Gustav Adolf
Ein Fürstenspiegel zu Lehr und Nutzen der deutschen Arbeiter

von Franz Mehring (1908)

6. Gustav Adolfs deutsche Feldzüge

Zu den schillernden Seifenblasen der Gustav-Adolf-Legende gehört auch die Redensart von dem „kleinen Heldenheere", mit dem der König das „Evangelium gerettet" haben soll. Er landete allerdings nur mit 13.000 Mann in Pommern, hatte aber durch rechtzeitige Nachschübe dafür gesorgt, dass sein Heer alsbald auf 40.000 Mann stieg, eine für die damalige Zeit sehr ansehnliche Macht. Er begann mit ihr die „Reinigung der Seekante", die Eroberung Pommerns und Mecklenburgs, die Vertreibung der kaiserlichen Truppen von der Ostseeküste.

Er verdankte diese ersten Erfolge nicht sowohl seiner überlegenen Kriegskunst als dem Verrate deutscher Fürsten: keineswegs aber oder doch nicht in erster Reihe dem Verrat protestantischer Fürsten. Die deutschen Zeitgenossen betrachteten Gustav Adolfs Einfall in Deutschland einfach als das, was er war: als den Eroberungskrieg eines fremden Königs. Sie ließen sich nicht durch seine schönen Redensarten von Rettung des Evangeliums täuschen, womit er nunmehr allerdings heftig um sich zu werfen begann. Die offene Unterstützung eines fremden Eroberers auf deutschem Boden war eine Felonie, mit der die dunkeln Blätter der deutschen Fürstengeschichte bis dahin noch nicht befleckt worden waren. Selbst der Herzog von Pommern, ein schwachsinniger Greis, der, wie Gustav Adolf sagte, „sein Bierchen in Ruhe trinken wollte", unterwarf sich nur den Waffen der schwedischen Eroberer.

Die protestantischen Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, auf deren Entscheidung es zunächst ankam, wollten nichts von einem Bündnis mit Gustav Adolf wissen. Einzig in den Hansastädten gab es seit ihrer harten Bedrängung durch Wallenstein eine schwedische Partei. Zum Siege gelangte sie in Magdeburg. In diesem wichtigen Erzstifte, der beherrschenden Position des nördlichen Deutschlands, um das sich hohenzollernsche und wettinische Prinzen zankten, war mit der Durchführung des Restitutionsedikts ein brutaler Anfang gemacht worden, und der Kaiser beanspruchte für einen seiner jüngeren Söhne die erzbischöfliche Würde. Die Stadt Magdeburg selbst war von Parteien zerrissen, die Altstadt von kommerzieller Eifersucht gegen die Vorstädte erfüllt, das patrizische und das plebejische Element durch schroffe Klassengegensätze getrennt. In diesen verworrenen Verhältnissen gelang es dem hohenzollernschen Prätendenten Christian Wilhelm, einem ganz jämmerlichen Menschen, der zwei Jahre darauf katholisch wurde und zum Kaiser überlief, durch einen Handstreich Magdeburg in die Hände der schwedischen Partei zu bringen. Gustav Adolf sandte darauf einen seiner vertrautesten Offiziere, den Hofmarschall und Obersten von Falkenberg, ab, um die Stadt zu halten, bis er selber kommen könne, sie zu besetzen. Einstweilen hinderte ihn der brandenburgische und der sächsische Widerstand daran.

