Betrieb & Gewerkschaft

General Motors in Strasbourg: Druck auf die CGT
Die übliche Erpressung mit dem Arbeitsplätze-Argument wird durch Gewalt ergänzt

von
Bernard Schmid

7-8/10

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Aufgehetzte Lohnabhängige hielten acht Gewerkschaftsmitglieder fest, um sie dazu zu bewegen, ein Abkommen zur „Standort-Rettung“ zu unterzeichnen - CGT erstattet Strafanzeige - Am Mittwoch, den 28. Juli lief das Ultimatum der Direktion ab

Unterschreibt? Oder unterschreibt nicht? Am Mittwoch, den 28. Juli lief das Ultimatum ab. An dem Tag entschied sich also, ob (oder ob nicht) die CGT beim Automobilhersteller General Motors – GM - im ostfranzösischen Strasbourg ihre Unterschrift unter ein Abkommen setzen würde, das laut ihren Worten „soziale Rückschritte“ absegnet. Um „ihren“ Standort zu bewahren, stimmten zuvor die Lohnabhängigen in einer Urabstimmung sowie drei von vier Gewerkschaften dieser betrieblichen Vereinbarung zu. Sie sieht einen Verzicht durch die Lohnabhängigen bei den Themen Entlohnung, Gewinnbeteiligung und arbeitsfreie Tage vor. Auf die CGT, die bislang als einzige Gewerkschaft ihre Zustimmung verweigerte, wurde erheblicher Druck ausgeübt...

Das Werk des Automobilherstellers General Motors, GM, im ostfranzösischen Strasbourg (Straßburg) beschäftigt 1.150 Lohnabhängige und stellt Getriebe her – hauptsächlich für Fahrzeuge aus dem Konzern sowie für BMW. Es schreibt schwarze Zahlen, gehört aber zu jenen Konzernbestandteilen, die seit der finanziellen Krise des Herstellers im vergangenen Jahr zur Disposition gestellt wurden. Nun soll ein betriebliches Abkommen, das Ende vergangener Woche bereits durch drei von vier Gewerkschaften am „Standort“ Strasbourg unterzeichnet worden ist, es „retten“.

Ihm zugrunde liegt ein Vergleich der Lohnkosten mit denen in einem mexikanischen Werk des Konzerns. Auf dieser Grundlage wurde die Zielsetzung definiert, die Lohnkosten der GM-Beschäftigten in Ostfrankreich um 10 % zu senken. („Und wir haben noch Glück, dass sie uns nicht mit chinesischen Produktionsarbeitern verglichen haben“, zitiert die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ einen Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte.)

Zu diesem Zweck sieht das Abkommen konkret vor:

- für zwei Jahre lang die Löhne einzufrieren (also keine Erhöhung vorzunehmen, inklusive ausbleibenden Inflationsausgleichs);
- die bislang praktizierte Gewinnbeteiligung für drei Jahre auszusetzen, das bedeutet pro Lohnabhängige/n einen Einnahmenverlust in Höhe von rund 500 Euro pro Jahr;
- und sechs von insgesamt sechzehn freien Tagen im Jahr, die den Lohnabhängigen bislang (aufgrund des Gesetzes zur Verkürzung der Arbeitszeit vom Januar 2000, bekannt als „Gesetz zur 35-Stunden-Wochen“, obwohl es die Arbeitszeit real im Jahresmaßstab berechnet) zustanden, zu streichen.

Im Hintergrund: GM verkauft an sich selbst; für einen Euro

Diese Verzichtsmaßnahmen, die die Lohnkosten am „Standort“ Strasbourg um 8 bis 10 % absenken, sollen dazu dienlich sein, dem Konzern zu erlauben - an sich selbst zu verkaufen. Und zwar für einen symbolischen Euro.

Genauer bedeutet dies, dass das Werk in der elsässischen Regionalhauptstadt bis im Jahr 2008 zum Automobilkonzern ,General Motors Corporation’ gehörte. Nachdem der „Mutter“konzern jedoch im Jahr 2009 Pleite zu gehen drohte - und vierzig Tage lang zahlungsunfähig war, bevor die US-Administration eingriff und ihn rettete -, wurde er in zwei unterschiedliche Strukturen aufgesplittet: den Automobilkonzern ,General Motors Company’ einerseits, und die Abwicklungsfirma ,Motors Liquidation Company’ (MLC) auf der anderen Seite. Letztere Abwicklungsgesellschaft sollte dazu dienen, bislang zum Konzern gehörende Einheiten abzustoßen, zu verscherbeln oder dichtzumachen. Das Werk im Elsass, obwohl es selbst Gewinne einfährt, wurde der letztgenannten Struktur (MLC) überschrieben.

