Gustav Adolf
Ein Fürstenspiegel zu Lehr und Nutzen der deutschen Arbeiter

von Franz Mehring (1908)

Vorwort zur zweiten Auflage

Als vor vierzehn Jahren der dreihundertste Geburtstag des schwedischen Königs Gustav Adolf die herrschenden Klassen in Deutschland zu feurigen Hymnen auf diesen Verheerer und Verwüster des deutschen Landes begeisterte, während dieselben Klassen zugleich ein heiseres Geschrei nach Ausnahmegesetzen gegen die Arbeiterklasse anstimmten, glaubte ich der historischen Wahrheit durch diese kleine Schrift einigermaßen zu ihrem Rechte verhelfen zu sollen. Sie wurde damals in einigen dreißigtausend Exemplaren verbreitet, ist aber seit längerer Zeit aus dem Buchhandel verschwunden, so dass die Verlagsbuchhandlung, da sich in letzter Zeit wieder vielfache Nachfrage nach ihr bekundet hat, einen neuen Druck für angezeigt hält.

Die äußeren Anlässe, die sie ihrerzeit ins Leben gerufen haben, fallen heute fort, und so lag die Frage nahe, ob ich die Spuren ihres Ursprungs ganz beseitigen und sie zu einer ausführlichen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges erweitern sollte. Allein nach reiflicher Überlegung habe ich diese Frage verneinen zu sollen geglaubt. Ohne Zweifel hat der Dreißigjährige Krieg ein lebhaftes Interesse für die Arbeiterklasse als der endgültige Abschluss der deutschen Revolution, die in dem großen Bauernkriege ihren Gipfel erreichte, aber gerade deshalb scheint es mir nützlicher zu sein, die historischen Zusammenhänge zwischen den Jahren 1525 und 1648 in ihren großen Grundzügen darzulegen und damit das innere Geflecht der ganzen Tragödie aufzudecken, als eingehend ihren letzten Akt zu schildern; zumal da die furchtbare Katastrophe dieses letzten Aktes als solche zwar erschütternd und lehrreich, aber in ihren grauenvollen Einzelheiten eintönig ist, namentlich nachdem Gustav Adolf und Wallenstein von der historischen Bühne abgetreten sind.

Wenn meine Schrift bei ihrem ersten Erscheinen auch gegen die damals geplante Umsturzvorlage mit gerichtet war, so wurde sie vom Ersten Staatsanwalt in Potsdam zu einem Versuchskaninchen eben für die Schärfe der reaktionären Waffen ausersehen, die gegen das Proletariat geschmiedet werden sollten. Er klagte das Brandenburger Parteiblatt wegen Verstoßes gegen Paragraph 131 des Strafgesetzbuches an, weil es einige meiner Sätze abgedruckt hatte, worin von den Hohenzollern nachgewiesen worden war, dass sie die „reine Lehre" als Vorwand benützt hätten, um Kirchengüter einzusacken. Nach Paragraph 131 soll mit Geld- oder Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden, „wer erdichtete oder entstellte Tatsachen, wissend, dass sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen". Der Erste Staatsanwalt in Potsdam behauptete, der Verstoß des Angeklagten gegen diesen Paragraphen sei sonnenklar. Die Tendenz der Sozialdemokratie gehe dahin, die Monarchie abzuschaffen; nun werfe die Tatsache, dass tote Hohenzollern unter religiösen Vorwänden Kirchenraub betrieben hätten, ein schlechtes Licht auf die lebenden Hohenzollern, also habe der Angeklagte die Staatseinrichtung der Monarchie verächtlich machen wollen. Die Tatsache selbst aber sei erdichtet oder entstellt, was ein vom Staatsanwalt geladener Sachverständiger eidlich erhärten werde. Dieser Sachverständige, ein Professor Heidemann vom Grauen Kloster in Berlin, bekam es in der Tat fertig, unter seinem Eide zu versichern, es sei bei der Heimramschung der märkischen Kirchengüter durch Joachim II. vollkommen ehrlich und sauber zugegangen.

