zurück Septemberstreiks 1969
Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 


WARNSTREIK
BEI ORENSTEIN & KOPPEL IN BERLIN-SPANDAU
von der Betriebsgruppe Orenstein & Koppel in der Basisgruppe Spandau

1. EINIGE DATEN ZU O&K

Die Orenstein & Koppel AG Werk Berlin ist ein metallverarbeitender Betrieb mit etwa  5OO Beschäftigten und den Produktionsbereichen: Hydraulik-Bagger, BVG-Busse, U-Bahn, Waggons. Das Spandauer Werk ist der zweitgrößte Betrieb nach dem Lübecker Werk und hat einen Produktionsanteil von 33, 3 % an dei Gesamtproduktion des Unternehmens. In den westdeutschen Betrieben werden außer Baggern noch Fahrtreppen und Dieselloks produziert. Die HOESCH AG und die AGIV (Aktiengesellschaft für Industrie und Verkehrswesen) besitzen 75 % der Aktien, während die restlichen 25% sich auf ca. 5OO freie Aktionäre verteilen. Außerdem hat O&K einen Kooperationsvertrag mit der amerikanischen Firma Harnischfeger Corporation in Milwaukee abgeschlossen.

2. BETRIEBSKLIMA UND FLUKTUATION

Die verbesserte Auftragslage führte zu einem erheblich verstärkten Produktionsdruck auf die Arbeiter. So wurden im ersten Halbjahr 1969 139 Bagger mehr produziert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres bei einem Jahresausstoß von 6OO bis 8OO Baggern und bei gleicher Beschäftigtenzahl. Dieser verstärkte Druck macht sich z.B. durch Drohung mit Lohnabzug von Seiten der Meister bemerkbar. Diese offensichtlichen Unterdrückungsmaßnahmen der Betriebsleitung wirkten sich natürlich negativ auf das Betriebsklima aus und bedingen eine beträchtliche Fluktuation. So haben im Geschäftsjahr 1968 etwa 5OO Arbeiter bei der Firma neu angefangen und etwa 53O die Firma wieder verlassen. Dabei gingen ca. 8O % der Kündigungen von den Arbeitern aus.

3. DIE STIMMUNG WÄHREND DER WESTDEUTSCHEN STREIKS.

Die Stimmung während der Streiks in Westdeutschland war verhältnismäßig ruhig. Die Arbeiter standen den Streiks im Grunde positiv gegenüber. Bei weitergehenderen Diskussionen kamen jedoch diejenigen Argumente gegen den Streik zum Vorschein, die in den öffentlichen Kommunikationsmitteln verbreitet worden waren. Man muß bei dieser Stimmung auch sehen, daß immer davon geredet wurde, daß in der stahlerzeugenden Industrie gestreikt worden ist, man hat aber kaum ein Wort darüber gelesen, daß auch Teile der metallverarbeitenden Industrie gestreikt haben.

4. ZUM VERLAUF DES STREIKS

Aus uns noch unbekannter Quelle tauchte am Donnerstag, 25. 9. , die Information auf, daß die Arbeiter des Dortmunder Werks von O&K während der Streiks bei HOESCH erfolgreich für 3O Pfennig m, gestreikt hätten. Diese Nachricht ist offenbar zuerst in den Abteilungen Baggerbau I und II aufgetaucht und verbreitete sich schnell bis hin zur Halle der Baggerbau-Endmontage. Die Arbeiter aus den beiden oben genannten Abteilungen teilten mit, daß dieser Teil der Belegschaft in ihren Hallen zum Streik bereit sei. Spontan bildeten sich Diskussionsgruppen unter den Arbeitern der Großmontage (GM), die ebenfalls die Möglichkeit eines Streiks ins Auge faßten. Inzwischen hatte auch der Betriebsrat die Situation mitbekommen und sich mit der Geschäftsleitung in Verbindung gesetzt. Von vornherein war wie in Dortmund an eine Forderung nach Erhöhung der Effektivlöhne um 3O Pfennig pro Stunde gedacht worden.

Während der Betriebsrat bei der Geschäftsleitung war, begannen einige Arbeiter der GM ihre Kollegen zu fragen, ob sie mitstreiken würden. Dabei sprach sich die überwiegende Mehrheit für einen Warnstreik mit der Forderung nach SO Pfennig mehr aus.

