Al-Jazeera macht den Frauen Beine

von Bernard Schmid

7-8/10

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Der Rücktritt von fünf weiblichen Mitarbeiterinnen bei dem mit Abstand bekanntesten TV-Sender der arabischen Welt löst eine Debatte über den Druck auf Frauen aus. Repressive Bekleidungsvorschriften waren die Ursache für den kollektiven Rücktritt. Die Diskussion rückt auch den Einfluss mancher islamistischen Strömungen auf den nicht-islamistischen Sender ins Licht der Öffentlichkeit 

Ein Mythos erhält einen Knacks: Das Image des in Doha - der Hauptstadt des Golfstaats Qatar - ansässigen Fernsehsenders Al-Jazeera ist durch jüngste Polemiken in der Redaktion beschädigt worden. Ende Mai kündigten fünf Nachrichtensprecherinnen des Senders ihren Job, weil sie von der Bevormundung und Gängelung durch männliche Chefs und deren Tugendvorstellungen genug hatten. Seitdem häufen sich in verschiedensten Ländern die Presseberichte über die „Rebellinnen von Al-Jazeera“. 

Aufbegehren der Frauen  

Am 25. Mai 10 hatten die fünf Sprecherinnen ihren Rücktritt aus der Nachrichtenredaktion eingereicht: die drei Libanesinnen Jouamana Namour, Lina Zahredinne und Julnar Mussa, die Syrerin Luna al-Schibli und die Tunesierin Naoufer Afli. Unmittelbare Ursache für ihren Schritt waren die neuen Bekleidungsvorschriften, die männliche Chefs ihnen aufzuzwingen versuchten. Der Konflikt darum hatte im November vorigen Jahres begonnen. Anlässlich des 13. Jahrestag der Gründung des Senders hatte dessen Direktion damals einen Relaunch gestartet. In dessen Rahmen wurde auch eine neue Methode, die Nachrichten zu präsentieren, präsentiert: Der Sprecher oder die Sprecherin sollte nicht mehr vor der Kamera sitzen, so dass man nur den Oberkörper sieht, sondern in ihrem Blickfeld stehen oder laufen und mit dem ganzen Körper sichtbar sein. „Bei dieser Gelegenheit machte die Entdeckung“, formulierte eine der Sprecherinnen später ironisch, „nämlich die: Wenn man eine Frau aufrecht stellt, dann hat sie Beine“.  

In den folgenden Wochen und Monaten versuchte der stellvertretende Direktor Aymar Jaballah daraufhin, seine Vorstellungen von anständiger Kleidung durchzusetzen. Wiederholt lud er Fernsehjournalistinnen vor, um sich über ihre „unanständige“ Erscheinung zu beschweren, etwa über nackte Zehen, die in offenen Schuhen sichtbar waren. Schließlich wurde ein Dress Code verkündet, der zwar noch meilenweit von Bekleidungsvorschriften wie in Saudi-Arabien oder im Iran entfernt ist, aber dennoch „moralisierenden“ und die persönliche Wahlfreiheit einschränkenden Zwecken dienen sollte. Röcke sollten demnach bis mindestens fünf Zentimeter unter das Knie reichen, Blusen oder Hemden sollten bis maximal fünf Zentimeter unter dem Hals geöffnet sein. Hautenge Hosen seien zu vermeiden. Über die Kleidung oder das Auftreten von Männern fand sich keine Zeile. 

Schon im Dezember letzten Jahres legten neun Sprecherinnen daraufhin eine Beschwerde bei der Direktion ein. Zu ihnen zählte auch die Algerierin Khadidja Benguenna, die als einzige auf dem Bildschirm sichtbare Journalistin des Senders ein Kopftuch - allerdings ein leichtes in wechselnden, hellen Farben - trägt. Sie beschwerten sich über tyrannische männliche Vorgesetzte, besonders über Jaballah. Die Direktion setzte eine Untersuchungskommission, bestehend aus drei Männern, ein. Doch diese spielte sechs Monate lang nur auf Zeit, um den lästigen Konflikt herunterzukochen. Im Mai dann folgte die Kündigung von fünf der neun Beschwerdeträgerinnen. Die Direktion ihrerseits ließ daraufhin zwei leitende Redaktionsmitglieder versetzen: Chefredakteur Ahmad al-Shayak wurde auf einen anderen Posten weggelobt. Der besonders umstritte Direktor Ayman Jaballah wurde an die Spitze eines der Spartensender der seit längerem diversifizierten Sendeanstalt - Al-Jazeera Live - versetzt, was zwar nicht seinem Wunsch entspricht, ihm aber doch eine einflussreiche Position belässt. Zudem will die Leitung nun eine „Charta“ zu Bekleidungsnormen, die sich an dem bei CNN und BBC bestehenden entsprechenden Kodex orientieren sollen, erlassen. 

