Gustav Adolf
Ein Fürstenspiegel zu Lehr und Nutzen der deutschen Arbeiter

von Franz Mehring (1908)

3. Die Perioden der deutschen Reformation

Die Entwicklung der deutschen Reformation hängt von zwei ökonomischen Tatsachen ab. Erstens verhinderte der Widerstreit der wirtschaftlichen Interessen in den verschiedenen Teilen Deutschlands das Entstehen einer großen Nation. Die Interessengegensätze zwischen dem nördlichen und dem südlichen, dem östlichen und dem westlichen Deutschland waren so groß, dass sich keine einheitliche Zentralgewalt im modernen Sinne herausbilden konnte. Umgekehrt wie in Spanien, Frankreich, England trug es die Krone nicht über die großen Vasallen der Feudalzeit fort, sondern die großen Vasallen hatten den Vorteil von den Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise und konstituierten sich als sozusagen moderne Fürsten, während das Kaisertum in feudaler Hilflosigkeit zerfiel. Zweitens aber führte die Entwicklung der Warenproduktion zur Aufsuchung neuer Absatzmärkte und Handelswege, zu jenen großen geographischen Entdeckungen, die den Welthandel von den Gestaden der Ostsee und des Mittelländischen Meeres an die Ufer des Atlantischen Ozeans verlegten und somit den Verfall der nord- und süddeutschen Städte, überhaupt die schnelle Verarmung Deutschlands anbahnten. Ohne die stete Berücksichtigung dieser ökonomischen Tatsachen wird man nie zu einem richtigen Verständnis der deutschen Reformation gelangen.

Sie zerfällt in vier Perioden, von denen die erste bis zum Jahre 1525, bis zur Niederwerfung des großen Bauernaufstandes, reicht. Diese Periode umfasst die Abschüttlung des römischen Joches, an der alle Klassen bis tief in die Geistlichkeit hinein ein mehr oder minder großes Interesse hatten, und die vergeblichen Versuche einzelner dieser Klassen, in der Befreiung von Rom zugleich ein nationales Reich herzustellen. Die erste Voraussetzung hierzu war, die Macht der Teilfürsten zu brechen, und diese Voraussetzung wäre gegeben gewesen, wenn die Städte stark genug gewesen wären, den Vorkampf zu übernehmen und die sonstigen fürstenfeindlichen Elemente, den niederen Adel, die Bauern, die städtischen Plebejer, um eine gemeinsame Fahne zu scharen. Aber die Städte hatten dazu nicht die Kraft und demgemäß auch nicht den Willen; sie schwankten hilflos hin und her. So erlagen die vereinzelten Aufstände, erst des niederen Adels unter Hutten und Sickingen, dann der Bauern und städtischen Plebejer, der Macht der Fürsten. In der blutigen Bezwingung der adligen, der infamen Niedermetzelung der bäuerlich-plebejischen Empörung gingen die katholischen und protestantischen, die geistlichen und weltlichen Fürsten einträchtig zusammen.

Die zweite Periode der deutschen Reformation reicht von 1525 bis 1555, bis zum Augsburger Religionsfrieden. Sie umfasst den Beute- und Plünderungszug der siegreichen Fürsten und ihre völlige Emanzipation von der kaiserlichen Gewalt. Die katholische Kirche war in Deutschland sehr reich; so gehörte ihr mindestens der dritte Teil vom Grund und Boden. Die „Reformationen" der Fürsten sind nun der Raub der Kirchenschätze. Bis zum furchtbaren Aderlasse des Bauernkrieges war ein revolutionärer Zug durch die deutsche Reformation gegangen, dem sich auch Luther nicht entzogen hatte; ein gar nicht einmal besonders findiger Staatsanwalt könnte nach heutigem Strafrecht und mit dem Maße, womit seinesgleichen die sozialdemokratische Presse misst, aus Luthers Schriften mühelos einige hundert Jahre Gefängnis und einige Dutzend Jahre Zuchthaus herausrechnen. In dieser ersten Periode standen die Fürsten keineswegs an der Spitze der Reformation; selbst Luthers Beschützer, der Kurfürst Friedrich von Sachsen, sah sehr misstrauisch auf die Bewegung der Massen, und er war noch weitaus der Anständigste von der Gesellschaft: der einzige, der sich nicht an dem schmutzigen Schacher beteiligte, womit die anderen Kurfürsten die deutsche Kaiserkrone an den meistbietenden Ausländer feilboten, just zur selben Zeit, als eine mächtige Begeisterung für nationale Selbständigkeit durch das Volk flammte. Erst als das revolutionäre Feuer im Blute der Bauern erloschen war, begannen die Fürsten zu „reformieren", d. h. sich zu obersten Bischöfen ihrer Landeskirchen zu erklären, das Luthertum durch ihre Hofprediger zu einer Religion des schwachköpfigen Untertanenverstandes ausbilden zu lassen und vor allem die reichen Kirchengüter einzusacken.

