zurück Septemberstreiks 1969
Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 



1968 & 1969
Eine neue Generation sucht nach einer Alternative - mit den Septemberstreiks kehrt auch in Deutschland der Klassenkampf zurück

Internationale Kommunistische Strömung (IKS)

Die Bildung der außerparlamentarischen Opposition und die bürgerliche Demokratie

Wie in anderen Artikeln unserer Presse aufgezeigt, entwickelte sich Ende der 1960er Jahre eine internationale Protestbewegung, gegen den Vietnam-Krieg, gegen die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Verschlechterung,  die in vielen Ländern Keime einer Infragestellung der bestehenden Ordnung in sich trug. Die Bewegung in Deutschland setzte schon relativ früh ein, sie sollte auch eine größere internationale Ausstrahlung haben.

Von der IKS wurde uns ihre Einschätzung der Septemberstreiks für diese Dokumentation dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Die AutorInnen stellen die 69er Ereignisse in einen bestimmten Zusammenhang mit "68". Daher veröffentlichen wir alle drei Teilen des Aufsatz zusammen und nicht  Themenbezogen gekürzt. /khs

Opposition außerhalb des bürgerlichen Parlamentes

Nachdem es seit Mitte der 1960er Jahre  immer häufiger vor allem zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg gekommen war, erhielten die Proteste eine neue Dimension, als am 1. Dezember 1966 die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in Bonn gebildet wurde und Rudi Dutschke nur wenige Tage später, am 10. Dez 1966, zur Errichtung einer "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) aufrief. Wenn die  wichtigste "linke" Partei sich an der Regierung beteiligte, musste dies zu Enttäuschung und Abwendung von der SPD führen.   Während die SPD emsig die Wahltrommel rührte und immer wieder für die Wahlbeteiligung warb, wurden die Proteste mehr auf die Straße getragen. Am Anfang dieser Bewegung stand eine gehörige Portion Illusionen über die bürgerliche Demokratie im Allgemeinen, und über die Sozialdemokratie insbesondere. Die Idee: Da es mit dem Eintritt der SPD in die Regierung keine größere Oppositionskraft mehr im Bundestag gäbe, müsse man diese Opposition von der Straße aus anfachen. Mit der immer offensichtlicher werdenden systemstützenden Rolle der Sozialdemokratie innerhalb der Großen Koalition aber richtete sich die "außerparlamentarische Opposition" mehr gegen eine Vereinnahmung durch die bürgerliche Demokratie, gegen Wahlbeteiligung und sprach sich für direkte Aktionen aus. Diese Stoßrichtung war ein wichtiges Element bei dem langsamen Prozess der späteren Aufkündung des "Klassenfriedens"… 

Eine neue Generation leistet Widerstand

Die herrschende Klasse hatte sich veranlasst gesehen, die SPD als Reaktion auf das Wiederauftauchen der Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg wieder an die Regierung zu bringen. Nach dem lang andauernden Wirtschaftswunder fiel das Wachstum  plötzlich ab 1965 stark ab. Auch wenn der Rückgang des Wachstums immer noch auf einem hohen Wachstumsniveau erfolgte und die damaligen Wachstumszahlen im Vergleich zu den gegenwärtigen niedrigen Wachstumszahlen noch "Traumzahlen" waren, vollzog sich etwas Historisches. Das Nachkriegswirtschaftswunder war zu Ende. In der ersten Rezession 1967 verdreifachte sich nahezu die Zahl der Arbeitslosen von 0,16 auf 0,46 Millionen. Die Kapitalisten reagierten sofort mit Sparmaßnahmen. Erste Stellenstreichungen erfolgten; Sonderleistungen wie übertarifliche Zulagen wurden gestrichen.  Auch wenn dies alles im Vergleich zu heute als geradezu ‚harmlos' erscheint, war es für die gesamte Arbeiterklasse ein großer Schock. Das  Gespenst der Krise war wieder da. Jedoch auch wenn die Krise plötzlich wieder hereingebrochen war, reagierte die  Arbeiterklasse damals noch nicht mit einer größeren Streikbewegung. Dennoch beteiligten sich zwischen 1965-67 ca. 300.000 Arbeiter an diversen Arbeitskämpfen. Den Beginn einer bundesweiten Protestwelle markierte ein wilder Streik bei dem Druckmaschinenhersteller Faber und Schleicher in Offenbach im Dezember 1966, in dem es um die Entfernung eines Vorgesetzten ging, dem "Antreibermethoden" vorgeworfen wurden. Hinzu kamen Konflikte über die Kontrolle der Arbeitszeit wie bei den ILO-Werken in Pinneberg bei Hamburg im September 1967. Nahezu alle entwickelten sich als wilde Streiks. Sie trugen nicht unwesentlich zur Stimmungsänderung vor allem bei jugendlichen Beschäftigten, insbesondere Lehrlingen bei (damals gab es keine nennenswerte Jugendarbeitslosigkeit, die meisten Jugendlichen verfügten über Erfahrung aus der Arbeitswelt). Nachdem zuvor jahrelang die Ideologie der Sozialpartnerschaft und die Botschaft vom "Vater" Staat gepredigt worden war, entstanden nun erste Risse beim ‚sozialen Frieden'. Rückblickend betrachtet waren diese ersten kleineren Streiks nur "Vorläuferreaktionen", welche letztendlich nur ein größeres Beben ankündigten, das in Deutschland erst 1969 eintreten sollte.

Mit diesen zaghaften, wenig spektakulären Aktionen hatte die Arbeiterklasse in Deutschland dennoch ein wichtiges Signal ausgesendet, das auch der Protestbewegung der Studenten weiter Auftrieb verlieh. Auch wenn sich die Arbeiter in Deutschland damals nicht an die Spitze der internationalen Bewegung stellten, waren sie schon früh mit Abwehrreaktionen gegen die Krise dabei.

Es war aber nicht so sehr die unmittelbare Heftigkeit der ersten Sparmaßnahmen, die etwas in Bewegung gesetzt hatte. Viel mehr waren auch die Regungen einer neuen Generation zu spüren. Nach den Entbehrungen der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren und der Hungerjahre während des Krieges hatte der brutale Verschleiß von Arbeitskräften während des Nachkriegswiederaufbaus mit langen Arbeitsstunden und Niedrigstlöhnen einen höheren Konsum mit sich gebracht, aber gleichzeitig stellte dieses neue "Arbeitshaus" etwas Abschreckendes insbesondere für die Jugend dar. Ein sehr diffuses Gefühl "das kann es doch nicht gewesen sein, wir brauchen etwas Anderes als nur Konsumgüter". "Wir wollen nicht so erschöpft, abgestumpft, verschlissen, ausgemergelt sein wie unsere Eltern", kam auf. Langsam trat eine neue,  ungeschlagene Generation in Erscheinung, die den Krieg nicht mitgemacht hatte und jetzt nicht bereit war, die Schufterei der kapitalistischen Tretmühle widerstandslos hinzunehmen.  

Die Suche nach etwas Anderem, noch Undefinierten, begann. 

Hinter der Protestbewegung - die Suche nach einer anderen Gesellschaft 

Die Bildung der "Außerparlamentarischen Opposition" Ende 1966 selbst war wiederum nur ein Schritt einer größeren Regung unter den Jugendlichen, insbesondere den Studenten. Denn von 1965 an, noch bevor die Wirtschaftskrise wieder auftauchte, wurde in den Universitäten immer häufiger zu Vollversammlungen aufgerufen, in denen man in hitzigen Debatten über Mittel und Wege des Protestes stritt. 

