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Weitere Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte
  Nach dem Vietnamkongress
Aufmarsch der Antikommunisten und der Reaktion

Die Ereignisse des 21. Februar 1968 anlässlich der Senatskundgebung
zusammengefasst in der Dokumentation FU Berlin "Hochschule im Umbruch"

Die in Berlin erscheinenden Tageszeitungen publizieren auf der ersten Seite den Aufruf des Senats von Berlin, des Abgeordnetenhauses, der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, des Berliner DGB und des Ringes politischer Jugend Berlin zur Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg. Der Aufruf lautet:

„Berlinerinnen und Berliner! Unsere Stadt steht für Freiheit und Frieden. Das haben wir in der Vergangenheit bewiesen. Das werden wir auch in Zukunft beweisen. Was die Berliner denken und wollen, werden sie heute vor aller Welt kund tun. Wir wissen, wer unsere Freunde sind. Wir lassen uns von ihnen nicht trennen. Wir wissen auch, wo unsere Gegner stehen. Alle Berliner sind zur Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg am Mittwoch um 16.30 Uhr aufgerufen. Berlin steht für Freiheit und Frieden."

In allen Zeitungen werden die Sonderfahrten, die die BVG von den verschiedenen Berliner Bezirken aus zum Kundgebungsort anbietet, angekündigt. Die Angestellten des öffentlichen Dienstes erhalten für die Zeit der Kundgebung dienstfrei. Auch zahlreiche Betriebe der Privatwirtschaft schließen vorzeitig, um ihren Beschäftigten die Möglichkeit der Teilnahme an der Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus zu geben.

Gegen 16.30 Uhr treffen verschiedene Demonstrationszüge aus den Berliner Bezirken vor dem Schöneberger Rathaus ein. Die Polizei spricht zunächst von 150.000 Versammelten, reduziert jedoch später die Zahl auf 80.000.

Schon während des Anmarsches der Demonstrationsblocks, die von sechs Sammelpunkten aus zum John-F.-Kennedy-Platz ziehen, kommt es zu Zwischenfällen Junge Leute, die Protestplakete mit Aufschriften wie „Bild denkt für Euch" und „Eine Stunde frei wie bei Führerreden" zeigen, werden von den Demonstranten angegriffen und verprügelt.

Der Zug der ÖTV vom Kurfürstendamm/Ecke Joachimstaler Straße aus wird vom Bürgermeister und Innensenator Kurt Neubauer, dem SPD-Vorsitzenden Mattick und dem DGB-Vorsitzenden Walter Sickert angeführt. Etwa 500 Angestellte des Bezirksamtes Wilmersdorf ziehen mit Bezirksbürgermeister Schmidt an der Spitze vom Fehrbelliner Platz zum Rathaus Schöneberg, gefolgt vom Zug der Senatsabteilung für Bau- und Wohnungswesen mit Bausenator Schwedler in der ersten Reihe.

Kurz vor dem Schöneberger Rathaus versuchen Demonstranten erneut junge Leute zu verprügeln, die sie für politische Gegner halten. Dabei wird auch der Korrespondent der „ZEIT", Kai Herrmann, der schlichtend eingreifen will, von der aufgebrachten Menge geschlagen.

Als erster Redner distanziert sich auf der Kundgebung der Vorsitzende des Ringes politischer Jugend, Jürgen Grimming (SPD), von der „radikalen Minderheit", die auf Kosten der Mehrheit versuche, ihre politischen Überzeugungen gewaltsam durchzusetzen. Grimming ruft unter großem Beifall:

„Es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen der überwiegenden Mehrheit der Berliner Jugend und denen, die Lehrfilme zum Bau von Molotow-Cocktails zeigen, die Fensterscheiben einschlagen, die in Kirchen randalieren, die gewollt oder ungewollt mit dem Kommunismus gemeinsame Sache machen. Die junge Generation lehnt jeden Krieg — auch den Krieg in Vietnam — ab und jede Diktatur."

Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Kurt Mattick sagt man müsse Verständnis für die Ungeduld der Jugend aufbringen. Jeder könne „an der demokratischen Entwicklung mitwirken". „Aber Unruhestifter und Randalierer, die unsere Freiheit zerstören wollen, sollen dahin gehen, wo sie hergekommen sind." Der CDU-Vorsitzende Franz Amrehn fordert einen „deutlichen Trennungsstrich" zwischen der Bevölkerung und „den revolutionären Kräften". Die Berliner stunden gegen ihre Gegner, die die Freiheit von innen her zu zerstören versuchten, wie eh und je zusammen. Als Amrehn erklärt, man habe es „satt, wenn einzelne Stadträte an Umzügen der Maoisten teilnehmen", werden Sprechchöre angestimmt „Ristock raus". Amrehn bezeichnet den Verwaltungsgerichtsbeschluß, der die Vietnam-Demonstration erlaubte, als „gespenstisch". Der Berliner DGB-Vorsitzende, Walter Sickert erklärt, die Berliner seien entschlossen, das zu verteidigen, was die Arbeitnehmer in den bitteren Zeiten des Aufbaus und der Not unter Einsatz aller Kräfte erarbeitet hätten. Als Sickert an die Zwischenfälle vor dem Untersuchungsausschuß vom Dienstag erinnert, kommt es zu Sprechchören „Dutschke raus". Der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz spricht in seinem Beitrag den drei Schutzmächten das Vertrauen aus und erklärt, die Amerikaner seien zwar in Vietnam in einen tragischen Krieg verstrickt. In Berlin jedoch seien sie, um die Freiheit zu erhalten. Schütz setzt sich für eine politische Lösung in Vietnam ein. Wer das Sterben in Vietnam beenden wolle, dürfe nicht soviel von Haß und Krieg reden, wie es in Berlin am letzten Sonntag geschehen sei, sondern müsse Verständigung und Frieden fordern.

Die Teilnehmer der Kundgebung tragen zahlreiche Transparente mit Aufschriften wie „Freiheit für die Zone", „Gegen Krieg wo auch immer", „Dutschke Volksfeind Nummer eins" „Dutschke raus aus West-Berlin", „Ristock und Beck — die müssen weg", „Tausche 10 Studenten gegen einen kleinen Flüchtling", „Dutschke, Kunzelmann über die Mauer", „Teufel in den Zoo", „für ein Verbot des SDS". Auf anderen Transparenten ist zu lesen: „Berlin bleibt frei mit starken Gewerkschaften", „Der Radikalismus ist der Tod unserer Stadt", „Frieden ist nur in Freiheit möglich", „Amerika garantiert die Sicherheit für Berlin".

Der für die Kundgebung vorgesehene Redner der FDP, Hans-Günther Hoppe, tritt nicht auf, da dem Berliner FDP-Vorsitzenden William Born wegen seine Mitgliedschaft im Republikanischen Club die Unterzeichnung des Aufrufs zur Kundgebung von Politikern der SPD und CDU verwehrt worden war.

Gegen Ende der Kundgebung kommt es in der Beiziger Straße wiederholt zu schweren Zwischenfällen, als Demonstranten junge Leute jagen und verprügeln. Ein Mann, den die Menge irrtümlich für Rudi Dutschke hält, wird verfolgt und muß von der Polizei zum eigenen Schütze in Gewahrsam genommen werden. Erst als etwa hundert Polizisten aufgeboten werden, kann die Menge von dem Fahrzeug, in dem der Mann Schutz gefunden hat, abgedrängt werden. Während des Vorfalls ertönen immer wieder Rufe wie „Lyncht ihn" und „Hängt ihn auf".

Die Scheiben mehrerer Polizeifahrzeuge werden eingeschlagen, weil in ihnen junge Leute Zuflucht finden, die von den Demonstranten verfolgt wurden. Über 30 Personen werden während Zwischenfällen am Rande der Kundgebung zum Teil erheblich verletzt. 26 Personen werden zu ihrem eigenen Schutz von der Polizei festgenommen. Mehrere hundert Teilnehmer ziehen am Ende der Kundgebung vom John-F.-Kennedy-Platz in die Innenstadt. Ein Teil von ihnen versucht zum SDS-Haus zu gelangen, wird jedoch von der Polizei auf dem Kurfürstendamm abgedrängt.

Quelle: Lönnendonker, Fichter, Staadt, Hochschule im Umbruch, Teil V, S.76

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