Werfen wir, um ein Beispiel herauszugreifen, einen Blick auf die Hohenzollern! Im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts zerfiel dies deutsche Fürstengeschlecht in zwei Linien: die märkische Kurlinie und die fränkische Linie, die in der Gegend von Ansbach und Bayreuth herrschte. Die märkische Linie bestand aus Joachim I., dem Kurfürsten von Brandenburg, und seinem Bruder Albrecht, dem Erzbischofe und Kurfürsten von Mainz. Sie war an dem Ablassschacher, gegen den Luther auftrat, auf Halbpart mit der römischen Kurie beteiligt und blieb deshalb päpstlich. Mit dem Schwerte des Nachrichters suchte Joachim I. in der brandenburgischen Bevölkerung, die, arm wie sie war, sich sofort der römischen Ausbeutung entzogen hatte und protestantisch geworden war, die katholische Religion aufrechtzuerhalten. Er war von einer unersättlichen Habsucht geplagt, und die Kirchengüter waren gerade in der Mark Brandenburg nicht so bedeutend, dass sie in seinen Augen den Glanz der päpstlichen, der französischen, der spanischen Finanzen hätten ausstechen können. Den „Vater der Habgier" nannten ihn verzweifelt die französischen wie die spanischen Unterhändler, die er, seine fürstliche Ehre über und über besudelnd, bei dem Handel um die deutsche Krone wie der geriebenste Schacherer gegeneinander ausspielte und die einen wie die anderen gleich gewissenhaft übers Ohr hieb. Ebenso arg trieb es sein Bruder Albrecht von Mainz, der nach Joachims unverdächtigem Zeugnisse „nur Geld und Gewinn suchte durch alle Mittel". Er blieb der römischen Kurie weder treu, noch wurde er ihr untreu, sondern trug „auf zwei Achseln", wie Luther sagte. Als Kardinal der römischen Kirche und erster geistlicher Fürst des Reiches zog er aus Rom, was er aus Rom ziehen konnte, und seine deutschen Lande sog er aus, wie er sie nur auszusaugen vermochte, namentlich auch, indem er ihnen die Ausübung des lutherischen Bekenntnisses gegen Bezahlung seiner Schulden oder sonstige Erlegung großer Geldsummen gestattete.

Im Gegensatze zu den märkischen wurden die fränkischen Hohenzollern sehr früh protestantisch. Ihr Haupt war der Markgraf Friedrich, ein alter Herr schon, aber von einer unverwüstlichen Gesundheit, die seinen hoffnungsvollen Söhnen als ein unverzeihliches Verbrechen erschien. Sie überfielen ihn eines schönen Abends und warfen ihn in den Hungerturm, worauf der älteste Bruder Kasimir die Regierung übernahm. Beiläufig erfreute sich diese summarische Art der Thronbesteigung damals einer gewissen Beliebtheit unter den deutschen Fürsten; der Wittelsbacher Ludwig mit dem Höcker spielte seinem Vater genauso mit. Indessen die Massen hatten noch nicht das nötige Verständnis für eine so gemütvolle Fürstenpolitik, und aus Angst vor seinen murrenden Untertanen „genehmigte" Kasimir „die Predigt des Evangeliums nach rechtem und wahrem Verstand, lauter und rein". Dafür erfrischte der erste protestantische Hohenzoller in dem gleich darauf ausbrechenden Bauernkriege seine meuchlerischen Gelüste umso gründlicher. Er machenschaftete erst mit den aufständischen Bauern und verriet sie dann tückisch; seine henkermäßige Spezialität bestand darin, den gefangenen Bauern die Augen auszustechen und sie hilflos auf die Landstraße zu werfen. Von seinen sieben Brüdern blieben die einen katholisch und wurden die anderen protestantisch, je nachdem bessere Geschäfte zu machen waren. Das beste Geschäft von ihnen machte der dritte Bruder Albrecht. Er ließ sich zum Hochmeister des Deutschen Ordens wählen, der über das heutige Ostpreußen herrschte, steckte dann aber eid- und wortbrüchig den Ordensstaat als weltliches Herzogtum in die Tasche und begab sich als teutscher und protestantischer Mann zur Sicherung des schweren Kirchenraubes unter die Oberhoheit des katholischen Königs von Polen – mit der geistvollen Begründung, „solche Mummerei könne mit gutem Gewissen geschehen zur Beförderung der göttlichen Lehre".

