zurück Septemberstreiks 1969
Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 


»JETZT BESTIMMEN WIR!«
Klöckner-Arbeiter über ihren Kampf

 

POLITIKON Nr 34, Dezember 1970


„Die Entwicklung des sozialistischen Sektenwesens und die der wirklichen Arbeiterbewegung stehen stets in umgekehrtem Verhältnis. Solange die Sekten berechtigt sind (historisch), ist die Arbeiterklasse noch unreif zu einer selbständigen geschichtlichen Bewegung. Sobald sie zu dieser Reife gelangt, sind alle Sekten wesentlich reaktionär." Karl Marx


Im folgenden sollen kurz die Voraussetzungen und besonderen Bedingungen der Streikbewegung an der Klöckner-Hütte Bremen im September 69 skizziert werden.

 

1) Eine wesentliche Voraussetzung war bis 1968 die Existenz einer linken Minorität im Betriebsrat, vor allem DKP-Leute, aber auch Unabhängige und linke Sozialdemokraten, sowie Angehörige der Gruppe Arbeiterpolitik, vor allem Bonno Schütter. Es muß hinzugefügt werden, daß die innerbetriebliche Politik der DKP-Leute nicht bruchlos in der Programmatik und dem politischen Handeln der Gesamtpartei aufging. Dieser Gruppe gelang es, durch eine konsequente Politik innerbetrieblicher Interessenvertretung eine Basis in der Belegschaft zu mobilisieren, die sie seit 1968 kontinuierlich ausbauen konnte.

2) Dafür war die Tarifrunde 1968 der entscheidende Ausgangspunkt. Zum ersten Mal seit über 15 Jahren fand in dieser Tarifrunde eine Urabstimmung in einem Hüttenwerk statt, zum ersten Mal kam man so nahe an eine Streikbewegung heran. Dieser Konflikt war der IG-Metall durch konsequente Belegschaftsvertreter wie Schütter und andere aufgezwungen worden. Sie hatten den Vertrauensleutekörper auf eine Forderung von 10% festgelegt, diese wurde von der IG-Metall auf 8% reduziert. Das Unternehmerangebot lautete entsprechend der Einigung von Nordrhein-Westfalen auf 5% mehr für neun Monate und 2% mehr für eine weitere neunmonatige Laufzeit. „Die gewerkschaftliche Interessenvertretung im Betrieb mußte nun, um sich vor einer aufmerksamer gewordenen Belegschaft zu legitimieren und um die allgemeine Unzufriedenheit mit der gewerkschaftlichen Politik auf der KHB aufzufangen, in den Lohnforderungen die übergeordneten Interessen der IGM, vertreten durch den Hauptvorstand und die Bezirksleitung, verletzen. In der Tat war die ökonomische Entwicklung der KHB auch während der Rezession weitaus positiver verlaufen als in den meisten anderen Betrieben der Stahlindustrie." (Eschenhagen, S. 91 f.) In der Vertrauensleuteversammlung wurde die Forderung des Hauptvorstandes der IG-Metall, von den 10% abzugehen, mit 100 : 2 Stimmen abgelehnt, die beiden Stimmen kamen von Hauptvorstand und Bezirksleitung. Dennoch reduzierte der Hauptvorstand der IGM aufgrund der Satzung die Forderung auf 8%. Daraufhin beschloß der Vertrauensleutekörper wegen des starken Drucks aus der Belegschaft, die 8% nicht als Grundlage für einen Kompromiß anzusehen, sondern sie notfalls mit einem Streik voll durchzusetzen. Als die Unternehmensleitung ihr Angebot nicht zurückzog, erklärte die IGM die Verhandlungen am 26. 6. 68 für gescheitert. Die Urabstimmung fand vom 9. bis 11.7. 68 statt.

„Die IG Metall-Mitglieder der Hütte, die unterdurchschnittlich mit 52,8°/o (zum Zeitpunkt der Urabstimmung) organisiert war, stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 98,4% mt 83,8% für Kampfmaßnahmen." (Eschenhagen, S. 92 f.) Während die Betriebsleitung ein starkes Interesse daran hatte, die Einheit der Tarifgebiete Nordrhein-Westfalen und Bremen zu erhalten und damit die günstigen Tariflaufzeiten auch für Bremen zu übernehmen, waren die Motive der IG-Metall durch folgende Faktoren bestimmt:

„a) die allgemeine Kampfunwilligkeit unter dem Aspekt der Konzertierten Aktion, die sich schon in der Kürzung der 10%-Forderung aus der Hütte auf 8% sichtbar macht. In den 8% war die „Luft" für einen Kompromiß ohne Streik enthalten, gerade weil sie nicht so hoch war; die 10%-Forderung dagegen hätte zum Streik führen müssen, da eine Einigung auf 6,5% bei 18-monatiger Laufzeit ohne Kampf als Niederlage hätte erscheinen müssen.

b) Das Image der qualifizierten Mitbestimmung als eine den Arbeitsfrieden garantierende Institution sollte nicht gefährdet werden (das machte die entscheidende Funktion des Konzern-Ar-beitsdirektors Dr. Ils als Vermittler aus),

c) Die betriebspolitischen und innergewerkschaftlichen Probleme auf der Hütte wären aufs Neue entfacht worden. Ein Streik, der unvermeidlich die politische Mobilität der Arbeiterschaft erhöht, hätte den oppositionellen Gruppen die Gelegenheit gegeben, sich gegenüber der Mehrheit im Vertrauensleutekörper und Betriebsrat zu profilieren und den Streik auch als Demonstration gegen die Entlassung Schütters „umzufunktionieren". (Schütter war wegen seiner Teilnahme an Aktionen gegen die Notstandsgesetze entlassen worden) Daher richtete der IGM-Bezirksleiter Scholz während der scheinbaren Streikvorbereitungen nicht ohne Grund die Warnung an die Adresse „gewisser kleiner Gruppen", nicht zu versuchen, politisches Kapital aus dem Lohnkonflikt zu schlagen. Die IG-Metall werde sofort darauf reagieren. „Wir sind nicht bereit, einen legitimen Arbeitskampf aus der Hand gleiten zu lassen." Beachtenswert ist allein schon, daß er diese Befürchtung offenbart hatte." (Eschenhagen, S. 93 f.)