Vielmehr waren es die katholischen Fürsten, die zwar nicht Gustav Adolf unterstützten, aber, was auf dasselbe hinauslief, Kaiser und Reich entwaffneten. Zur selben Zeit, als Gustav Adolf in Pommern landete, begab sich der Kaiser auf einen Kurfürstentag in Regensburg, um die Unterstützung der Kurfürsten für den Krieg mit Frankreich und Schweden sowie namentlich für die Wahl seines Sohnes zu seinem Nachfolger zu gewinnen. Max von Bayern und die geistlichen Kurfürsten erschienen selbst, die protestantischen waren durch Gesandte vertreten, die eine durchaus nebensächliche Rolle spielten. Sie verlangten Aufhebung des Restitutionsedikts, was von dem Kaiser und der Liga gleichmäßig abgelehnt wurde. Der eigentliche Handel spielte sich zwischen dem Kaiser und der Liga ab. Die Liga hatte die Stärkung der kaiserlichen Gewalt gefördert, solange diese Gewalt in ihrem Interesse wirkte; sie war aber durchaus anderer Meinung geworden, als Wallenstein die Macht des Kaisers auf eigene Füße stellte und über die katholischen Fürsten ebenso weg schritt wie über die protestantischen. Verminderung des kaiserlichen Heeres und Entfernung des „schädlichen Menschen, des Friedländers" vom Oberbefehle: das war ihre erste Gegenforderung. Dann sollte der Kurfürst von Bayern als Haupt der Liga und Feldherr des Kaisers den Krieg gegen die schwedischen Eindringlinge führen. Vom Kriege mit Frankreich wollten die ligistischen Fürsten überhaupt nichts wissen. Sie spielten mit Richelieu längst unter einer Decke; sie hatten ihm die Entwaffnung des Reiches und die Beendigung des mantuanischen Krieges versprochen; auf ihr Betreiben erschien eine französische Gesandtschaft in Regensburg, um den Frieden zu verhandeln. Richelieu hatte ihr seinen vertrautesten Berater beigegeben, den Pater Joseph, der mit diabolischer Geschicklichkeit das französische Interesse auf diesem deutschen Fürstentage vertrat.

Wallenstein selbst lebte derweil noch immer in seinen großen Entwürfen. Er fürchtete den Krieg mit Frankreich nicht und hatte sich darauf vorbereitet; gegen den franzosenfreundlichen Papst ließ er das drohende Wort fallen: seit hundert Jahren sei Rom nicht geplündert worden, jetzt müsse es noch weit reicher sein als damals. Es war ein lockendes Ziel, die durch landesfürstlichen Verrät verlorenen Bistümer Metz, Toul und Verdun wieder durch die Gewalt der kaiserlichen Waffen ans Reich zu bringen; Wallenstein hat wohl von seinem künftigen Hauptquartier Paris gesprochen. Aber bei allen phantastischen Träumen war er durchaus kein Phantast. Sobald die kaiserlichen Truppen Mantua erstürmt und das kaiserliche Ansehen in Italien wiederhergestellt hatten und sobald Gustav Adolfs Einfall in Deutschland unabwendlich war, riet Wallenstein zu einem ehrenvollen Frieden mit Frankreich, um die antihabsburgische Koalition zu sprengen: „wenn der Friede in Italien erfolgt, dann sind alle des Hauses Österreichs Feinde im Sack". Wallenstein wusste nicht – und es ist keine Schande für ihn, dass er es nicht einmal ahnte –, wie tief sich die katholischen Kurfürsten schon mit Frankreich eingelassen hatten. Nach dem Ausgleich mit Frankreich wollte er die kaiserlichen Truppen, die in Italien gekämpft hatten, an sich ziehen und die Schweden mit unwiderstehlicher Gewalt über die Ostsee zurückjagen: dann war die kaiserliche Macht glänzender als je in Deutschland wiederhergestellt.