Inzwischen hatte es die „göttliche Lehre" auch den märkischen Hohenzollern angetan. Als Joachim I. im Jahre 1535 starb, hinterließ er die Mark Brandenburg seinen beiden Söhnen. Joachim II. erhielt die eigentliche Kurmark, Hans die Neumark. Dieser jüngere Bruder war etwas schmal abgefunden worden, und so verzehrte ihn, wie ein Zeitgenosse sagte, „unersättlicher Hunger und Durst nach geistlichem Gute"; er wurde sofort protestantisch, obgleich er dem Vater „bei fürstlichen Würden, Ehren und Treuen an eines rechten geschworenen Eides Statt" versprochen hatte, katholisch zu bleiben. Nicht ganz so einfach lag die Sache für den älteren Bruder. Joachim II. war ein Fürst, von dem, wäre er ein Welfe, Wettiner oder Wittelsbacher gewesen, der hohenzollernsche Geschichtschreiber Treitschke gesagt haben würde, dass er „in sündhafter Verschwendung den Schweiß seines Stammlandes verprasste". Seine Prachtliebe, seine Jagden, seine Tierhetzen, seine Bauten, seine Goldmacherei, seine Mätressen verschlangen unermessliche Summen. Im Laufe von fünf Jahren hatte Joachim II. nicht nur die von seinem Vater zusammengeschacherten Schätze vergeudet, sondern auch eine für die damaligen Verhältnisse ungeheure Schuldenlast von sechsmalhunderttausend Gulden aufgetürmt. Insoweit empfand Joachim II. einen lebhaften Appetit auf die geistlichen Güter, und dieser Appetit wurde noch stark angereizt durch die Stände, d. h. die Junker, die sich weigerten, für Deckung der landesfürstlichen Schulden zu sorgen, wenn Joachim nicht mit ihnen gemeinsame Rapuse in den Kirchenschätzen machen würde. Dazu kam noch ein anderes. Joachim war ein Schwiegersohn des Königs von Polen, von dem er mit Rücksicht auf seine Verwandtschaft mit dem ersten Herzog von Preußen, der keine Söhne hatte, die Mitbelehnung für diesen neuesten Erwerb des Hauses Hohenzollern zu erhalten wünschte. Um Herzöge von Preußen werden zu können, mussten die Kurfürsten von Brandenburg aber protestantisch sein; als Katholiken konnten sie ein der katholischen Kirche geraubtes Land natürlich nicht beherrschen.

Solchen Rücksichten auf der einen standen nun Rücksichten auf der anderen Seite gegenüber. So die Rücksicht auf Gnade und Gunst des Kaisers Karl V., der, wie Joachim II. aus Leben und Taten seines Vaters wusste, über reiche Hilfsquellen verfügte, sodann die Rücksicht auf König Sigismund von Polen, der ein strenger Katholik war und durch Abfall seines Tochtermannes von der Kirche so erbittert worden wäre, dass er ihm die Mitbelehnung für das Herzogtum Preußen nicht gewährt haben würde. Man sieht, wie schwierig namentlich dieser Teil der Aufgabe war. Um Herzog von Preußen zu sein, musste Joachim II. zum protestantischen Glauben schwören, um es zu werden, musste er bei der katholischen Kirche bleiben. Nichts ist amüsanter, als in den Büchern der hohenzollernschen Geschichtsbaumeister zu lesen, wie Joachim II., ein durch und durch verkommener Wüstling, als tiefer Denker die dogmatischen Haarspaltereien des Pfaffengezänks studiert und endlich kraft seines schöpferischen religiösen Genies eine märkische Kirchenreform erzeugt haben soll, die sowohl über Rom wie über Wittenberg gestanden habe. Tatsächlich stand die Aufgabe so, eine Kirchenordnung auszuhecken, die sowohl von wegen Einheimsung der geistlichen Güter und Anfalles von Preußen „protestantisch", als auch wegen sonst zu befürchtender Ungnade Kaiser Karls und König Sigismunds „katholisch" sein musste. Das Ringen und Würgen durch diese widerstreitenden Interessen hindurch ergab die komische Missgeburt der märkischen Reformation und die „providentielle protestantische Mission" des brandenburgisch-preußischen Staates.