In einem Artikel, der am 5. Juni 10 in der Zeitung Al-Duwaliya (Die internationale (Zeitung)) in arabischer Sprache erschien – vgl. http://www.doualia.com - , wird darauf hingewiesen, das laut Ansicht der fünf gegangenen Fernsehjournalisten der Streit über die Kleidungsvorschriften nur ein Auslöser, aber nicht die tiefer sitzende Ursache gewesen sei. Die fünf weisen demnach auch auf andere Streitpunkte hin: die Abschaffung von Sendungen „von Frauen für Frauen“, die Tatsache, dass keine Frau leitende Positionen einnimmt - mit Ausnahme der Chefin der Schminkabteilung -, und dass aus dem Betrieb ausscheidende Frauen durch männliches Personal ersetzt werden. 

Kritik an militaristischer Berichterstattung 

Zudem monieren sie eine Berichterstattung, die „von Gaza bis Mogadischu“ vorwiegend kriegerische Bilder zeige. Letzterer Punkt zählt laut Auffassung des in Frankreich ansässigen Forschers Barah Mikhaïl jedoch durchaus zu dem, was viele Zuschauer von dem Sender erwarten: Die Bilder von zivilen Toten, etwa aus dem Gazakrieg - der den internationalen Erfolg des Senders mit begründete, da er zwei ständige Journalisten permanent vor Ort hatte, während andere ausländische und vor allem westliche Journalisten nach Kriegsausbruch im Dezember 2008 nicht in den Gazastreifen einreisen konnten - werde als Gegenpunkt zum Sendeprogrammen etwa westlicher Stationen gewertet.  

Bei Letzteren lege man, nach Ansicht des Publikums, den Schwerpunkt eher auf die Verlautbarungen von Offiziellen zum Kriegsverlauf, die Ankündigungen hochrangiger Militärs und auf die internationalen Konferenzen zum Kriegsgeschehen. Durch seinen direkten Blick auf die Menschen am Kriegsschauplatz gebe der Sender, so der Eindruck vieler Betrachter, den Vorgängen ihre menschliche Dimension - im Sinne der Auswirkungen auf die Zivilisten - zurück. Allerdings waren die Praktiken von Al-Jazeera gerade im Gazakrieg von 2008/09 oft sehr nahe an dem, was man in den USA während des Irakfeldzugs von 2003 auf den Begriff ‚embedded journalism’ getauft hat. Eine Reihe von Fernsehbildern des Senders zeigen auch schießende Aktivisten der palästinensischen Hamas aus nächster Nähe, so dass der Urheber der Aufnahmen etwa direkt hinter ihnen gestanden haben muss, oder wurden von ihnen selbst geliefert. Das Format der Aufnahmen ist dabei oft das von Bildern, wie Amateurfilmern mit ihren Handkameras sie liefern. Der Eindruck von Authentizität wird so erhöht. Da Al-Jazeera während des dreiwöchigen Gazakriegs, unter anderem aufgrund der durch Israel verhängten Einreisesperre für Journalisten in das Gebiet, zeitweilig quasi allein auf dem Territorium vertreten war, konnte der Sender dieses faktische Monopol geschickt nutzen. Unentgeltliche oder mit geringem Entgelt verbundene Sharing-Lizenzen für die Benutzung seiner Bilder wurden auch an westliche Sender vergeben. Dies war wirtschaftlich nicht rentabel, sicherte Al-Jazeera aber einen sicheren Terraingewinn beim Publikum.

Der Anspruch von Al-Jazeera ist es, stets konträre Standpunkte zu den herrschenden Meinungen - nicht nur, aber besonders auch im „Westen“ oder „Norden“ - zu liefern, aber auch radikal entgegen gesetzte Standpunkte miteinander zu konfrontieren. Dieser Ansatz zählte zu den Voraussetzungen, unter denen der junge Emir des Golfsstaats Qatar - Hamab bin-Khalifa al-Thani (al-Tahni = der Zweite) -, nachdem er 1995 seinen alternden Vater vom Thron abgesetzt hatte, den Sender im November 1996 gründete. Dessen Name bedeutet so viel wie „Die Halbinsel“, er ist nach der Form des Golfstaats Qatar benannt.