An vielen Universitäten bildeten sich  - dem US-Vorbild folgend - Diskussionsgruppen, als Gegenpol zur "etablierten", bürgerlichen wurde die "kritische Universität" gegründet. Aber auch in diesen Foren waren nicht nur Mitglieder des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) aktiv, die irgendwelche spektakulären, antiautoritären Protestformen beschlossen, sondern es wurde in dieser ersten Phase der Bewegung eine alte Tradition der Debatte, der Diskussionen in öffentlichen Vollversammlungen  zum Teil wiederbelebt. Auch wenn sich viele durch den Drang zum spektakulären Handeln angezogen fühlten, blühte wieder das Interesse an Theorie, an der Geschichte revolutionärer Bewegungen auf und der Mut an den Gedanken der Überwindung des Kapitalismus auf.  Bei vielen keimte Hoffnung auf andere Gesellschaft auf. Rudi Dutschke fasste diese im Juni 1967 folgendermaßen zusammen: "Die Entwicklungen der Produktivkräfte haben einen Prozesspunkt erreicht, wo die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell möglich geworden ist. Alles hängt vom bewussten Willen der Menschen ab, ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewusst zu machen, sie zu kontrollieren, sie sich zu unterwerfen…" Eine Vielzahl von politischen Schriften der Arbeiterbewegung, insbesondere des Rätekommunismus, wurde wieder neu aufgelegt. Das Interesse an Arbeiterräten wuchs enorm. Die Protestbewegung in Deutschland galt international als die mit am "theoretischsten, diskussionsfreudigsten, politischsten".

Dabei kritisierte zunächst ein Großteil der Protestierenden wie  z.B. Rudi Dutschke theoretisch oder zumindest gefühlsmäßig den Stalinismus. Dutschke sah diesen als doktrinäre Entartung des genuinen Marxismus zu einer neuen "bürokratischen" Herrschaftsideologie. Er forderte auch im Ostblock eine durchgreifende Revolution zu einem selbstbestimmten Sozialismus.   

Staatliche Repression sorgt für Empörung

Aus Protest gegen den Besuch des Schahs von Persien versammelten sich in West-Berlin am 2. Juni 1967 Tausende von Demonstranten. Die bürgerlich demokratische deutsche Regierung, die das blutige, diktatorische Regime des Schahs kritiklos unterstützte, war fest entschlossen, mit Polizeigewalt (Greiftrupps und Gummiknüppel) die Protestierenden in Schach zu halten. Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde dabei von einem Zivilpolizisten der Student Benno Ohnesorg  hinterrücks erschossen (und nachher freigesprochen). Dieser Mord an dem Studenten rief eine enorme Empörung unter den sich politisierenden Jugendlichen hervor und sorgte für weiteren Auftrieb der Protestbewegung. In einem wenige Tage später am 9. Juni 1967 einberufenen Kongress "Hochschule und Demokratie" ließen nach der staatlichen Repression viele Diskussionen den Graben zwischen Staat und Gesellschaft deutlich werden.

Gleichzeitig rückte eine weitere Komponente des Protestes immer mehr in den Vordergrund.  

Die Bewegung gegen den Krieg

Wie in den USA war es 1965 und 1966 zu mehreren Kundgebungen  und Kongressen gegen den Vietnamkrieg gekommen. Am 17./18. Februar 1968 wurde in West-Berlin ein Internationaler Vietnam-Kongress mit anschließender Demonstration von 12000 Teilnehmern abgehalten.  Die kriegerische Eskalation im Nahen Osten mit dem Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und Ägypten im Juni 1967 sowie vor allem der Vietnamkrieg hatten die Bilder des Krieges in die Wohnungen gebracht. Gerade 20 Jahre seit dem Ende des 2. Weltkriegs waren vergangen, da wurde die neue Generation, die den 2. Weltkrieg selbst oft nicht, oder damals erst als kleine Kinder erlebt hatte, mit einem Krieg konfrontiert, der die ganze Barbarei dieses Systems vor Augen führte (permanente Bombardierung vor allem der Zivilbevölkerung, Einsatz von chemischen Waffen wie Agent Orange, Massaker von My Lai, auf Vietnam wurden mehr Bomben geworfen als im gesamten zweiten Weltkrieg.) Die jüngere Generation  war nicht mehr  bereit, sich in einem neuen Weltkrieg abschlachten zu lassen. Deshalb protestierten weltweit, vor allem in den USA und in Deutschland immer mehr gegen den Vietnamkrieg.

Wie widersprüchlich und konfus die Bewegung jedoch damals war, zeigte sich anhand einer damals weit verbreiteten Grundidee, welche von R. Dutschke mit am klarsten vertreten wurde. Diese glaubte wie viele andere im SDS, der Vietnamkrieg der USA, die Notstandsgesetze in der Bundesrepublik und die stalinistischen Bürokratien im Ostblock hätten bei aller Verschiedenheit einen gemeinsamen Aspekt - sie seien Glieder der weltweiten Kette der autoritären Herrschaft über die entmündigten Völker. Die Bedingungen für die Überwindung des weltweiten Kapitalismus in den reichen Industriestaaten und der "Dritten Welt" seien jedoch unterschiedlich. Die Revolution werde nicht von der Arbeiterklasse in Europa und den USA, sondern von den verarmten und unterdrückten Völkern der "Peripherie" des Weltmarkts ausgehen. Deshalb fühlten sich viele Politisierte damals von den "anti-imperialistichen" Theorien angezogen, welche die "nationalen Befreiungskämpfe als neue revolutionäre Kraft priesen", obwohl es sich dabei in Wirklichkeit um imperialistische Konflikte - oft in Form von Stellvertreterkriegen handelte, bei denen die Bauern auf dem Altar des Imperialismus verheizt wurden. 

Auch wenn viele Jugendliche sich für die sogenannten nationalen Befreiungskämpfe in der 3. Welt begeisterten und auf den Antikriegsdemonstrationen für den Vietcong, Russland oder China eintraten, somit keine grundsätzlich internationalistische Position vertraten, wurde zunehmend spürbar, dass das grundsätzliche Unbehagen gegenüber dem Krieg zunahm, und dass sich vor allem viele Jugendliche nicht mehr für einen Krieg zwischen den beiden Blöcken einspannen lassen würden.   Dass die herrschende Klasse in dem Frontstaat Deutschland immer mehr Probleme hatte, die Jugendlichen für ein globales imperialistisches Abschlachten einzuspannen, sollte von großer Bedeutung sein.  

Die Spirale der Gewalt setzt ein

Schon von 1965 an hatte sich in zahlreichen Städten Widerstand gegen die "Notstandsgesetze" formiert, welche den Staat mit umfassenden Rechten der Militarisierung im Inneren und verschärfter Repression ausstatten sollten. Die in die Große Koalition eingetretene SPD bestand auf diesem Vorhaben in alter Tradition (1)  Nach dem Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 wurde im Frühjahr 1968 die Stimmung gegen die Protestierenden weiter aufgeheizt. Die Bild-Zeitung forderte: "Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!" Bei einer vom Berliner Senat organisierten "Pro-Amerika-Demonstration" am 21. Februar 1968 trugen Teilnehmer Plakate mit der Aufschrift "Volksfeind Nr. 1: Rudi Dutschke". Bei dieser Kundgebung wurde ein Passant mit Dutschke verwechselt, Demonstrationsteilnehmer drohten diesen totzuschlagen. Eine Woche nach der  Ermordung Martin L. King in USA erreichte schließlich in Deutschland am "Gründonnerstag" 11. April die Hetzkampagne ihren Höhepunkt durch das Attentat auf Rudi Dutschke in Berlin. In den darauf folgenden Osterunruhen vom 11.-18. April, die sich hauptsächlich gegen die Springer-Presse richteten ("Bild-Zeitung hat mitgeschossen") starben zwei Menschen, Hunderte wurden schwer verletzt. Eine Spirale der Gewalt setzte ein. In Berlin flogen die ersten Molotowcoktails, die von einem Agenten des Verfassungsschutzes an Gewaltbereite verteilt wurden. In Frankfurt wurde das erste Kaufhaus in Brand gesteckt.