Wie einst an den Städten, so scheiterte es jetzt an den Fürsten. Im entscheidenden Augenblick schlug wieder das partikularistische Interesse durch. Was half dem Hause Habsburg die monarchische Gewalt, wenn es sie nicht vom Vater auf den Sohn vererben konnte? Und der Sohn konnte dem Vater nur folgen durch die Wahl der Kurfürsten. Die ligistische Mehrheit der Kurfürsten erklärte aber, wenn Wallenstein nicht entlassen würde, so würde sie lieber den französischen König zum Nachfolger des Kaisers wählen. Dem Kaiser blieb keine Wahl: Er musste Wallenstein, er musste einen Teil seines Heeres entlassen. Mit großer Mühe erlangte er nur, dass der Rest seiner Truppen nicht unter das Haupt, sondern unter den Feldherrn der Liga gestellt wurde; Tilly sollte die kaiserlich-ligistischen Truppen gegen Schweden befehligen. Dafür verweigerten die Fürsten dem Kaiser die Gegenleistung: Sein Sohn wurde nicht zu seinem Nachfolger gewählt. Ferner wurde zwar der Friede mit Frankreich geschlossen, aber Richelieu weigerte sich, die Abmachungen seiner Regensburger Bevollmächtigten zu genehmigen. Der Kaiser musste den italienischen Krieg weiterführen, und da er ihn bei Gustav Adolfs schnellem Vordringen nicht weiterführen konnte, so war er, wie er klagte, zu einem „unannehmlichen, ganz widerwärtigen Frieden" mit Frankreich gezwungen. Dafür schloss Frankreich den lange geplanten Bündnisvertrag mit Schweden ab, nicht zum Schutze der protestantischen Religion, sondern zur Sicherung der Ostsee für Schweden, zum Schirme der deutschen Zerrissenheit, zur Zerstörung der kaiserlichen Macht; Gustav Adolf verpflichtete sich ausdrücklich, mit Bayern und der Liga Freundschaft oder doch Neutralität zu halten, falls sie desgleichen täten.

Die furchtbare Niederlage des Kaisers auf dem Regensburger Tage war die wirkliche Ursache von Gustav Adolfs siegreichem Vordringen in Deutschland. Wenn die ultramontane Presse auf Gustav Adolf als den devastator Germaniae, den Verwüster Deutschlands, schilt, so muss sie daran erinnert werden, dass Gustav Adolf Deutschland nur verwüsten konnte durch den Verrat der katholischen Fürsten an Kaiser und Reich. Solange der Hader in Regensburg tobte, war es keine große Leistung von Gustav Adolf, mit seinem wohlgerüsteten Heere die einzelnen Abteilungen der kaiserlichen Truppen an der Ostseeküste zu schlagen. Darnach aber trat ihm kein ebenbürtiger Gegner und keine ebenbürtige Macht gegenüber, wie er sie ohne den ligistischen Verrat in Wallenstein und dessen Heere gefunden hätte. Die entlassenen Truppen dieses Heeres liefen vielmehr zu ihm über und verstärkten seine Heereshaufen. Tilly selbst war ein tapferer Haudegen und keineswegs der rohe Wüterich, den die protestantischen Geschichtsschreiber aus ihm zurecht gefabelt haben, aber er war ein mittelmäßiger Feldherr, vom Alter gebeugt, ohne jede politische Einsicht, der hilflos hin und her schwankende Diener des Kaisers und der Liga, zweier Herren von sehr verschiedenen Interessen. Die Briefe seines klugen und verwegenen Unterfeldherrn Pappenheim sind eine vernichtende Kritik seiner kläglichen Kriegführung. Statt sich mit voller Macht entweder auf Magdeburg zu werfen oder gegen Gustav Adolf zu kehren, versuchte er mit unzulänglichen Kräften das eine und das andere. Nach unnützer Vergeudung kostbarer Kraft und Zeit entschloss er sich endlich für die Niederwerfung Magdeburgs als für die leichtere Aufgabe. Am 10. Mai 1631 erstürmte er die Stadt, dank der Kriegskunst Pappenheims und dank auch den Verrätern innerhalb der Stadtmauern, aber der Siegespreis zerfiel ihm wie mürber Zunder in der Hand. Magdeburg ging in Flammen auf, und der blutige Feuerschein der furchtbaren Katastrophe leuchtete den Schweden zu neuen Siegen.