Kontroverse (und ihre Zurschaustellung) als Modernisierungshilfe

Es war Bestandteil seines Modernisierungsprogramms für die Golfmonarchie mit 1,6 Millionen Einwohnern - darunter 85 Prozent ausländische Staatsbürger -, der laut Weltbank des höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweist, aber im eigenen Land weder Gewerkschaften noch politische Parteien kennt. In einer arabischen Welt, die bis dahin in den meisten Ländern nur dröge, öde Medien unter Staatskontrolle und mit monolithischem Inhalt kannte, kam dies einem großen Sprung nach vorn gleich. Es half, die Reputation Qatars enorm aufzubessern - und dient diesem gleichzeitig als Schutzschild: Das Land beherbergt in wenigen Kilometern Entfernung von der Sendeanstalt das CentCom, das US-amerikanische militärische Oberkommando, von dem aus die militärischen Operationen im Irak und in Afghanistan geleitet werden. Bislang wurde Qatar aber noch nie zum Attentatsziel. Ein Grund dafür ist, dass auch Organisationen wie Al-Qaida oder die afghanischen Taliban bei dem Sender im Originalton zu Wort kommen. So hat Al-Jazeera sämtlichen Chefs der Taliban im Sendeprogramm gehabt, und bereits am 12. September 2001 sprach Ossama Bin Laden über die Attentate vom 11. September von den Bildschirmen. Der Sender hat freilich nie einen Zweifel an der Verantwortung seines Netzwerks Al-Qaida für die Attentate belassen, während andernorts Verschwörungstheorien diesbezüglich kursierten. Von verschiedener Seite sieht der Sender sich wechselnden Vorwürfen ausgesetzt, durch die CIA oder vom Mossad finanziert zu sein - so etwa der im Irak getötete, frühere Al Qaida-Anführer, Abu Mussab Al-Zarqawi - oder, umgekehrt, ein Werkzeug Al-Qaidas zu sein. Im einen wie im anderen Falle sind diese Theorien jedoch viel zu plump, um die Wirklichkeit zu erfassen.

Auch in Nordafrika gab es immer wieder Ärger, allerdings aus unterschiedlich zu bewertenden Gründen. Zu Anfang des Jahrtausends gab es Ärger mit dem Regime Libyens, aber 2006 übertrug Al-Jazeera eine Rede des libyschen Obersts Kaddafi, der sich daraufhin beruhigte. Tunesien schloss gar im Oktober 2006 seine Botschaft in Qatar, weil der Sender den tunesischen Menschenrechtler und nicht-islamistischen Oppositionellen Moncef Marzouki interviewt hatte. Das tunesische Regime hatte schon 2001 aus ähnlichen Gründen seinen Botschafter vorübergehend abberufen. Es wirft dem Sender aber auch vor, einer Kampagne von Religiösen und Islamisten gegen Tunesien aufgrund des dort an öffentlichen Orten geltenden Kopftuchverbots eine Plattform geboten zu haben. (Vgl. u.a. http://www.saphirnews.com) In Algerien wurde der Sender mehrfach behindert, etwa 2004, weil er über Korruptionsaffären des Regimes berichtet hatte - aber auch, nachdem der Sender später der Untergrundbewegung „Al-Qaïda im islamischen Maghreb“ (AQMI) das Wort erteilt hatte. Zudem war auf seiner Webpage 2007 eine von Hörern oder Lesern initiierte Umfrage erschienen, bei der Besucher der Webseite ihre Ansicht zu Attentaten in Algerien darlegen konnten. 80 Prozent der Teilnehmer sollen mit Ja geantwortet haben. Dieses Ergebnis war sicherlich nicht repräsentativ, wurde jedoch unzensiert und unkommentiert online publiziert. Nachdem der Sender ein Jahr später jedoch den Ex-Terroristen und Aussteiger Hassan Hattab, mit einem Aufruf zum Niederlegen der Waffen, zu Wort kommen ließ, verbesserten sich die Beziehungen zu Algier wieder. (Vgl. u.a. http://www.skyscrapercity.com) In Marokko wirft man Al-Qaida sowohl Interviews mit radikalen Islamisten als auch seine Berichterstattung über eine soziale Revolte in Sidi-Ifni im Jahr 2008 vor. (Vgl. http://www.tsa-algerie.com/

Einige feste Sendungen bei Al-Jazeera hören auf Programmtitel wie ,The Opposite Direction’ oder auch ,The Other Opinion’. Dort werden oft extreme politische und ideologische Gegensätze miteinander konfrontiert. Radikale Islamisten diskutieren etwa mit Anhängern einer säkularen, laizistischen Politik. Oder arabische Anhänger eines Friedensprozesses mit Israel und Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts streiten mit Gegnern jeglicher Beilegung ohne definitiven Sieg über Israel.  