Trotz eines Sternmarsches am 11.Mai 1968 auf Bonn mit 60.000 Teilnehmern boxte die Große Koalition in aller Eile die Notstandsgesetze durch.

Während in Frankreich im Mai 68 (siehe dazu unsere Artikel) die studentischen Proteste durch die Arbeiterstreiks verdrängt wurden und die Arbeiterklasse wieder auf die Bühne der Geschichte zurückkehrte, waren in Deutschland die Proteste bereits im Mai 68 an einem Scheideweg angelangt.

Eine Welle von Arbeiterstreiks sollte erst mehr als ein Jahr später im September 1969 ausbrechen. Nicht zuletzt deshalb fehlte es vor allem den meisten proletarisierten Protestierenden rasch an einem Bezugspunkt.

Während sich ein Teil der Protestierenden gewaltsamen Aktionen zuwandte, und während sich viele, vor allem studentische Politisierte in den Aufbau von linken Organisationen (K-Gruppen) stürzten, um so besser an die  "Arbeiter in den Fabriken heranzukommen",  sollten sich viele proletarisierte Protestierende von diesen Reaktionen abwenden und sich gewissermaßen zurückziehen.   

Die enttäuschte Hoffnung…

Wir haben im ersten Teil unseres Artikels zu 1968 in Deutschland aufzeigt, dass hinter der Bewegung eine breite Suche einer neuen Generation nach einer Alternative zum Kapitalismus ersichtlich wurde. Die Ablehnung des Vietnam-Krieges, die Weigerung, sich den Bedürfnissen des Kapitals widerstandslos zu unterwerfen, die aufkeimende Hoffnung auf eine andere Gesellschaft - all das waren wichtige Faktoren gewesen, die vor allem viele Jugendliche, Studenten und Arbeiter, angetrieben hatten, ihren Protest zu artikulieren.

Aber so stark man Hoffnung auf eine andere Gesellschaft geschöpft hatte, so heftig waren auch die Enttäuschung und Ratlosigkeit, als diese erste Welle von Protesten im Sommer 1968 verpuffte.

Während in Frankreich der Massenstreik der Arbeiter ein Gefühl der Solidarität, des Zusammenhaltes der Arbeiter und der Studenten in ihrem Kampf gegen die Regierung hatte aufkommen lassen, waren die Arbeiter in Deutschland im Frühjahr 1968 noch nicht massiv in Erscheinung getreten. Nach der Welle von Protesten  gegen das Attentat auf Dutschke im April und den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze im Sommer 68 ebbte die studentisch beherrschte Bewegung ab. Anders als in Frankreich wurden die Studenten in Deutschland nicht sofort durch die Arbeiterklasse als Speerspitze der Kämpfe abgelöst. Erst mit den Septemberstreiks von 1969 betrat das Proletariat im größeren Stil die Bühne des Geschehens.

Hunderttausende Jugendliche suchten nach einer Kraft, die ihnen einen Anhaltspunkt, eine Orientierung und einen Hebel für die Überwindung dieser Gesellschaft bieten könnte. Es sollte eine Tragödie der Geschichte werden, dass diese neue Generation, von denen viele angefangen hatten, sich irgendwie als Gegner dieses Systems zu sehen, sozusagen wieder "eingefangen" wurde und ihre ursprüngliche Protestbewegung unschädlich gemacht wurde. Wir wollen nachfolgend näher darauf eingehen, wie es dazu kommen konnte.  

Die Arbeiterklasse war wieder aufgetaucht, aber der Klassenkampf war noch kein Sammelbecken   

Auch wenn die Arbeiterklasse in Frankreich im Mai 1968 durch den größten Massenstreik der Geschichte damals auf den Plan getreten war, vermochte diese erste massive Reaktion der Arbeiter damit noch nicht all die Zweifel an der Arbeiterklasse, die sich zuvor jahrelang eingenistet hatten,  aus der Welt zu schaffen.

Vielleicht noch mehr als Paris in Frankreich, war Berlin damals das Zentrum der Studentenproteste in Deutschland. Wenn wir Berlin sagen, meinen wir damit selbstverständlich nicht die heutige Hauptstadt des Landes, sondern die Enklave Westberlin mitten im Territorium der DDR. Viele Protagonisten von damals waren von vagen Vorstellungen erfüllt, in Westberlin eine Art Räterepublik zu etablieren, welche durch ihre Ausstrahlung umwälzend sowohl auf die Bundesrepublik als auch auf die DDR, ja auf Ost und West insgesamt wirken würde.

Wie unrealistisch diese Vorstellung war, zeigt die besondere Lage in der damaligen Kalten-Krieg-Enklave, gewissermaßen ein Mikrokosmos der Schwierigkeiten der Wiederaufnahme des Klassenkampfes. Einerseits war Westberlin eine Hochburg der Linken, denn wer dort lebte, konnte den Wehrdienst umgehen. Andererseits waren die "Westsektoren" eine Hochburg des Antikommunismus, welcher sich immer noch von der Romantik der "Luftbrücke" ernährte. Vor allem kannte man nirgendwo in der  "westlichen Welt" die Unmenschlichkeit des Stalinismus aus eigener Anschauung so gut wie hier. In dieser Atmosphäre reichten schon die Wörter "Sozialismus" und "Kommunismus" aus dem Mund der Studenten, um ein tiefes Misstrauen v.a. von Seiten der älteren Arbeiter zu erwecken. Hier trafen die Studenten nicht so sehr auf Sympathie, wie in Frankreich, auch nicht so auf Gleichgültigkeit so sehr wie auf Feindseligkeit. Die Protagonisten der ersten Stunde waren tief verunsichert.

So kann man verstehen, dass viele unter ihnen nach alternativen revolutionären Kräften Umschau hielten, außerhalb von Deutschland, ja außerhalb der Industriestaaten. Diese Reaktion war keineswegs deutschlandspezifisch, fand aber dort eine besonders klare Ausprägung.

Denn 1968/69  war auch Höhepunkt der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, an der sich auf der ganzen Welt Hunderttausende Jugendliche beteiligten. "Anti-imperialistischer Nationalismus", ja sogar "revolutionärer Rassenkampf" ("Black Power" in den USA) wurden als Teil einer internationalen Solidarität fehlgedeutet. So erklärt sich z.T. das Paradox, dass eine anfangs anti-stalinistisch ausgerichtete Bewegung sich teilweise dem Stalinismus wieder zuwendete. Weil das erste Auftreten der Arbeiterklasse noch nicht so viele Menschen in ihren Bann hatte ziehen können, wurden viele junge Leute anfällig für Orientierungen, die zu einer Pervertierung ihrer ursprünglichen Absichten führen sollten. Besonders verheerend und zerstörerisch sollten ab 1968/1969 nunmehr linksextreme Organisationen wirken, zu deren Opfer viele Jugendliche werden sollten.  