An den Fall Magdeburgs knüpfen sich zwei Streitfragen, über die ganze Bibliotheken meist sehr wertloser Makulatur zusammengeschrieben worden sind. Die erste Frage lautet: Konnte Gustav Adolf die Stadt entsetzen? Diese Frage löst sich im Grunde in die andere Frage auf: War Gustav Adolf ein Glaubensheld oder ein Eroberer? War er ein Glaubensheld, so war es für ihn nicht nur möglich, sondern nicht einmal ein besonderes Wagnis, die Stadt zu entsetzen. War er ein Eroberer, dem das schwedische Interesse über allem und das protestantische Interesse unter Null stand, so hat er sich vom Erobererstandpunkte nicht uneben verteidigt mit den Worten, dass solche Verpflichtungen, wie er gegen Magdeburg eingegangen sei, „nicht so absurde zu verstehen wären, dass er blinderweise hätte zuplatzen, sich und seinen Staat vergeblich gefährden und damit die gute Stadt nicht sowohl entsetzen als mit sich zugleich über den Haufen werfen sollen". „Absurde" verstanden zu werden, ist nun einmal das Pech der glorreichen Eroberer, und „absurde" zu verstehen, ist nun einmal das Unglück der Leute, die an ihre großmäuligen Verheißungen glauben. Die andere Frage lautet: Wer hat Magdeburg angezündet? Sie kann nicht mit der Sicherheit eines gerichtlichen Beweises entschieden werden, aber mit derjenigen historischen Gewissheit, womit heute jedermann sagt: Die Russen, nicht die Franzosen, haben 1812 Moskau angezündet, muss sie beantwortet werden: Die Schweden, nicht die Kaiserlichen, sind die Brandstifter von Magdeburg. Oder noch genauer: der Schwede ist es, der Oberst Falkenberg, Gustav Adolfs vertrauter Adjutant.

Tilly war kein Genie, aber er hätte ein kompletter Narr sein müssen, wenn er den wichtigen Platz, den er eben mit äußerster Kraftanstrengung erobert hatte, in Asche gelegt hätte. Er hat die Stadt plündern lassen, wie Gustav Adolf Frankfurt a. d. O. und Würzburg nach der Erstürmung plündern ließ: Die Plünderung erstürmter Plätze war damals barbarisches, aber allgemeines Soldatenrecht. Freilich ist in Magdeburg noch über das damals übliche scheußliche Maß hinaus gemordet und geplündert worden, aber nur, weil die überall auflodernde Brandfackel die letzten Reste von Disziplin in dem stürmenden Heere löste. Angezündet hat Tilly diese Fackel nicht. Er selbst hat für die Brandstiftung Magdeburgs schon auf der Brandstätte die Belagerten verantwortlich gemacht, namentlich auch nach Aussage der Gefangenen, und die Richtigkeit seiner Ansicht wird heute auch von allen irgend ernsthaften protestantischen Geschichtsschreibern anerkannt. Falkenberg fiel bei dem Sturme, doch ist an diesem scheinbar klassischen Zeugen nicht viel verloren. Solche „Heldentaten" sind etwas brenzliger Natur, und ihre Urheber sind deshalb keine klassischen Zeugen. Rostoptschin, der Gouverneur von Moskau, hat sich im Rausche des ersten Erfolges laut gerühmt, den Brand von Moskau veranlasst zu haben, und dafür Orden und Ehren beansprucht, aber in späteren Jahren, sogar in vertraulichen Briefen, steif und fest behauptet, Napoleon habe die Stadt angezündet und ihm wider besseres Wissen die schauerliche Tat in die Schuhe geschoben. Dass Falkenberg für die Brandstiftung von Gustav Adolf instruiert gewesen sei, dafür liegt keinerlei Beweis vor. Aber in den allgemeinen Rahmen seiner Kriegführung passte sie durchaus, und ihre Früchte hat er geerntet.

Denn die Gärung, die schon durch das Restitutionsedikt in den Massen der protestantischen Bevölkerung hervorgerufen worden war, wurde durch die Magdeburger Katastrophe in unberechenbarer Weise gesteigert. Die Angst vor dem ,,Magdeburgisieren" der Kaiserlichen, die Sorge, dass überall im nördlichen Deutschland „die magdeburgische Tragödie agiert werden möchte", griff jedem einzelnen an Leib und Leben. Nicht unmittelbar nützte diese Stimmung den schwedischen Eroberern; zunächst schadete sie ihnen sogar, denn das Misstrauen gegen Gustav Adolf wuchs, weil er von protestantischer Seite beschuldigt wurde, Magdeburg nicht nach Gebühr unterstützt zu haben. Aber das unüberwindliche Grauen vor der kaiserlich-ligistischen Soldateska musste auf die Dauer zugunsten des einzigen Retters wirken, den es nach Lage der Dinge vor diesen Feinden gab. Die ganze Lage hatte sich verschärft; es gab nur ein Hüben und Drüben.