Nun hat der Automobilhersteller GM in den USA (inzwischen ,GM Company’ und zu 60 % der US-Bundesregierung gehörend) es sich anders überlegt: Er würde das, Gewinne einfahrende, ostfranzösische Werk von der eigenen Abwicklungsgesellschaft MLC zurückkaufen; für den erwähnten einen „symbolischen Euro“. Aber unter den oben genannten Bedingungen, d.h. indem seine Lohnkosten zu denen an den mexikanischen Produktionsstandorten in Konkurrenz gesetzt werden.

Urabstimmung der Lohnabhängigen am Montag, dem 19. Juli 2010


Am Montag dem 19. Juli 10, „durften“ die abhängig Beschäftigten im Werk in einer Urabstimmung über die Annahme oder Ablehnung des „Rettungsplans“ entscheiden. Laut den Worten eines der Lohnabhängigen, die in ,Le Monde’ zitiert wurden, fand die Abstimmung „mit einem Messer an der Kehle“ statt. Denn die Alternative lautete: Zustimmung oder Dichtmachen des Werks.

Von 957 Lohnabhängigen, die zum fraglichen Zeitpunkt im Werk anwesend waren, stimmten 929 ab. Unter ihnen votierten 645 (oder 70,65 % der Abstimmenden) mit „Ja“. 268 Bulletins oder 29 Prozent der abgegeben gültigen Stimmen lauteten auf „Nein“, daneben gab es sechs Enthaltungen und zehn ungültige Stimmen. Die Urabstimmung war durch drei von vier Gewerkschaften, die ihrerseits zur Annahme der Vereinbarung bereit waren, organisiert worden: die CFDT, FO und die CFTC (Näheres zu ihnen vgl. unten).

Neue Anforderungen der Leitung


Doch daraufhin sattelte die Direktion ihrerseits am Dienstag (20. Juli) noch zwei neue Anforderungen oben drauf, die durch die Abstimmungsvorlage am Vortag nicht erwähnt worden waren:

  • die „Verjährlichung“ (annualisation) der Arbeitszeit, d.h. ihre Berechnung nur noch auf Jahres- und gar nicht mehr auf Wochenebene, was nichts Anderes als den Wegfall der Überstundenzuschläge zur Konsequenz hat,
  • und die „Normalisierung“ der Sonntagsarbeit, d.h. die Umwidmung des Sonntags zu einem üblichen Arbeitstag im Unternehmen.

Daraufhin fachte die (oppositionelle) CGT, als zweitstärkste Gewerkschaft im Betrieb, die das Abkommen ihrerseits ablehnte, eine Protestbewegung an. Viele Lohnabhängige machten ihrem Unmut Luft, und auch eine Streikdrohung lag nunmehr in der Luft. Auch jene drei Gewerkschaften, die im Gegensatz zur CGT grundsätzlich zur Annahme der Vereinbarung bereit waren, und der ,Secrétaire du Comité d’entreprise’ (ungefähre Entsprechung zum deutschen Betriebsrats-Vorsitzenden) Jean-Marc Ruhland von der CFDT stänkerten jetzt ihrerseits gegen das Verhalten der Unternehmensleitung: Deren neue Anforderungen seien nicht konform zu dem, was zuvor vereinbart worden sei.

Ab dem Mittwoch, 21. Juli waren deswegen die beiden neuen Punkte wieder vom Tisch. Es blieb bei den o.g. drei Punkten, bei der Beibehaltung einer wöchentlich berechneten Arbeitszeit (34,25 Stunden) und der Zahlung von Überstundenzuschlagen für die darüber hinaus gehenden Wochenstunden. Vgl. dazu u.a. auch
http://abonnes.lemonde.fr/ und http://abonnes.lemonde.fr/economie/