Auch „westliche“ Stimmen kommen in dem Sender immer wieder zu Wort. Übrigens immer wieder auch israelische Stimmen, auch wenn letztere - zumal in Situationen wie im Gazakrieg - in durchaus tendenziöser Weise ins Programm gehievt werden: So ließ man im Winter 2008/09 durchaus auch Sprecher der israelischen Armee und Politik zu Wort kommen, befragte sie aber etwa ausschließlich zum Einsatz von Phosphorbomben durch ihre Soldaten, während man zu politischen Kriegszielen oder Nachkriegsperspektiven nur die „andere Seite“ befragte.  

Dabei gibt es jedoch Unterschiede zwischen der englischen Abteilung von Al-Jazeera, die seit dem 15. November 2006 sendet - in ihrer Redaktion, die aus britischen und arabischen Journalisten besteht, arbeiten Moslems, Christen, Juden und Atheisten - und der arabischsprachigen Branche. Letztere hat zwar keinen klar festgelegten politischen Standpunkt in Einzelfragen, jedoch einen klar panarabischen und teilweise islamisierten Gesamt-Unterton, während Al-Jazeera English sich stärker „rein journalistischen“ Kriterien verpflichtet fühlt. Al-Jazeera wird von circa 65 bis 100 Millionen Zuschauern täglich verfolgt, davon 50 Millionen in der arabischen Welt, vom reichsten Vorort von Dubai bis zu den Armenvierteln von Kairo. In jedem zweiten arabischen Haushalt kann der Sender empfangen werden. Dieser wird jedoch seit Juli 2009 auch in den USA empfangen, wo er zunächst 2,3 Millionen Zuschauern ins Haus strahlte (nachdem der Sender schon zuvor, seit 2007, dank eines Abkommens mit Youtube Sendungen ins Internet einspeiste). Heute arbeitet der Sender daran,  sein internationales Netz breiter auszuspannen, und er hat Büros in über 60 Ländern eröffnet - von Caracas in Venezuela bis Harare im südlichen Afrika. Die Internationalisierung geht dabei mit einer gewissen, impliziten antiimperialistischen Ausrichtung einher. 

„Rebellisches und zweideutiges Spiegelbild“ 

Die französisch-tunesische Autorin und Politikwissenschaftlerin Oulfa Lamloun, die 2004 bei einem linken Verlag Frankreich ein Buch über „Al-Jazeera, rebellischer und zweideutiger Spiegel der arabischen Welt“ veröffentlichte, vertritt dort die These, der Sender habe zwei Dinge „banalisiert“ oder zum Teil der Normalität werden lassen. Das sei einerseits die Ideologie des politischen Islam, andererseits jedoch die Gewohnheit der kontroversen Debatte, der Diskussion über alles und jenes, „der Konfrontation der Standpunkte“.

Dass alles und jedes der Kritik und Kontroverse ausgesetzt wird, dürfte dem Islamismus im Kern nicht entgegenkommen. Gleichzeitig profitieren dessen Vertreter jedoch in der gegenwärtigen politischen Situation von ihrem Status, im arabischen Raum und darüber hinaus, als die konsequentesten Rebellen gegen die bestehende Weltordnung aufzutreten. Dies deswegen, weil sie die sozialen Ungerechtigkeiten aufgreifen und gegen die - reale - Vorherrschaft des Westens oder Nordens wettern, auch wenn das von ihnen angestrebte, eigene Gesellschaftsmodell in jeder Hinsicht reaktionär ist. Seitdem sowohl die marxistische Linke als auch der oberflächlich marxistisch beeinflusste Linksnationalismus oder Befreiungsnationalismus in der Region - ungefähr zeitgleich zum Niedergang der UdSSR und ihres Blocks - starke Rückschläge erlebten, nimmt besonders der nicht institutionell eingebundene Teil der Islamisten oft deren früheren Platz als Rebellen ein. Die Situation in den einzelnen Ländern ist zwar unterschiedlich, aber oft werden sie jedenfalls durch „die Massen“ oder Teile von ihnen so betrachtet; es sei denn, letztere haben selbst massiv unter islamistischer Herrschaft gelitten wie im Iran oder unter Gewalt wie in Algerien.  