Heimlich wie ein Dieb in der Nacht nahm Joachim II. in der Nikolaikirche zu Spandau das Abendmahl in beiderlei Gestalt, was in jener Zeit als die äußere Form des Übertritts zur protestantischen Kirche galt, und schrieb gleichzeitig an den König Sigismund, er denke nicht daran, sich von der katholischen Kirche zu trennen. Dementsprechend sandte er einerseits eine „Visitationskommission" durch das Land, die den Befehl hatte, der Geistlichkeit das bare Geld, die Schuldbriefe, die Gold- und Silberschätze, die geistlichen Lehen, den kirchlichen Grundbesitz, die unbeweglichen Klostergüter abzunehmen und an die kurfürstlichen Amtsleute auszuliefern, und erließ er andererseits die neue märkische Kirchenordnung, wonach es bei der bischöflichen Gewalt, der geistlichen Rechtsprechung, den kirchlichen Prozessionen, der letzten Ölung, den lateinischen Gesängen, den Messen und sonstigen „papistischen Zeremonien" sein Bewenden haben sollte. Geistlicher Berater des Kurfürsten bei dieser „Reformation" war der Hofprediger Agricola, von dem Luther schrieb: „Meister Grickel kann es mit jedem Possenreißer aufnehmen. Mein Rat war, dass er für alle Zeit sich des Predigtamts enthalten und sich irgendwo als Hanswurst vermieten sollte; zum Lehramt taugt er gar nicht. Wir sind froh, dass wir diesen eitlen und albernen Menschen losgeworden sind." Das geraubte Kirchengut teilte Joachim II. mit den Junkern, denen er dazu noch das nichtswürdige Recht des Bauernlegens gewährte. Dafür übernahmen die Stände seine Schulden und gewährten neue Steuern, mit deren Ertrage Joachim sein Lasterleben fortsetzen konnte; „der große Schoß, dass Gott erbarm", schreibt ein Zeitgenosse, „kam gleichzeitig mit der Kirchenvisitation". Acht Jahre nach dieser glorreichen „Reformation" nahm Joachim II. gegen zehntausend Gulden, die ihm katholische Fürsten zahlten, und eine beträchtliche „Handsalbe", die seinem Hofprediger Agricola zugesteckt wurde, das sogenannte Interim an, d. h. er verpflichtete sich, eine katholische Reaktion in der Mark Brandenburg durchzuführen, was nur an dem Widerstande der Bevölkerung scheiterte. Trotz aller dieser profitablen Geschäfte hinterließ der „Reformator" der Mark Brandenburg, dem vor einiger Zeit für seine „epochemachende Kulturtat" ein Denkmal in Spandau gesetzt wurde, bei seinem Tode eine Schuldenlast von gegen vier Millionen Talern.

Es würde weit über den Rahmen dieser kleinen Schrift hinausreichen, wenn derselbe Nachweis, der eben für die Hohenzollern geführt worden ist, auch noch für die übrigen Fürstengeschlechter in Deutschland geführt werden sollte. Bei aller buntscheckigen Verschiedenheit der äußeren Verhältnisse liefen die fürstlichen „Reformationen" im Wesen der Sache stets auf dasselbe hinaus: Es waren Beute-und Plünderungszüge des siegreichen Fürstentums, soweit dieses ständisch beschränkt war, auch der Junker und etwa noch der städtischen Patrizier, die freilich, dank dem ökonomischen Verfall der Städte, sehr im Hintertreffen marschierten. Nicht im entferntesten kam der Raub der Kirchengüter den Massen zugute, den Bauern und den städtischen Plebejern; sie wurden um so unbarmherziger ausgebeutet, je mehr sich die Gräuel der feudalistischen mit den Gräueln der kapitalistischen Ausbeutung versetzten.

Wie aber verhielt sich die kaiserliche Gewalt zu dieser selbstherrlichen Ausgestaltung des Fürstentums? Im Jahre 1519 hatte bei dem Schacher um die deutsche Krone der spanische über den französischen König den Sieg davongetragen. Karl V. aber stellte sich zur deutschen Reformation, je nachdem das Papsttum ihm fügsam oder aufsässig war, je nach seinen europäischen Herrschaftsplänen, je nach seinen Kämpfen mit Frankreich und dem Großtürken bald mehr, bald weniger ablehnend, im Grunde aber immer ablehnend. Als Weltherrscher durfte er nicht mit Rom brechen und auch nicht als deutscher Kaiser, ja nicht einmal als Herr der österreichischen Erblande in Deutschland, deren Regierung er schon früh seinem Bruder Ferdinand als deutschem Könige abgetreten hatte. Das deutsche Kaisertum war von jeher aufs engste mit dem römischen Papsttum verknüpft, und das bunte Gewirr der österreichischen Erblande wurde durch die katholische Religion um so mehr zusammengehalten, als sie die Vormauer Deutschlands gegen den türkischen Ansturm bildeten. Erst im Jahre 1545, als ihm Friedensschlüsse mit Frankreich und der Türkei freie Hand verschafft hatten, konnte Karl daran denken, die kaiserliche Macht in Deutschland aufzurichten durch Niederwerfung des Teilfürstentums oder, ideologisch ausgedrückt: die religiöse Einheit Deutschlands in katholischem Sinne wiederherzustellen. Kaum aber schickte er sich dazu an, als die protestantischen Fürsten in erbaulicher Weise zeigten, wes Geistes Kinder sie waren. Dies Rudel Wölfe spaltete sich, und ein Teil schloss sich dem Kaiser an, aus Angst vor seiner Macht oder in Hoffnung auf neue Beute. So sämtliche Hohenzollern und von den Wettinern das Haupt der albertinischen Linie, der Herzog Moritz, der die mächtigere ernestinische Kurlinie vorzeitig zu beerben wünschte. Unter diesen Umständen zersprengte der Kaiser in der Schlacht bei Mühlberg leicht den Widerstand, den ihm namentlich der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und der Landgraf Philipp von Hessen entgegensetzten. Er nahm beide Fürsten gefangen und gab dem Herzog Moritz die Kurwürde und zum größten Teile auch die Länder seiner emestinischen Vettern. Diese Linie der Wettiner wurde auf einige kleine Fetzen von Land beschränkt.

