Betrieb & Gewerkschaft
Linke Interventionen in die Arbeitswelt

Ein Veranstaltungsbericht von "teilnehmender beobachter"

7-8/11

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Eine Veranstaltung im Berliner Tristeza befasste sich am 11. Juli mit linke Interventionen in Arbeits- und Erwerbslosenkämpf gestern und heute. Dabei blieb es nicht bei einer historischen Betrachtung der 70er Jahre. Verschiedene Formen aktueller Intervention in Arbeitswelt und Jobcenter wurden ebenfalls vorgestellt.

Tausende linke Studierende sind in den frühen 70er Jahren in den Fabriken gegangen, um die Revolution zu beschleunigen. „Wir sind an den Universitäten an unsere Grenzen gestoßen und haben in den Betrieben ein wichtiges politisches Potential gesehen“, beschrieb Peter Bach seinen Beweggrund, den Campus mit der Fabrik zu vertauschen. Kurz nachdem er bei Ford angestellte worden war, begann ein großer Streik, der vor allem von Kollegen aus der Türkei getragen wurde. Bach, der damals Maoist war, gehörte zu der Minderheit der deutschen Kollegen, die den Arbeitskampf von Anfang unterstützte. Nachdem der Streik niedergeschlagen wurde er entlassen, konnte damals aber mühelos bei einem anderen Betrieb anheuern. Er wurde aktiver Gewerkschaftler und ist mittlerweile verrentet. Bach gehörte zu den nicht wenigen jungen Akademiker_innen, für die Fabrikintervention kein kurzer Ausflug sondern eine Lebensentscheidung geworden.

Mehrere von ihnen hat der Berliner Politikwissenschaftler Jan Ole Arps in seinen vor einigen Monaten im Verlag Assoziation A herausgegebenen Buch „Frühschicht - Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren“ vorgestellt. Auf der Berliner Veranstaltung begründete sein Interesse am Thema aktuell-politisch. Er habe sich unter anderem im Euro-Mayday-Bündnis engagiert, die versuchen, heute in Arbeitskämpfe einzugreifen.

„Die Bedeutung, die in den 70er Jahren noch die Fabrik hatte, spielt im Berliner Stadtteil Neukölln für viele Menschen das Jobcenter“, erklärte Florian, der sich in einer Untersuchungsgruppe zu diesen Orten engagiert. Nach dem Vorbild der militanten Untersuchungen, die in den 60er Jahren in Italien zur Untersuchung der Fabrikverhältnisse entwickelt wurden, fragen die Aktivist_innen nach dem Verhalten der Sachbearbeiter_innen, der Bewilligung von Anträgen und dem allgemeinen Klima. Viele Erwerbslose fühlen sich schikaniert, nicht ernst genommen, monieren die lange Bewilligungszeit von Anträgen. Migrantische Erwerbslose klagen auch über rassistische Bemerkungen. Allerdings stellt Florian auch fest, dass die Bereitschaft sich langfristig für eine Veränderung der Situation am Jobcenter zu engagieren, bei den meisten Betroffenen gering ist.

Arbeitskämpfe im Carebereich

Auch Muchtar Cheik Dib und Carsten Does, die über den langwierigen Kampf um verbesserte Arbeitsbedingungen im Pflegebereich berichten, beklagen die geringe Bereitschaft der Belegschaft sich, zu engagieren. Trotzdem konnten die Betriebsräte der Berliner Ambulanten Dienste e.V. neue Aktionsformen der Engagierten vorstellen. Dazu gehörte eine Plakat- und Postkartenserie, eine Ausstellung und der Scheißstreik, bei dem menschliche Exkremente in Plastikröhrchen verpackt an für prekären Arbeitsbedingungen verantwortlichen Stellen versandt wurden. Über kleine Schritte bei der Organisierung von Praktikant_innen und Honorarkräften im Bildungsbereich berichtete der in der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter Union (FAU) organisierte Nico. Damit habe man eine transparente Verteilung der Aufträge transparent durchgesetzt, was ein gegeneinander ausspielen der Mitarbeiter erschwert.
Jörn vom Klassenkampfblock, in dem sich seit 2009 in Berlin linke Gewerkschaftler_innen und politische Aktivisti_nnen koordinieren, führte auf der Veranstaltung eine spontane linke Intervention in einen Arbeitskampf durch. Er ließ eine Spendenbüchse zur Unterstützung der Lokführer_innen rumgehen, die aktuell bei der Ostdeutschen Eisenbahn-Gesellschaft (ODEG) und der Vogtlandbahn von den Privatunternehmen ausgesperrt worden sind.