Annahme durch die Gewerkschaften

Am Donnerstag, den 22. Juli fand eine außerordentliche Sitzung des ,Comité d’entreprise’, CE (ungefähres Äquivalent zum deutschen Betriebsrat, jedoch mit anders gelagerten Aufgaben und Vollmachten) dazu statt. Auch das CE segnete die Vereinbarung mehrheitlich ab. Drei von vier Gewerkschaften, die im Betrieb vertreten sind, signalisierten ebenfalls ihre Zustimmung: die Mehrheitsgewerkschaft CFDT (an der Spitze rechtssozialdemokratisch) unter Jean-Marc Ruhland, die CFTC (christlicher Gewerkschaftsbund) unter Thierry Stachel, und (,Force Ouvrière’, populistisch-schillernd) unter Jorge Ruivo. Ihre ,Delegierten’ - d.h. betriebliche Vertrauensleute jeder Gewerkschaften, die bei einem betrieblichen Abkommen zwingend zu den Unterzeichnern gehören, damit es für die jeweilige Gewerkschaft rechtsverbindlich wirkt - setzten am Freitag, 23. Juli jeweils ihre Unterschrift unter die Vereinbarung.

Hingegen blieb die CGT im Betrieb noch übrig. Diese zweistärkste Gewerkschaft am „Standort“ lehnte die Vereinbarung weiterhin ab. Und berief sich darauf, es sei „nicht Aufgabe der Gewerkschaften, soziale Rückschritte zu vereinbaren“. Ohnehin verpflichte die Direktion sich „nicht zur dauerhaften Aufrechterhaltung des Standorts“.

Tatsächlich beinhaltet die Vereinbarung lediglich die Selbstverpflichtung der Direktion, die jetzt bestehende Aufträge abzuarbeiten, also den Betrieb bis im Jahr 2013 aufrecht zu erhalten. Danach, so sieht es das Abkommen vor, soll entweder auch weiterhin bis 2020 am „Standort“ Strasbourg produziert werden; in diesem Falle stellt die Unternehmensleitung in Aussicht, Neuinvestitionen (100 Millionen Euro für Forschung & Entwicklung und 150 bis 200 Millionen für Produktionstechnologie, vgl. http://abonnes.lemonde.fr/ ) nach Strasbourg zu lenken. Diese Investitionen - vor allem jene für Forschung & Entwicklung - bilden allerdings kein „Geschenk“ für Ostfrankreich, vielmehr wären sie ohnehin - egal, an welchem „Standort“ in Folge produziert würde - nötig, um eine neue Generation von Getrieben zu entwickeln.

Oder aber, alternativ dazu, ist es ebenfalls möglich, dass die Produktion ab 2014 in Strasbourg doch nicht weitergeht. Nur verpflichtet sich die Direktion in diesem Falle dazu, die bislang „zurückgehaltenen“ Lohnkosten (jene 8 bis 10 % Ausgaben für die Lohnabhängigen, die infolge der Vereinbarung jetzt abgebaut werden) dann noch nachträglich auszuschütten. Zusätzlich greift in diesem Falle ferner noch ein Sozialplan, der bereits in jüngerer Vergangenheit - bei vorausgegangenen Kündigungen in Strasbourg - für den Fall von Massenentlassungen ausgehandelt worden war.

Umstritten ist bislang noch, was passiert, wenn die Direktion den „Standort“ in Strasbourg zwar nicht platt macht – aber vor 2014 oder im Jahr 2014 Gewinn bringend weiterverkauft, an einen Übernehmer, der sich seinerseits nicht an die mit General Motors getroffenen Vereinbarungen gebunden fühlt. Vom Text des Abkommens (der eine Rückzahlung der durch die Lohnabhängigen erbrachten „Opfer“ im Falle des Dichtmachens und der Abwicklung des „Standorts“ vorsieht) wird dieser Fall nicht abgedeckt. Die CFTC – der christliche Gewerkschaftsbund – forderte im Vorfeld ihrer Unterschrift lautstark, auch dieser Fall müsse mit berücksichtigt werden.

Massiver Druck auf die CGT

Rechtlich betrachtet, ist die Vereinbarung (die durch 3 von 4 Gewerkschaften im Werk unterstützt wird) voll rechtsgültig: Nach neuerem französischem Arbeitsrecht, infolge des Gesetzes über die Tariffähigkeit von Gewerkschaften vom 20. August 2008, braucht es dazu die Unterschrift von einer oder mehreren „repräsentativen“ (d.h. als tariffähig anerkannten) Gewerkschaften, die mindestens 30 % der Stimmen bei den letzten Betriebsratswahlen erhielt/en. Ferner kann laut demselben Gesetz eine „Ablehnungsfront“, bestehend aus einer oder mehreren Gewerkschaft/en, die ihrerseits mindestens 50 % der Stimmen bei Betriebsratswahlen erhielt/en, das Inkrafttreten einer Vereinbarung verhindern, falls sie binnen Wochenfrist Widerspruch dagegen einlegt. Erfolgt ein solcher Widerspruch nicht oder nicht rechtzeitig, ist ein Kollektivabkommen in dem Falle voll rechtsgültig.