Die Kampfbereitschaft in der Belegschaft war im Zuge der Streikvorbereitungen gewaltig gestiegen: die Gewerkschaft schien mit ihren Vorbereitungen ernst zu machen: die Gewerkschaftsbeiträge wurden erhöht, durch mehr als 800 Neuaufnahmen und die Begleichung von Beitragsversäumnissen bis zu 100,— DM wurde scheinbar die materielle Grundlage des Kampfes geschaffen. Der Streik wurde praktisch fünf Minuten vor zwölf durch die Verhandlungen abgewendet mit dem Ergebnis: Lohn- und Gehaltserhöhung von 6,5%, Laufzeit des Tarifvertrags 18 Monate. Das Ergebnis wurde von der Belegschaft heftig kritisiert, in der zweiten Urabstimmung stimmten 63,5°/o der Mitglieder ab, 25,7% stimmten gegen die Annahme. Das im Folgenden wiedergegebene Interview setzt bei der Schilderung dieser Situation und ihrer Folgen ein. Mit diesem Gespräch, das Mitglieder der Redaktion in Bremen führten, kommt zum ersten Mal in dieser Zeitschrift die Arbeiterklasse selbst zu Wort. Wir hoffen, die hier begonnenen direkten Berichte der Arbeiter über ihren Kampf in den nächsten Nummern fortsetzen zu können.

Politikon
 

Anmerkung: Für die Darstellung der Tarifbewegung 1968 im Vonwort wurde die bisher nicht gedruckte Diplomarbeit (OSl-Berlin) von Wieland Eschenhagen Zur Theorie und Praxis innergewerkschaftlicher Opposition unter besonderer Berücksichtigung der jüngsten Auseinandersetzungen im Bereich der IG-Metall Bremen, Berlin 1970 benutzt.

Zur allgemeinen Orientierung über die Auseinandersetzungen im Bereich der IG-Metall, Bremen, Berlin 1970 benutzt.

Zur allgemeinen Orientierung über die Auseinandersetzungen an der Klöckner-Hütte Bremen sei auf zwei Broschüren der Gruppe Arbeiterpolitik hingewiesen:

1) Die Auseinandersetzungen in der Klöckner-Hütte Bremen und

2) Die Auseinandersetzungen auf der Klöckner-Hütte Bremen — Analyse und Dokumente, außerdem soll hier noch erwähnt werden die Zeitschrift „Arbeiterpolitik" — Informationsbriefe der Gruppe Arbeiterpolitik: alles zu beziehen über G. Kuhlmann, 28 Bremen. Admiralstraße 139

Quellen:

Aus technischen Gründen verzichten wir auf den Abdruck der einzelnen Fußnoten, da sich der Autor zu einem großen Teil auf Interviews und Protokolle beruft, die nicht weiter zugänglich sind. Darüber hinaus verwandte er:

Popitz / Bahrdt / Jüres / Kesting, Das Gesellschaftsbild des Arbeiters, Tübingen 1957

Gudrun Kalms, Die Mitbestimmung am Arbeitsplatz in der Strategie der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände in der BRD, Diplomarbeit am OSI, April 1970

Pirker, Theor, Die blinde Macht, München 1960 sowie verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften.



Arbeiter: Ich würde das von der Belegschaft aus sehen Die antigewerkschaftliche Haltung, die Einstellung gegen die Funktionäre, das ist 1968 geboren. Als die Gewerkschaft so'n Wind gemacht hat, da kam ja einer aus Frankfurt wegen des Streiks und der Scholz, der Bezirksleiter war am Tönen: und wir wollen und wir müssen und Kollegen seid stark.

Frage: War auch eine Urabstimmung?

Arbeiter: Ja, ja, da war auch die Urabstimmung und dann haben wir sie immer wieder gefragt, wieso und warum das Streiken. Es ging uns im Grunde genommen nicht um die paar koddrigen 2 oder 3 °/o oder worum es sich da handelte, sondern es ging im Grunde genommen nur darum, den Tarifvertrag von 18 Monaten auf 12 Monate zu kürzen.

Betriebsrat: Man war ja dagegen, daß die IG-Metall sich auf so einen billigen Kompromiß einließ Für ein paar Pfennige hatte man sich 18 Monate eingehandelt, und das war nicht das, was man haben wollte. Für im Grunde 0,7 °/o hat man 6 Monate verkauft.

Arbeiter: Und dadurch, durch diese ganze Vorbereitung: Jetzt wird gestreikt! usw. sind eine ganze Reihe Leute in die Gewerkschaft eingetreten, nicht um sie stark zu machen oder sowas, sondern um sich finanziell abzusichern. Die haben dann Nachzahlungen gezahlt, usw. usf., und hohe Nachzahlungen, hohe Beiträge bezahlt, sind dann alle in die Gewerkschaft eingetreten, und dann kam der Knalleffekt: es wurde dann gerade nicht gestreikt (lacht) und die waren es dann, die am meisten gemeutert haben, weil ja jetzt die Sache für sie unrentabel geworden war. Man fühlte sich verraten. Und da ging das Geschimpfe auch los.

Betriebsrat: Gegen die Selbstherrlichkeit der Funktionäre.

Arbeiter: Ja, ja. Und dann haben sie ja auch da im Columbus-Hotel getagt, und wir protestierten dagegen.