Die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen konnten die neutrale Haltung nicht mehr innehalten, womit sie sich bisher zwischen der Pflicht gegen das Reich und der Angst vor Gustav Adolf durchzuwinden versucht hatten. Auf ihr Haupt wälzte Gustav Adolf öffentlich die Schuld an dem Fall Magdeburgs; sie hätten ihn durch ihre zweideutige Stellung gehindert, nach Magdeburg vorzubrechen. Mit Nachhilfe einiger Gewalt ergab sich zunächst der Brandenburger, zitternd und zagend, denn er war ein trauriger Schwächling, der schon von Pillau her die „freundschaftlichen" Griffe des Herrn Schwagers kannte und zugleich vor dem langen Arm des Kaisers den aufrichtigsten Respekt hatte. Persönlich war der Sachse von gleichem Kaliber: der „Bierjörgel", wie er allgemein hieß, von dem das Volk sagte, seine Merseburger Bierfässer seien ihm lieber als der Protestanten Frommen, und an dem es ein Diplomat als ein Wunder der göttlichen Allmacht pries, wenn er je aus seinem ewigen Tran zu einem nüchternen Augenblick erwachte. Er besaß die ganze Anhänglichkeit an das Kaiserhaus, welche die sächsischen Kurfürsten seit dem Verrat an ihren ernestinischen Vettern beseelte, und als lockenden Köder hielt ihm der Kaiser die Lausitz hin. Allein das Restitutionsedikt wollte ihm die Bistümer Meißen, Naumburg und Merseburg nehmen, wo so schönes Bier gebraut wurde, und das Erzbistum Magdeburg drohte ihm auch zu entgleiten, ehe er es noch recht gefasst hatte. So taumelte er hin und her, bis ihn die unsanfte Bedrohung seiner Länder durch Tillys Scharen in die schwedischen Arme taumeln ließ. Die sächsischen Truppen vereinigten sich mit dem schwedischen Heere; am 7. September 1632 fiel die Entscheidung bei Breitenfeld. Die mächtigen Schlachthaufen, in denen Tilly nach altspanischer Art noch kämpfte, zerstampften mit ihrem Elefantentritte leicht die sächsischen Regimenter, und „Bierjörgel" floh atemlos vom Schlachtfelde, aber Gustav Adolf stellte die Schlacht wieder mit seinen erprobten Truppen her; durch ihre bewegliche Taktik warf er die unförmliche Masse des kaiserlich-bayerischen Heeres in eine hoffnungslose Niederlage. Es war ein entscheidender Schlag. Gustav Adolf beherrschte Norddeutschland, und Süddeutschland lag wie eine wehrlose Beute vor ihm.

Man hat ihm zum Vorwurfe gemacht, dass er diese glänzende Lage nicht ausgenutzt habe und auf Wien marschiert sei, um dem Kaiser mit dem Schwerte in der Hand den Frieden zu diktieren. In dieser Form ist der Vorwurf übertrieben, denn so weit reichte die Macht des schwedischen Königs lange nicht, um auch nur Österreich endgültig niederzuwerfen. Hätte er sich auf diesen Weg begeben, so hätte er über kurz oder lang sein Kolin erlebt, wie mehr als hundert Jahre später der preußische König, der in der Schlacht bei Prag das Haus Österreich niedergeschlagen zu haben glaubte und sich in dem trügerischen Wahne wiegte, den Frieden auf den Wällen Wiens diktieren zu können.