Ein erstes Fazit

Die Veranstaltung zeigte, dass es eine breite Palette von Interventionen in Arbeitskämpfe gibt. Dabei wurde deutlich, dass auch in Bereichen, die als schwer oder gar nicht organisierbar gelten, Ansätze einer Selbstorganisation möglich ist, wie die Beispiele der Ansätze bei den Honorarkräften und Praktikant_innen oder bei der Erwerbslosen zeigen. Damit wird einmal mehr deutlich, dass es völlig fatal wäre, den Auseinandersetzung in der Arbeitswelt keine Bedeutung mehr zuzuschreiben, wie es in Teilen auch der außerparlamentarischen Linken praktiziert wurde. Ein anderer Fehler, der ebenfalls zu vermeiden ist, wäre die Klassenkämpfe lediglich als Fabrikkämpfe zu sehen und damit zu vergessen, dass innerhalb der Arbeitswelt heute die Fabrik in vielen Teilen nicht mehr die zentrale Bedeutung wie noch in den 70er Jahren haben. In manchen Stadtteilen übernimmt heute das Jobcenter diese Rolle. Der gesamte Pflege- oder Carebereich mit oft schlechter Bezahlung, von denen noch immer häufig Frauen betroffen sind, wächst und verlangt neue Formen der Organisierung. Honorarkräfte und Praktikant_innen gibt es nicht mehr nur im Bildungsbereich. Auch hier müssen neue Formen der Sebstorganisation gefunden werden und das genannte Beispiel lädt zur Nachahmung ein. Es gab auch direkte Fragen in dieser Richtung während und nach der Veranstaltung. Dass auch die in der traditionellen Sichtweise als Kernbereiche der Lohnarbeiter_innenklasse geltenden Sektoren große Probleme haben, ihre Interessen zu vertreten, wurde am Beispiel der ausgesperrten Lokführer_innen deutlich.

Perspektiven?

Die Veranstaltung machte noch einmal mehr deutlich, dass es nicht darum geht, von einer Zentralität bestimmter Sektoren innerhalb der Lohnarbeiter_innenklasse auszugehen. Vielmehr sollte sie in ihrer Fragmentierung erst einmal wahrgenommen werden und es sollte deutlich werden, dass sich die Menschen in diesen Verhältnissen Formen von Organisations- und Widerstandsansätzen geben, die oft von Außen gar nicht wahrgenommen wird. Ein abstraktes Organisationskonzept hier drüber zu stülpen, wäre sicher nicht die Lösung des Organisationsproblems und wurde deshalb auf der Veranstaltung auch gar nicht zur Diskussion gestellt. Es gab aber mehrere Stimmen aus dem Publikum, die sich sehr wohl wünschten, dass sich die Sektoren der Beschäftigen und Erwerbslosen, die sich auf der Veranstaltung vorstellten, auch auf der Straße zeigten und bei all ihren Unterschiedlichkeiten ihre Forderungen dort artikulieren. Ist es ein Neustart des Mayday 2012 oder eine kombinierte Aktion von Klassenkampfblock und Mayday? Oder was ganz Neues? Diese Fragen sollten die Aktivist_innen in Berlin nicht erst wieder einen Monat vor dem nächsten 1.Mai auf die Agenda stellen. Mit der Maizeitung, die ja noch ausgeweitet werden könnte, wurde dieses Jahr vom Klassenkampfblock ein guter und sicher ausbaufähriger Anfang gemacht. Und dann natürlich das Wichtigste: Der Kampf läuft das ganze Jahr über. Es wäre viel gewonnen, wenn es gegenseitige Unterstützung gäbe, wenn die unterschiedlichen Sektoren der Kämpfe der Lohnabhängigen und Erwerbslosen Solidarität brauchen. Dass kann aktuell der Kampf gegen die Aussperrung bei den Privatbahnen, morgen ein Zahltag im Jobcenter oder eine Beteiligung an einer Aktion der ambulanten Dienste oder der Honorarkräfte sein. Dieses gegenseitige aufeinander beziehen im Alltag, dass im Berliner Mayday-Prozess nur sehr mangelhaft geklappt hat, entscheidet über einen Erfolg einer zeitgemäßen linken Intervention in die Arbeitswelt. Die beiden Gruppen, die die Veranstaltung organisiert haben, bemühen sich seit einigen Jahren mit verschiedenen Workshops, Veranstaltungen aber auch in unterschiedlichen Bündnissen auf der Straße und die Reformulierung einer solchen linken Theorie und Praxis. Die Veranstaltung am 11. 7. War dabei eine wichtige und sehr gelungene Etappe in diesem Kampf.


Link zu den die Veranstaltung organisierenden Gruppen

Internationale Kommunist_innen: www.interkomm.tk
Für eine linke Strömung: www. http://fels.nadir.org/

Links zu den vorgestellten Gruppen:
Assistenzkräfte: http://www.jenseits-des-helfersyndroms.de/

FAU Berlin: http://www.fau.org/ortsgruppen/berlin

Klassenkampfblock: http://klassenkampfblock.blogsport.de/

zum Buch Frühschicht: http://www.assoziation-a.de/neu/Fruehschicht.htm
zum Widerstand an Jobcentern: http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,324,7.html  

Editorische Hinweise

Der Bericht erschien am 13.7.2011 bei Indymedia.