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Weitere Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte
 

 

EXTRA-DOKUMENTATION
WINTERKAMPAGNE: 50 JAHRE KONTERREVOLUTION SIND GENUG

An zwei Abenden, am 12. Juli und am 19. Juli, diskutierte man im Republikanischen Club in Westberlin die politische Strategie des RC im Herbst und Winter. Als Vorlage diente ein Konzept des RC-Vorsitzenden Jörg Huffschmid und des RC-Mitgliedes Walter Weller: Der 50. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1969 und die seither andauernde konterrevolutionäre Bewegung in Deutschland sollen danach Ausgangspunkt einer Winterkampagne sein, die vom "radikaldemokratischen zum antikapitalistischen Protest" führen soll. Aus der zweitägigen Diskussion, die einen Einblick in den Stand der theoretischen Diskussion im RC gibt, veröffentlicht EXTRA-Dienst in dieser und der Wochenendausgabe wesentliche Auszüge.

WALTER WELLER: Wir sind bei unserem Vorschlag von der Überlegung ausgegangen, daß die Außerparlamentarische Opposition in ihrer Entwicklung jetzt augenscheinlich an einem Wendepunkt angekommen ist. Der bislang wesentlich radikaldemokratische Protest hat die Protestenergien in den gesellschaftlichen Bereichen, wo er vorgetragen wurde, zu einem beträchtlichen Maße ausgeschöpft. In der gegenwärtigen Lage herrscht nun eine große Unsicherheit, wie es weitergeht, wie man die Basis verbreitern kann und wie man strategische Aktionen planen kann. Andererseits gibt es in dieser Unsicherheit doch immer wieder den Versuch, mit einigen griffigen Formeln wie etwa Rätedemokratie etwas zu antipizieren, was bisher weder theoretisch noch praktisch erarbeitet worden ist. Nun glaube ich, ist in allernächster Zeit notwendig, daß wir versuchen, uns klar darüber zu werden, welche Möglichkeiten der Gedanke der Rätedemokratie und der Arbeiterkontrolle unter den gegenwärtigen spätkapitalistischen Bedingungen haben. Das bedarf einer Reihe theoretischer Vorarbeiten. Wir denken daran, diese Vorarbeiten auszurichten auf eine internationale Konferenz, die im Januar hier in Berlin stattfinden soll und die natürlich einen spezifischen Charakter haben müßte. Auf keinen Fall dürfte es eine Konferenz sein vom Charakter des Vietnam-Kongresses, den im Grunde nur einige wenige Leute vorbereitet haben und der dann auch nur deklamatorischen Charakter hatte. Vielmehr müßte jetzt der Versuch unternommen werden, in den kommenden Monaten die Themen, die in unserem Vorschlag angesprochen wurden, nicht nur in einer Gruppe, sondern in einer Reihe von Gruppen zu bearbeiten und dann auch kontinuierlich im Prozeß der Vorbereitung zu diskutieren. Ich verspreche mir davon, daß im Zuge dieser Arbeit einige Ergebnisse zustandegebracht werden können, die uns in der Beantwortung aller dieser Fragen ein Stück weiterbringen, von denen wir wissen, daß wir sie beantworten müssen, für die wir aber praktisch keine Konzepte haben; etwa in der Frage unseres Verhältnisses zu den kommunistischen und den Arbeiterparteien. Wir werden dann auch die Frage diskutieren müssen, welche Kampagnen und Aktionen wir starten können, nachdem sich die herrschenden Apparate auf unseren Protest eingestellt haben und sehr viel flexibler geworden sind. Das Problem, das mir an diesem Vorschlag zu sein scheint, ist daß der Akzent natürlich auf der theoretischen Arbeit liegt, daß wir mit einem breiten Spektrum von Gruppen in diese Problematik einsteigen, daß aber aus diesem Vorschlag noch nicht eindeutig hervorgeht, wie etwa die Ergebnisse der Diskussion oder der Prozeß dieser Diskussion zurückwirken kann auf unsere Arbeit in den Betrieben, in den Gewerkschaften, in den Parteien, und welche Aktionen im Zuge der Vorbereitungen auf diese Konferenz möglich sind. Das müßten wir jetzt diskutieren.