So schien die Sache für den Angeklagten, den verantwortlichen Redakteur der Brandenburger Zeitung, dem der hochverräterische Ernst des Falles durch hochnotpeinliche Haussuchungen in der Redaktion und in seiner Privatwohnung eingeprägt worden war, um so schlimmer zu stehen, als sich in der alten Kur- und Hauptstadt Brandenburg kein Rechtsanwalt gefunden hatte, der anders als auf „mangelhafte Bildung" des Angeklagten hin plädieren wollte. Im letzten Augenblick übernahm dann aber noch ein Justizrat aus Potsdam die Verteidigung, ein älterer Herr aus jenen glücklichen Zeiten, wo die bürgerliche Bildung noch eine Tatsache und nicht eine Phrase war. Er warnte den Gerichtshof, sich durch eine Entscheidung über historische Fragen bloßzustellen, über die ihm weder formell noch materiell ein Urteil zustände, und zerzauste unbarmherzig das sogenannte Gutachten des sogenannten Sachverständigen. So sprach die Strafkammer den Angeklagten frei, „da sie aus dem Gutachten den Eindruck gewonnen habe, dass die Forschungen über diese historischen Fragen noch nicht abgeschlossen seien, übrigens aber auch dann nicht gegen den Paragraphen 131 verstoßen worden sei, wenn der Sachverständige die reine historische Wahrheit bekannt hätte". Seitdem hat bekanntlich die Leipziger Justiz den für das Ansehen der deutschen Rechtspflege entschieden notwendigen Fortschritt gemacht zu erkennen, dass historisch unanfechtbare, aber moralisch unerfreuliche Tatsachen über tote Majestäten auszusprechen eine Majestätsbeleidigung ihrer Nachfahren sei.

Einen harmloseren, jedoch nicht geistreicheren Angriff auf meine Schrift unternahm gleichzeitig ein ehrwürdiger Geistlicher der Landeskirche, der in irgendeinem Kirchen- oder Kreisblatt eine endlose Artikelreihe gegen sie veröffentlichte und das alte Geschwätz über den „Glaubenshelden" Gustav Adolf, der nach Deutschland gekommen sei, um die protestantische Religion zu retten, dadurch zu beweisen suchte, dass er es zum zehntausendsten Male breittrat. Dem Amsterdamer Professor Kernkamp hatte es wieder die historisch-materialistische Methode angetan, die er 1901 in seiner Antrittsrede: „Over de materialistische Opvattung van de Geschiedenis" an meiner Schrift zu widerlegen suchte; ich habe mich darüber in der „Nieuwe Tijd", dem Wochenblatt unserer holländischen Genossen, gern mit ihm auseinandergesetzt, doch sind seine Einwände den deutschen Lesern zu geläufig, als dass ich hier nochmals dabei zu verweilen brauchte.

In Deutschland hat sich die bürgerliche Kritik, soweit sie ernsthaft sein wollte, namentlich daran gestoßen, dass ich aus Wallenstein einen „nationalen Helden" hätte machen wollen. Ohne ein bissele Falschheit geht es auch dabei nicht ab; ich hatte mich ausdrücklich dagegen verwahrt, einen „nationalen Helden" im landläufig-modernen Sinn des Wortes gemeint zu haben, durch die Einschränkung: „soweit ein nationaler Held in der damaligen Zeit überhaupt möglich war". Ich vermag mich auch jetzt nicht mit der landläufigen Weisheit der bürgerlichen Geschichtschreibung abzufinden, wonach Wallenstein ein „heimatloser Kondottiere", ein „historischer Abenteurer" gewesen sein soll. Wallenstein hat für Deutschland dasselbe erstrebt, was gleichzeitig Richelieu für Frankreich erreichte: die Begründung der absoluten Monarchie auf nationalem Boden als einer weltlichen Einheit, die über den kirchlichen Gegensätzen stand. Man muss auch hier den Mann nach den Dingen, nicht aber die Dinge nach dem Mann beurteilen. Wallenstein war kein Abenteurer und Phantast, der mit großen Dingen nur zu spielen wusste, sondern weil die großen Dinge, die er in tief geschöpften und weit gefassten Plänen verfolgte, in Deutschland unmöglich waren, geriet er in eine abenteuerliche und phantastische Politik, die ihn in einen tragischen Untergang verstrickte.