Die verheerende Rolle der Linken und Extremen Linken

Für die Anführer der Bewegung von 1967-68 erschien eine Art von Revolution unmittelbar bevorstehend. Als diese rasche Umwandlung ausblieb, musste man sich zugestehen, dass die Kräfte dafür zu schwach waren. So kam die Idee auf, "die" revolutionäre Partei zu gründen - sozusagen als Wundermittel. An sich war die Idee nicht verkehrt! Die Revolutionäre müssen sich zusammenschließen und sich organisieren, um ihre Wirkung zu maximieren. Das Problem war, dass man aufgrund der sozialdemokratischen, stalinistischen und faschistischen Konterrevolution der vorangegangenen Jahrzehnte von den historischen Erfahrungen  der Arbeiterklasse völlig abgeschnitten war. Weder wusste man, was eine proletarische Partei ist, noch wusste man, wie oder wann sie gegründet werden kann. Man sah darin eine Art Kirche, eine Missionsbewegung, welche die verbürgerlichten ArbeiterInnen zum Sozialismus "bekehren" würde. Auch fand hier das damals starke Gewicht des Kleinbürgertums innerhalb der Studentenschaft seinen Niederschlag. Wie Mao in China während der Kulturrevolution - so stellte man sich das vor - wollte man den Proleten ihre "Verbürgerlichung" austreiben. Rudi Dutschke und andere Anführer von damals haben beschrieben, wie am Anfang der Bewegung revolutionäre Studenten und junge ArbeiterInnen in den Jugendzentren Westberlins zusammen kamen und auch Schulter an Schulter kämpften, dass aber gerade die jungen Proletarier sich danach weigerten, diese weltfremde, sektenhafte Wendung mitzumachen. 

Diese Desorientierung der damaligen Generation schlachteten auch die damals aufkommenden linksextremen Gruppen (K-Gruppen) aus. Die große Bandbreite der in Deutschland entstehenden linksextremen Gruppen - es handelte sich um mehrere Dutzend von Organisationen, von Trotzkisten über Maoisten bis hin zu Spontis - stellten ein riesiges Auffanglager zur ‚politischen Sterilisierung' der Jugendlichen dar.

Auch wenn in Deutschland nach 1968 mehr als ein halbes Dutzend trotzkistische Organisationen aus dem Boden sprangen, erhielten diese im Vergleich zu Frankreich deutlich  weniger Zulauf, weil die Arbeiterklasse hier erst kaum in Erscheinung getreten war. Der Trotzkismus ist nicht weniger bürgerlich als der Maoismus. Da er aber einer ursprünglich proletarischen Opposition gegen den Stalinismus entspringt, steht die Arbeiterklasse mehr in seinem Blickpunkt als dies beim Maoismus mit seiner "Bauernromantik" der Fall ist.

In Deutschland sollten vor allem maoistische Gruppen aufblühen. Zur Jahreswende 1968/1969 wurde die KPD/Marxistisch-Leninistische Partei aus der Taufe gehoben. 1971 wurde in West-Berlin eine weitere, mit ihr konkurrierende KPD gegründet, im selben Jahr in Norddeutschland entstand der "Kommunistischer Bund" (KB) und 1973 in Bremen der KBW (Kommunistische Bund Westdeutschland). Diese schafften es, mehrere Zehntausend Leute zu rekrutieren.

Die maoistischen Gruppen spiegelten ein Phänomen wider, das in Deutschland eine besondere Ausprägung gefunden hatte. Weil in Deutschland viele Jugendliche der älteren Generation eine Schuld an den Verbrechen der Nazis und generell am 2. Weltkrieg vorwarfen, konnte der Maoismus diesen Schuldkomplex zu seinen Gunsten instrumentalisieren. Zudem trat der Maoismus  als Organisator und glühender Propagandist für "Volkskriege" auf. Mit dem Anspruch, die unterdrückten Bauern der Dritten Welt in einem Volkskrieg oder "nationalen Befreiungskrieg" gegen die USA zu sammeln, da nunmehr die Bauern die große revolutionäre Kraft auf der Welt seien, sorgte der Maoismus dafür, dass den Kriegsherren in den "Befreiungskriegen" immer genügend Kanonenfutter zugeführt wurde. Dass dabei die Verachtung für die eigenen Väter sie in eine Verherrlichung neuer Führer (Mao, "Onkel Ho", Che, Enver Hodscha) zog,  störte die Anhänger maoistischer Gruppen kaum, denn es entsprach dem Bedürfnis eines Teils dieser Generation  nach jemandem "aufzuschauen", ein "Vorbild", ja eine "Vaterfigur" als Ersatz für die abgelehnte ältere Generation zu suchen. Der Maoismus, der solche Monstrositäten wie die Kulturrevolution hervorgebracht hatte, bei der in China Mitte der 1960er Jahre Millionen Arbeiter und als "gebildet" geltende Personen, die irgendeine höhere Qualifikation besaßen, aufs Land geschickt wurden, um "von den Bauern zu lernen", und einer unglaublichen Entwürdigung und Erniedrigung unterworfen wurden, hob sich dabei durch seine besonders abartige Ablehnung jeglicher theoretischer Herangehensweise hervor. Sein Markenzeichen war die Errichtung neuer Führer, das Nachbeten von Floskeln mit der  Mao-Bibel in der Hand.

Darüber hinaus zeichneten vor allem die Maoisten sich durch eine Neuauflage des in den 1920er Jahren schon vom Stalinismus propagierten Proletkult aus, bei dem die Fabrikarbeiter nahezu angehimmelt (Arbeitertümelei) wurden. Man ging in die Fabriken, um von den Arbeitern zu lernen und dort Kaderschmieden aufzubauen. Dies war die skurrile Kehrseite des Vorwurfs der "Verbürgerlichung der Arbeiterklasse".

Hatten vorher viele Jugendliche angefangen, sich mit Geschichte und mit theoretischen Fragen zu beschäftigen, setzten nunmehr die K-Gruppen alles daran, mit ihren ‚Marxismus-Schulungen', ihrer Verdrehung des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis den Jugendlichen die Lust an einer wahren Vertiefung zu nehmen. Der Dogmatismus der Linken sollte verheerende Auswirkungen haben.

Die K-Gruppen trieben ihre Mitglieder einerseits in einen frenetischen Aktivismus und indoktrinierten sie andererseits mit  angeblich marxistischen Theorieschulungen. So wurden nach 1968 mehrere Zehntausende Jugendliche von ihrer ursprünglichen Gegnerschaft gegen das System abgebracht und in Aktivitäten eingespannt, welche den Kapitalismus aufrechterhielten. Diesem sektenartigen Druck konnte man nicht lange standhalten. Schließlich wurden viele von der Politik ganz weggejagt und von dieser angewidert. Schätzungen zufolge waren zwischen 60.000 - 100.000 Jugendliche in Westdeutschland in irgendeiner Form an linken Gruppen beteiligt. Man muss hier eher von Opfern sprechen, die von der extremen Linke für eine bürgerliche Politik angeworben und durch die Gruppen  verheizt wurden.

Zu den geschichtlichen Paradoxen dieser Zeit gehört auch, dass die "offiziellen" Stalinisten, welche unverhohlen die revolutionären Regungen von 1968 bekämpften, dennoch ihre Chance ausnutzen konnten, um in Deutschland wieder ein wenig Fuß zu fassen.