Betriebsrat: Das Ganze wurde dann in der Presse breitgetreten. Alles sprach von drohendem Streik. Alles war mobil und nach dem Wochenende war dann alles vorbei. Das Ganze war ein fauler Kompromiß. Alles wurde auf dem Verhandlungstisch verkauft.
Das Entscheidende war ja, wieweit die Kollegen wirklich materiell zufrieden gestellt werden konnten, und das konnten sie 68 nicht sein, weil es ja im Zeitraum der Rezession — praktisch von 65 angefangen — nur kostenneutrale Lohnerhöhungen gegeben hatte, im Zeitraum 65 — 68 hat es keine wesentlichen Lohnerhöhungen wegen der 40 Std.-Woche gegeben. Und innerbetrieblich konnte dieser Betriebsrat auch nichts erreichen, weil er nicht mit der Belegschaft zusammengearbeitet hat, sondern mit dem Direktorium. Daß das in anderen Werken auch nicht möglich war ist eine andere Geschichte, das ist Pech für den sozialdemokratischen Betriebsrat. Ich meine, wir hätten auch nicht viel erreicht. Rein von der Interessenlage der Arbeiterschaft her, die ja das Einkommen sieht, das wovon sie leben muß, war es eben so, daß sie 68 nicht befriedigt war. Dazu kam, daß dieser 18monatige Tarifvertrag mit seiner langen Laufzeit in eine Zeit hineinreichte, in der es Preiserhöhungen gegeben hatte und es ziemlich große Gewinne gab. Und das hat man ja im Werk gemerkt. Und diese Voraussetzungen, die schufen im Grunde dann den September. Auf der Hütte fanden dann aber noch andere Auseinandersetzungen statt, nämlich die um die Betriebsratsmehrheit. Und hier fand sich also organisiert von der Gruppe Arbeiterpolitik, eine Gruppe von Leuten zusammen, eine Einheitsfront von KP-Leuten, von politisch überhaupt nicht Eingeordneten und ältere Kollegen, die nur ein Ziel hatte: den Betriebsrat in der Listenwahl zu stürzen. Das gelang. Dieser Sturz war nur möglich über die Listenwahl, weil die SPD-Betriebsgruppe hier in Bremen reaktionär ist, das reaktionärste Stück in der Partei, das es überhaupt gibt in Bremen. Diese Gruppe wollte im Beijieb eine parteipolitische Entscheidung haben, um die KP-Leute endgültig aus dem Betriebsrat zu drängen und auch aus dem Funktionärskreis der IG-Metall. Denn die Klöckner-Hütte war der einzige Betrieb in Bremen, wo die linken Leute, auch die unabhängigen linken Leute — sicher waren da die Kommunisten dabei, aber das war nicht entscheidend — eine starke Stellung hatten. In allen anderen Betrieben waren die linken Gruppen zerschlagen worden und durch SPD-Betriebsgrup-pen ersetzt worden, nur bei Klöckner gab es noch so etwas. Das ist eine selbständige Kraft, die nicht Parteipolitik macht im Sinne der DKP, sondern ganz einfach selbständige Belegschaftsarbeit: das ist ja das, womit man anknüpfen kann bei dieser Arbeiterschaft. Die linke Gruppe, etwa 30 Mann stark, bot der Belegschaft eine Alternative zu diesem schlechten und korrumpierten Betriebsrat an. (Er hatte Geld in die eigene Tasche gesteckt, ganz lustig sogar, es kamen Protokollfälschungen vor usw.) Der Gewerkschaftsapparat schützte und deckte diesen Betriebsrat. In dieser Auseinandersetzung gelang es dann fest Fuß zu fassen in der Belegschaft — wir, die Unabhängigen, also Arbeiterpolitik, DKP, parteipolitisch Unabhängige und auch linke Sozialdemokraten, waren die einzigen, die ein Programm aufstellten, ein Programm für die Betriebsratsarbeit, während auf der Seite der SPD-Betriebsgruppe, die für die Arbeiter offiziell das Aushängeschild der IG-Metall-Liste hatte, während wir keine Möglichkeit hatten, als IG-Metall-Liste zu kandidieren, kein Programm entwickelt wurde, sondern in antikommunistischer Polemik gemacht wurde. Das wollte die Belegschaft nicht, da sie ja auf unserer Seite, an der Spitze der Liste 2 konsequente Belegschaftsvertreter kannte — wenn es auch Kommunisten waren, aber es waren konsequente Belegschaftsvertreter — , und so wurden wir mit über 50 °/o gewählt in der Betriebsratswahl, während die offizielle IG-Metall-Liste, die noch den großen Apparat hinter sich hatte und anderweitige Machtmittel, nur 36 % bekam. Dieser Sieg gehört auch mit zu den Voraussetzungen des September streiks, denn die Auseinandersetzung um die Betriebsratswahl bedeutete zugleich eine Mobilisierung in der Belegschaft, es gab ganze Belegschaftsteile, die sich offen auf unsere Seite stellten. Und diejenigen, die dann im September den Streik mitorganisierten, waren zugleich diejenigen, die bei der Auseinandersetzung um die Betriebsratswahl im Frühjahr 69 schon organisatorisch tätig waren, also beim Flugblätterverteilen, Sammeln von Unterschriften usw.

Frage: Wie war der Streikverlauf?

Arbeiter: Also ich habe am Abend davor noch nichts gewußt. Da lagen zwar immer Gerüchte in der Luft, da ja Hoesch usw. vorher schon gewesen war. Mir hat nur ei r><»*, den Abend vorher, wo wir Feierabend hatten, ich hatte Spätschicht, Bescheid gesagt, die wollen morgen streiken, aber das war im Grunde auch nur ein Gerücht. Also ich bin dann nach Haus gefahren und habe noch mit anderen diskutiert. Auch da gab es Gerüchte, eine gewisse Spannung war da, aber wie und wo und was wußte überhaupt keiner.

Am nächsten Tag da hatte ich das schon im Radio gehört, daß bei Klöckner gestreikt würde und als wir dann mit dem Bus zum Werk fuhren, Freitagmittag, da sahen wir schon die Autokolonnen da stehen und das war dann ein Hin und Her: Busse rein, Busse nicht rein und dann haben sie die Busse doch reingelassen. Und die PKWs kamen teilweise rein und dann kamen wieder gar keine rein.

Frage: Wer? Die Arbeiterkontrollen an den Toren?