RUDI SCHMIDT: Der Vorschlag zu dieser Kampagne ist eine theoretische Folgerung, die sich logisch ergibt aus der Entwicklung unserer politischer Aktionen der letzten Monate oder der letzten zwei Jahre. Aber diese Folgerung ist nicht verknüpft mit einer vorhergehenden Bestandsaufnahme des politischen Potentials, der Struktur und der Situation, in der sich eben unser politisches Potential zur Zeit befindet. Deshalb können auch diese Vorschläge nur etwas aufgesetzt wirken, weil sie nicht rekurrieren auf das, woyon wir ausgehen können, womit wir rechnen können. Man hat ein bißchen das Gefühl, die Situa-lion ist im Moment so desolat, wir brauchen wieder eine Ausrichtung, wir brauchen wie-er eine spektakuläre Sache, da müssen wir uns eben ein bißchen zusammenreißen, dann werden wir alle Kräfte mobilisieren, dann haben wir wieder so einen Kulminations- und Kristallisationspunkt. Der ganze Vorschlag krankt deshalb an einer nicht ausreichend vorgenommenen Vermittlung von Theorie und Praxis. Wir müßten wohl erst einmal auf die Situation in den Basisgruppen, Studentenverbänden und den anderen institutionalisierten Kräftegruppen eingehen, die wir haben.

ULRICH PREUSS: Wir sollten gleich noch einen Unterschied zwischen dem Vietnam-Kongreß und dem hier geplanten Kongreß feststellen: Der Vietnam-Kongress war nichts anderes als der Höhepunkt für eine seit Jahren geführte Aufklärungskampagne an der Universität und in der Stadt. Das war wirklich nichts anderes als eine spektakuläre Demonstration für bereits vorher bewußte und bekannte Ergebnisse von Überlegungen und empirischen Forschungen über das Problem Vietnam. Die Vorbereitung des Vietnam-Kongresses hatte deshalb auch keinen theoretisch organisierenden Effekt, sondern war eine reine, im technischen Sinne verstandene, Organisationsarbeit, um eben 20 000 Menschen zusammenzubekommen. Der hier geplante Kongreß soll sich davon unterscheiden, und zwar insofern, als mit der Möglichkeit der Aufarbeitung von 50 Jahren Geschichte so etwas wie eine politische Gegenöffentlichkeit verlangt wird. Das bedeutet zunächst einmal auch die Schaffung eines wissenschaftlich-politischen Gegengewichts gegen die herrschende Geschichtsschreibung, die ja das Problem Luxemburg, Liebknecht, Arbeiterdemokratie, Rätedemokratie usw. systematisch unterschlagen hat. Zweitens aber findet im Zusammenhang dieser Aufhellung des politischen Prozesses der letzten 50 Jahre gleichzeitig auch die systematische Reflexion über die Organisierung dieser Gegenöffentlichkeit als politische Organisation statt, die sozusagen eine Gegenstruktur gegen die herrschenden Machtstrukturen darstellen könnte. Nicht nur akademische neue Geschichtsschreibung also, sondern auch der gleichzeitige Versuch, hieraus praktisch-politische, organisatorische Konsequenzen zu ziehen mit dem Ziel, Gegenstrukturen zu entwickeln, Ich glaube, daß die Stagnation der letzten Zeit auch daher rührt, daß vielleicht auch viele der Meinung gewesen waren, durch die Springer-Aktion und andere Aktionen könnte man unmittelbar die revolutionäre Situation herbeiführen und dadurch auch unmittelbar große politische Erfolge erzielen. Diese Illusion darf meiner Meinung nach dem Kongreß nicht zugrundliegen. Man sollte sich stattdessen mit dem relativ kurz gesteckten Ziel begnügen, eine Gegenstruktur politischer Art zu konstituieren, um für eine Zwischenphase einer relativen Stagnation in politischen Angelegenheiten, wie sie sich in den nächsten zwei, drei Jahren einstellen könnte, gerüstet zu sein und die organisatorischen Vorbereitungen für spätere Auseinandersetzungen zu schaffen. Eine Massendemonstration kann dabei nur der Nebeneffekt sein. Es könnte nicht das Ziel einer solchen Kampagne sein zu zeigen, daß es zwanzigtausend Berliner gibt, die sich des 50. Todestages von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnern, weil dabei keine Vermittlung zu den praktischen Aufgaben oppositioneller Gruppen in Berlin hergestellt würde. Das würde ein völlig folgenloser Massenaufstand sein, wie er ja von den kommunistischen Parteien her sattsam bekannt ist - denken wir an Frankreich oder Italien.

UNGER: Die Veranstaltung würde dann aber zwangsläufig in zwei parallelen Spuren laufen. Einmal der Blick auf die große Massenkundgebung, und andererseits auf die wissenschaftliche Arbeit. Wie soll man das beides miteinander vereinbaren? Ganz konkret.