Im Frühjahr 1969 wurde die DKP gegründet, welche sich zum Teil aus der Anfang der 1950er Jahre verbotenen KPD rekrutierte. Anfang der 1970er Jahre zählte sie mit ihren verschiedenen Unterorganisationen über  30.000 Mitglieder. Ein Grund für den Zulauf zur DKP bestand darin, dass viele ihrer Anhänger meinten, die von der DDR mit allen Kräften unterstützte und finanzierte Partei würde dem westdeutschen Staat Einhalt gebieten und durch die Unterstützung Moskaus würde dem Imperialismus der USA ein mächtiger Gegenpol gegenübertreten. Nachdem anfangs viele Jugendliche bei ihrer Suche nach einer neuen Gesellschaft die totalitären und stalinistischen Formationen Osteuropas abgelehnt hatten, geschah nun das Paradoxe, dass ein Teil der  Jugendlichen von der erz-stalinistischen DKP für sich vereinnahmt wurden.

Die damals vorhandenen, ganz wenigen linkskommunistischen Stimmen, wurden zudem von den K-Gruppen aufs heftigste bekämpft. Wer zum Beispiel seinerzeit die "nationalen Befreiungsbewegungen" als Stellvertreterkriege zwischen den Blöcken ablehnte und für den Klassenkampf auf beiden Seiten, d.h. einen konsequent internationalistischen Standpunkt eintrat, oder wer sich gegen den Antifaschismus wandte und den 2. Weltkrieg als Räuberkrieg auf beiden Seiten bezeichnete, der verletzte nicht nur ein Tabu, sondern den traf die ganze Feindseligkeit der K-Gruppen.

Auch wenn sie nicht in diesem Maße dem Zugriff der K-Gruppen ausgesetzt waren, breitete sich gleichzeitig eine bunte 'Sponti'-Szene aus, die leerstehende Häuser besetzte und mit vielerlei Aktionen für mehr Kindergärten oder gegen Kernkraftwerke protestierte. Dadurch wurde ein Großteil Jugendlicher für Teilbereichskämpfe eingespannt, deren Wirkung und Perspektiven nur zu einer  Beschränkung des Blicks auf Teilaspekte führte anstatt die Gesamtzusammenhänge zu erkennen. Diese Teilbereichsbewegungen stellten wenige Jahre später den Nährboden für das Betätigungsfeld der "Grünen" dar, die durch eine Reihe von "grünen Reformprojekten" eine stark magnetisierende Wirkung ausübten und für eine breit gefächerte Anbindung an staatliche "Reformvorhaben" sorgten. 

Der Terrorismus - eine weitere Sackgasse

Eine andere Sackgasse, in die ein Teil der damals Suchenden lief, war die des Terrorismus. Angetrieben von einer Mischung aus Hass und Empörung über das System, Gefangener der eigenen Ungeduld und des Glaubens, exemplarische Handlungen könnten die "Masse aufrütteln", ließ sich diese Gruppe von Leuten, die zu gewaltsamen Anschlägen gegen Repräsentanten des Systems bereit war, von staatlichen Provokateuren für die schmutzigen Interessen der Staaten einspannen. Ab März 1969 tauchten die ersten kleinen Bomben auf, welche von agents provocateurs zur Verfügung gestellt wurden. Am 9. November 1969 kam es in Westberlin zum ersten Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum, welcher aus der Sicht eines Teils dieser Bewegung mit dem Kampf gegen den Zionismus als neuer Faschismus begründet wurde.  Anfällig für staatliche Manipulationen ließen sich Teile von ihnen vor den Karren irgendeiner nationalen Befreiungsbewegung spannen (häufig mit palästinensischen Terroristen), die bereit waren, diese Leute in ihren Militärlagern auszubilden und dafür von ihnen vollkommene Unterwerfung forderten.

Im Mai 1970 wurde die terroristische "Rote Armee Fraktion" (RAF) gegründet, ab 1973 machten 'Revolutionäre Zellen' von sich reden. Der Unterstützer- und Sympathisantenkreis war relativ groß - das Underground-Blatt Agit 883 wurde angeblich mit einer wöchentlichen Auflage von 10-12000 Exemplaren gedruckt. Für den Kapitalismus und seinen Staat waren diese Leute jedenfalls nie der tödliche Gegner, den sie gerne sein wollten. Stattdessen schlachtete der Staat deren Aktivitäten für die Verstärkung seines Repressionsapparates aus.  

Sozialdemokratie und Sozialstaat als Auffangbecken

Mitte der 1960er Jahre war der lange Nachkriegsboom, der als Wirtschaftswunder gepriesen wurde, zu Ende gegangen. Die Krise hielt langsam wieder ihren Einzug. Weil der Boom unerwartet zu Ende gekommen war, die ersten Symptome der Krise noch nicht so explosiv und brutal zu spüren waren, herrschten damals auch noch viele Illusionen und die Hoffnung vor, dass ein energisches Eingreifen des Staates eine Wiederankurbelung der Wirtschaft ermöglichen würde. Diese Illusionen ausnützend, stellte die SPD das Versprechen, mit Hilfe keynesianischer Maßnahmen (massive Staatsausgaben durch Verschuldung) die Krise wieder in den Griff zu kriegen, in den Mittelpunkt ihres damaligen Regierungsprogramms. Die Hoffnung vieler ruhten auf der "rettenden", von der Sozialdemokratie geführten Hand des Staates. Zudem waren die ersten Sparbeschlüsse der Kapitalisten im Vergleich zu den heutigen Sparmaßnahmen der Betriebe noch ‚harmlos'. Diese Umstände helfen auch zu verstehen, warum von einem Teil der damaligen Bewegung die Proteste als Ablehnung der Wohlstandsgesellschaft gesehen wurden (die Auffassung der Situationisten).  All dies erklärt eine gewisse Verzögerung für das Entfalten größerer Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland und sorgte dafür, dass die Arbeiterklasse in Deutschland 1968 weiterhin zunächst noch gewissermaßen "schlummerte". Zudem weil der Staat - insbesondere nach Übernahme der Führungsrolle der SPD in der sozial-liberalen Regierungskoalition im Herbst 1969 - tatsächlich noch durch viele "Reformen" Geld in die Wirtschaft pumpen konnte, wurden durch den damals sich stark aufblähenden "Sozialstaat" viele Studenten (von denen viele nunmehr Bafög erhielten) und Arbeiter stärker an den Staat gefesselt und einem  stärkeren Widerstand die Spitze genommen. 

Auf politischer Ebene rührte die SPD während des ganzen Jahres 1969 unaufhörlich die Trommel für die Beteiligung an den Wahlen. Während zuvor die APO die Betonung ihrer Aktivitäten auf eine  "außerparlamentarische Opposition" gelegt hatte, gelang es der Sozialdemokratie einen beachtlichen Teil der Jugendlichen an die Wahlurnen zu locken. Wie 1918/1919 schon leistete die Sozialdemokratie 50 Jahre später beim Abfedern der sozialen Gegensätze eine entscheidende Rolle. Wie stark die Anziehungskraft der Sozialdemokratie war, belegte die Steigerung ihrer Mitgliederzahl (darunter viele Jugendliche) um 300.000 zwischen 1969-1972. Viele betrachteten die SPD als das Vehikel für den "Marsch durch die Institutionen". Die Mitarbeit bei den Jusos sollte dabei für viele die Anfangsstufe einer späteren Karriere im Staat werden.  