Arbeiter: Ja. Und wir haben es dann errecht und sind ins Werk rein gefahren, haben uns umgezogen und so. Und dann war ich der einzige von meinem Betrieb, von der neuen Schicht, also von der Spätschicht, der da als erster reinkam. Und ich war gerade am Umziehen, da kam der Schichtführer von der Frühschicht an und sagt zu mir: du sollst zum Hafen, da war die Hafenverladung usw. Da habe ich zu ihm gesagt: wieso? die Hafenverladung? die streiken! oder weißt du das nicht? Jaaa, aber das ist Notarbeit, -das ist Notdienst, der fällt unter Notdienst der Hafen, das Schiff muß voll usw. (Arbeiter lachend:) Na, da hab ich ihm gesagt, die Bleche werden doch nicht schlecht, ich gehe zum Tor und dann habe ich gelacht und gesagt: und zweitens kennst du meine Einstellung. Und dann fing er gleich mit dem Schimpfen an: du mußt Bescheid sagen, wenn du nicht willst und so weiter. Sage ich: wieso? und dann habe ich meine Tasche genommen und bin zum Tor gegangen. Und da war schon ein großer Haufen, eine ganz große Gruppe. Und da war dann das Gerangel mit dem Direktor Flügge, (lachend:) der wollte seinen Vers da runterreden: nehmt die Arbeit wieder auf und so weiter. Na ja, jedenfalls haben sie ihn dann so langsam gegen das Tor gedrückt. Er hat gerufen: und jetzt machen wir das Tor auf und dann hat er wohl versucht, das Tor aufzumachen und dann haben die von hinten nachgeschoben, ja, und haben ihn gegen das Tor gedrückt. Und dann fing er das Kreischen an (lachend), dann hat er dem Werkschutz zugerufen: Merkt euch die Gesichter, und dann ist er ab, (lachend), schneeweiß, hat er dann das Weite gesucht.

Ich habe mich dann wieder um meine Kollegen gekümmert und habe festgestellt, daß da immer noch Maschinen am Arbeiten waren, sogar Kollegen von der Frühschicht waren noch dabei. Ja, und dann bin ich wieder gegangen und habe mit den anderen Kollegen diskutiert. Die haben gesagt, das war Notarbeit, es gab dann ein Hin und Her, was denn überhaupt Notarbeit war und so weiter und so fort. Dann bin ich wieder auf die Maschine raufgegangen, dann hab ich auf einmal gehört, wie über Funk der Befehl kam, sofort die Maschinen zu verlassen, da wäre ein „Rollkommando" unterwegs. Wir haben dann hinterher festgestellt, daß das gar nicht an dem gewesen ist, daß gar kein Rollkommando unterwegs war. Aber dies Stichwort Rollkommando (lachend:) das hat es in sich gehabt. Bin wieder runtergegangen, hab mit den ändern diskutiert und dann sind wir tatsächlich auf den Bolzen gekommen, ein Rollkommando zu bilden. Dann ging das Palaver los: seid vorsichtig, die schmeißen euch raus und so weiter. Ja, wir sind dann mit fünf Mann darunterge-fahren, nach der Abteilung hin und haben die Maschine stillgesetzt. Wir sind gleich auf die Maschine gegangen und haben die Kollegen aufgefordert, die Maschinen zu verlassen und aufhören zu arbeiten. Dann haben die gesagt: das geht nicht, der Chef hat das so bestimmt, das war Notdienst. Dann meldete sich der auch noch und hat das dann noch einmal bestätigt, daß das Notdienst war. Und da hat mein Kollege gefragt, was denn überhaupt Notdienst war und hat gesagt: Was Notdienst ist, das bestimmen wir und nicht er und sollte jetzt gefälligst sein Maul halten (lachend:), sonst würden wir da mal rauf kommen und dann war er runter, wenn wir raufkämen, (lachend:) Und dann war er ruhig.

Dann war da noch eine Maschine, die Kollegen haben wir aufgefordert, sie auch stillzulegen. Der Vorarbeiter, der wurde dann so etwas widersprüchlich, der meinte dann, jetzt würden sie erst mal Frühstück machen und dann würden sie das und das noch weitermachen. Dann haben wir ihn nochmal aufgefordert, wenn sie nicht sofort kommen würden, dann würden wir kommen. Und dann haben sie's aufgegeben. Während wir in einer anderen Abteilung waren, hat sich noch Folgendes abgespielt: da hat unser Chef angerufen und der wollte dann auch noch'n paar Befehle rausgeben, das und das und so und so und dann hat ihm ein Kollege Bescheid gesagt, daß er absolut gar nichts zu sagen hätte hier (lacht) zur Zeit, (lachend:) das Sagen hätten wir jetzt, was gemacht würde und er könnte höchstens drum bitten. Und dann hat er eben drum gebeten, doch zumindest die Kesselwagen nach'm Kraftwerk durchzulassen, das Kraftwerk gehöre doch der Bundesbahn und sei davon abhängig usw.,dann haben wir ihm das genehmigt.

Frage: Wie sah es dann in den nächsten Tagen aus?

Arbeiter: Ich will das jetzt nicht mehr in Einzelheiten schildern. Nachts kam das Ergebnis der Verhandlungen durch.

Wir waren da vor das Verwaltungsgebäude gezogen und die Stimmung hatte sich radikalisiert. Wir waren praktisch in das Gebäude eingedrungen. Das war aber keine reguläre Besetzung, sondern während des Herausgehens eines Mitglieds des Direktoriums war ja der Werkschutzmann gezwungen, die Tür aufzumachen und da haben wir die Tür aufgedrückt. Vorher wurde immer geschrien: Düßmann raus, Düßmann raus. Das ist der Arbeitsdirektor. Aber da rührte sich keiner. Und als wir den da beiseitegedrückt hatten, da waren wir vielleicht mit 10 bis 12 Mann dadrin. Und dann sind wir in den Korridor eingedrungen und haben gebrüllt, das schallt ja ganz herrlich dadrin (lacht). Und dann gingen sofort die Türen auf, wo wir dadrin waren, da kamen die raus: (lachend:) Meine Herren wir kommen. Und dann sind wir natürlich wieder rausgegangen als sie bereit waren rauszukommen. Die kamen raus und haben das bekanntgegeben und wir haben das dann abgelehnt.

Frage: Wie kam es dann zu der Besetzung des Mischers?

Arbeiter: Die hatten ja den Mischer vollgefahren und jetzt stellten sie fest, daß der Streik länger dauert und wollten den Mischer absolut wieder leer haben. Und dann wollten die die Pfannen vom Hochofen zum LD-Werk rüberbringen, die leeren Roheisenpfannen, um den Mischer zu entleeren. Und da sind auch gleich Mitglieder vom Direktorium dabei gewesen, und die Direktoren von unserer Betriebsleitung, die auch noch.

