Dominique Strauss-Kahn
Umschlagpunkt in der Affäre erreicht?

von Bernard Schmid

7-8/11

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In dem Verfahren gegen den früheren iWF-Chef und verhinderten französischen Präsidentschaftskandidaten wenden sich Staatsanwaltschaft & manche Medien nunmehr gegen die Klägerin

Der Ton ist rauer geworden. „Dominique Strauss-Kahns Anklägerin war eine Hotelhure, laut Insidern“ (DKS’s accuser was hotel hooker) schlagzeilte, ohne jegliches Schamgefühl, kürzlich die Tageszeitung New York Post, welcher enge Verbindungen zu eher rechten Polizei- und Justizmilieus nachgesagt werden. Diverse US-amerikanische Medien übernahmen es prompt. In Frankreich blieb es eher Blogs und Webseiten vorbehalten, die angebliche Information derart schamlos offen zu übernehmen. Die Presse hielt sich stärker zurück und schrieb es jedenfalls nie explizit.

Die Anwälte von Nafissatou Diallo, der aus Guinea stammenden 32jährigen Zimmerfrau des Sofitel in New York, die Vorwürfe der versuchten Vergewaltigung und des erzwungenen Oralverkehrs gegen den früheren Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhob, haben schnell darauf reagiert. Sie geben an, es werde nicht lange dauern, bis die New York Post für ihre Hetze verurteilt werde.

Unabhängig davon ist ihre Aufgabe jedoch schwieriger geworden. Der Wind, der anfänglich dem französischen Politiker und früheren IWF-Chef - nach seiner Festnahme am 14. Mai - scharf ins Gesicht blies, hat sich zum Groteil umgedreht. Am o1. Juli 11 waren die Anwälte Nafissatou Diallos in Windeseile zum Anklagevertreter Cyrus Vance Jr. vorgeladen worden, obwohl die nächste Anhörung in der Strafsache Strauss-Kahn ursprünglich erst wieder am 18. Juli stattfinde sollte. Die Staatsanwaltschaft, so verkündeten es die Zeitungen schon Stunden zuvor öffentlich, wolle die ganze Anklage fallen lassen: Sie sei auf Ungereimtheiten und Lügen der Urheberin der Strafanzeige gegen „DSK“ gestoen, die dafür sorgten, dass das gesamte Dossier in ihren Augen unglaubwürdig werde.

So habe Nafissatou Diallo in Polizeianhörungen zugegeben, bei ihrem Asylantrag in den USA vor einem guten halben Jahrzehnt gelogen zu haben. Sie habe demnach eine präparierte Geschichte über politische Verfolgung, bei der ihr Mann getötet worden sei - er starb mutmalich in jungen Jahren an einer Krankheit, als seine Frau 17 war - nacherzählt, die ihr zuvor auf Tonband vorgespielt worden sei. So sagen es jedenfalls die Ermittler. Ferner habe sie zu viel Kindergeld kassiert, weil sie ein bei ihr lebendes Kind einer Freundin als ihr eigenes angegeben habe. Vor allem habe eine telefonische Kommunikation Zweifel bei den Polizisten ausgelöst, so hie es, die Nafissatou Diallo in der westafrikanischen Sprache Fulani mit einem Mann geführt habe, der im US-Bundesstaat Arizona aufgrund eines Drogendelikts inhaftiert ist. Darin soll sie die Formulierung benutzt haben: „Ich wei, was ich tue. Er (Strauss-Kahn) hat viel Geld.“ Diallo behauptet jedoch, sie sei unrichtig übersetzt worden. Ihre Anwälte fordern die Veröffentlichung und Übersetzung der Aufnahme. Zudem insistieren sie darauf, sie habe zuvor in demselben Gespräch deutlich erzählt, sie sei Opfer einer versuchten Vergewaltigung geworden. Der in Arizona Inhaftierte ist Berichten zufolge ein gambischer Staatsbürger, mit dem Diallo seit einem Jahr durch einen Imam - jedoch bisher nicht standesamtlich - verheiratet ist.