Eine generationenübergreifende Aufgabe

40 Jahre nach den Ereignissen des Jahres 1968 wurde im internationalen Vergleich in Deutschland neben Frankreich sehr intensiv über die Bewegung damals berichtet. Wenn die Medien sich so ausführlich mit diesem Thema befassen, dann weil tiefer in der Gesellschaft ein Interesse dafür vorhanden ist. Auch wenn diejenigen der damals Beteiligten, die in der Zwischenzeit Karriere gemacht haben, sich eher schämen oder dieses Kapitel ihrer Geschichte ganz auswischen wollen, können diejenigen, die seinerzeit danach strebten, die kapitalistische Gesellschaft infragezustellen und nach einer neuen, ausbeutungsfreien Gesellschaft zu suchen, sich darin bekräftigt fühlen, dass ihr ursprüngliches Anliegen weiterhin gültig bleibt und noch umgesetzt werden muss. Die ganze Tragödie der Ereignisse lag darin, dass aufgrund der historischen Schwäche der Arbeiterklasse damals in Deutschland sich der Aufbau eines revolutionären Gegenpols als besonders schwierig erwies.. Die damals in Bewegung geratene neue Generation wurde sozusagen "unschädlich" gemacht, ihre Bestrebungen abgewürgt.

Heute schickt sich eine neue Generation an, die Grundfeste dieser Gesellschaft, die seitdem in eine viel verheerendere Krise und eine noch größere Barbarei abgerutscht ist, infragezustellen und an dem System selbst zu rütteln. Die Ehemaligen von damals, die von diesem System nicht verschlungen wurden, von denen viele heute fast das Rentenalter erreicht haben, haben allen Grund und die Möglichkeit dazu, der jüngeren Generation heute Beistand zu leisten, und sich in diesen Generationen-übergreifenden Kampf für die Überwindung des Kampfes einzureihen. Nachdem damals der Generationengraben gravierende Folgen hatte, wäre es für diese ältere Generation jetzt eine doppelte Tragödie, wenn es ihr nicht gelänge, die heutige jüngere Generation unterstützen zu können.   

September 1969: Auch in Deutschland kehrte der Klassenkampf zurück

In Weltrevolution Nr. 148 & 149 haben wir im Sommer 2008 zwei Artikel zu 1968 in Deutschland veröffentlicht, die eingebettet waren in den internationalen und historischen Rahmen. Wir betonten in diesen Artikeln, dass die Proteste, die 1968 international überall Aufsehen erregten, eine sich angestaute Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte, die keine bloße Tageserscheinung war, sondern auf eine tiefgreifende Änderung in der Gesellschaft hindeutete.  

Auch wenn diese Auflehnung durch die neu ausgebrochene Wirtschaftskrise geprägt war, war diese noch nicht ausschlaggebend. Die großen ökonomischen Forderungen blieben in Deutschland bis 1969 noch im Hintergrund.

Dagegen trat immer mehr Widerstand gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zum Vorschein. Ob die unglaublich unwürdige Behandlung der "Gastarbeiter", ob die Lage der Massenarbeiter, ob das kulturelle Elend, all diese Faktoren waren der materielle Hintergrund der Ablehnung der "Wohlstandsgesellschaft". Die Idee breitete sich in der jüngeren Generation aus, wir wollen den Westen nicht, aber wir wollen auch den Osten nicht, stattdessen brauchen wir einen 'demokratischen Sozialismus', wie man das damals nannte, oder auch die Räteherrschaft.

Zudem machte sich das Gefühl bemerkbar,  dass die bestehenden Institutionen nicht unsere sind. All diese Bewegungen reduzierten sich keinesfalls auf rein wirtschaftliche, sondern warfen viele gesellschaftliche Fragen auf. 

Die totgesagte soziale Frage kehrte zurück

Hinter dieser angestauten Unzufriedenheit hatte sich ein Riss im Verhältnis zwischen den gesellschaftlichen Klassen aufgetan. Eine ganze Periode ging zu Ende. Langsam trat eine neue,  ungeschlagene Generation in Erscheinung, die den Krieg nicht mitgemacht hatte und jetzt nicht bereit war, die Schufterei der kapitalistischen Tretmühle widerstandslos hinzunehmen.   Die Suche nach etwas Anderem, noch Undefinierten, begann. Diese neue Generation, vor allem Studenten und junge Arbeiter an deren Spitze, die nicht mehr von der Konterrevolution geknebelt werden konnte, welche seit den 1920er Jahren gegen die Arbeiterklasse gewütet hatte, wollte eine neue Sichtweise der Welt entfalten.

Während in Frankreich der Massenstreik der Arbeiter ein Gefühl der Solidarität, des Zusammenhaltes der Arbeiter und der Studenten in ihrem Kampf gegen die Regierung hatte aufkommen lassen, waren die Arbeiter in Deutschland im Frühjahr 1968 noch nicht massiv in Erscheinung getreten. Nach der Welle von Protesten  gegen das Attentat auf Dutschke im April und den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze im Sommer 68 ebbte die studentisch beherrschte Bewegung ab. Hunderttausende Jugendliche suchten nach einer Kraft, die ihnen einen Anhaltspunkt, eine Orientierung und einen Hebel für die Überwindung dieser Gesellschaft bieten könnte. Während sich ein Teil der Protestierenden gewaltsamen Aktionen zuwandte, und während sich viele, vor allem studentische Politisierte in den Aufbau von linken Organisationen (K-Gruppen) stürzten, um so besser an die  "Arbeiter in den Fabriken heranzukommen",  sollten sich viele proletarisierte Protestierende von diesen Reaktionen abwenden und sich gewissermaßen zurückziehen.  Es sollte ein Charakteristikum der Entwicklung nach 1968 sein, dass sich die studentische Jugend entweder zurückzog oder große Teile von ihnen in K-Gruppen eingefangen wurden, während sich gleichzeitig in den Betrieben mehr proletarischer Widerstand regte. Mit an der Spitze dieses Widerstands standen junge Beschäftigte und vor allem Lehrlinge.  

Die proletarische Jugend mit an der Speerspitze des Widerstands

Im Frühjahr 1969 traten Proteste von Lehrlingen stärker in den Vordergrund.  Am 1. Mai 1969 organisierten sich Lehrlinge auf DGB-Kundgebungen in eigenen Blöcken. Am 7. Juni 1969 versammelten sich auf einer Großdemo in Köln ca. 10.000 vor allem jüngere Arbeiter unter dem Motto "Selbstbestimmung und Klassenkampf - statt Mitbestimmung und Gewerkschaftskrampf". Selbst eigene Treffen mit überwiegender Beteiligung von Lehrlingen kamen an verschiedenen Orten zustande, in denen nicht nur über die Lage und Forderungen der Lehrlinge, sondern über die Gesamtlage diskutiert wurde. (2)

Die Proteste der jugendlichen Arbeiter spielten eine vorwärtstreibende Rolle für die Auslösung der Septemberstreiks 1969. Gerade weil die jüngeren Beschäftigten eine oft größere Kampfkraft zeigen sollten und furchtloser und "unbeschwerter" vorgingen als die älteren Kollegen, wurde es möglich, durch den Klassenkampf ansatzweise die Brücke zu der älteren Generation zu schlagen. Denn wie in früheren Artikeln geschildert, gab es in Deutschland einen besonders ausgeprägten Graben zwischen den Generationen.  

Die Streikwelle im September 69

Schon ab dem Frühjahr 69 riss die Reihe von kleineren und beschränkten spontanen Arbeitsniederlegungen, die sich alle um Lohnforderungen drehten, nicht mehr ab. Anfang September löste sich eine Streiklawine, die die Hauptindustriezentren in Westdeutschland in Windeseile erfasste. Im Mittelpunkt stand die Stahl- und Metallindustrie.