Betriebsrat: Es ist interessant, daß sich gerade die Spitzen der Unternehmerseite darum bemühen mußten, daß sie selbst keine Hilfen hatten, weder Meister noch Leute vom mittleren Management.

Arbeiter: Weil ja im Werk alles ruhig war und sich jetzt auf einmal eine Lok bewegt mit Pfannen, da sind die Kollegen mißtrauisch geworden: was ist'n jetzt los!?! (lacht) Und als sie dann zum LD gingen, da sind sie ja schon der Lok entgegengelaufen, und da haben die es  schon mit der Angst gekriegt, (fachend) Da ist der eine quer über die Wiese gelaufen. Und da haben sie die Lok erst einmal gestoppt. Dann ist es zir einer Diskussion gekommen und da sind die Kollegen erst aufmerksam geworden, was das Direktorium für einen Wert auf den Mischer legte, daß der Mischer leer gemacht würde. Da ist es ihnen eingefallen, den Mischer zu besetzen, da niemanden dran zu lassen. Zuerst hat da eine lose Gruppe rumgestanden und diskutiert und dann sind sie darauf gekommen, den Mischer zu besetzen. Und dann haben sie morgens den Mischer besetzt, sie hatten ein paar Schwellen über die Schienen gelegt, so daß niemand durchfahren konnte.

Frage: Es waren immer Leute da?

Arbeiter: Ja, es waren immer Leute da. — Und als ich dann zur Spätschicht kam, da standen schon Kollegen vorn am Tor, so und soviel Mann. Die hatten einen LKW bereitgestellt: die Leute ablösen! Die von der Frühschicht haben auck-so-lange gewartet, bis wieder Neue da waren. Und dann gingen wieder die Gerüchte rum, die wollten da ein großes Loch ausbaggern und wollten das Roheisen in das Loch reinschütten, (lachend:) Und da ging das ja wieder los. Dann haben wir Sicherungen rausgedreht und Wasserschläuche angeschlossen, um im Notfall Wasser reinlaufen lassen zu können. Also jedenfalls, wir haben den Mischer blockiert, so daß man ihn nicht mehr leerfahren konnte. Ich war dann in den nächsten Tagen beim Mischer und habe die Besetzung mitorganisiert.

Das Fruchtbarste am ganzen Streik war eigentlich die Diskussion, es wurde noch nie so viel diskutiert und geredet über Probleme, die sonst nie im Raum standen. Es wurde über alles diskutiert, über Gewerkschaftspolitik, das Direktorium, über alles.

Um die Torbesetzung gab es auch eine große Diskussion, das schwankte hin und her. Die einen sagten: alle reinlassen und die ändern sagten: alle rauslassen, gar keinen reinlassen, da kommen nur die ändern auch alle mit rein.

Frage: Wie ist denn die Torkontrolle zustandegekommen? Hat sie sich aus der Gruppe, die vor dem Tor diskutierte, gebildet?

Arbeiter: Spontan. Zum Beispiel die Firma R. hat ihre ganzen Kipper, die großen Kipperfahrzeuge am Werk stehengehabt. Jetzt wollten sie die abziehen nach Bremerhaven hin. Nun war es so, daß es unter uns keine Verbindung gab, der eine wußte vom ändern nicht, was los war. Da haben die vorn am Tor mit den Kollegen verhandelt, aber wir wußten am Mischer nichts davon. Auf einmal bewegen sich die Kipper, (lachend:) ein Hallo! war das, weil wir ja immer noch mißtrauisch waren, dall die noch irgendwas unternehmen würden, um den Mischer zu kippen. Da haben sie die Kipper gleich mit PKWs eingekreist (lacht), ich wußte nicht, wo die Leute auf einmal alle herkamen! Es gab ein großes Durcheinander, der Werkschutz war dazwischen und so weiter. Schließlich haben wir gesagt, nehmt eure Kipper und haut ab.

Ein Hauptproblem war, daß immer genügend Leute da waren, um den Mischer zu besetzen, denn mit zwei, drei Mann ist das deprimierend. Der große Haufen will ja immer da hin, wo was los ist und am Mischer war zum Schluß nichts mehr los. Darin bestand die Gefahr. Es gab aber Kollegen, die waren 20 und 24 Stunden da, die waren ohne Unterbrechung da, und das war wichtig, die haben die, die gleich zu Streikbeginn nach Hause gegangen waren, ersetzt.

Frage: Waren das sehr viele, die längere Zeit dagewesen sind?

Arbeiter: O ja, das war ein großer Teil. Und unter denen waren Kollegen, von denen man früher überhaupt nichts gehört hatte, wo man überhaupt nicht wußte, was die für'ne Einstellung haben. Und die waren derart aktiv, daß man sich nur an den Kopf fassen konnte.

Frage: In der IMSF-Studie steht, daß 80 °/o der Belegschaft auch immer da gewesen sei?

Betriebsrat: Nein, das stimmt überhaupt nicht. Die sich im Werk aufgehalten haben, das waren höchstens biis 600. Und zwar verteilt auf alle Schichten.

Frage: Wo waren denn die Passiven?

Betriebsrat: Es gab keine Streikbrecher. Man hat sich wohlwollend passiv verhalten, hat mal gekuckt, mal am Tor gestanden. Die meisten Angestellten haben sich einen schönen Tag gemacht, die ganze Woche, weil schönes Wetter war. Aber die haben zumindest toleriert, was da passiert ist. Und das war das Entscheidende, daß diese passiven Belegschaftsteile sich neutral verhalten haben, daß sie nicht gegengearbeitet haben.

Betriebsrat: Das Ganze war eine spontane Bewegung. Man kann nicht davon sprechen, daß das von welchen gewollt war, sondern die Voraussetzungen selber zwangen die Belegschaft zum Handeln. Innerhalb von wenigen Stunden, kurz vor dem Streik, war die Bereitschaft entstanden, zu streiken. Diese Bereitschaft, dieser Wille war so außerordentlich stark und die Entschlossenheit war so gewaltig, daß man wirklich von einer spontanen Bewegung sprechen konnte. Das war nicht irgendwie entfacht.