Mit Beginn der Mittagspause waren die Verhandlungen im Büro beeilet. Das Ergebnis wurde über Umwegen einigen Arbeitern der Belegschaft bekannt: die Geschäftsleitung sei überrascht gewesen, daß die Lage schon so weit fortgeschritten sein solle. Offenbar hat sie mit einer solchen Entwicklung gerechnet, jedoch nicht gedacht, daß sie so schnell einsetzen würde. Sie ließ sich jedoch nicht von dem Bericht des Betriebsrates beeindrucken und meinte, von der Streikbereitschaft sei noch nichts zu merken. Daraufhin gingen in der Kantine, in der nur die GM-Arbeiter und die Lehrlinge Mittag machen und deren Mittagszeit nicht zusammenfällt, einige Arbeiter von Tisch zu Tisch und forderten ihre Kollegen auf, nach der Mittagspause die Arbeit nicht wieder aufzunehmen. Nach der Pause versammelten sich 1OO bis 150 Arbeiter vor dem Halleneingang der Großmontage. Ein Vertrauensmann wurde zum Betriebsrat geschickt. Der Betriebsratsvorsitzende Schmidt erschien und teilte den streikenden Arbeitern mit, daß die Verhandlungen sofort wieder aufgenommen werden und daß bis spätestens am darauf folgenden Tag gegen 9. oo Uhr das Ergebnis den Arbeitern mitgeteilt werden würde. Daraufhin nahmen die Arbeiter die Arbeit wieder auf. Die meisten bekundeten jedoch, daß sie die Arbeit sofort wieder niederlegen würden, falls man ihre Forderungen nicht erfüllen würde. Sie waren sich darüber im klaren, daß dann der gesamte Betrieb streiken müßte. Sie erinnerten sich an die Betriebszeitungen und die Flugblätter, die wir gemacht hatten und wandten sich an den Kollegen, von dem sie seit längerem vermuteten, daß er an ihnen beteiligt gewesen sei. Diese 8 bis 1O Arbeiter fragten ihn, ob es nicht möglich sei, daß die BG Spandau für den nächsten Morgen ein Flugblatt vorbereitet, um die anderen Kollegen des Betriebes zu informieren und zum Streik aufzufordern. Dieses Flugblatt wurde jedoch nicht benötigt, da kurz vor Feierabend der Betriebsratsvorsitzende in der GM-Halle erschien und mitteilte, daß eine Erhöhung der Effektivlöhne um 5 % von der Geschäftsleitung zugesagt worden sei. Bezogen auf den Durchschnittslohn entsprechen diese 5 % den von den Arbeitern geforderten 3O Pfennig. Ferner wurde bekannt, daß die Geschäftsleitung anfangs nur den streikenden Arbeitern der Großmontage mehr bezahlen wollte. Auf den Einwand des Betriebsrates hin, daß dann am nächsten Tag der gesamte Betrieb streiken würde, bewilligte sie die 5 % der gesamten Belegschaft.