Beweismaterial gegen DSK bleibt

Schob man den Theaterdonner zur Seite, sah die Sache dennoch anders aus. Denn gleichzeitig kam auch heraus, dass die DNA-Analyse von Kleidungsstücken der Klägerin sowie eines Stücks Teppichbodens aus dem Hotelzimmer Strauss-Kahn eindeutig bestätigte, dass der Ex-IWF-Chef dort sein Sperma hinterlassen hatte. Insofern dürfte nach wie vor erheblicher Erklärungsbedarf für ihn bestehen. Deswegen dürfte es ein Ablenkungsmanöver sein, Diallo als angebliche Prostituierte hinzustellen - um zu suggerieren, sie habe Strauss-Kahn vielleicht doch freiwillig zur Verfügung gestanden. Etwa gegen Geld, um sich dann hinterher gegen ihn zu wenden. Angestellte und Direktion des Hotels haben eine solche Aktivität Diallos in ihrem Haus jedoch eindeutig dementiert. Zudem stellten sich auch weitere Vorwürfe, die die Klägerin unglaubwürdig machen sollte, inzwischen als falsch heraus. Einige Tage lang wurde Diallo vergangene Woche etwa vorgeworfen, es sei unverständlich, warum sie nach dem Vergewaltigungsvorwurf zunächst „ein anderes Zimmer gereinigt und dann in die Suite Strauss-Kahns zurückgekehrt“ sei, bevor sie den Vorfall signalisiert habe. Falsch, wie sich inzwischen herausstellte: Eine Auswertung der Magnetkarten des Hotels hat ergeben, dass Diallo kein anderes Zimmer betreten hatte, bevor sie das Geschehene mitteilte.

Auch die Gewerkschaft der Hotelangestellten unterstützt Nafissatou Diallo unverbrüchlich. Inzwischen mobilisieren auch Bürgerrechtsorganisationen, die gegen die Benachteiligung von Schwarzen und für deren Interessen kämpfen, für die junge Frau. Angehörige der Polizistenorganisation 100 Blacks in Law Enforcement Who Care demonstrierten am letzten Mittwoch vor dem Büro des Staatsanwalt Cyrus Vance und warfen ihm eine Verletzung seiner Pflichten für den Fall, dass er die Anklage in der Strafsache Diallo vs. Strauss-Kahn aufgebe, vor. Die Anwälte der Klägerin forderten Vance inzwischen dazu auf, wegen Befangenheit seinen Sessel zu räumen und einen anderen Anklagevertreter einzusetzen. Dies lehnte Cyrus Vance definitiv ab, gleichzeitig jedoch erklärte er sich am o1. Juli dazu bereit, von einer Verfahrenseinstellung abzusehen und die Ermittlungen fortzuführen.

Am heutigen Sonntag, den 17. 07. 11 fand eine weitere Demonstrationen von Schwarzen und „Farbigen“-Verbänden in New York zur Unterstützung des mutmaßlichen Opfers Nafissatou Diallo statt; vgl. http://www.lefigaro.fr


Politische Aufladung


Unterdessen hat sich die Affäre zu politisieren begonnen. In den USA, rund um die Aktivitäten von Farbigen-Verbänden, aber auch etwa iN Diallos Herkunftsland Guinea. Dort zeichnet sich eine stark „ethnische“ Polarisierung ab, wie sie auch sonst die Innenpolitik des westafrikanischen Landes prägt. Diallo kommt aus der Bevölkerungsgruppe der Peul, die die gröte einzelne ethnische Gruppe darstellen und bedeutende Teile des Handels kontrollieren, aber häufig Anfeindungen aus anderen Ethnien - die je nach politischer Konjunktur zu- oder abnehmen - ausgesetzt sind. Angehörige der Peul in Guinea betrachten Nafissatou Diallo heute leichter als Opfer, solche anderer Bevölkerungsgruppen tendenziell eher als Lügnerin. Präsident Alpha Condé, unter dem im vergangenen Jahr einen Anti-Peul-Wahlkampf geführt wurde oder der zumindest objektiv von ihm profitierte, richtete in einer ersten Erklärung zwar einen Gedanken an sein „Landsmännin in Schwierigkeiten“. Noch eiliger schien es ihm aber damit zu sein, zu erklären, er sei „traurig“ für Strauss-Kahn, da seine Partei ebenso wie die Strauss-Kahns beide der so genannten Sozialistischen Internationalen angehörten.

Einstweilen geht das Strafverfahren in New York also weiter, und es könnte noch manche Überraschungen hervorbringen. So wurde am Sonntag bekannt, dass Strauss-Kahn in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai - wenige Stunden vor seiner Festnahme - anscheinend versucht hatte, zwei andere weibliche Angestellte des Hotels in sein Schlafgemach einzuladen. Diese schlugen jedoch aus. Gegen 1.20 Uhr früh wurde er dann in Begleitung einer unbekannten Frau im Aufzug gefilmt. Diese konnte inzwischen identifiziert werden, lehnte jedoch jegliche Aussage vor den Ermittlern ab. In Frankreich hat unterdessen die 30jährige Schriftstellerin Tristane Banon mittlerweile eine Strafanzeige gegen Strauss-Kahn gestellt. Sie warf schon vor Jahren Strauss-Kahn vor, 2002 eine Vergewaltigung bei ihr versucht zu haben. Dies wurde damals unter den Teppich gekehrt, auch unter dem Einfluss ihrer Mutter - Anne Mansouret, die als Abgeordnete der Sozialdemokratie in einem Regionalparlament setzt, inzwischen jedoch scharfe Vorwürfe deswegen gegen ihre Partei erhebt. Dies könnte auch noch weiteres Ungemach für Prominente der französischen Sozialdemokratie mit sich bringen. Denn Anne Mansouret behauptet auch, der damalige Parteivorsitzende François Holland sei im Wesentlichen auf dem Laufenden gewesen und habe zur Vertuschung beigetragen. Hollande antwortete inzwischen, er sei nicht „im Detail“ informiert gewesen. Derzeit gilt Hollande als einer der chancenreichsten Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei.