Im Hinblick auf diese Anforderungen gäbe es bezüglich der Vereinbarung von Strasbourg keinerlei juristische Bedenken. Doch dies genügte der Unternehmensleitung nicht: Sie forderte (indirekt, aber deutlich), dass alle vier Gewerkschaften das Abkommen unterstützen müssten: In einem Kommuniqué erklärte die Direktion, dass sie „glauben möge, dass kein Delegierter (d.h. zur Unterschrift befugter Gewerkschaftsvertreter) die Verantwortung auf sich laden wird, die einzige Lösung zu behindern, die eine Aufrechterhaltung und industrielle sowie soziale Entwicklung von GM erlaubt“. Kein Delegierter – bei keiner der vier Gewerkschaftssektionen. Ansonsten betrachte sie als nicht für sich verbindlich und gehe keine Verpflichtungen daraus ein. Laut Auffassung der CGT wollte sie sich auf dieser Weise nur ihren „sozialen Frieden“ herbei zwingen. Ihr wurde nun ein Ultimatum gesetzt, um über ihre Unterschrift oder Nichtunterschrift zu entscheiden. Den Stichtag dafür setzte die Unternehmensführung zunächst auf den 23. Juli (einen Freitag) an, verschob ihn dann aber doch noch auf den Mittwoch, 28. Juli.

Ähnlich wie ,Bossnapping’, nur umgekehrt... !

Daraufhin kam es bereits am Donnerstag, den 22. Juli zu erheblichen Spannungen: Rund 30 Beschäftigte, darunter vor allem ,cadres’ (höhere/leitende Angestellte), versammelten sich drohend vor den Räumen der CGT. Am Freitag, den 23. Juli kam es dann zur Eskalation. Die näheren Angaben über die Vorgänge variieren dabei erheblich. So behauptet die Mehrheitsgewerkschaft CFDT im Betrieb, es habe am Nachmittag eine „spontane (Protest)bewegung von rund 400 Beschäftigten“ im Betrieb gegeben, die sich gegen die Haltung der CGT gewandt hätten, weil Letztere das Überleben des Standorts zu gefährden drohe.

Hingegen berichtet die KP- (und CGT-) nahe Tageszeitung ‚L’Humanité’ in ihrer Ausgabe vom Montag, 26. Juli, es habe sich vielmehr an jenem Freitag ab 14 Uhr um einen Auflauf von rund sechzig Führungskräften - höheren/leitenden Angestellten, Vorarbeitern und Technikern/Ingenieuren - des Betriebes vor den Räumen der CGT gehandelt. Zusätzlich seien daraufhin CGT-Vertrauensleute und -Aktive in den Produktionsräumen angegangen und bedroht worden. Dabei soll u.a. auch „Hängt sie auf, hängt sie auf!“ gerufen worden sein. Ein Aktivist der CGT soll auch laut anderen Zeitungsberichten (in ,Le Monde’) handgreiflich angegangen, geschubst und in den Rücken gestoßen worden sein. Laut dem Bericht von ,L’Humanité’ handelte sich um „Praktiken“ im Umgang mit Gewerkschaftern, „die einer Diktatur würdig wären“.

Neun Angehörige der CGT – unter ihnen ihr örtlicher Chef Robert Roland - haben daraufhin inzwischen Strafanzeige wegen „Freiheitsberaubung, Morddrohungen, Körperverletzung und Einschränkung/Beeinträchtigung der gewerkschaftlichen Handlungsfreiheit“ erstattet.

Die linksliberale Tageszeitung ,Libération’ vom Mittwoch (28. Juli) wiederum lässt einen anonymen Lohnabhängigen des Betriebs zu Wort kommen, in dessen Worten es sich um „eine spontane Bewegung“ handelte, die „daraus entstand, dass (Beschäftigte) das Gefühl hatten, da werde eine Chance vertan“. Dasselbe Individuum bezeichnet in ,Libération’ die Darstellung der Ereignisse durch die CGT als „stark übertrieben“.

