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Weitere Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte
   EINE WOCHE NOTSTAND
VON MARTIN BUCHHOLZ

Zwölf Polizisten zogen die Pistolen und entsicherten sie: Die Westberliner CDU dankt es ihnen, ebenso wie die Polizeiführung und die Presse, denn nur so sei eine Panik im Schiller-Theater verhindert worden. Der "Telegraf" stellt erleichtert fest, daß nur durch das entschlossene Handeln der Beamten die Vorstellung ungestört zu Ende gehen konnte. Und im übrigen, so "Tagesspiegel"-Matthes, sei es Notwehr gewesen. Notwehr gegen Argumente: Denn die Absicht der Demonstranten war lediglich, mit den Theaterbesuchern am Vorabend eines 30. Mai 1968, der als geschichtliches Datum dem 30. Januar 1933 fatal ähnelt, mit Theaterbesuchern über die Notstandsgesetze zu diskutieren. Sicher: Es splitterten gläserne Türen, auch durch einige unverantwortliche Steinwurf-Provokateure (mal wieder aus den hinteren Reihen), doch dieser Glasbruch ist uninteressant, wenn ein Parlament in Deutschland wieder einmal dafür sorgt, daß bald alles in Scherben fällt.

Das zumindest muß gesagt werden, auch wenn man in der internen Diskussion und Aktions-Kritik nach diesen Notstandstagen offen zugeben muß: Genossen, wir haben schwere Fehler gemacht.

Am Beispiel Schillertheater: Hätte man, wie ursprünglich geplant und organisiert, am Mittwoch das Theater besetzt, wäre die Aktion wahrscheinlich ein Erfolg geworden. an diesem Tag wurde Büchners Revolutions-Stück "Dantons Tod" gespielt und einige Darsteller wären bereit gewesen, nach der Pause die Aufführung zu boykottieren und zu diskutieren. Die Diskutanten hätten lediglich im Sonntagsschwarzen mit dem Publikum nach der Pause ins Theater zu gehen brauchen. Einige konnten es mal wieder nicht abwarten. Sie stürmten schon am Dienstagabend los, als der Schwank "Ein Floh im Ohr" auf dem Spielplan stand, und erreichten nichts als eine sinnlose Konfrontation.

Beispiel 2: Jener frustrierende Marsch durch Wedding. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl ausnahmsweise großzügig auf 2000: Wir können froh sein, wenn es wirklich so viel waren. Und obwohl es keine Spontan-Demonstration war, gab es kaum eine Planung: Weder hatte man zuvor mit den Betriebsräten Kontakt gesucht, mit denen man dann plötzlich diskutieren wollte, noch wußte man, daß bei "Telefunken" die Arbeiter schon seit einer halben Stunde zu Hause waren, als die Demonstranten kamen.

Beispiel 3: Die nicht minder frustrierenden Kurfürstendamm-Demonstrationen am Mittwoch und Donnerstag. Da die Polizei ausnahmsweise nicht mitspielen wollte, war eine Mehrzahl von Aktivisten gänzlich ratlos: Also stürmte man zum Bundeshaus, riß dort eine Berliner Fahne herunter, spielte mit der Mütze eines Verkehrspolizisten Fangeball und flüchtete Hals über Kopf, wenn auch nur ein Polizeiknüppel in Sicht kam. Danach ein paar klägliche Sprechchöre "De Gaulle assassin - de Gaulle demission", die der Bevölkerung nun gänzlich unverständlich waren, eine eingedrückte Türscheibe am Maison de France - und wieder eine, barmherzige, fast menschenfreundliche Polizei. Beispiel 4: Die Besetzung des Germanischen Instituts. Eine Aktion, die ursprünglich politisch sinnvoll und gut organisiert war, teilweise aber zum Kommune-Spaß umfunktioniert wurde. Daß die Kommune sich bei den Besetzungen der FU-Institute zudem konterrevolutionär durch Diebstahl bereichert hat, ist allerdings gar nicht mehr lustig. Daß sie die Lautsprecheranlagen am Rosa-Luxemburg-Institut okkupierte, fanden sogar erklärte Anarchisten schlimm. So formulierte ein "Anarcho-syndikalistisches Kollektiv" in einem Flugblatt: "Lautsprecher in den Fenstern des Seminars dröhnen konfektionierten Brecht, dann Sehnsuchtsbeat. Zwischen ihnen krümmt sich die rote Fahne. Die Internationale ertönt halbstündig; nicht Zeichen der Zeit, sondern Zeitzeichen." Und zur Besetzung selbst: "Innen sind das Fäßchen Bier, der laue Schwulst der stummen Paare alles andere als anarchistische Kleinformen, sondern der dürftige Abklatsch von SPD-Wahlpartys. " Das Institut wurde nach anarchistischer Ansicht zum "Big Eden aller Polit-Onanisten". Ihrem Fazit zumindest kann man vorbehaltlos zustimmen: "Der Kampf für die Befreiung der Arbeiter ist Arbeit; Arbeit der Arbeiter und Studenten. "

Das eben ist es: Zur Aktion gehört die Arbeit als Voraussetzung. Über das Stadium spontaner Happenings sollten wir schon lange hinaus sein. Jetzt sind revolutionäre Disziplin und revolutionäre Geduld oberste Gebote. Wenn wir das nicht lernen, wird die in diesen Tagen empfundene Ohnmacht zur Resignation. Der Widerstand muß jetzt umfassend organisiert werden, er darf dem Zufall nicht mehr überlassen werden.

 

  • Erschien in BERLINER EXTRA-DIENST, 44-II, 1.6.1968, S.8

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Ed. Anmerkung: In den Tagen nach der ersten Lesung der Notstandgesetze im Bundestag rief der SDS in den Universitäten und Betrieben zum Generalstreik auf, um ihre Verabschiedung im Bundestag am 30.5.68 zu bekämpfen. Martin Buchholz, einer der verantwortlichen Redakteure des Extra-Diensts, kommentiert damit zusammenhängende lokale Ereignisse in Westberlin.

Martin Buchholz ist seit vielen Jahren als Kabarettist tätig.

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