5. UNSERE EINSCHÄTZUNG DES STREIKS UND UNSERER ARBEIT BEI O&K

Die sofortige Anrechnung der 8 % der letzten tariflichen Lohnerhöhung für die metallverarbeitende Industrie auf die Effektivlöhne bei O&K ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, daß der Geschäftsleitung die wachsende Unzufriedenheit der Arbeiter bekannt war (steigende Fluktuation!). Auf der letzten Betriebsversammlung, einige Wochen vor dem Streik, war der erste Sekretär der IG Metall Ortsverwaltung Berlin anwesend und berichtete großkotzig vom "75-stündigen Kampf der Tarifkommission" und versuchte damit den Arbeitern die 8 % als glorreichen Sieg zu verkaufen mit der Intention, sich nunmehr zufrieden geben zu können. Dazu nahm die Belegschaft bereits eine distanzierte Haltung ein, obgleich keine Anzeichen vorhanden waren, die auf eine eventuelle Streikbereitschaft hindeuteten. Im Grunde wurden die 8 % hingenommen, auch wenn im allgemeinen die Meinung vorherrschte, daß diese Erhöhung zu niedrig sei. Diese Unzufriedenheit mit dem Lohn ist zwar als quasi offizieller Streikgrund anzusehen. Die Grundlage aber für die gewachsene Streikbereitschaft ist sicherlich mehr darin zu sehen, daß die Arbeiter durch den Streik die Möglichkeit hatten, sich gegen die Betriebsleitung und ihre Antreiber durchzusetzen und ihre Macht unter Beweis zu stellen. Wir schließen das aus der ambivalenten Haltung, die die Arbeiter angesichts der raschen Zusage der Geschäftsleitung einnahmen. Einerseits bedeutete sie eine Stärkung ihres Selbstbewußtseins, andererseits aber waren sie enttäuscht, daß der Kampf (Streik des gesamten Betriebes) gar nicht erst richtig begonnen hatte. Waren sie doch nach der Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden, die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung sofort wieder aufzunehmen, gleich wieder an ihre Arbeit zurückgegangen, weil sie fest damit gerechnet haben, daß am nächsten Tag die ganze Belegschaft streiken würde.

Der Wert unserer Arbeit bei O&K liegt eben in der Förderung dieses wachsenden Selbstbewußtseins, ohne sich organisatorisch anzubiedern. Wir haben in unserer Agitation stets nur die Arbeiter in ihrer Motzerei unterstützt, indem wir mitgemotzt und Autoritäten (Schieber, Meister, Betriebsrat) in unseren Artikeln angegriffen haben, die immer stark satirischen Charakter hatten. Diese Artikel wurden gewöhnlich sehr gut aufgenommen. Auch beim Verteilen konnten wir feststellen, daß man uns von Mal zu Mal mehr Sympathie entgegenbrachte. Unser Flugblatt zu den Streiks in Westdeutschland hatte besonders diese Tendenz betont ("denn die Kollegen erkannten, daß es nicht nur um 3O Pf. mehr Lohn geht, sondern darum, daß die Arbeiter bestimmen und nicht die Kapitalisten und auch nicht die Funktionäre!") und ist mit viel Zustimmung aufgenommen worden. Während des Streiks fehlte es dann auch nicht an Anzeichen, die daraufhindeuten, daß die Arbeiter der Großmontage den Kampf selber führen wollten, ohne sich von jemandem organisieren zu lassen. Auf die Frage eines Meisters, wer denn ihr "Rädelsführer" sei, antworteten sie geschlossen: "Wir brauchen keine Rädelsführer!" Sie sagten eben nicht; sie hätten keine, sondern sie brauchen keine. Die Vertrauensleute und der Betriebsrat hatten daher auch nur die Funktion von Boten zwischen Belegschaft und Geschäftsleitung. Zu der Funktion der SEW-Leute in den Hallen von Baggerbau I und II läßt sich nur sagen, daß sie den Streik wollten und ihn mit zu organisieren versucht hätten, aber erst wenn sie die Sicherheit einer 1OO%igen Streikbereitschaft gehabt hätten. Zusammenfassend können wir sagen, daß dieser Streik durchweg spontanen Charakter hatte, daß es keine Vorbereitung gegeben hat und daß die Arbeiter - jedenfalls in der GM - unsere Unterstützung gewollt und mit ihr gerechnet haben. Ferner, daß es ihnen offenbar auf den Kampf selbst angekommen war und daß sie ihre Organisationsformen in diesem Kampf selber entwickeln. Diesen Kampf als politischen zu interpretieren wird den Arbeitern wahrscheinlich erst möglich sein, wenn sie auf stärkeren Widerstand des Kapitals und der Staatsgewalt stoßen.

 

  Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in
Rote Presse Korrespondenz
DER STUDENTEN-SCHÜLER-UND ARBEITERBEWEGUNG
1969, 1. Jg, Nr. 33, 3.10.1969, S. 2-4
Redaktion: Solveig Ehrler, Günther Matthias Tripp, Betriebsbasisgruppen. Ad-hoc-Gruppen an den Hochschulen, Internationales Forschungsinstitut des SDS (INFI), Berufsbasisgruppen im Republikanischen Club Berlin, Zentralrat der Sozialistischen Kinderläden

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