Gustav Adolf
Ein Fürstenspiegel zu Lehr und Nutzen der deutschen Arbeiter

von Franz Mehring (1908)

8. Das Ende der dreißig Jahre

Gustav Adolfs Tod änderte natürlich nichts an dem allgemeinen Verlauf der Dinge. Er hatte den Höhepunkt seiner Laufbahn als Eroberer überschritten. Die schwedische Ritterschaft, die nunmehr auch formell die Leitung der schwedischen Militärmonarchie übernahm, da Gustav Adolf nur eine unmündige Tochter hinterließ, stellte Diplomaten und Generale genug, die dem Könige reichlich gewachsen waren. Ihr Klasseninteresse band sie auch fest genug zusammen, fester, als sie mit dem Könige verbunden gewesen waren, dessen romantische Kaiserschrullen und sonstige „konfuse" Pläne ihre Kreise eher gestört hatten. Der Rückschlag, den die schwedische Sache erfuhr, lag in der Natur der Dinge selbst; Schweden konnte Deutschland nicht niederwerfen, und daran hätte Gustav Adolf bei längerem Leben nichts geändert.

Aber ebenso wenig konnte die kaiserliche Gewalt aufgerichtet werden. So hoffnungslos verfahren waren die deutschen Dinge, dass der Vorkämpfer einer starken Reichsgewalt, dass Wallenstein etwas über ein Jahr nach Gustav Adolfs Tode unter den Dolchen kaiserlicher Meuchelmörder fiel. Von allen Parteien, die auf deutscher Erde miteinander rangen, konnte keine die Entscheidung bringen. Die Zügel des Krieges fielen in Frankreichs Hand. Auf den schwedischen Krieg, die vierte Periode des Dreißigjährigen Krieges, folgte als seine längste und letzte Periode der französische Krieg. Die schwedischen Eroberer waren nun nicht mehr als die Söldner einer Macht, die ihnen so fremd war wie den Deutschen. Aber auch darin hätte eine längere Lebensdauer Gustav Adolfs nichts geändert. Er selbst hatte sich schon in Frankreichs Soldknechtschaft begeben, um Deutschland zu verwüsten, er hatte sich und die Welt zeitweise über dies Verhältnis zu täuschen gewusst, aber es nie aufzuheben vermocht. Sein Tod schuf nicht erst die Abhängigkeit von Frankreich; er sparte ihm nur die bittere Demütigung, sich offen zu ihr zu bekennen.

Noch über ein halbes Menschenalter haben die schwedischen Junker auf deutscher Erde gehaust und sich den Henkersruhm erworben, unter den Plünderern und Schindern der deutschen Nation die ärgsten zu sein. Mit unerschöpflicher Phantasie sannen sie immer neue Martern aus, um den Versteck der letzten Heller aufzutreiben. Einen grausigen Ruf genießt heute noch der „Schwedentrunk", den ein armer protestantischer Geistlicher, der dieser Folter unterworfen wurde, in kläglichen Versen besungen hat:

Mistlaken etlich Maß
Goss man, als in ein Fass,
Mir in den Leib zur Stunden,
Vier Kerels mich festbunden.

Andere Martern waren: die Steine von den Pistolen zu schrauben und an ihre Stelle den Daumen der Bauern zu zwängen; die Fußsohlen mit Salz zu reiben und sie von den Ziegen ablecken zu lassen; nach Fesselung der Hände mit durchlöcherter Ahle ein Rosshaar durch die Zunge zu ziehen und es leise auf und ab zu bewegen; ein Seil mit Knöpfen um die Stirn zu binden und hinten mit einem Knebel zusammenzudrehen; zwei Finger aneinander zu schnüren und dazwischen mit einem Ladestock auf und ab zu fahren, bis Haut und Fleisch bis auf die Knochen verbrannten, des Grässlichen und Scheußlichen, in gesitteter Sprache gar nicht Aussprechbaren zu geschweigen, das an der weiblichen Bevölkerung verbrochen wurde. Damals entstand der noch heute unvergessene Kinderreim: Bet', Kindchen, bet', morgen kommt der Schwed'. Ein schwedischer General, der Graf Königsmark, führte so viele Wagenladungen an Gold und Kostbarkeiten nach Schweden, dass er seiner Familie ein jährliches Einkommen von 130.000 Talern hinterließ, im Verhältnis der Preise von einer Million Mark unseres Geldes. Als ein anderer, ein Wrangel, die Nachricht von dem endlich geschlossenen Frieden erhielt, trampelte er wütend auf seinem Generalshute herum. Er hatte noch immer nicht genug.

Noch fehlt die historische Arbeit, die nach dem vorhandenen und kritisch gesichteten Material in allen Einzelheiten berechnet, was der Dreißigjährige Krieg dem deutschen Volke gekostet hat. Nur dies steht fest über jedem Zweifel: Nie hat ein großes Kulturvolk eine ähnliche Zerstörung zu erdulden gehabt. Nach den sichersten Schätzungen sind mehr als drei Viertel der Bevölkerung zugrunde gegangen: Die Einwohnerzahl sank in den dreißig Jahren von siebzehn auf vier Millionen. Dementsprechend war die Vernichtung auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens. Um zweihundert Jahre wurde Deutschland in seiner Entwicklung zurückgeworfen, zweihundert Jahre hat es gebraucht, um wieder auf die ökonomische Höhe zu gelangen, die es bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges behauptete. Verstümmelt an allen Gliedern und selbst nur noch eine verwesende Leiche, lag die deutsche Monarchie da. Es war noch das wenigste, dass die Niederlande und die Schweiz aus dem letzten losen Zusammenhange mit dem Reiche gerissen wurden. Im Westen raffte Frankreich die reichsten Striche an sich, im Norden raubte Schweden die Mündungen der Oder, Elbe und Weser, beide Länder erhielten das Recht, sich in die deutschen Angelegenheiten zu mischen. Die letzte Autorität von Kaiser und Reich war unwiederbringlich dahin. In dem zerrissenen Restitutionsedikt empfing das Haus Habsburg die verdiente Quittung für seine selbstmörderische Politik. Die ökonomischen Ursachen der deutschen Reformation wirkten fort und fort; die „Libertät der Stände" triumphierte auf der ganzen Linie. In der unbedingten Souveränität der Fürsten, die sich bis auf das Recht erstreckte, Bündnisse mit dem Auslande zu schließen, erhielt endlich noch das deutsche Volk ein fröhliches Unterpfand dafür, dass mit all dem unerhörten Elend, mit all der uferlosen Schande der Kelch des Elends und der Schande noch lange nicht bis auf den Grund geleert sei.

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