Damit schien die kaiserliche Gewalt sehr schnell wiederhergestellt zu sein, doch ruhte sie auf tönernen Füßen. Das Teilfürstentum wurzelte viel zu tief in den ökonomischen Zuständen Deutschlands, als dass es so ohne weiteres hätte über den Haufen geworfen werden können. Das zeigte sich sofort, als Kaiser Karl die Früchte seines Sieges zu pflücken und zunächst seinem Sohne Philipp die deutsche Kaiserkrone zu sichern gedachte. Dieselben Fürsten, die ihm den Sieg verschafft hatten, erhoben sich nun gegen ihn, so der neugebackene Kurfürst Moritz von Sachsen und der fränkische Hohenzoller Albrecht, der Sohn jenes Vatermörders und Bauernhenkers Kasimir und selbst der gemeingefährlichste Mordbrenner seiner Zeit. Ihre eigene Macht war freilich zu schwach, um den Kaiser unter ihren Willen zu zwingen, und der König Ferdinand, der für sich selbst auf die deutsche Kaiserkrone spekulierte, konnte ihnen höchstens eine heimliche Unterstützung gewähren. So erkauften sie das Bündnis des französischen Königs durch schmählichen Verrat am Reich, durch die Preisgabe der deutschen Bistümer Metz, Toul und Verdun an Frankreich. Nun stieß Moritz von Sachsen gegen Karl V., der sich in Innsbruck aufhielt, mit solcher Gewalt vor, dass sich der alternde und kränkelnde Kaiser mit Mühe und Not über den Brenner retten musste. Schnell wie sie erhoben war, stürzte die kaiserliche Macht wieder zusammen. Im Vertrage von Passau und danach im Augsburger Religionsfrieden wurde Religionsfreiheit für die Reichsstände, das will sagen für die Landesobrigkeiten, ausgemacht. Es blieb bei der Kirchenspaltung, es blieb bei der fürstlichen Souveränität. Bald darauf dankte Karl V. ab, und die habsburgische Weltmacht spaltete sich. Ihr Kern fiel an Karls Sohn Philipp, während Karls Bruder Ferdinand als Herr der österreichischen Erblande nun auch zum deutschen Kaiser gewählt wurde.

Die dritte Periode der deutschen Reformation reicht von 1555 bis 1618, vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges. In ihr schied Deutschland völlig aus den großen Welthändeln aus, die im westlichen Europa zwischen Spanien, Frankreich, den Niederlanden und England ausgefochten wurden; die deutschen Fürsten nahmen höchstens als beutelüsterne Söldnerführer daran teil, käuflich für jede Macht, die bar bezahlen konnte. Fast ekelhafter noch als diese Raufbolde waren die Saufbolde, die daheim den Kehricht hüteten; „gestern abermalen voll gewest, heute das Trinken auf ein Vierteljahr verredet", schreibt ein Kurfürst von der Pfalz, der unter seinesgleichen lange nicht der Schlechteste war. Alles in allem ein verkommenes Geschlecht, mit schwarzen Missetaten befleckt, im Schlamm der gemeinsten Unzucht watend. Feile Historiker haben diese Periode der deutschen Reformation als eine glückliche Zeit religiöser Duldung gefeiert, doch nichts kann plumper sein als solche Geschichtsklitterung.

Der Augsburger Religionsfriede beschränkte sich auf Katholiken und Lutheraner; er schloss die Calvinisten aus. Der Calvinismus war namentlich im westlichen Deutschland vertreten, in den rheinischen Gebieten, die auf einer verhältnismäßig hohen Stufe der Kultur standen und durch ihre geographische Lage in die westeuropäischen Welthändel gerissen wurden. Auch hier war der Calvinismus wurzelecht nur in den Städten; die Stadt Wesel verewigte sich durch ihre tapfere Haltung in dem Jesuitenreime.