Die Tatsache, dass es vorübergehend - für kurze Zeit - nach einer möglichen frühzeitigen Rückkehr Strauss-Kahns aussah, sorgte in den letzten zwei Wochen für erheblichen Wirbel bei der Sozialistischen Partei. Denn deren Kalender für die innerparteiliche „Vorwahl“, bei der im Oktober - nach dem Vorbild der US-amerikanischen primary elections - die Präsidentschaftskandidatin oder der Kandidat der Partei durch die Mitglieder, Sympathisanten und Wähler bestimmt werden soll, würde in einem solchen Fall über den Haufen geworfen. Die Anmeldefrist für Bewerber/innen – die sich seit dem 28. Juni 11 hatten erklären können - ist inzwischen (am 13. Juli 11) abgelaufen; am Sonntag, den 17. Juli 11 bekräftigte der Partei-Anwalt Jean-Pierre Mignard, eine weitere Bewerbung sei nunmehr nicht mehr möglich. Auch nicht für Strauss-Kahn. Durch die Fortsetzung des Strafverfahrens hat sich dieses Problem inzwischen entschärft. Dennoch lastet nach wie vor „ein Schatten Strauss-Kahns über der Partei“, den zahlreiche Artikel beschrieben oder eine Karikatur in Libération auch bildlich darstellte. Erst wenn der innerparteiliche Wahlkampf abgeschlossen sein wird oder wenn der Ausgang der Affäre Strauss-Kahn feststeht, dürfte wieder größere Stabilität einkehren.

Rassistisch unterlegte Schmutzkampagne gegen Martine Aubry

Unterdessen kämpft eine der beiden wahrscheinlichsten - und aussichtsreichsten - Galionsfiguren der französischen Sozialdemokratie im kommenden Präsidentschaftswahlkampf, Martine Aubry, ins Visier einer Schmutzkampagne geraten. Auf sie reagiert die frühere Arbeitsministerin und jetzige Parteivorsitzende jedoch ziemlich offensiv, indem sie am Wochenende ankündigte, gegen Verleumder zu klagen. „Die Affäre von Ney York“ zeige, so die Politikerin, die auch Bürgermeisterin von Lille ist, „wie schnell jedes Gerücht als eine Information gehandelt wird“.

Seit Wochen behaupten diverse rechtsextreme und rassistische Webseiten (unter ihnen die inzwischen berüchtigte Seite Riposte Laïque), Aubry Ehemann Jean-Louis Brochen sei angeblich „Islamist“. (Sic!) Ein Gerücht, das zwischendurch weite Kreise zu ziehen begann, jedoch völlig substanzlos ist. Es beruht darauf, dass Brochen - zeitweiliger Vorsitzender der progressiven Rechtsanwälte-Gewerkschaft Syndicat des avocats de France - im Jahr 1993 als Strafverteidiger mehrere ehemalige Schülerinnen und Schüler verteidigte, gegen die Schulausschlüsse ausgesprochen worden waren. Unter ihnen befanden sich ein jüdischer Schüler, der eine Kippa trug, und mehrere Kopftuch tragende muslimische Mädchen. Damals gab es für Ausschlüsse im Namen der laizistischen Staatsdoktrin noch keine Rechtsgrundlage, die erst durch das Gesetz vom März 2004 geschaffen wurde. Rechtsextreme stellten Brochen seitdem als angeblichen „Islamisten-Anwalt“ hin, eine Behauptung, die inzwischen auf die erste Hälfte des Begriffs verkürzt worden ist.

Hinzu kommen jetzt noch Gerüchte über angebliche Gesundheits- oder Alkoholprobleme Aubrys. Die sozialdemokratische Politikerin hat mit einer Klage gegen Webseiten, die solches behaupten, gedroht. Unterdessen entspann sich eine Polemik zwischen ihr und der konservativen Regierungspartei UMP. Während Teile der Sozialdemokratie meinen, letztere stecke zum Teil hinter der Weiterverbreitung der diversen Gerüchte, attackierten UMP-Politiker umgekehrt eine „Viktimisierungspolitik (Viktimisierung – Selbstdarstellung als Opfer, victime) Aubrys, die nur von der Leere ihres Programms ablenken soll“.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.