Aber wenngleich in übertriebener. Form, so enthält jener Vorwurf doch den richtigen Gedanken, dass Gustav Adolf nach der Schlacht bei Breitenfeld den Frieden suchen musste. Er hatte erreicht, was er überhaupt erreichen konnte; er hatte die kaiserlichen Waffen aus dem nördlichen Deutschland gefegt und damit sein Königreich von dem Drucke befreit, der ihm den Atem zu rauben drohte; er konnte den Kaiser zwingen, auf das Restitutionsedikt zu verzichten, und damit die norddeutschen Fürsten dauernd an sein Interesse ketten. Und selbst wenn er ein „Glaubensheld" gewesen wäre, so hätte er nunmehr dem Protestantismus die völlige Gleichberechtigung neben dem Katholizismus sichern können. Daran dachte er aber nicht, sondern seine wüste Raubnatur warf nun die letzten Hüllen ab; er unternahm einen großen Plünderungszug auf die doppelte Gefahr hin, dass er dadurch sein Bündnis mit Frankreich gefährdete und dem Kaiser die nötige Zeit gab, neue Kräfte zu sammeln, denen seine Kraft nicht mehr gewachsen war.

Nach der Schlacht bei Breitenfeld trat Gustav Adolf offen als Eroberer auf. Das sächsische Heer schickte er in die österreichischen Erblande, um die Feindschaft zwischen dem Kurfürsten und dem Kaiser scharf zu erhalten; er selbst brach in die „Pfaffengasse" über den Thüringer Wald nach Franken, gegen die reichen geistlichen Stifte in den Maingegenden. Es war ein Raubzug von unermesslichem Gewinn, aber ermüdender Eintönigkeit; in den thüringischen Besitzungen seines sächsischen Bundesgenossen verheerte und verwüstete Gustav Adolf ebenso wie in den Gebieten der Bischöfe von Bamberg, Würzburg und Mainz; auf die Beschwerden des Kurfürsten erklärte er einfach: Krieg ist Krieg, und Soldaten sind keine Klosterjungfrauen. Wo er auf Widerstand stieß, da drohte er „mit Feuer und Schwert", auch wohl mit „Sengen, Brennen, Plündern und Morden", mit einem Programm, das er gewissenhaft ausführte, wenn der Widerstand nicht aufgegeben wurde. Neutralität galt als Feindschaft. Rechtzeitige Unterwerfung wurde mit schweren Kontributionen, Lieferung von Proviant und Rekruten, Auslieferung der festen Plätze usw. belohnt.

Klöster waren unter allen Umständen vogelfrei. Ihre Insassen wurden vertrieben, ihre oft kolossalen Schätze bis auf den letzten Heller ausgeleert, ihr Landbesitz an Kreaturen des Königs verschenkt. Die kostbare Bücher- und Handschriftensammlung des Bischofs von Würzburg wanderte an die Universität Uppsala, die noch mit manchem ähnlichen Raube bedacht wurde. Die eroberten Gebiete mussten der schwedischen Krone huldigen, der König verfügte darüber als über schwedische Lehen, richtete neue Behörden ein, kurzum, es ist kein Plage denkbar, die Gustav Adolf nicht dem Gewissen und der Wohlfahrt, dem geistigen und dem leiblichen Wohle der glücklichen Bevölkerungen zufügte, die er nach seiner glaubwürdigen Versicherung „aus dem unziemlichen Trug und den blinden Pressuren der Papisten" befreite.

Im Winter von 1631 bis 1632 hielt der König in Mainz einen glänzenden Hof. Indessen trafen ihn hier auch die ersten Mahnungen, dass er die Höhe seiner Erfolge überschritten habe. Frankreich war, wie überhaupt mit dem allzu starken Anwachsen seiner Macht, so namentlich auch damit unzufrieden, dass er den Krieg in die „Pfaffengasse", in die ligistischen Gebiete getragen hatte. Die Liga war Frankreichs Schützling nicht minder, als Gustav Adolf es war; beide waren Pfähle im habsburgischen Fleische. Von Anfang an hatte sich Richelieu bemüht, Freundschaft oder doch mindestens Neutralität zwischen Gustav Adolf und der Liga zu erhalten, und jetzt nahm er diese Bemühungen wieder auf. Doch Gustav Adolf dachte nicht daran, seine Eroberungen in der „Pfaffengasse" leichten Kaufs aufzugeben; auf seine harten Bedingungen konnten die Ligisten nicht eingehen. Die Verhandlungen führten nur zur Sprengung der Liga. Die geistlichen Fürsten, soweit sie nicht von Gustav Adolf verjagt waren, flüchteten unter Frankreichs Schutz, während der Kurfürst von Bayern sich eng an Österreich anschloss, um den Krieg gegen Schweden fortzusetzen. Auch sonst fehlte es nicht an argen Verstimmungen zwischen Schweden und Frankreich, dessen Gesandten Gustav Adolf wohl einmal drohte, er habe noch einen guten Freund am Großtürken.