PREUSS: Das ist sicherlich ein Problem, allerdings nicht so, wie Sie es formuliert haben. Denn für mich ist nicht die Abschlußkundgebung entscheidend, sondern der Prozeß der Vorbereitung. Es geht dabei ja nicht um die Aufarbeitung von 50 Jahren Geschichte durch ein Team von fünf Universitätsassistenten, sondern das bedeutet ja die praktischpolitische Aufarbeitung durch die Basisgruppen und die Verbände, die das mit ihrer eigenen politischen Praxis verbinden. Diese praktisch-politische und theoretische Arbeit, wie sie ja auch schon in der kritischen Universität programmatisch niedergelegt ist, das scheint mir das Entscheidende zu sein.

SCHMIDT: Ich gehe davon aus, daß die Frustration, die wir konstatieren, die sich ausdrückt in der seit einiger Zeit zu beobachtenden Stagnation, ihren Grund hat in einem Theoriedefizit, das sich in dem Moment auswirkt, wo Impulse für Aktionen nicht mehr in dem Maße von außen kommen, wo bestimmte kontroverse Situationen der Gesellschaft die besonders bildlich, besonders unmittelbar einsehbar sind, verdeckter werden, öde*, deren kontroverse Ausstrahlungskraft durch verschiedene Umstände abnimmt. Dann muß die Aktivität aus den politischen Gruppen selbst hervorgehen mit jeweils neu artikulierter, theoretischer Zielsetzung. In diesem Moment erweist sich dann, daß sich - wenn die theoretische Erhellung von dem, was zu tun sei, nur unzureichend vorgenommen worden ist- eine gewisse Rat- und Hilflosigkeit einstellt. Dann muß durchaus eine gewisse Phase der Reflexion einsetzen. Insofern sehe ich den Vorzug dieses Vorschlages darin, daß man sich in den verschiedenen Gruppen daranmachen kann, dieses Theoriedefizit aufzuarbeiten, besonders in den neugegründeten Basisgruppen. Nur muß das parallel gehen mit der Analyse und der Bewertung parallel laufender wichtiger praktischer Aktivitäten, die lokal und überregional vorgetragen werden, denn die Perspektive "Fünfzig Jahre Konterrevolution sind genug" ist zu breit, als daß man das allein als Motto genügen lassen könnte, ohne es mit konkreteren Inhalten zu füllen. Einen Ansatzpunkt dazu sehe ich in einigen konkreten Vorschlägen, die Weller und Huffschmid schon gemacht haben, den Veranstaltungen zur Betriebsdemokratie, zur Rolle der SPD in der Arbeiterbewegung, zur Grundstücksspekulation usw. Das umfaßt ja die Aktivitäten, die bisher schon von den Basisgruppen geleistet worden sind. Insofern wird dann die regionale Arbeit unter ein zentrales, perspektivisches Motto gestellt, so daß hier die konkrete, lokale Arbeit mit einer historisch übergeordneten Perspektive versehen wird. Dabei wird dann auch die Koordination möglich, die der Gefahr einer Provinzialisierung der Basisgruppen in Spezialproblemen und in Sozialfürsorge entgegentritt. Wenn das die entscheidende Zielrichtung ist, wäre das eine Perspektive, die durchaus Erfolg verspricht.

HUFFSCHMID: Es hat sich in dieser Diskussion jetzt doch herausgestellt, daß nicht die akademische Aufarbeitung der Geschichte gemeint ist, sondern zugleich die Kommunikation dieser Vorbereitungen mit dem, was bereits praktisch in den Gruppen geschieht. Damit ist die Frage nach dem Potential in gewisser Weise schon positiv beantwortet. Es ist ja so, daß uns zwar die Aktivitäten der letzten zwei Jahre durch äußere Anlässe diktiert wurden; in der Verarbeitung dieser Anlässe haben wir aber selber inzwischen ein gewisses Selbstverständnis gewonnen, das sich nicht mehr auf diese Anlässe beschränkt. Wir haben die zugrundeliegenden Strukturen, die diese Anlässe produziert haben, systematisiert und dabei gesehen, daß diese nicht in Vietnam lagen und nicht in der politischen Kategorie Notstandsgesetze, sondern tatsächlich in den sozialökonomischen Machtstrukturen. Und in dieser Richtung arbeiten jetzt erstens die Basisgruppen und theoretisieren zweitens fast alle theoretischen Gruppen der APO. Es gibt also kaum noch Verbände, die sich in Analysen in rein politologischen Kategorien ergeben, sondern es wird doch in allen Gruppen diskutiert über die Produktion eben dieser Verhältnisse durch das kapitalistische System. Wenn wir das aber festgestellt haben, dann sind die Chancen doch denkbar gut, daß man die Verbindung dieser beiden Typen von Gruppen - Basisgruppen und theoretisch arbeitende Gruppen, Überbaugruppen sozusagen - in dieser inhaltlichen Problematik, auf die beide gekommen sind, optimal wird herstellen können.

