zurück Septemberstreiks 1969
Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 


Die hauptsächlichen Streikarten
Leseauszug aus den internen Papieren der IG Chemie

von ML-Press Amsterdam 1971

 

Bei der Vorbereitung und Durchführung von Arbeitskämpfen lassen sich nach organisatorischen, tarifpolitischen oder taktischen Überlegungen die folgenden hauptsächlichen Streikarten unterscheiden:

 

1. VOLLSTREIK

Ein Streikbeschluß trifft alle Arbeitgeber eines Tarifbereichs. Dabei kann unberücksichtigt bleiben, ob die organisierten Arbeitnehmer des Geltungsbereiches in den Streik eintreten oder aber einen oder mehreren Betrieben alle Arbeitnehmer die Arbeit niederlegen.

 

2. SCHWERPUNKTSTREIK

Nur einzelne, zu einem Arbeitgeberverband gehörende, Arbeitgeber werden bestreikt. Nur die Arbeitnehmer ganz bestimmter, ausgewählter Betriebe (Schwerpunkte) treten in Streik; durch exakte Auswahl dieser Betriebe kann eine große Wirkung erzielt werden.

 

3. TEILSTREIK

Nur ganz bestimmte Arbeitnehmergruppen eines oder mehrerer Betriebe streiken. Die übrigen Arbeitnehmer gehen weiter zur Arbeit. Sehr wirksam kann eine Serie von Teilsttreiks mit verhältnismäßig wenigen Arbeitnehmern sein. Dabei wird bewirkt, daß in kürzest Zeit die Produktion so durcheinander gebebracht wird, daß der gesamte Betrieb (oder mehrere Betriebe) lahm gelegt werden.
 

4. BUMMELSTREIK

Hier liegt eine besondere Kampfform vor. Während bei den übrigen Streikarten die betroffenen Arbeitnehmer die Arbeit niederlegen, gehen sie beim Bummelstreik in den Betrieb. Dort verrichten sie ihre Arbeit weiter, arbeiten dabei aber absichtlich langsamer.

 

5. "NACH VORSCHRIFT ARBEITEN"
Anders als beim Bummelstreik werden hier von den Arbeitnehmern alle bestehenden Vorschriften im Betrieb eingehalten. Durch das Einhalten von Dienstwegen und Vorschriften und durch übergenaue Rückfragen bei den Vorgesetzten tritt ein nicht unerheblicher Verzögerungseffekt im Produktionsfluss ein.

 

6. STREIK am ARBEITSPLATZ

Die Arbeitnehmer gehen in Betrieb an ihren Arbeitsplatz, nehmen ihre Arbeit aber nicht auf, sondern setzen sich an ihren Arbeitsplätzen nieder oder stehen als Diskussionsgruppen in den Abteilungen herum. Streiks am Arbeitsplatz sind für die Geschäftsleitungen völlig unberechenbar) sie beginnen plötzlich, werden regelmäßig oder unregelmäßig wiederholt und können von Abteilung zu Abteilung überspringen.

 

7. SOLIDARITÄTSSTREIK
Hier handelt es sich um eine befristete Arbeitsniederlegung, die in der Regel die Zurücknahme einer Maßnahme des Arbeitgebers verlangt. Z. B. treten größere Gruppen von Arbeitnehmern eines Betriebes bzw. alle Arbeitnehmer in den Streik, um einzelne Arbeitnehmer des Betriebes oder kleinere Arbeitnehmergruppen vor einer Willkürmaßinahme des Arbeitgebers oder von Vorgesetzten zu bewahren.

 

8. SYMPATHIESTREIK
Hier geht es nicht um die direkte Sicherung oder Verbesserung der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Diese Streikform richtet sich nicht unmittelbar gegen den eigenen Arbeitgeber oder Tarifgegner, der Sympathiestreik wird zur Unterstützung anderer Arbeitnehmer geführt, die ihrerseits in einem Arbeitskampf stehe». Dieser Streik erhält eine besondere Bedeutung, wenn die Arbeitgeber in von Arbeitskämpfen betroffenen Gebieten versuchen, bestimmte Teile der Produktion zu verlagern.

 

9. "WILDER" STREIK

Arbeitnehmer legen spontan die Arbeit nieder, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen oder wenn etwaige Verhandlungen über ihre Forderungen von den Unternehmern unnötig verzögert werden. Diese Streiks werden nicht von der Gewerkschaft geplant und organisiert. Während der laufenden Friedenspflicht durchgeführte "wilde" Streiks sind illegal und führen zur Schadenersatzpflicht der teilnehmenden Arbeitnehmer. Nach herrschender Rechtsauffassung können spontan begonnene Arbeitskämpfe nur dann unter Führung und mit Unterstützung der Gewerkschaften als rechtmäßiger Streik weitergeführt werden, wenn die Gewerkschaft nicht an die Fristen eines zur Zeit geltenden Tarifvertrages zur Einhaltung der Friedenspflicht gebunden ist.


10. DEMONSTRATIONSSTREIK
Beim Demonstationsstreik fehlt ein unmittelbares Kampfziel. Es handelt sich um einen befristeten Streik, der den Zweck verfolgt, die Aussicht der Arbeitnehmer in einer eindrucksvollen Kundgebung der Öffentlichkeit vorzustellen.
Mit einem Demonstrationsstreik soll - für die gesamte Öffentlichkeit erkennbar - auf die Forderungen der Arbeitnehmer hingewiesen werden oder ein Protest ausgedruckt werden.

 

11. "ROLLENDER STREIK"

 Eine Kette von befristeten Arbeitsniederlegungen einzelner Abteilungen oder Betriebsteile nach einen bestimmten Plan beabsichtigt, daß der normale Arbeitsfluss des Betriebes verhindert wird, während der größte Teil der Arbeitnehmer sich im Betrieb befindet und einen Lohnanspruch behält. Um in unregelmäßigen Abstünden unter "willkürlicher" Auswahl von Abteilungen einen rollenden Streik zu führen, bedarf es jedoch einer großen Disziplin und eines hohen Selbstbewußtseins der Belegschaften.

 

12. BEWILLIGUNGSSTREIK

Nur die Betriebe werden bestreikt, deren Arbeitgeber nicht bereit sind, die gewerkschaftlichen Forderungen zu erfüllen.
Diese Form des Streiks könnte in Zusammenhang mit der Durchsetzung von betriebsnahen Forderungen von zunehmender Bedeutung werden.

 

 

Editorische Anmerkungen

Raubdruck
Schulungsmappe Streik
Interne Papiere der IG Chemie
ML-Press Amsterdam 1971 - Seite: 151ff

OCR-San by red. trend 

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