Genf, Wesel und Rochelle
Seind des Teufels andere Höll'.

Daneben gab es calvinistische Fürsten, aber sie waren auch danach. Die Kurfürsten von der Pfalz, die durch die Lage ihres Landes in die holländisch-spanischen Händel verwickelt waren, schworen in sechzig Jahren zweimal das Luthertum ab, um zweimal eine calvinistische Maske vorzubinden. Und als eine pfälzisch-wittelsbachische Linie mit dem brandenburgischen Kurfürsten in einen Erbschaftsstreit über rheinische Landstriche geriet, wurden die lutherischen Wittelsbacher flugs katholisch, um die Unterstützung der Spanier, und die lutherischen Hohenzollern flugs calvinistisch, um die Unterstützung der Holländer zu gewinnen. An und für sich war der Calvinismus den deutschen Fürsten und gerade den lutherischen wegen seines bürgerlich-republikanischen Gehaltes tief verhasst; die lutherischen Hofpfaffen erklärten den Glauben der „Sakramentierer" für schlimmer als den türkischen. Es war der ideologische Ausdruck der Tatsache, dass die Fürsten im Großtürken einen zärtlichen Beschützer besaßen, während sie den städtischen Bürgergeist als ihren Todfeind hassten. So wurde der Calvinismus vom Augsburger Religionsfrieden ausgeschlossen.

Es ist nun aber auch noch sehr ungenau zu sagen, dass sich dieser Friede auf Katholiken und Lutheraner beschränkt habe. Er beschränkte sich vielmehr auf das Abkommen der katholischen und lutherischen Reichsstände, einander wegen der Religion nicht mehr zu bedrängen. Jeder Reichsstand, jede Landesobrigkeit erhielt das Recht, es in ihrem Gebiete mit der Religion einzurichten, wie ihr beliebte. Der Friede beruhte auf dem Grundsatze cuius regio, eius religio, wer das Land besitzt, darf auch die Religion der Landesbewohner bestimmen. Den Untertanen gewährte der Religionsfriede nichts als das unter den damaligen Rechts- und Verkehrsverhältnissen sehr problematische und auch noch mannigfach beschränkte Recht des Auswanderns, falls sie sich durch das gewaltsame „Seligmachen" ihres Landesherrn in ihrem Gewissen bedrängt fühlten. Es ist eine Finte der protestantischen Geschichtsschreiber, dies „Seligmachen" als eine Erfindung der Jesuiten zu brandmarken. Gerade die protestantischen Fürsten hatten in ihrem Interesse den Grundsatz cuius regio, eius religio durchgesetzt, und in voller Wahrheit berief sich König Philipp von Spanien darauf, dass er bei seinen Ketzerverfolgungen genau nur das täte, was die protestantischen Winkeldespoten in Deutschland als ihr Recht beanspruchten und durch den Augsburger Religionsfrieden auch als ihr Recht gewährleistet erhalten hätten.

Nun hatte dieser Friede aber ein großes Loch. Er drückte das Siegel auf die bisherigen Kirchenplünderungen der protestantischen Fürsten, aber wie war es fortan mit den geistlichen Gebieten zu halten, deren es noch eine große Zahl in Deutschland gab? Nach lutherischer Forderung sollte für diese Gebiete der Grundsatz cuius regio, eius religio nicht gelten; ihre lutherischen Bewohner sollten unbeschwert ihres Glaubens leben dürfen. Dagegen wollten die Katholiken den geistlichen Reichsständen billig sein lassen, was den weltlichen Reichsständen recht war. Dies war die eine Meinungsverschiedenheit, über die es zu keiner Einigung kam. Die andere aber bestand in dem sogenannten „geistlichen Vorbehalt", der von katholischer Seite gefordert wurde. Danach sollte jeder geistliche Reichsstand, Kurfürst, Erzbischof, Bischof, Abt, der zur „reinen Lehre" abfiele, dadurch von selbst seiner geistlichen Ämter und Würden verlustig gehen. Hiervon wollten nun wieder die lutherischen Fürsten nichts wissen, denen damit der bequemste Weg, kirchliche Güter einzuheimsen, abgeschnitten gewesen wäre. Die hohen Pfründen der Geistlichkeit waren längst zu Sinekuren des hohen Adels geworden, und wir sahen schon an dem Beispiele des preußischen Ordensstaats, dass nur ein wenig „Mummerei" dazu gehörte, um große geistliche Gebiete in den Taschen lutherischer Fürstenhäuser verschwinden zu lassen. Mit diesen beiden offenen Fragen war in den Augsburger Religionsfrieden das große Loch geschlagen, durch das der Dreißigjährige Krieg gefahren kam.