WELLER: Ein anderer Vorzug ist, daß die ideologische Debatte, die man mit der Vorbereitung eines solchen Themas in der APO anzettelt, dazu führen kann, daß innerhalb der einzelnen Gruppen, die mit solchen Ausarbeitungen beschäftigt sind, ein stärkeres Verständnis dafür eintritt, ob nun eine recht diffuse Gruppierung, eine recht dezentralisierte Struktur der APO gut ist, oder ob sie nicht häufig auch die Funktion hat, daß sie etwa den revisionistischen kommunistischen Fraktionen das Spiel erleichtert, die ja sehr zufrieden sind mit diesem sehr diffusen Charakter der APO. Vielleicht machen wir dann Schluß mit einer spezifischen Erscheinung innerhalb der APO, die dadurch entstanden ist, daß wir so häufig gezwungen waren nur zu reagieren, nämlich mit der permanenten Unterschätzung grundsätzlicher historisch-theoretischer, ideologischer Debatten.

HUFFSCHMID: Ich glaube nicht, daß es so einfach sein wird, aus diesem gemeinsamen Thema schon ein Organisationsmodell zu entwickeln, das alle Gruppen, die dieses Thema verfolgen, vereinigen wird. Ich glaube, das Organisationsmodell wird sich doch erst in einem längeren Prozeß herstellen lassen. Ein Prozeß, an dessen Anfang zunächst einmal doch die Herstellung einer besseren Kommunikation stehen müßte. Das halte ich für ^«durchführbar. In dieser Kommunikation, die gleichzeitig die theoretischen und praktischen Erfahrungen der einzelnen Gruppen vermittelt, wird es dann darauf hinauslaufen, daß eine Art Konsensus entstehen muß, daß es - will man wirklich diese antikapitalistische Opposition in ein weiteres Stadium überführen - nicht ausreicht, einerseits rein praktische Arbeit an der Basis zu leisten, andererseits aber auch nicht ausreicht, ständig in der Universität oder in der Hasenheide oder wo immer Zentralveranstaltungen zu machen, die irgendein Thema zum Gegenstand haben. Will man diese Opposition wirklich gezielt und mit Aussicht auf Gegenöffentlichkeit fortführen, dann wird es nötig sein, gerade dieses Verhältnis von praktischer Arbeit und Zentralkampagne so zu fassen, daß es sich gegenseitig ergänzt; daß also ganz bestimmte Dinge von Zentralkampagnen vorgetragen und von den Basisgruppen vertieft werden oder umgekehrt. Und aus dieser Korrespondenz zwischen praktischer Basisarbeit und theoretischer Aufarbeitung liegt die Chance für ein Organisationsmodell, wenn sich die Notwendigkeit dieser Korrespondenz erst einmal durch eine funktionierende Kommunikation zwischen den praktischen und theoretischen Gruppen selbst bewiesen hat.