Diese Bereitschaft und dieser Kampfwille zeigte sich schon im Sommer 1969, noch vor den Septemberstreiks. Der Betriebsrat versuchte, über die Überstundensperrung Druck aufs Direktorium auszuüben, und damals im Sommer war es so, daß die Belegschaft selber schon teilweise die Initiative ergriffen und Überstunden von sich aus abgelehnt hatte. Da war also schon die Bereitschaft zu erkennen, teilweise Druck aufs Direktorium und auf die Vorgesetzten auszuüben, indem man Überstunden ablehnte. Das zeigte sich zum Beispiel an der Walzstraße im Warmwalzwerk: da haben die eine Reparatur gehabt an der Walzstraße und zwei Schichten mußten nachgeholt werden an einem Feiertag, an dem sonst nicht gewalzt wurde. Da haben die Kollegen gesagt: kommt nicht in Frage, haben eine Abstimmung gemacht und haben sich in der Mehrheit dafür entschieden, nicht zu arbeiten. Und so mobilisierte sich schon etwas, aus eigenem Antrieb heraus, das war auch spontan. Da wirkten weder Betriebsräte mit noch Vertrauensleute, sondern einfach bewuß-te Arbeiter, die ihre Interessen eben be-wußter vertraten als andere, einfach Leute aus der Belegschaft, die in diesen Auseinandersetzungen auf einmal Sprecher waren oder die Aktive waren. Auf einmal waren da Kollegen, die jetzt das ausdrückten, was so an Stimmung da war und das waren dann im Grunde die Sprecher, die weiter gingen als die Arbeiter. Und das wechselte, heute waren die aktiv und morgen die. Und immer fand sich in den konkreten Auseinandersetzungen jemand, der dann das verkörperte, worum es jetzt ging. Und so entwickelte sich die Bewegung.

In einer Abteilung da war es so, daß dieser Teil der Belegschaft von sich aus schon zwei Monate lang Überstunden verweigert hatte, für eigene Forderungen. Das heißt schon etwas, in einem Kreis von 60 — 80 Kollegen konsequent so etwas durchzustehen, das erfordert Solidarität von allen, alle müssen mitgehen, denn da sind immer ein paar faule Eier in einer Abteilung, die nicht mitmachen wollen und die müssen geschickt gezwungen werden. Die dürfen auch nicht umfallen, beim Meister quatschen oder so. Die Meister müssen selber auch irgendwie gedeckt werden. Da muß man zusammenarbeiten: gewisse Arbeiten mußten erledigt werden, sonst kriegt der Meister einen auf den Deckel und schert aus. Deswegen machen die Kollegen einzelne Arbeiten. Das erfordert ein ganz ausgeklügeltes und überlegtes System. Das haben die Kollegen geschafft, haben allerdings nichts erreicht, weil das Lohnsystem dem im Weg steht. Außerdem ließ sich das Direktorium auf diese Methoden nicht ein, und um sie durchzuhalten, war die Kraft zu schwach. Es gab praktisch nur einen Ausweg, den Streik. Das war am Montag vor Streikbeginn, das war noch, bevor jemand an Hoesch gedacht hat: da war das also bei uns schon am Gären. Nur was bisher nicht geschehen war, das war der Kontakt der Kollegen untereinander, von Abteilung zu Abteilung. Diese Abteilung war eine der bewußtesten.

Arn Dienstag und Mittwoch, nach der ersten Betriebsversammlung, auf der diese Lohnprobleme schon heftig diskutiert worden waren, da kam der Streik von Hoesch In der zweiten Betriebsversammlung dieser Woche, am Donnerstag, wurde die Situation immer deutlicher: da kamen die Zwischenrufe: Denkt an Hoesch: und so. An dem Abend hat es schon gebrodelt, das war der Vorabend des Streiks. In der darauffolgenden Nacht hat sich die Belegschaft formiert: Absprachen fanden statt, das unterstützte die spontane Bereitschaft und die Willigkeit der Belegschaft. Bei allen, auch bei den Angestellten war die Bereitschaft da, daß so etwas passieren müsse wie bei Hoesch. In wenigen Stunden, spontan praktisch, wuchs diese Bereitschaft, den eigenen Willen durchzusetzen.

Um zu streiken muß man gewaltig aggressiv werden, das ist nicht so, daß du als intellektueller hingehen kannst und sagst, das ist unser Ziel und jetzt machen wir das mal, sondern da muß in den Kollegen, in den einfachen Arbeitern, so richtig die Wut wachsen. Da muß man nicht nur wissen, was man will, da müssen alle bereit sein, loszuschlagen und dann fangen die einfach an, dann sagen sie den Meistern, auch dem Chef Bescheid: jetzt bestimmen wir! Jetzt habt ihr nichts mehr zu sagen! Nach dem Streik ist das dann auch wieder vorbei, dann lassen sie sich vom Meister wieder was gefallen. Meistens sind die Meister dann erst einmal so eingeschüchtert, daß sie nichts sagen. Und jetzt geht das Direktorium praktisch erst nach einem Jahr wieder daran und nimmt die Erfolge zurück: der Werkschutz macht jetzt wieder Kontrollen, das hat er ein Jahr lang nicht mehr richtig gemacht. Und damals, wie gesagt, in der Nacht, passiert dann noch folgendes: die eine Schicht im Warmwalzwerk mußte die Walzen wechseln, dabei wird die Produktion meist eine Stunde angehalten und dann wird weitergewalzt. Die haben aber zwei Stunden Pause gemacht, das Direktorium war gleich im Werk, merkte auch, was los war, d. h. das Direktorium merkte nach dem Hoesch-Streik sowieso was los war und bot für Freitag um neun Uhr, als auch der Streik begann, Verhandlungen an. Der Streik war aber trotzdem nicht mehr aufzuhalten, weil sich das so aufgestaut hatte, daß das Verhandlungsangebot keine Rolle mehr spielte.

Die folgende Frühschicht hat es dann blitzschnell geschafft: am Freitagmorgen wurde es ernst. Und hier waren äs die Kräfte, z. B. die Liste 2 wesentlich mitgetragen hatten, die sich absprachen: da war dann zum Beispiel kurz vor neun Uhr nur noch ein Telefonanruf notwendig und es standen -überall im KW die Anlagen. Da gingen die sofort von ihren Arbeitsplätzen runter, Schilder mit Parolen (Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will) waren gemalt usw.