In der Tat gelang es den „Mummereien" der lutherischen Fürstenhäuser, in den sechzig Jahren nach dem Frieden, unter Missachtung des „geistlichen Vorbehalts" über hundert geistliche Stifte und Abteien, namentlich in Norddeutschland, zu ergattern, darunter so große Gebiete wie die Erzbistümer und Bistümer Magdeburg, Bremen, Minden, Verden, Halberstadt, Lübeck, Ratzeburg, Meißen, Merseburg, Naumburg, Brandenburg, Havelberg, Lebus, Kammin. Dagegen fühlten sich aber auch die geistlichen Fürsten, die der Kirche treu blieben, keineswegs an die Verpflichtung gebunden, ihre lutherischen Untertanen unbeschwert des lutherischen Glaubens leben zu lassen. Ein venezianischer Gesandter berechnet, dass in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts sieben Zehntel der deutschen Bevölkerung sich zum Luthertum, zwei Zehntel zu verschiedenen Sekten und nur ein Zehntel zum Katholizismus bekannt hätten. Nun aber begann, geleitet vom Orden Jesu, eine katholische Gegenreformation von den nachhaltigsten Wirkungen. Sie war in erster Reihe ein Werk der Jesuiten, wobei jedoch keineswegs, wie die protestantischen Schönfärber behaupten, Gewalt und List die einzigen oder auch nur die wirksamsten Waffen des Ordens gewesen sind.

Diese Legende ist selbst von solchen protestantischen Geschichtsschreibern verschmäht worden, die sich von allzu blinder Voreingenommenheit gegen das Papsttum frei zu halten gewusst haben. Treitschke spricht von den „Pfaffen der lutherischen Kirche", die „in byzantinischem Fanatismus und byzantinischer Gedankenarmut" einander in die Tiefen der Hölle hinab geflucht hätten um der Frage willen, ob die Erbsünde auch in den Leibern der Verstorbenen noch hafte bis zum jüngsten Tage, so dass selbst Melanchthon in seinem letzten Stündlein noch geseufzt habe: Auf dass ich erlöst werde von dem ungeheuren und unversöhnlichen Hasse der Theologen! „Es ist nicht anders, das Luthertum jener Tage stand nicht nur politisch, sondern auch sittlich tief unter dem verjüngten Katholizismus, der soeben alle seine Bekenner wie ein Heer des Glaubens in der festen Burg seiner alten, jetzt neu geordneten Hierarchie gesammelt hatte … Die unsittliche Lehre vom leidenden Gehorsam sog den Lutheranern das Mark des Willens aus den Knochen." Nicht ganz so drastisch, aber sachlich dafür umso eingehender, spricht sich Ranke in seiner Geschichte der Päpste aus.

Er weist nach, dass die wirksamste Waffe der Jesuiten die Reform des Schulwesens gewesen sei. „Vor allem arbeiteten sie auf den Universitäten. Sie hatten den Ehrgeiz, mit dem Rufe der protestantischen zu wetteifern. Die ganze gelehrte Bildung jener Zeit beruhte auf dem Studium der alten Sprachen. Sie trieben dieselben mit frischem Eifer, und in kurzem glaubte man, wenigstens hier und da die jesuitischen Lehrer den Restauratoren dieser Studien an die Seite stellen zu dürfen. Auch andere Wissenschaften kultivierten sie: Franz Koster trug in Köln die Astronomie ebenso angenehm wie belehrend vor. Die Hauptsachen aber, wie sich versteht, blieben die theologischen Disziplinen. Die Jesuiten lasen mit dem größten Fleiße, auch während der Ferien; sie führten die Disputierübungen wieder ein, ohne welche, wie sie sagten, aller Unterricht tot sei; die Disputationen, die sie öffentlich anstellten, waren anständig, gesittet, inhaltsreich, die glänzendsten, welche man jemals erlebt hatte … Nicht minderen Fleiß widmeten die Jesuiten der Leitung der lateinischen Schulen. Es war einer ihrer vornehmsten Grundsätze, dass man die unteren Grammatikalklassen gut besetzen müsse. Auf den ersten Eindruck, den der Mensch empfange, komme doch für sein gesamtes Leben das meiste an … Es gelang den Jesuiten hiermit zur Verwunderung. Man fand, dass die Jugend bei ihnen in einem Halbjahre mehr lerne als bei anderen binnen zwei Jahren; selbst Protestanten riefen ihre Kinder von entfernten Gymnasien zurück und übergaben sie den Jesuiten."

An diesen Zugeständnissen protestantischer Historiker ist um so weniger zu rütteln, als die historische Entwicklung der Dinge schlagend genug zeigt, weshalb es so kommen musste.