„Neuer“ Kompromiss zeichnet sich ab

Dieselbe Zeitung spricht am 28. Juli davon, die ,Bezirksdirektion für Arbeit, Beschäftigung und Berufsbildung’ (DDTE) - eine Art Regierungspräsidium - im Raum Strasbourg sei „zur Vermittlung“ eingeschaltet worden.

Dem Bericht zufolge zeichnete sich demnach im Vorfeld eine „Kompromisslösung“ für den Mittwoch, 28. Juli ab: Die CGT unterzeichne demzufolge „immer noch nicht“, verpflichte sich aber dazu, für die Dauer von drei Jahren das betriebliche Abkommen „nicht aufzukündigen“.

Dies hätte zwar juristisch keinerlei Wert: Ohnehin kann nur ein/e Unterzeichner/in eines Abkommens dieses auch aufkündigen. Und das Einspruchsrecht gegen das Inkrafttreten eines Abkommens kann nur durch eine oder mehrere Mehrheitsgewerkschaft/en, ausgestattet mit mindestens 50 % der Stimmen, innerhalb einer Wochenfrist nach Unterzeichnung der Vereinbarung ausgeübt werden. In beiden Fällen könnte die CGT also rein rechtlich das Abkommen nicht be- oder verhindern.

Allerdings schien es der Direktion darüber hinaus darum bestellt zu sein, die CGT auf eine Art faktischer „Friedenspflicht“ festzunageln. Im französische Arbeitsrecht besteht, auch während der Geltungsdauer einer Vereinbarung oder eines Kollektivvertrags, keinerlei „Friedenspflicht“ betreffend das Unterbleiben von Arbeitskämpfen - mit Ausnahme der Unterzeichner/innen, die nicht gegen das „eigene“ Abkommen einen Konflikt führen können. Nichtunterzeichner sind jedenfalls keinerlei sozialer „Friedenspflicht“ unterworfen. Worum es der Unternehmensleitung von GM in Strasbourg ging, war offenkundig, dass auch die CGT sich aber faktisch, symbolisch und „politisch“, an eine solche Pflicht gebunden fühlen solle.

Das Ende vom Lied: Der gefundene „Kompromiss“

An jenem Mittwoch (28.07.10) lief das Ultimatum, das die Unternehmensleitung für die Unterschrift der CGT gesetzt hatte, aus. Diese drohte damit, für den Fall, dass die CGT weiterhin gegen die Vereinbarung Position beziehe, sich selbst nicht an die Vereinbarung gebunden zu fühlen - obwohl diese dennoch, aufgrund der Unterschrift der drei anderen Gewerkschaften vom Freitag, den 23. Juli, voll rechtsgültig war. Dies beinhaltete die Drohung, spätestens ab dem Jahr 2013, möglicherweise auch erheblich früher, den „Standort“ in Straßburg zu opfern.

Genau so wie am Morgen durch die Tageszeitung ,Libération’ angekündigt, kam es dann auch tatsächlich. Am Mittwoch Nachmittag gegen 17 Uhr wurde bekannt, dass die CGT bei General Motors in Strasbourg im Laufe des Tages schriftlich garantiert hatte, dass sie zwar das oben zitierte betriebliche Abkommen nicht unterzeichnet - wohl aber dessen Legitimität nicht in Abrede stellt. Demnach hat die CGT mit der Unternehmensleitung von General Motors eine Art „Abkommen über das (Nicht-)Abkommen“ abgeschlossen, in welchem festgeschrieben wird, dass zwar zwischen beiden Seiten über den Inhalt der betrieblichen Vereinbarung kein Einverständnis besteht; dass die CGT aber in den nächsten drei Jahren nichts unternehmen wird, um dieselbe anzufechten, zu bekämpfen oder ihre Aufkündigung zu erreichen. De facto hat die CGT also einer Art dreijähriger „Friedenspflicht“ - unter Druck - zugestimmt, ohne aber den Inhalt der Vereinbarung selbst zu unterstützen.

Auch bei Continental wird über Senkung der Lohnkosten zur „Standort-Rettung“ verhandelt

Bei den Filialen des deutschen Reifenfabrikanten Continental in drei südwestfranzösischen Städten (Toulouse und Boussens, beide im Bezirk Haute-Garonne, sowie Foix/Ariège in den Pyrenäen) wird ebenfalls um eine Absenkung der „Kosten“ für die Lohnabhängigen zwecks „Rettung“ der jeweiligen „Standorte“ verhandelt. Auch hier darf die Krise als Generalrechtfertigung für Alles herhalten.