Andere Kollegen meldeten sich bei Störungen nur mit der Telefonnummer des Apparats, nicht mehr mit ihrem Namen. Gleichzeitig verunsicherten sie ihre Vorgesetzten mit konstruierten, willkürlichen Störungen. Die Meister verloren ihren Einfluß und sagten sich schließlich, es ginge auch um ihr Gehalt. Im Warmwalzwerk sind andere Bedingungen als im KW, im KW kann man einfach alles abstellen, im Warmwalzwerk muß man fertigwalzen. Um einen Streik einzuleiten, muß man ganz vorn an der Walzstraße schon zwei bis drei Stunden vorher anfangen, den Ofen nicht mehr beschicken, dann muß alles rausgewalzt werden und dann ist der Betrieb aber auch stillgesetzt für die nächsten Stunden. Und das erfordert natürlich ein bewußtes und überlegtes Handeln und das haben die im Warmwalzwerk schon in der Frühschicht gemacht Am Freitagmorgen war die Stimmung auch bei den Angestellten schon so auf den Siedepunkt, daß mich ein Werkschutzmann, ein schon immer fortschrittlicher Kollege mit erhobener Faust begrüßte. Es war eine völlig andere Atmosphäre an dem Morgen, ohne daß bekannt war, daß die Walzstraße gestreikt hatte. Alle sprachen davon, daß etwas geschehen müsse Punkt 9 Uhr, als das letzte Stück Blech gewalzt war, marschierten die anderen Arbeiter schon aus dem Kaltwalzwerk heraus, verließen sofort die Arbeitsplätze. Das bedeutete, daß man die anderen Abteilungen mitzog: man marschierte dann durchs Werk zu den einzelnen Werksteilen, die aber nicht alle im gleichen Maße bereit waren, mitzustreiken, vor allem die Abteilungen, in denen am wenigsten bewuß-te Kollegen waren. So waren manchmal längere Diskussionen nötig, bis alle bereit waren mitzustreiken.

Der Marsch organisierte erst den Streik, der brachte alle weg von den Arbeitsplätzen. Der Betriebsrat war beiseitegeschoben, man handelte selber, der Betriebsrat hatte keine Funktion mehr.

Frage: Keine Funktion mehr?!

Betriebsrat: Ja, würde ich sagen. Er hatte die Funktion, Besprechungen mit dem Direktorium zu führen. Der entscheidende Grund, warum keine eigene Streikleitung wie bei Howaldt zustande kam, ist der, daß die Kollegen wußten, daß sie sich auf den Betriebsrat verlassen konnten: der mußte getreu dem Verhandlungsstand berichten und da wurden sie nie angelogen, daß wußten sie. Das war eben ein Betriebsrat, der nicht auf Seiten der Unternehmer stand.

Die Betriebsratskollegen waren Tag und Nacht aktiv dabei, standen an den Toren usw., wer fehlte, waren die IG-Metall-Vertreter, z. B. der Vertrauensleutekörper. Die Leitung des Vertrauensleutekörpers stellte sich gegen den Streik. Der Betriebsrat hatte keine Führungsfunktion und konnte er auch nicht haben. Die Belegschaft handelte bewußt, erkannte zum Beispiel von sich aus, daß das Direktorium versuchte, den Mischer leerzufahren; also handelten sie sofort, ohne daß sie gesagt bekamen, was sie zu tun hätten und besetzten das Werk. Eine Schicht zum Beispiel besetzte die Tore, ganz einfach: wollen wir mal alles dicht machen. Dann mußte ja die Ablösung gefunden werden, dann kam die nächste Schicht: ja, wo vorher diese Gruppe am Tor stand, wo vorher die Gruppe war, die im Werk patroullierte, wo vorher die anderen Gruppen waren, da bildeten sich spontan neue. Man erkannte eben, Kontrollen waren notwendig. In den Diskussionen, die stattfanden, schälten sich dann die Mehrheiten dafür heraus, alle hereinzulassen ins Werk oder den Mischer zu besetzen oder, wenn das Gerücht herumging, da wird in einem Werk eine Kuhle gebuddelt, um den heißen Stahl reinzukippen, dann sagten die ganz einfach: das machen wir nicht, haben die Sicherungen geklaut, vor dem Tor ein paar Bretter rübergelegt, so daß die Loks nicht sofort reinfahren konnten, und als die Lok kam mit den Direktoriumsmitgliedern und dem einen Streikbrecher drauf, haben sie sich erst einmal auf die Schienen gesetzt und haben angefangen zu diskutieren und da war es natürlich aus. In der Diskussion ist dem Direktorium wirklich Bescheid gesagt worden; Arbeiter, die vorher nie den Mund aufgemacht haben, haben denen gesagt, also hier, drei Millionen gehen da kaputt, ihr wißt doch, was das heißt. Aber ihr laßt lieber ein paar Millionen kaputtgehen als daß ihr uns ein paar Pfennig gebt. Das haben sie den Direktoren ins Gesicht gesagt, eiskalt und ganz bewußt und auch aggressiv. Das hat natürlich seine Wirkung gehabt. Oder zum Beispiel erkannte man Folgendes: im LD-Werk, wenn da Arbeiter aus dem LD-Werk selber sind, dann ist das Scheiße, weil die ja vom Unternehmer aufgefordert werden können, mal das und das und das zu machen. Da haben sich die LD-Werker eben ganz bewußt rausgehalten und Leute aus anderen Abteilungen haben sich für die Besetzung des LD-Werks zur Verfügung gestellt. Das erkannte man eben, das sind einfache Gedankengänge, die dazu notwendig sind, dazu braucht man nicht studiert haben. In Zukunft kommt natürlich noch mehr dazu, weil die Unternehmer sich ja auf die nächste Auseinandersetzung vorbereiten, da muß schon mehr organisiert werden. Die Spontaneität der Kämpfe, die ich geschildert habe, beruhte darauf, daß die Belegschaft die Aufgaben erkannte und sich selbst organisierte. Allerdings sah man nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze, was am nächsten Tag war, das war schon gar nicht mehr zu erkennen. Man erkannte nicht, daß der Streik endlich zum Ende kommen mußte. Die 20 Pfennig, die das Direktorium angeboten hatte, nahm man gar nicht ernst, man wollte viel mehr und vor allem weiterstreiken. Der gesamte Notdienst wurde von der Belegschaft selbständig organisiert, sie hat im Grunde alles selber gemacht und hier war schon der Beginn der Betriebsbesetzung drin zu erkennen, daß man teilweise noch auf den Arbeitsplätzen blieb und dafür sorgte, daß der Notdienst verrichtet wurde. Später, als die ersten Schichten weggegangen waren, fanden sich einige Kollegen bereit, die den Notdienst weiter organisierten, die nisteten sich im Betriebsratsbüro ein, worum der Betriebsrat erst gar nicht gefragt wurde. Der Betriebsrat war abgemeldet, der galt genausoviel wie jeder andere Kollege auch.