In der Tat rüstete sich die Türkei auf schwedische Anregung, um in die österreichischen Erblande einzufallen. Und gleichzeitig verweigerte der Papst, den Bannstrahl gegen Gustav Adolf zu schleudern. Welch seltenes Glück für einen evangelischen Gottesstreiter, im Papste und im Sultan zwei gleich wohlwollende Beschützer zu haben! Österreich hatte überall in Europa vergebens um neue Allianzen angeklopft; nur mit Spanien war es ihm gelungen, den alten Bund noch fester zu verknüpfen, und es wünschte nun, dass der Papst die Waffen der altkatholischen Mächte gegen den Ketzerkönig segne. Doch Urban VIII. war unerbittlich. Vergebens traten ihn in öffentlicher Versammlung der Kardinäle der Kardinal Paßmann als österreichischer und der Kardinal Borgia als spanischer Gesandter mit heftigen Vorwürfen an; der Papst blieb dabei, dass der Krieg kein Religionskrieg sei, und von Gustav Adolf sagte er: Gott selbst hat ihn auferweckt, dass er uns beschütze! Nach Gustav Adolfs Tode noch hielt der Papst für seine Seele eine Trauermesse im Vatikan. Klüger als mit seinen Bemühungen um den päpstlichen Segen handelte der Kaiser, indem er Wallenstein wieder zu seinem Generalissimus ernannte. Die ligistischen Kurfürsten waren aus dem Handel geschieden, und der Bayer war mürbe. Unter weit ausgedehnteren Vollmachten übernahm Wallenstein sein altes Amt; ein zweiter Tag von Regensburg sollte ihm nicht drohen; er wollte diesmal sein Programm durchführen mit dem Kaiser oder ohne den Kaiser und, wenn es sein musste, auch gegen den Kaiser.

Sobald Wallenstein auf dem Schauplatz erschien, erblich Gustav Adolfs Glücksstern. Er hat Tilly, der ihm den Einfall in Bayern verwehren wollte und in diesem Kampfe fiel, noch einmal über den Haufen geworfen und in Bayern noch einmal wie ein Vandale gehaust. Dann aber musste er den Gang mit Wallenstein unternehmen. Wallensteins Kriegsplan war ebenso einfach wie einleuchtend. Er hatte mit seinem staunenswerten Organisationsgenie schnell ein neues Heer aufgebracht und das sächsische Heer aus Böhmen vertrieben; er beabsichtigte nun, in Sachsen vorzudringen, um Gustav Adolf zum Schutze des Kurfürsten aus dem südlichen und westlichen Deutschland zu ziehen oder, wenn er nicht komme, den wetterwendischen und halb schon gewonnenen Kurfürsten zum Anschlüsse an den Kaiser zu bewegen. In dem einen wie in dem anderen Falle hingen die süddeutschen Eroberungen Gustav Adolfs in der Luft.

Es würde hier zu weit führen, die Hin- und Herzüge des Königs unter dem Eindrucke der drohenden Gefahr näher zu verfolgen; es war durchaus Wallenstein, der den Gang des Krieges diktierte. Aufeinander gestoßen in offener Feldschlacht sind sie zweimal. An Wallensteins Lager in Nürnberg stieß sich Gustav Adolf die Hörner ein; bei Lützen am 6. November 1632 ist er in wildem Handgemenge gefallen.

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