Seitdem die deutsche Reformation in die Hände der Fürsten gefallen war, führte sie in eine furchtbare Barbarei zurück. Die kultivierten und reicheren Teile Deutschlands empfingen dadurch einen unwiderstehlichen Anstoß, zum Katholizismus zurückzukehren, den Bruch zu heilen, der sie von den entwickeltsten Ländern trennte, von Italien, Frankreich, Spanien. Bezeichnend ist die schleunige Rückkehr fast aller deutschen Humanisten in den Schoß der römischen Kirche. Diese Sachlage haben die Jesuiten nicht geschaffen, aber wohl mit einem in seiner Art bewundernswerten Geschick ausgebeutet. Im Jahre 1551 hatten sie noch keine feste Stätte in Deutschland; im Jahre 1566 hielten sie schon Bayern und Tirol, Franken und Schwaben, einen großen Teil der Rheinlande umklammert. Wohl ist die Geschichte des Jesuitismus, wie die Geschichte des Kapitalismus überhaupt, mit Blut und Tränen geschrieben, aber über das Luthertum des sechzehnten Jahrhunderts hat er als ein Träger höherer Kultur seine Erfolge davongetragen. Die Jesuiten siegten durch die Reformen des Schulwesens, durch eine zwar kirchlich verkropfte, aber dem verdummenden Luthertum unendlich überlegene Bildung; sie besetzten die drei geistlichen Kurfürstentümer Mainz, Köln, Trier, die fränkischen Bistümer Bamberg und Würzburg, die geistlichen Sitze in Bayern mit ihren fähigsten Schülern, mit gebildeten Männern, denen die lutherischen Hofprediger nach Charakter und Geist nicht entfernt das Wasser reichen konnten.

Einen Hauptfang taten sie an den mächtigsten Teilfürsten des südlichen Deutschlands, den bayerischen Herzögen. Diese Fürsten unterlagen denselben Antrieben wie ihre ganze Klasse in Deutschland, und schon neigten sie sich der Reformation zu, als der Jesuitismus kräftig eingriff. Die Kirche bewilligte den bayerischen Herzögen einen Zehnten von den Gütern der Geistlichkeit und machte sie dadurch unabhängig von ihren Ständen; sie räumte ihnen eine Art geistlicher Oberaufsicht ein; sie eröffnete ihren nachgeborenen Söhnen die Aussicht auf die höchsten geistlichen Sitze; es kam vor, dass die bayerischen Herzöge die Klöster als Kammergut betrachteten und einer weltlichen Verwaltung unterwarfen. Mit denselben ökonomischen Interessen, die den Abfall so vieler Fürsten verursacht hatten, fesselte nunmehr der Jesuitismus die bayerischen Herzöge an die Kirche. Mit gläubiger Inbrunst ergaben sie sich diesem Wohl- und Wundertäter. Sie wurden dadurch nicht schlechter; im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts steht der bayerische Herzog Max, ein Zögling der Jesuiten, unter den deutschen Fürsten wie ein Mann unter lauter Jämmerlingen.

So hatte sich unter dem Schutze des Religionsfriedens neuer Zündstoff mächtig gehäuft. Unter religiösen Formen rauften sich sehr weltliche Herrschaftsinteressen. Im Jahre 1607 nahm der fromme Herzog Max von Bayern irgendeine religiöse Zänkerei zum Vorwande, um die freie Reichsstadt Donauwörth bei der Gurgel zu packen und in seinen Schnappsack zu stecken.
(1) Der kecke Gewaltstreich gab das erste Signal zum Sammeln der Heere. Ein Teil der protestantischen Fürsten schloss sich zur Union zusammen, unter Führung von Kurpfalz, worauf sich die katholischen Fürsten unter Führung von Bayern zur Liga zusammentaten. Die Union blieb ein totgeborenes Kind, nicht einmal der erste lutherische Reichsstand, der Kurfürst von Sachsen, schloss sich ihr an; er wurde gelähmt durch Eifersucht auf Kurpfalz, durch Angst vor der Rache der so schmählich betrogenen ernestinischen Vettern, durch Ländergier, die er vom Kaiser befriedigt zu sehen hoffte. Dagegen wurde die Liga eine wirkliche Macht; sie hatte im Herzoge Max ein entschlossenes Haupt, und eine große Zahl geistlicher Reichsstände, die drei geistlichen Kurfürstentümer voran, bildete ihr festes Knochengerüst.

In dieser Lage der Dinge eröffnete eine innere Krisis der österreichischen Erblande die vierte Periode der deutschen Reformation, den Dreißigjährigen Krieg.


Fußnoten

1) Über Donauwörth wurde 1607 die Reichsacht verhängt. Die Vollstreckung durch Maximilian von Bayern erfolgte 1608.

Seite 315-327