Deshalb können radikale Islamisten auch auf Angehörige der Bildungseliten, etwa auch auf Journalisten bei einem Sender wie Al-Jazeera, eine Faszination als „Kämpfer gegen das Unrecht“ ausüben. Dies ist auch der Grund, warum auf Dauer der Einfluss dieser Strömungen auch auf Teile des Personals selbst überzugreifen begann - denn es lässt sich keine strikte Trennung zwischen den Botschaften, die ein Sender transportiert, und dem, was seine eigene Mitarbeiter denken, aufrecht erhalten. Der umstrittene Direktor Jaballah etwa, selbst ägyptischer Nationalität, gilt als Sympathisant der Tabligh-Bewegung. Bei ihr handelt es sich um eine missionarisch tätige - jedoch nicht bewaffnet kämpfende - Fundamentalistenströmung, die ihren Schwerpunkt in Indien und Pakistan hat.  

Hinter ihm jedoch steht der derzeitige Generaldirektor der Sendeanstalt, Wadah Khanfar. Er wurde in Gaza geboren und studierte in Jordanien. 2003, als er in Südafrika lebte, rekrutierte der Sender ihn und entsandte ihn als Korrespondenten nach Bagdad. Heute leitet er unter anderem die Personalpolitik von Al-Jazeera. Bei ihm handelt es sich um einen Sympathisanten der Muslimbrüderschaft, die ihre Zentrale in Ägypten hat. Diese, im Kern reaktionäre doch gesellschaftlich gut verankerte, Bewegung existiert in vielen arabischen Ländern. In den meisten von ihnen setzt sie eher auf institutionelle Strategie oder gar - wie in Algerien - auf Regierungsbeteiligung in einer Position als Minderheitspartei und Juniorpartner des Establishments. Einer ihrer Ableger ist jedoch auch die palästinensische Hamas, oder vielmehr deren harter Kern, mit dem sich andere islamistische Kräfte zu einer „Frontorganisation“ zusammengeschlossen haben. Die palästinensische „Islamische Widerstandsbewegung“ wird deswegen durch den Sender in der Regel mit positiver Berichterstattung bedacht, und es wird ihr hohe Aufmerksamkeit zuteil, was schon den 2004 verstorbenen Jasser Arafat zu Lebzeiten zu einem Zornesanfall reizte. Seit 2007 verstärkt sich diese Tendenz jedoch. 

Neue Konkurrenz

Im kommenden Jahr wird Al-Jazeera erstmals möglicherweise einer seriösen Konkurrenz ins Auge blicken müssen. Aus geostrategischen Gründen - weil man in Ar-Ryad der Auffassung ist, der Sender begünstige seine regionalen Rivalen wie den Iran und Syrien - schickt Saudi-Arabien sich an, neue Sendelizenzen für per Satellit übertragene Fernsehkanäle zu vergeben, wie erstmals im April dieses Jahres die in London erscheinende Zeitung Al-Qods al-Arabi (Arabisches Jerusalem) berichtete. Das Unternehmen Rotana unter dem Milliardär und Prinzen Al-Walid Ben Talal wird sich dafür voraussichtlich mit dem Eigentümer von Fox News, Rupert Murdoch, zusammentun. Die Direktion soll voraussichtlich dem prominenten Journalisten Jamal Khashoggi anvertraut werden, der soeben bei der saudischen Zeitung El-Watan (Die Heimat, das Vaterland) entlassen wurde, weil er den extremen „religiösen Konservativismus“ im Königreich kritisiert hatte. Zwar hatte Saudi-Arabien schon seit 2002 einen eigenen Sender (Al-Arabiya) lanciert, und die USA gründeten im Februar 2004 unter der Bush-Administration den arabischsprachigen Fernsehsender Al-Hurra (Die Freie). Vor allem der Letztgenannte hatte aber nur geringen Erfolg, in Ägypten etwa kam er nur auf einen Marktanteil von 0;5 Prozent. Jetzt aber könnte Al-Jazeera erstmals ernsthafte Konkurrenz drohen.

Editorische Anmerkung

Den Artikel bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.