Richelieu war so wenig eine ideale Gestalt wie Wallenstein, und als „Verräter" im Sinne der loyalen Geschichtsschreibung konnte er sich mit diesem reichlich messen. Er hielt wie Wallenstein einen prächtigen Hof und besoldete auch eine eigene Leibgarde, an deren Spitze er vor dem Könige erschien. Freilich war sein Angestammter ein viel trübseligeres Individuum als der Angestammte Wallensteins, allein dafür hatte Richelieu an der energischen Mutter des schwachköpfigen Königs eine um so grimmigere Gegnerin, und die Beichtväter des Pariser Hofes intrigierten gegen ihn nicht minder als die Beichtväter des Wiener Hofes gegen Wallenstein. Auch war Richelieu wie Wallenstein trotz seiner priesterlichen Würde Generalissimus des Heeres, das er im Harnisch und mit den Pistolen im Halfter anführte, nach seinem Willen und nicht nach dem Willen des Königs. Wenn aber dennoch die beiden Männer ein so verschiedenes Schicksal hatten, so aus dem Grunde, dass Richelieu eine halb schon vollendete, tief in den ökonomischen Verhältnissen Frankreichs wurzelnde Zentralisation nur abzuschließen brauchte, während Wallenstein eine halb schon vollendete, tief in den ökonomischen Verhältnissen Deutschlands wurzelnde Dezentralisation nicht mehr rückgängig machen konnte.

Bis zu einem gewissen Grade hängt damit ein anderer Tadel zusammen, der mir auch von befreundeter Seite gemacht worden ist, dass ich nämlich den Protestantismus gegenüber dem Katholizismus mit all zu düsteren Farben gemalt haben soll. Ich will nicht unbedingt die Grundlosigkeit dieses Tadels behaupten; wenn man in rein protestantischen Gegenden aufgewachsen und in protestantischen Schulen erzogen worden ist, so urteilt man, sobald man zur Einsicht in diese religiösen Gegensätze gelangt, leicht milder über die Schläge, die man nicht selbst gefühlt hat. Insoweit ist es auch wohl kein Zufall, dass diejenigen Parteigenossen, die mir eine zu große Voreingenommenheit gegen den Protestantismus vorwerfen, in rein katholischen Gegenden aufgewachsen und in katholischen Schulen erzogen worden sind, also ihrerseits vielleicht zu günstig über den Protestantismus urteilen. Indessen will ich mich gegen diesen Vorwurf nicht lange sträuben, zumal da das Lob der Gegner mich noch mehr überzeugt als der Tadel der Freunde: Mein Schriftchen ist von den österreichischen Ultramontanen verbreitet worden, um damit die Los-von-Rom-Bewegung zu bekämpfen, ein Erfolg, den ich nicht erstrebt habe und den ich lebhaft bedaure, und ich habe gern die Sünden der katholischen Gegenreformation in diesem neuen Drucke mit einigen kräftigeren Strichen hervorgehoben.

Im Wesen der Sache freilich kann ich meine Auffassung nicht ändern. Der Protestantismus ist einst in die Geschichte getreten als die religiöse Verkleidung einer bürgerlichen und selbst schon plebejischen Revolution; insofern bedeutete er zweifellos einen historischen Fortschritt, den zu verdunkeln oder zu verkleinern ungerecht und unklug sein würde. Aber er war eben nur der ideologische Überbau einer ökonomischen Entwicklung, die sich in der mannigfaltigsten Weise vollzog, nicht ohne arge Rückschläge und Rückschritte, und dementsprechend auch ihre Gedankenwelt umgestaltete. Umgekehrt bewährte der Katholizismus sein alt erprobtes Geschick, sich den verschiedensten ökonomischen Zuständen anzupassen und auch historisch fortschreitenden Entwicklungen das Gedankenmaterial zu liefern, dessen sie bedurften. Um diese jahrhundertelangen Kampfe zu verstehen, kommt man nicht mit der kahlen Schablone aus: Hie Katholizismus! Hie Protestantismus! Es genügt nicht, den einen oder den anderen zu loben oder zu tadeln, sondern man muss nach dem spinozistischen Wort den einen und den anderen zu verstehen suchen, und ebendarum habe ich mich in meiner Schrift bemüht. Das mag mir nur in mehr oder minder bescheidenem Maße gelungen sein, allein die Methode halte ich nach wie vor für richtig, und ich kann nicht zustimmen, wenn einer meiner sozialdemokratischen Kritiker, Genosse Hugo Schulz in Wien, in seinem trefflichen und höchst lesenswerten Werke: Blut und Eisen, sich gerade bei der Darstellung des Dreißigjährigen Krieges in Ausführungen darüber ergeht, dass der Protestantismus zweifellos Elemente der Freiheit in sich berge, die dem Katholizismus völlig abgingen; die Bildungstendenzen des Protestantismus hätten doch bei aller Geistesarmut seiner leitenden Köpfe einen volkstümlichen, in die Breite gehenden Zug; die Jesuiten hätten die Volksbildung absichtlich vernachlässigt, während das protestantische Ideal, dass jedermann die Bibel lesen können müsse, sie immerhin relativ begünstige.