PREUSS: Ich glaube, daß wir noch etwas zu abstrakt diskutieren aufgrund dieses etwas mißverständlichen Begriffs vom Organisationsmodell. Modell bedeutet, daß man etwas abstrakt konstruiert, von dem man sagt, das wollen wir realisieren. Huffschmid hat das eben schon angedeutet, daß es weniger um ein Modell als um einen Prozeß geht, nämlich um den Prozeß der Organisierung, wobei man nicht irgendwelche abstrakten Vorstellungen von Organisationsmodellen hat, weil in den Prozeß selbst ja konkrete politische E fahrungen und theoretische Überlegungen eingehen, indem man dann bestimmte Vorstellungen versucht organisatorisch zu stabilisieren. Ein konkretes Beispiel aus dem Hochschulbereich: Man hat jahrelang abstrakte Modelle der Hochschulmitverwaltung und der Hochschulselbstverwaltung ausgebrütet, und es hat sich eigentlich nichts getan. Inzwischen hat sich gezeigt, daß erst in den konkreten Auseinandersetzungen in der Universität bestimmte praktische Vorstellungen von Organisation eingeführt worden sind. Das fing an mit den Problemen Drittelparität/Hälfteparität; das war Ergebnis einer praktischen Auseinandersetzung in der Universität. Oder nehmen wir die Entwicklung jetzt am Otto-Suhr-Institut, wo man ebenfalls in der Auseinandersetzung mit der Institutsleitung neue Formen der Mitbestimmung organisatorisch zu stabilisieren versucht, indem man zum Beispiel anfängt, so etwas wie einen Minoritätenschutz in der Universität zu etablieren- ein Gedanke, der in den ganzen Diskussionen vorher nicht aufgetaucht war, der auch überall, z. B. im Staatsrecht völlig verschüttet war. Jetzt, in einer bestimmten Situation, in der man politische Erfolge hat, die man zu stabilisieren sucht, taucht dieser Gedanke plötzlich auf und bietet Möglichkeiten, das organisatorisch zu stabilisieren, was man politisch erreicht hat. Ich möchte noch auf ein anderes praktisches Organisationsproblem zu sprechen kommen, das mir auch ein mögliches und wünschbares Ergebnis der Vorbereitungen zu dieser Kampagne zu sein scheint. Das ist das, was auch in anderen Gruppen, zum Beispiel im SDS, heftig diskutiert worden ist: Das Problem, •wie kann man in der politischen Arbeit organisatorische Effekte erzielen. Da ist man zum Beispiel darauf gekommen, daß die Alternative zwischen einerseits Basisgruppe und andererseits zentrale oder abstrakte Organisation wie RC oder SDS im Grunde eine ungünstige Alternative ist, weil sie dem einzelnen keine konkrete politische Betätigungsmöglichkeit bietet. Es ist deshalb der Vorschlag diskutiert worden, ob es nicht möglich ist, angesichts einer bestimmten sozialstrukturellen Veränderung, nämlich des Anwachsens von technischer Intelligenz, von akademisch ausgebildeten Leuten und damit der Entstehung einer neuen Arbeiter- oder Angestelltenschicht, ob es also nicht möglich wäre, solche Gruppen wie Ärzte, Ingenieure, Rechtsanwälte, Lehrer in irgendeiner Form syndikalistisch zu organisieren. Das wäre eine Frage, die nur sehr mittelbar im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Kampagne steht, die aber nach unserer Vorstellung eigentlich das Entscheidende sein wird: daß nämlich in der Reflexion der gescheiterten und der erfolgreichen Versuche der Instituierung von Gegenstrukturen die Frage gestellt wird, wie man sich selbst heute in einer Weiterorganisierung diese Gegenstrukturen schaffen kann. Da wäre die Frage der syndikalistischen Organisierung neuer Schichten ein ganz konkretes Beispiel für die möglichen Folgen der Vorbereitung dieser Kampagne, die ja ganz klar bezogen ist auf die Probleme, die diese politischen Gruppen hier in Berlin augenblicklich haben.

UNGER: Meiner Meinung nach hat dieser Vorschlag zwei konkrete Vorteile: Erstens: Durch die Zusammenfassung von sozialen Gruppen ist eine Institution geschaffen, die auf Dauer angelegt ist und die auch auf Dauer bleibt. Das ist nicht ein Arbeitskreis, der ein Papier herstellt und dann auseinandergeht, sondern eine Gruppe, die ständig da ist. Der zweite Vorteil besteht darin, daß diese Gruppe ständig Probleme hat, die alle gleichermaßen angehen. Diese Gruppe wird also nicht in die fatale Lage geraten, nur über sich selbst zu diskutieren, sondern sie wird die Anregungen von außen automatisch bekommen, ohne daß sie irgendein spektakuläres Ereignis schaffen muß, um eine Aktion zu provozieren.

CHRISTOPH CONRAD: Ich möchte etwas sagen zu dem anderen Ziel der Kampagne, wie es indem Vorschlag von Huffschmid und Weller mit angedeutet wird, nämlich einer Aufklärungskampagne. Man sollte doch jetzt, da man noch viel Zeit hat, versuchen, aus den bisherigen Aktionen zu lernen und zum Beispiel Flugblätter oder so allgemein gehaltene Anregungen wie systematische politische Aktionen in der Stadt genau durchdenken, anstatt sie wie bisher dem Geschick oder Ungeschick der einzelnen Gruppen zu überlassen.

HUFFSCHMID: Wir sind uns selbst darüber im klaren, daß diese Arten der Agitation bisher nicht sehr erfolgreich gewesen sind. Es fragt sich natürlich, aus welchen Gründen jie nicht erfolgreich gewesen sind; ob sie nicht tatsächlich zu separat und zu wenig vorbereitet wurden, oder ob es tatsächlich so ist, daß man diese Mittel der Agitation grundsätzlich anzweifeln muß. Ich glaube schon, daß solche traditionellen Mittel der Agitation noch Erfolg haben können, wenn sich eine neue Qualität der politischen Arbeit ergibt und dann auch auf die Qualität dieser Mittel wirkt.

CONRAD: Die Frage, wie man diese Kampagne an die Öffentlichkeit trägt, ist damit aber noch nicht beantwortet. Es hat keinen Zweck, daß wir so eine Art Abendschule oder eine Vertiefung bei manchen schon vorhandenen Kenntnissen erreichen. Was gemacht werden muß, ist, im Januar wirklich eine Basis hier in Berlin zu schaffen, die größer ist als die der Vietnam-Konferenz. Ich glaube, daß es wichtig ist, diese Kampagne an aktuellen Anlässen aufzuhängen, daß man also z. B. die Rolle der Gewerkschaften nimmt, um anhand dieser Haltung die Arbeiterbewegung in ihrer Komplexität zu erfassen.