Das Unternehmen möchte die Lohnkosten dort um 8 % abbauen und hat Verhandlungen darüber eröffnet. Dazu sollen mehrere arbeitsfreie Tage im Jahr gestrichen, die Sozialbeiträge und -ausgaben (etwa für Zusatz-Krankenversicherungen) reduziert, die Gewinnbeteiligung der Lohnabhängigen zusammengestrichen und die Lohnzunahme im kommenden Jahr 2011 auf maximal 1,2 % - also voraussichtlich unterhalb des Inflationsausgleichs - beschränkt werden. Eine erste Verhandlungsrunde dazu fand am 22. Juli dieses Jahres statt.

Bislang verweigern jedoch die beiden örtlichen Mehrheitsgewerkschaften CGT und CFDT, die zusammen circa 60 % bei den letzten Betriebsvertretungswahlen erhielten, ihre Zustimmung dazu. Und weisen darauf hin, dass die betroffenen Standorte zusammen im letzten Jahr 38 Millionen Euro Gewinn einfuhren. Auch seien „aufgrund der Krise“ bereits 100 Arbeitsplätze verschwunden. (Vgl. auch einen Artikel der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’, der ebenfalls erwähnt, dass an einem Continental-Produktionsstandort in Bayern ähnliche Verhandlungen liefen: http://abonnes.lemonde.fr/ )

Das ganze Spiel ist Bestandteil einer Serie von Vereinbarungen und Kollektivabkommen - besonders in französischen Metallindustrie - zur „Standortrettung“, die „Opfer“ seitens der Lohnabhängigen beinhalten. Solche Abkommen gab es schon in den neunziger Jahren, und in einem spektakulären Urteil des Sozialsenats am Obersten Gerichtshof vom 19. Februar 1997 (Affäre ,Géophysique’) erklärten die Obersten Richter sogar, dass sie nach dem Günstigkeitsprinzip als „für die abhängig Beschäftigten günstiger“ zu werten seien. Dies bedeutet: Dort, wo der Gesetzgeber vorschreibt, dass zwischen zwei verschiedenen Vereinbarungen jene gilt, die für die Lohnabhängigen günstiger ausfällt, muss demnach jeweils die „Standortrettungs-Vereinbarung“ als „besser“ bewertet werden. Jedenfalls, sofern sie die Bewahrung von Arbeitsplätzen vorsieht, die sonst gestrichen zu werden drohen. Allerdings hat die spätere Rechtsprechung u.a. des Obersten Gerichtshof diese Auffassung wieder ein bisschen eingeschränkt: Nur wenn nachweislich konkrete, präzise und überprüfbare Maßnahmen zur Aufrechterhaltung (nachweisbar bedrohter) Arbeitsplätze in einem solchen Abkommen enthalten sind, kann es überhaupt den Anspruch auf solche „Günstigkeit“ erheben. Wenn es sich hingegen lediglich um allgemeine Formeln zu den Themen „Beschäftigung“ und „Gut-für-den-Standort“ handelt, ist dies nicht gegeben. Andernfalls wäre nämlich jeglichem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, um soziale Vorteile serienweise abzubauen: Vom Standpunkt des Arbeitgebers aus ist schließlich jede Senkung der Lohnkosten oder jede Erhöhung der Gewinnspanne (vorgeblich) „gut für die Arbeitsplätze“.

In jüngerer Zeit von sich reden machte vor allem das (deutsche) Unternehmen Bosch, das im Jahr 2004 in Vénissieux - in der Nähe von Lyon - die Zustimmung der Lohnabhängigen zu Verzichtsmaßnahmen erwirkte. Hier besonders in der Form von Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. (Vgl. http://www.labournet.de und http://www.labournet.de/internationales ) Das faktische Ergebnis des Ganzen war in diesem Falle, dass dort sechs von sechzehn arbeitsfreien Tagen im Jahr gestrichen wurden; dass die Löhne für drei Jahre - ohne Inflationsausgleich - „eingefroren“ wurden; und dass die Zuschläge für Nachtarbeit verringert wurden. Daraufhin hat die Firma tatsächlich 25 Millionen Euro an Investitionen, für die Entwicklung einer neuen Einspritztechnik für Motoren, an den französischen „Standort“ (statt in die Tschechische Republik) gelenkt. Derzeit steht das Werk allerdings erneut zur Disposition, da die Produktion aufgrund der Verabschiedung neuer Umweltnormen bezüglich CO2-Emissionen verteuert wird.

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.