Als Maßstäbe des historischen Urteils reichen diese allgemeinen Sätze meines Erachtens nicht aus; sie treffen unter gewissen historischen Voraussetzungen mehr oder minder zu, unter anderen historischen Voraussetzungen aber ganz und gar nicht. Wo hat denn die bürgerliche Aufklärung ihre gewaltigsten Schlachten geschlagen und ihre glänzendsten Siege erfochten? Nicht in dem protestantischen Deutschland und nicht einmal in dem protestantischen England, sondern in dem katholischen Frankreich. Erklärlich wird die Auffassung des Genossen Hugo Schulz dadurch, dass er einseitig vom österreichischen Standpunkt aus urteilt und dem Katholizismus wie dem Protestantismus als religiösen Weltanschauungen Wirkungen zuschreibt, die sie nicht als solche gehabt, sondern die sie nur als religiöse Feldzeichen äußerst weltlicher Kämpfe gedeckt und, wenn man den allzu schmeichelhaften Ausdruck gebrauchen darf, verklärt haben. Die an sich unbestreitbare Tatsache, dass die bürgerliche Aufklärung, soweit sie in Deutschland überhaupt ins Leben getreten ist, in den protestantischen, aber nicht in den katholischen Gegenden des Landes gewurzelt hat, kann leicht zu großen Missverständnissen führen, obgleich schon ein Blick auf Frankreich zeigt, dass diese Erscheinung doch eine andere Ursache gehabt hat als die freiere Weltanschauung des Protestantismus.

Die letzte Möglichkeit, Deutschland als eine weltliche Monarchie über den konfessionellen Gegensätzen zu errichten, war im Dreißigjährigen Kriege für immer gescheitert. So blieb der religiöse Hader sozusagen als konstituierendes Element der deutschen Anarchie; auf die Kirche stützte sich der weltliche Despotismus, und es waren kirchliche Machtmittel, durch die er sich in den unzähligen souveränen Staaten, in die Deutschland nach dem Westfälischen Frieden zersplittert war, zu befestigen suchte. Das war in den protestantischen Territorien nicht anders als in den katholischen, nur mit dem Unterschiede, dass die katholische Weltkirche ganz andere Machtmittel zur Verfügung stellte als die protestantischen Landeskirchen und dass der österreichische Großstaat mit den katholischen Machtmitteln ganz anders wirtschaften konnte als die mittleren und kleinen Staaten mit den Bannflüchen ihrer Pfäfflein. Die katholische Reaktion in Österreich war eine Maschine der Unterdrückung, die an Scheußlichkeit, aber auch an Wirksamkeit weitaus alles überbot, was von der protestantischen Reaktion geleistet werden konnte, und es ist vollkommen begreiflich, wenn geborene Österreicher heute noch voll heftigen Zornes an diese schmachvolle Zeit denken.

Aber deshalb darf doch nicht übersehen werden, dass es den protestantischen Despoten und ihren geistlichen Helfershelfern in Deutschland nicht am Willen, sondern nur an der Macht gefehlt hat, um dem katholischen Vorbild erfolgreich nachzueifern. Die Nachfahren Luthers waren ja noch viel gehorsamere Fürstenknechte als die katholischen Prälaten, und an fanatischer Unduldsamkeit standen sie diesen so wenig nach wie an pfäffischer Borniertheit. Während einsichtige Jesuiten, wie Friedrich Spee, bereits gegen die Hexenprozesse auftraten, hat eine berühmte Leuchte der protestantischen Universität Leipzig noch 20.000 Hexen auf den Scheiterhaufen gesandt, dabei allerdings dreiundfünfzigmal die ganze Bibel durchgelesen, was auf die intellektuelle und moralische Wirkung dieser Lektüre immerhin ein nicht ganz einwandfreies Licht wirft. Später ist freilich ein anderer Leipziger Professor, Christian Thomasius, der wirksamste Bekämpfer der Hexenprozesse geworden, aber auch er hat noch erklärt, es sei das gute Recht der Fürsten, alle nach ihrer Ansicht ketzerisch gesinnten Landeskinder über die Grenze zu jagen, womit dann gerade die nichtswürdigsten Schandtaten der österreichischen Jesuiten gerechtfertigt wurden.