WELLER: Ich glaube, daß wir nicht mehr in einer Situation sind, wo die relative Stagnation damit zusammenhängt, daß wir nicht die Leute haben, die Agitation betreiben können; daß sie auch nicht so sehr damit zusammenhängt, daß wir etwa hilflos sind in der ^^gitation. Sie hängt damit zusammen, daß wir an vielen Punkten, etwa in den Gewerkschaften, keine expliziten Auskünfte darüber geben können, was etwa die Funktion verstaatlichter Gewerkschaften in unserer Gesellschaft ist. Da ist keine Substanz da, mit der wir solche Diskussionen vorantreiben können. Mir ist es so gegangen, daß ich in Diskussionen, wenn nach den konkreten Möglichkeiten einer antikapitalistisch-rätedemokratischen Organisation in der Zukunft gefragt wurde, etwa bei der Einschätzung der Funktion der Gewerkschaften große Schwierigkeiten hatte. Ebenso bei der Einschätzung der Rolle der SPD in der Arbeiterbewegung. Mit der geplanten Kampagne wird nun der Versuch unternommen, eine wesentliche Leerstelle, die wir hier haben, auszufüllen. Und von daher ergibt sich natürlich auch die Möglichkeit, eine bessere Agitations- und Aktionsarbeit zu leisten.

RÖVER: Ich stimme mit Ihnen überein, daß das Generalthema und das Ziel der Kampagne die Demokratisierung der kapitalistischen Gesellschaft sein soll. Aber für die Strategie möchte ich doch vorher gern die Auskunft haben, ob diese Demokratisierung unmittelbar und direkt angestrebt werden soll, oder ob es nicht so ist, daß wir nur eine kleine politisierte Öffentlichkeit haben und daß das nächste Ziel erst einmal sein müßte, überhaupt politisches Bewußtsein in einer breiteren Öffentlichkeit zu wecken.

HUFFSCHMID: Es scheint mir so zu sein, daß wir mit unserer politischen Arbeit jetzt zwar eine gewisse politisierte Öffentlichkeit geschaffen haben. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, diese politisierte Öffentlichkeit jetzt mit dem Ziel erweitern zu wollen, um jeden Preis zu politisieren, sondern es scheint mir jetzt schon an der Zeit, auch inhaltlich zu bestimmen, wie diese Politisierung aussehen soll. Und diese inhaltliche Bestimmung ist bei uns selber noch relativ unklar. Ich meine, daß eine Kampagne wie diese dazu beitragen könnte, den Politisierungsprozeß in eine ganz bestimmte inhaltliche Richtung zu bringen, nämlich auf ein Ziel, das auf eine rätedemokratische Struktur hinausläuft und letztlich das Demokratiemodell einer Arbeiterkontrolle beinhaltet. Wenn man das an einzelnen spezifischen Themen verfolgt, dann würde ich sagen, die heutige Diskussion um die Mitbestimmung, die ja doch auch Gegenstand der Aktionen und Agitation verschiedener Basisgruppen ist, gewinnt für die APO einen anderen Horizont als sie heute hat. Das geht aus von der Situation im Jahre 1918, wo tatsächlich von Mitbestimmung noch nicht die Rede war, sondern von wahrhaftiger Arbeiterkontrolle, daß also die Betriebe von Arbeiterräten kontrolliert und dann auch überbetrieblich koordiniert würden; es geht weiter mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1920, wo durch einen ganz bestimmten Mechanismus die entscheidenden Implikationen dieses Rätemodells einfach herausgenommen worden sind; dann mit der Aufhebung der Arbeiterkontrolle im Dritten Reich durch das Gesetzbuch der Nationalen Arbeit, und dann kommt die Einführung des Arbeiterkontrollgedankens in einer völlig verzerrten Form durch das Montanmitbestimmungsgesetz und schließlich durch das Betriebsverfassungsgesetz, das auch das letzte Stück von Arbeiterkontrolle aus den Institutionen dieser Gesellschaft eliminiert hat. Wenn wir diese Diskussion führen, dann sind wir auch sehr viel besser in der Lage, zu solchen Entwürfe! "^ wie sie heute vom DGB zur Mitbestimmung gemacht werden, Stellung zu nehmen und zu beurteilen, inwiefern solche Gesetze dazu geeignet sind, die Kontrolle von Arbeitern in den Betrieben und die überbetriebliche Kontrolle von Arbeitern in der Wirtschaft zu fördern und inwieweit sie vielleicht gerade dazu dienen, solche Kontrolle zu verhindern durch ein falsches Partnerschaftsdenken.