Nachdem am 2. September 27.000 Stahlkocher von Hoesch-Dortmund spontan für 2 Tage in den Streik traten, legte eine Belegschaft nach der anderen in den großen Werken die Arbeit nieder.

Um das ganze Ausmaß der Streikbewegung zu vermitteln, nennen wir einige der Zentren:

4. - 5. September Rheinstahl - Mülheim/Ruhr mit 2.900 Streikenden,

5. - 6. September 12.000 Streikende bei Mannesmann - Duisburg, 1.000 Streikende bei AEG Mülheim;

5. - 9. September: 3.300 Streikende bei Rheinstahl Gelsenkirchen

Vom 9.-11.September legten 10.000 Bergarbeiter der Ruhrkohle AG die Arbeit nieder.

Auch wenn der Schwerpunkt im Ruhrgebiet lag, wurden Arbeiter in anderen Städten mit in den Kampf gerissen. Am 8.-9. September streikten bei Rheinstahl Brackwede (in der Nähe von Bielefeld) 1.800 Arbeiter, in Sulzbach-Rosenberg traten bei der  Maximiliamshütte am 8. September spontan 3.000 Beschäftigte in den Streik, bei den Klöckner-Werken ruhte die Arbeit vom 5.-13. September, während in Bremen und in der Georgsmarienhütte/ Osnabrück jeweils 3.000 - 6.000 Beschäftigte streikten.

Ein anderer Schwerpunkt war das Saarland: hier traten 6.000 Stahlkocher bei den Neunkircher Eisenwerken vom 4.-8. September und 20.000 Bergarbeiter vom 6.-11. September in den Ausstand.

Vom 9. - 19. September folgte die Howaldt Werft in Kiel mit  7.000 Schiffsbauern.

Auch wenn die Lage in Süddeutschland ruhiger blieb, reagierten auch hier Tausende  Arbeiter: Bei den Heidelberger Druckmaschinen in Geisslingen legten über 1.000 Beschäftigte am 5. September die Arbeit nieder, und bei Daimler Benz - Sindelfingen kam es zu mehreren Kurzstreiks.

Ob im Ruhrgebiet, wo auch der Funken auf  kleinere Betriebe mit nur einigen Hundert Beschäftigten übergesprungen war, oder  außerhalb der Großstädte (z.B. Hueck Lippstadt oder die Textilindustrie im Münsterland), oder im öffentlichen Dienst, wo ab Mitte September in einer Reihe von Städten - von Berlin über das Ruhrgebiet bis nach Süddeutschland - jeweils einige Hundert Beschäftigte der Verkehrsbetriebe und der Stadtreinigung streikten, die Welle von Streiks brachte ans Tageslicht, dass die Arbeiterklasse in Deutschland wieder die Stirn bot. Allerdings fällt im Vergleich zu Frankreich auf, dass in Deutschland die Kämpfe zwar politisch in eine ähnliche Richtung stießen, aber noch lange nicht deren Massivität annahmen. Zum Vergleich: im Mai/Juni 1968 streikten in Frankreich 10 Mio. Arbeiter. Die Streikaktionen des September 1969 in Deutschland erfassten ca. 140.000 Arbeiter. 

Spontanes Wiederauftauchen der klassischen Kampfesmittel des 20. Jahrhunderts

Dennoch: mehr als 140.000 Streikende in mehr als 70 Betrieben hatten bewiesen, dass auch die Arbeiterklasse in Deutschland den gleichen Weg eingeschlagen hatte wie ihre Klassenbrüder weltweit.

Überall erhoben die Arbeiter ähnliche Forderungen: Lohnerhöhungen, Bezahlung der Streiktage, keine Repressalien gegen Streikteilnehmer.

Überall ein ähnlicher Ablauf der Streiks: Arbeiter legten spontan die Arbeit nieder - gegen das Votum der Betriebsräte & Vertrauensleute und der Gewerkschaften.

Bei Hoesch in Dortmund versammelten sich die Arbeiter spontan um einen Werksfeuerwehrwagen mit Lautsprecher und fassten in einer nahezu ständig tagenden Vollversammlung gemeinsam Beschlüsse.

Bei Rheinstahl in Gelsenkirchen aber auch im Saarland zogen die Arbeiter mit Demonstrationszügen durch das Werk und forderten die anderen Beschäftigten zur Niederlegung der Arbeit auf, um dann anschließend in die Stadt zu marschieren. Bei der Ruhrkohle AG endete ein Protestzug spontan vor dem Verwaltungsgebäude.

Die Arbeiter ergriffen jeweils selbst die Initiative, nahmen den Streik selbständig in die Hand und ließen sich nicht hinter die Werkstore einsperren. 

An die zuvor jahrelang durch die Konterrevolution begrabene Tradition anknüpfend, standen Ausdehnung und Selbstorganisierung der Streiks, Zusammenkommen zu Demonstrationen, gemeinsame Entscheidungen in Vollversammlungen, die Wahl von Streikkomitees mit abwählbaren Delegierten im Vordergrund.

Überall die gleichen Gegner: In mehreren Städten (Saarbrücken, Osnabrück, Dortmund usw.) zogen die Arbeiter vor die Gewerkschaftshäuser und protestierten gegen deren Politik. So wollten in Dortmund Hunderte von wütenden Stahlkochern in das Gewerkschaftshaus eindringen und deren Dienste für das Kapital anprangern. Als auf Vollversammlungen wie bei Hoesch-Dortmund Arbeiter die Sabotagetaktik der Gewerkschaften entblößten, versuchte der Betriebsrat das Mikrofon abzustellen. "Danach sprach ein DKP-Mitglied und führte aus. Er sei der Meinung, dass jedermann seine Sorgen und Auffassungen am Lautsprecher vortragen könne, aber wir werden von nun an niemanden mehr sprechen lassen, der gegen den Betriebsrat und die Gewerkschaften auftritt." (zitiert aus "Die Septemberstreiks 1969" des DKP-nahen Pahl-Rugenstein Verlags, S. 61)

In mehreren Betrieben verhandelten die Streikleitungen neben dem Betriebsrat (BR) und den Gewerkschaften mit den Unternehmern, wobei ihnen jeweils der BR und die Gewerkschaften in den Rücken fielen.  

Diese Welle von Kämpfen, die sich nach dem September abschwächte, wurde nicht zuletzt eingedämmt durch die Bildung der sozial-liberalen Koalition am 21. Oktober 1969 unter W. Brandt. Denn nachdem die herrschende Klasse anfänglich in Deutschland der aufkommenden Protestbewegung relativ unbeholfen und taktisch wenig klug entgegen getreten war, sie durch ihre provozierende Haltung und ihren schnellen Rückgriff auf Repression viel Öl aufs Feuer gegossen hatte, hatte der eingesetzte Wahlkampf im Herbst 1969 eine den Klassenkampf zähmende Wirkung.  

Der Klassenkampf verläuft nicht linear 

Nach 1969 flachten die Kämpfe zunächst wieder ab, bevor dann im Herbst 1973 eine neue Kampfwelle mehrere Branchen erfasste.

Zwischen 1969-1973 kam es zu einer Reihe von kleinen, wilden Streiks. Einige Beispiele: Bei Enka - Wuppertal streikten im April 1972 die Beschäftigten gegen Arbeitsplatzabbau, sie nahmen direkt Kontakt auf zu den Beschäftigten der gleichen Firma im niederländischen Breda, die auch vor Entlassungen standen. Im Herbst/Winter 1972 legten aus Protest gegen die Kürzung des Weihnachtsgeldes und Zulagenstreichungen bei KHD-Deutz in Köln ca. 5.000 Beschäftigte die Arbeit nieder.