Praktisch war dieses edle Wettlaufen zwischen katholischer und protestantischer Verfolgungssucht nur deshalb nicht mit gleichem Schritte durchzuführen, weil die protestantischen Eiferer sich nicht den Luxus gestatten durften, die mehr oder minder eng begrenzten Besitzungen der protestantischen Despoten zu entvölkern, wie die Jesuiten das Salzkammergut und andere österreichische Landschaften entvölkert haben. Derartige zwingende Gründe hatte ihre „Toleranz" auch sonst; weil der preußische König in den geistlichen Staaten ein Hauptrekrutierungsgebiet besaß, durfte in seinen Staaten „jeder nach seiner Fasson" selig werden. Auch die gegenseitige Eifersucht zwischen diesen Winkeldespoten spielte dabei eine große Rolle; als Thomasius aus Leipzig von den lutherischen Orthodoxen hinaus gebissen wurde, siedelte ihn der preußische Nachbar in dem benachbarten Halle an, um die Leipziger Studenten über die Grenze zu locken, und nicht etwa aus aufklärerischer Gesinnung. Denn bald nachher wurde der Professor Christian Wolff in noch viel schimpflicherer Weise als Thomasius aus Leipzig – nämlich bei sofortiger Strafe des Stranges – aus Halle vertrieben, wegen eines harmlosen, aber von dem preußischen Könige missverstandenen philosophischen Satzes.

Genug also, wenn die bürgerliche Aufklärung nur in die protestantischen, aber nicht in die katholischen Gegenden Deutschlands, und namentlich nicht nach Österreich vordringen konnte, so ist das nicht irgendwelchen „Elementen der Freiheit" geschuldet, die der Protestantismus vor dem Katholizismus voraus hat, sondern die Tatsache, dass die protestantische Unduldsamkeit die Grenzen der Gebiete, über die sie herrschte, nicht so hermetisch absperren konnte, wie es der katholischen Unduldsamkeit möglich war. Wie im Übrigen der Protestantismus die bürgerliche Aufklärung misshandelt hat, von Thomasius und Wolff bis auf Kant und Lessing, ist hinlänglich bekannt. Der protestantische Menschenverkäufer Braunschweigs hat Lessings Alter ebenso verwüstet wie der protestantische Menschenverkäufer Württembergs Schillers Jugend; die protestantischen Zeloten aber haben nicht weniger geleistet im Denunzieren Herders und Kants; einem unserer Klassiker, Winckelmann, haben sie sogar so zugesetzt, dass er sich nur in den Schoß der katholischen Kirche zu retten wusste, die ihm denn auch ermöglicht hat, seine genialen Fähigkeiten zu entfalten.

Doch es mag an diesen Andeutungen genug sein. Sie zeigen wohl schon zur Genüge, wie wenig dem Protestantismus an sich und ein für allemal ein Vorzug vor dem Katholizismus gebührt; es kommt immer nur auf die Klassen oder die Klassenfraktionen an, die unter diesem religiösen Feldzeichen miteinander kämpfen, und die deutschen Fürsten, die zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, wie vor und nach ihm miteinander rangen, waren in ihrer katholischen wie in ihrer protestantischen Fraktion einander ebenbürtig, wenn sich sonst auch nicht leicht in der Geschichte ein Gesindel aufweisen lässt, das beiden ebenbürtig wäre.

So habe ich in allem wesentlichen den Text unverändert gelassen, ihn aber stilistisch sorgfältig durchgesehen und auch sachlich in manchen Einzelheiten erweitert oder verbessert.

Steglitz-Berlin, im März 1908. F. M.

Seite 299-301