WELLER: Natürlich muß man sich dann auch darüber verständigen, was das Ziel von Arbeiterkontrollen sein soll. Und auch dabei darf man nicht stehenbleiben. Man muß sich auf dieser Basis dann auch überlegen, ob es beispielsweise notwendig ist, daß sehr viele unserer Leute im nächsten Jahr ganz intensiv für ein viertel oder ein halbes Jahr in den Betrieben arbeiten. Nebeneffekt dieser Kampagne könnte aleo sein, daß sie optimistisch gesagt - hunderte von Studenten dazu bringt, als Produktionsarbeiter in die Betriebe zu gehen. Aber so eine Kampagne hat keinen Zweck, wenn diese Leute, die in die Betriebe gehen, nicht gut geschult dafür sind. Das Beispiel Frankreich hat ja gezeigt, wie den Studenten etwa der JCR, die in die Betriebe gegangen sind oder zunächst versucht haben, vor den Betrieben Flugblätter zu verteilen, sehr bald nicht nur mit Argumenten begegnet worden ist, sondern daß sie systematisch von der CGT und der Kommunistischen Partei zusammengeschlagen worden sind, die eben diese Bewegung zu verhindern versuchten. Und auf dieser Basis kann man, glaube ich, genau das Ziel der Betriebsarbeit mit der politisch-theoretischen Arbeit erzielen. In die Betriebe hineinzugehen und dort zuarbeiten, das heißt: konkret die Konfrontation mit dem Gewerkschaftsapparat zu suchen, hat keinen Zweck bei der gegenwärtig erreichten ideologisch-theoretischen Basis. Die meisten von uns, ich selbst eingeschlossen, sind dafür noch nicht ausgerüstet.

GOTTSCHALCH: Wir dürfen auf keinen Fall vergessen, daß die Kommandogewalt in den Betrieben alleweil die Chef s haben. Und die Chefs können dann, wenn die Studenten Argumente mitbringen in die Betriebe und gerade dann, wenn sie die Argumente auch aussprechen, von ihrer Kommandogewalt Gebrauch machen und die Studenten rausschmeissen. Ich verspreche mir nicht sehr viel an unmittelbarer Agitationswirkung, wenn Studenten in die Betriebe gehen. Ich halte es allerdings für denkbar, daß Studenten im Umgang mit Arbeitern wenigstens lernen, wie man bei Arbeitern agitiert.

WEDEPOHL: Die Erfahrung zeigt, daß die Chefs selbst solchen Mitarbeitern keine Chance mehr geben, Einfluß auf die Arbeitnehmer zu nehmen, bei denen sie auch nur den leisesten Verdacht haben, daß sie irgendwie solidarisch mit der APO sind. Aber die Arbeitszeit ist nur ein Teil des Lebens der Lohnabhängigen. Das Freizeitproblem ist eines, was im Augenblick völlig kommerziell überlagert ist, und ich möchte hier einfach einmal ins Gespräch werfen, ob man sich nicht der Freizeit der Lohnabhängigen annimmt. Wie das zu geschehen hat, das kann ich jetzt nicht mit einem Programm vorwegnehmen, aber darüber sollte man sich einfach Gedanken machen.

XY: Hinter all den Beiträgen, die hier bisher vorgetragen wurden, habe ich den Eindruck, daß man einem Phantom nachjagt, nämlich einem Arbeiterfetischismus derart, daß man meint, der nächste Schritt müsse unbedingt die Solidarisierung mit den Arbeitern sein. Man reflektiert überhaupt nicht mehr, welche gesellschaftlichen Verhältnisse wir in der Bundesrepublik haben, wieviel Umwege gemacht werden müssen, um an die Arbeiter heranzukommen. Ob nicht zum Beispiel Dinge wie die Ereignisse in der Freien Volksbühne erst einmal wichtig sind, um überhaupt erstmal eine Diskussion ingang zu bringen, oder daß man die Leute darauf anspricht, wie unwürdig die Verhältnisse im Arztwartezimmer sind oder in den Krankenhäusern; und das gar nicht mal mit dem Blickpunkt Rätedemokratie im Hintergrund, sondern erst mal nur um überhaupt darauf hinzuweisen, wie funktioniert das national-help-System in England. Dann erkennen die Leute überhaupt erstmal, daß die Dinge, sowie sie bei uns sind, nicht vollkommen sind. Mit anderen Worten, vielleicht muß man ganz allgemein erst einmal die Plattform schaffen und dann erst die Leute auf das hinweisen, was wir bereits sehen, nämlich auf die Möglichkeit der Demokratisierung der Gesellschaft durch Rätesysteme und ähnliches.