Anfang Februar (30.01.- 13.2.73) traten beim Autozulieferer  Hülsbeck und Führt in Velbert (südliches Ruhrgebiet) die Beschäftigten in den Ausstand. Die Beschäftigten machten den Streik publik - Delegationen fuhren in die Bochumer Universität, um dort die Studenten zu aktiver Solidarität aufzufordern; sie verfassten mit Schülern und Studenten gemeinsam Flugblätter. Anfang Februar 1973 (8.2.-10.2.73) traten wieder die Stahlkocher von Hoesch-Dortmund auf den Plan, als sie für eine Lohnerhöhung für alle streikten und die  von den Gewerkschaften ausgehandelte Lohnerhöhung als zu niedrig ablehnten.  Eine ständige Streikversammlung tagte in der Kantine, auf der immer zwischen 500-1000 Beschäftigte anwesend waren. Gegen den Widerstand der Basis wurde der Streik durch die Vertrauensleute abgewürgt.  Die Huf-Kolleg/Innen nahmen direkt mit den Hoesch-Beschäftigten auf.

Ob in Duisburg-Huckingen in Stahlindustrie bei Mannesmann, bei Karmann in Osnabrück, bei Klöckner in Bremen, Pierburg in Neuss, die Liste der wilden Streiks im Jahre 1973 ließe sich lange fortsetzen. Zwischen Januar 1972 und Mitte Juni 73 waren ca. 200.000 Beschäftige an wilden Streiks beteiligt; viele von diesen Streiks richteten sich gegen den von den Gewerkschaften akzeptierten Lohnraub. Im Spätsommer 1973 gipfelte die Streikbewegung, die sich damals auf über 100 Betriebe mit ca. 80.000 Beschäftigten erstreckte, in dem Kampf der Kölner Ford-Arbeiter im August 1973. 300 türkische Arbeiter waren entlassen worden, weil sie zu spät aus dem Urlaub gekommen waren. Zudem wollte die Firma eine Erhöhung der Bandgeschwindigkeiten durchsetzen. Spontan legten mehrere Tausend, hauptsächlich türkische Arbeiter, die Arbeit nieder. Die Forderungen lauteten: 1 DM für alle (ca. 0.50 Euro), Rücknahme der Entlassungen, sechs Wochen bezahlter Urlaub, Verringerung des Arbeitstempos. Die  Verhandlungen fanden zwischen Betriebsrat (der als Interessensvertreter der Firma auftrat) und dem Streikkomitee statt.  Aber den Streikenden gelang es nicht, die bestehende Spaltung zwischen deutschen und türkischen Arbeitern zu überwinden.

Auch diese Welle von Streiks 1972-73 zeichnete sich wie die von 1969 dadurch  aus, dass in vielen Streiks:

  • Vollversammlungen gebildet wurden, die meist ständig tagten,

  • sich diese dank der Eigeninitiative der Streikenden und den Widerstand der Gewerkschaften entfalteten,

  • es zu Konfrontationen zwischen Streikenden und dem Betriebsrat und den Vertrauensleuten kam,

  • Versuche der Kontaktaufnahme zu Beschäftigten anderer Betriebe unternommen wurden,

  • das Element der Spaltung zwischen deutschen und ausländischen Arbeiter stark zu spüren war,

  • es die Arbeiter schnell mit polizeilicher und betrieblicher Repression zu tun bekamen.

Dazu darf man den internationalen Kontext nicht vergessen, insbesondere der zeitgleich in Italien stattfindende "heiße Herbst" von 1969, welche Millionen von Arbeiter in die Kampfhandlung einbezog und der Arbeiterklasse in Deutschland  sicherlich Mut machte ebenfalls den Kampf aufzunehmen.  

Einige Schlussfolgerungen

  •  Auch wenn international gesehen die Arbeiterklasse in Deutschland erst später als beispielsweise die Arbeiter in Frankreich auf den Plan trat und sozusagen im zweiten Glied blieb, hatte das Wiederauftauchen der Arbeiterklasse in dem damaligen Frontstaat - in dem Staat, in welchem die Arbeiterklasse neben den Arbeitern in Russland die verheerendste Niederlage in den 1920er Jahren hatte mit einstecken müssen - das internationale Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit entscheidend mit verlagert. Die Streiks von 1969 trugen wesentlich zum Ende der Konterrevolution bei.  
     

  • Auch wenn die verschiedenen Teile der Protestbewegungen (Proteste gegen den Krieg & Rüstung, Studentenproteste, Arbeiterstreiks) nicht miteinander verbunden scheinen, gab es dennoch einen gemeinsamen Nenner zwischen ihnen: eine Ablehnung der Logik dieses Systems. Die in Erscheinung getretene junge Generation war nicht bereit, sich der Ideologie und den Erwartungen der herrschenden Klasse zu unterwerfen. Auch wenn die Bewegungen später von der bürgerlichen Propaganda auf wenige Aspekte reduziert und gegen ihre Träger ausgeschlachtet wurden, darf man nicht aus den Augen verlieren, dass ihr Ausgangspunkt gegen das System gerichtet war.
     

  • Die Bewegung litt damals unter der besonderen Last des "Generationengrabens".  Die sich auflehnende Jugend betrachtete die ältere Generation mit Misstrauen und Verachtung. Heute gibt es viel günstigere Voraussetzungen für einen generationenübergreifenden Zusammenschluss.
     

  • Seinerzeit verloren viele Jugendliche schnell die Hoffnung auf eine neue Gesellschaft, da die Arbeiterklasse damals noch keinen weiterführenden Orientierungspunkt darstellen konnte. Viele Jugendliche wurden damals hauptsächlich von den K-Gruppen vereinnahmt und irregeführt. Heute aber besteht die Gefahr der Perspektivlosigkeit. Denn während die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft als der Kapitalismus von vielen anerkannt wird, sind die wenigsten davon überzeugt, dass diese möglich ist. Von der Überzeugung, dass eine ausbeutungsfreie Gesellschaft nicht nur nötig sondern auch möglich ist, d.h. von der Perspektive der Überwindung dieser Gesellschaft, wird mehr denn je das Schicksal der Kämpfe abhängen. 

 

Anmerkungen:

(1) Die deutsche Bourgeoisie, setzte  bereits 1918-19 Hetzkampagnen der Medien und Provokationen ein, um die Radikalen als gewaltsame Terroristen hinzustellen und zu isolieren. Siehe das Buch von Uwe Soukup, "Wie starb Benno Ohnesorg?".

(2) Meist wurden diese Treffen durch das Vorgehen der damals auftauchenden K-Gruppen gestört, welche die vorher sich entfaltende Diskussionsbereitschaft abwürgten. Schließlich trugen die K-Gruppen  zum Auseinanderfallen dieser Lehrlingstreffen bei, indem sie ihnen die Initiative entrissen und die Lehrlinge für ihre Aktivitäten rekrutieren wollten. (siehe Weltrevolution Nr. 149)

Zwischen 1945-1969: Der Großteil der Streiks in Deutschland
waren kleine, wilde Streiks 

1965: 14 spontane Streiks,

1966: 21 spontane Streiks,

1967: 62 spontane Streiks,

1968: 52 spontane Streiks mit ca. 50.000 Beschäftigten,

1969: Streikwelle mit über 150.000 Beschäftigten

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den dreiteiligen Artikel von den AutorInnen.

A
uf deren Webseite www.internationalism.org sind weitere Artikel veröffentlicht, die sich mit der internationalen & historischen Dimension von 1968 befassen.

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