8. Das Ende der dreißig Jahre
Gustav
Adolfs Tod änderte natürlich nichts an dem allgemeinen Verlauf der
Dinge. Er hatte den Höhepunkt seiner Laufbahn als Eroberer
überschritten. Die schwedische Ritterschaft, die nunmehr auch
formell die Leitung der schwedischen Militärmonarchie übernahm, da
Gustav Adolf nur eine unmündige Tochter hinterließ, stellte
Diplomaten und Generale genug, die dem Könige reichlich gewachsen
waren. Ihr Klasseninteresse band sie auch fest genug zusammen,
fester, als sie mit dem Könige verbunden gewesen waren, dessen
romantische Kaiserschrullen und sonstige „konfuse" Pläne ihre
Kreise eher gestört hatten. Der Rückschlag, den die schwedische
Sache erfuhr, lag in der Natur der Dinge selbst; Schweden konnte
Deutschland nicht niederwerfen, und daran hätte Gustav Adolf bei
längerem Leben nichts geändert.
Aber
ebenso wenig konnte die kaiserliche Gewalt aufgerichtet werden. So
hoffnungslos verfahren waren die deutschen Dinge, dass der Vorkämpfer
einer starken Reichsgewalt, dass Wallenstein etwas über ein Jahr
nach Gustav Adolfs Tode unter den Dolchen kaiserlicher Meuchelmörder
fiel. Von allen Parteien, die auf deutscher Erde miteinander rangen,
konnte keine die Entscheidung bringen. Die Zügel des Krieges fielen
in Frankreichs Hand. Auf den schwedischen Krieg, die vierte Periode
des Dreißigjährigen Krieges, folgte als seine längste und letzte
Periode der französische Krieg. Die schwedischen Eroberer waren nun
nicht mehr als die Söldner einer Macht, die ihnen so fremd war wie
den Deutschen. Aber auch darin hätte eine längere Lebensdauer
Gustav Adolfs nichts geändert. Er selbst hatte sich schon in
Frankreichs Soldknechtschaft begeben, um Deutschland zu verwüsten,
er hatte sich und die Welt zeitweise über dies Verhältnis zu
täuschen gewusst, aber es nie aufzuheben vermocht. Sein Tod schuf
nicht erst die Abhängigkeit von Frankreich; er sparte ihm nur die
bittere Demütigung, sich offen zu ihr zu bekennen.
Noch
über ein halbes Menschenalter haben die schwedischen Junker auf
deutscher Erde gehaust und sich den Henkersruhm erworben, unter den
Plünderern und Schindern der deutschen Nation die ärgsten zu sein.
Mit unerschöpflicher Phantasie sannen sie immer neue Martern aus, um
den Versteck der letzten Heller aufzutreiben. Einen grausigen Ruf
genießt heute noch der „Schwedentrunk", den ein armer
protestantischer Geistlicher, der dieser Folter unterworfen wurde, in
kläglichen Versen besungen hat:
Mistlaken
etlich Maß
Goss
man, als in ein Fass,
Mir
in den Leib zur Stunden,
Vier
Kerels mich festbunden.
Andere
Martern waren: die Steine von den Pistolen zu schrauben und an ihre
Stelle den Daumen der Bauern zu zwängen; die Fußsohlen mit Salz zu
reiben und sie von den Ziegen ablecken zu lassen; nach Fesselung der
Hände mit durchlöcherter Ahle ein Rosshaar durch die Zunge zu
ziehen und es leise auf und ab zu bewegen; ein Seil mit Knöpfen um
die Stirn zu binden und hinten mit einem Knebel zusammenzudrehen;
zwei Finger aneinander zu schnüren und dazwischen mit einem
Ladestock auf und ab zu fahren, bis Haut und Fleisch bis auf die
Knochen verbrannten, des Grässlichen und Scheußlichen, in
gesitteter Sprache gar nicht Aussprechbaren zu geschweigen, das an
der weiblichen Bevölkerung verbrochen wurde. Damals entstand der
noch heute unvergessene Kinderreim: Bet', Kindchen, bet', morgen
kommt der Schwed'. Ein schwedischer General, der Graf Königsmark,
führte so viele Wagenladungen an Gold und Kostbarkeiten nach
Schweden, dass er seiner Familie ein jährliches Einkommen von
130.000 Talern hinterließ, im Verhältnis der Preise von einer
Million Mark unseres Geldes. Als ein anderer, ein Wrangel, die
Nachricht von dem endlich geschlossenen Frieden erhielt, trampelte er
wütend auf seinem Generalshute herum. Er hatte noch immer nicht
genug.
Noch
fehlt die historische Arbeit, die nach dem vorhandenen und kritisch
gesichteten Material in allen Einzelheiten berechnet, was der
Dreißigjährige Krieg dem deutschen Volke gekostet hat. Nur dies
steht fest über jedem Zweifel: Nie hat ein großes Kulturvolk eine
ähnliche Zerstörung zu erdulden gehabt. Nach den sichersten
Schätzungen sind mehr als drei Viertel der Bevölkerung zugrunde
gegangen: Die Einwohnerzahl sank in den dreißig Jahren von siebzehn
auf vier Millionen. Dementsprechend war die Vernichtung auf allen
Gebieten des wirtschaftlichen Lebens. Um zweihundert Jahre wurde
Deutschland in seiner Entwicklung zurückgeworfen, zweihundert Jahre
hat es gebraucht, um wieder auf die ökonomische Höhe zu gelangen,
die es bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges behauptete.
Verstümmelt an allen Gliedern und selbst nur noch eine verwesende
Leiche, lag die deutsche Monarchie da. Es war noch das wenigste, dass
die Niederlande und die Schweiz aus dem letzten losen Zusammenhange
mit dem Reiche gerissen wurden. Im Westen raffte Frankreich die
reichsten Striche an sich, im Norden raubte Schweden die Mündungen
der Oder, Elbe und Weser, beide Länder erhielten das Recht, sich in
die deutschen Angelegenheiten zu mischen. Die letzte Autorität von
Kaiser und Reich war unwiederbringlich dahin. In dem zerrissenen
Restitutionsedikt empfing das Haus Habsburg die verdiente Quittung
für seine selbstmörderische Politik. Die ökonomischen Ursachen der
deutschen Reformation wirkten fort und fort; die „Libertät der
Stände" triumphierte auf der ganzen Linie. In der unbedingten
Souveränität der Fürsten, die sich bis auf das Recht erstreckte,
Bündnisse mit dem Auslande zu schließen, erhielt endlich noch das
deutsche Volk ein fröhliches Unterpfand dafür, dass mit all dem
unerhörten Elend, mit all der uferlosen Schande der Kelch des Elends
und der Schande noch lange nicht bis auf den Grund geleert sei.
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