YZ: Ich möchte noch einmal auf die Arbeit der JCR zurückkommen, die vorhin angeschnitten wurde. In Frankreich hat die Arbeiterbewegung nicht irgendwann, wie die deutsche 1933, einmal aufgehört zu existieren. Und Flugblätter und Traktate werden nicht erst seit dem Mai in den Betrieben verteilt. Es werden Schriften seit mindestens 30 Jahren verteilt, nachdem Leute mitbekommen haben, daß die Kommunistische Partei Frankreichs nicht die Interessen der Arbeiter vertritt. Man hat Kader gebildet in Frankreich, die auf einem festen Programm basieren und die versuchen, die Interessen der Arbeiter zu formulieren. Es ist ganz schön und interessant, gewisse Theorien von der Spontaneität der Arbeiterklasse zu hören; aber es ist auch interessant, daß in Nantes, als die Flugzeugfabrik besetzt wurde, die Führung einer Gewerkschaft von Trotzkisten gebildet wurde.

MESCHKAT: Ich möchte an diesen Beitrag und seinen internationalen Aspekt anschliessen. Ich glaube, wir sind in der Gefahr, in einen Provinzialismus zurückzufallen. Wenn man Gelegenheit hat, mit den Genossen in Frankreich, Italien, Spanien zu diskutieren, dann stellt man fest, daß sich die Probleme, die wir hier diskutieren, in ähnlicher Form in den meisten europäischen Ländern stellen. Dabei entstehen, ohne daß es bisher eine Kommunikation gab, ganz ähnliche Formen der Organisation. Zum Teil ist man dort sehr viel weiter gekommen, als es bei uns im Augenblick der Fall ist. Der Unterschied zu diesen Ländern besteht nur darin, daß das, was wir im Augenblick hier machen, von der Gegenseite noch nicht als Bedrohung empfunden wird. Man ist deshalb in den anderen Ländern sehr daran interessiert, die Erfahrungen, die wir hier machen, kennenzulernen und zu erfahren, in welchen Formen wir die Arbeit hier weitertreiben. Internationalismus ist deshalb keine abstrakte Angelegenheit, etwas was wir uns ausdenken, damit wir im Januar hier einen schönen Kongreß haben, sondern ich habe aus einer Reihe von Diskussionen den Eindruck gewonnen, daß ein solcher Erfahrungsaustausch einem tatsächlichen Bedürfnis entspricht. Wir müssen deshalb Kontakt aufnehmen zu allen Organisationen, die sich diese Arbeit in den verschiedenen Ländern zur Aufgabe gesetzt haben. Dabei ist es gleichgültig, welchen ideologischen Strömungen sie angehören, ob es sich um KP-Leute, Trotzkisten, Anarchisten oder wen immer handelt. Der Erfahrungsaustausch mit den Aktivisten scheint mir eine der Aufgaben eines solchen Kongresses zu sein. Dabei wäre auch zu sprechen über das Verhältnis zu den traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung, sowohl was die kommunistischen und die sozialdemokratischen Parteien betrifft, wie auch die Frage, wie arbeiten wir in den Gewerkschaften und mit den Gewerkschaften. Um die Arbeit in den Gewerkschaften kommen wir nicht herum, und e* wäre völlig abstrakt, um jeden Preis zu versuchen, außerhalb der Gewerkschaften Organisationen aufzubauen. Ich glaube im übrigen, daß, wenn wir bei einem internationalen Kongreß auch unsere Erfahrungen darstellen müssen, das auch dazu dienen könnte, die Organisationen, die wir im Moment haben, auf eine bestimmte Aufgabe auszurichten. Das wäre die Chance, die in einer solchen Kampagne für die Frage unserer eigenen weiteren Organisation läge. Wenn ein solcher Versuch scheitert und wenn sich zum Beispiel dieser Club hier als untauglich erweist, in dieser Stufe der politischen Auseinandersetzungen aktiv zu werden, dann müssen wir eben zu anderen Formen übergehen. Wir haben den Club oder andere Organisationen ja nicht geschaffen, um irgendeinen organisatorischen Rahmen für irgendwas zuhaben. Er hat in dem vergangenen Jahr in einer ganz anderen Situation eine positive Rolle gespielt. Die Frage ist, ob dieser Club jetzt noch nützlich ist. Ist er es nicht, wäre es Unsinn, wenn wir überhaupt noch Zeit und Energie auf diese Organisationsform verschwenden.

  • Erschienen in zwei Teilen in: BERLINER EXTRA-DIENST
    59-II, 24.7.1968, S.4ff, 60-II, 27.7.1968, S.8ff

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