische Anmerkung

Den Artikel bekamen wir von der AutorIn für diese Ausgabe.