Das Ende des Streiks

Auf das Angebot der Unternehmenyraite 20 Pfennig, ging die Belegschaft erst gar nicht ein. Man wollte mehr, man wollte auch alles ohne IG-Metall. Man hat in den Autos nachgesehen, ob da ein Gewerkschaftsfunktionär drinsitzt: da sollte einer kommen, der Bezirksleiter der IG-Metall aus Hamburg, hatte man gehört. Den hätten sie glatt zerrissen, den hätten sie aus dem Auto rausgeholt. Man wollte eben, daß die sich nicht einschalteten. Die Gewerkschaft versuchte, für den Unternehmer zu handeln; der Unternehmer trat an sie heran und sagte: gut, wir müssen also den Tarifvertrag vorziehen, um sie wieder an die Arbeit zu bringen. Und zu dieser schäbigen Rolle gab sich die Gewerkschaft her; sie tat nicht das, was sie hätte tun müssen: die Kraft, die da war, auszunützen, um einen hohen Abschluß zu erreichen. Nein, sie machte einen Abschluß, um die Lßiite wieder an die Arbeit zu kriegen, einen Abschluß auf einer Basis, die gerade ausreichte, damit die Arbeit wieder aufgenommen wurde. Sie nützte die Kraft nicht, um noch mehr durchzudrücken, um alte Forderungen zu verwirklichen, nein: schnell abschließen, ruckzuck, gute Besprechung, unterzeichnen! Wie ich gehört habe, boten die Unternehmer in Bayern, wo die ersten Besprechungen waren, mehr an, als die Gewerkschaft überhaupt wollte. Die Gewerkschaft ging in diese Verhandlungen, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich wollte.

Frage: Wie hat die Belegschaft auf das Verhalten der'Gewerkschaft reagiert?

Betriebsrat: Man erwartete gar nichts anderes mehr von ihnen, sondern man sagte ihnen direkt: Haltet euch ja raus! Unsere Konstruktion der Tarifauseinandersetzung ist außerordentlich betriebsnah. Wir sind das einzige Hüttenwerk und haben sozusagen einen Haustarifvertrag. Wir haben die große Tarifkommision, die über die Tarife bestimmt und das ist der gesamte Vertrauensleutekörper, also jetzt 200 Mann, dann haben wir die kleine Tarifkommission: 30 Mann aus dem Vertrauensleutekörper und dann haben wir die Verhandlungskommission: das sind nochmal 6 Mann aus dem Vertrauensleutekörper, meistens Betriebsräte aber auch Vertrauensleute.

Vor dem Streik spielte sich folgendes ab. Die Gewerkschaft wollte den linken Betriebsrat schachmatt setzen, in Zusammenarbeit mit dem Unternehmer. Und ein paar Tage vor dem Streik griff die Gewerkschaft Forderungen nach einer überbetrieblichen Bezahlung auf; der Betriebsrat forderte das schon seit über zwei Monaten, 70 Pfennig, und die Gewerkschaft verteilte vor der Belegschaftsversammlung Flugblätter mit denselben Forderungen. Die bewußtesten Kollegen erkannten das und waren echt sauer. Ihre innerbetrieblichen Forderungen wurden von der Gewerkschaft aufgegriffen, um den Betriebsrat auszuschalten. Man hatte dann Brast auf die Funktionäre, man wußte: wir haben die Liste 2 gewählt, das ist unser Betriebsrat.

Die Vertrauensleute, die große Tarifkommission, tagten am 2. Tag des Streiks und die Gewerkschaftsfunktionäre versuchten, eine tarifliche Forderung zu formulieren. Der Druck durch die Streikenden war aber noch zu stark, man beschieß, erst die innerbetrieblichen Forderungen durchzusetzen.

Als sich im Verlauf des Streiks zeigte, daß keine neuen Angebote kamen, daß die Gewerkschaft schon überall abschloß oder auf dem Wege dazu war, da merkten wir: wir kommen nicht weiter, die schließen überall ab, die lassen uns hängen. In der Zange zwischen Unternehmern und IG-Metall bleibt uns keine andere Möglichkeit: wir müssen irgendwie zum Schluß kommen. Nur: man konnte mit der Belegschaft zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht darüber diskutieren, das haben die nicht begriffen, daß man auf dem Höhepunkt des Kampfes einen Kompromiß finden muß.

Frage: Wollte die Belegschaft weiterstreiken?

Betriebsrat: Ja, ja. Die wollten weitermachen. Da war soviel Dampf hinter, daß sie das einfach nicht verkrafteten. Die IG-Metall nutzte die Kraft ihres Apparates aus; sie sagte: die große Tarifkommission hat nichts zu bestimmen und rief dann die kleine Tarifkommission zusammen und die beschießen eine Forderung. Die Gewerkschaft hat die Mittel zu sagen, wenn dieses Gremium nicht zustimmt, na ja dann haben wir ja noch genug Gremien, eins wird schon zustimmen. Die Belegschaft war so selbstbe-wußt in ihrer Kraft, daß sie gar nicht merkte, daß das viel entscheidender war, was da passierte. Man schob das irgendwie an die Seite: das gilt ja nicht für uns, was die IG-Metall da macht. Am Donnerstag, dann, gegen Ende der Streikwoche, merkten die Kollegen an den Hochöfen: da ist was faul, die Hochöfen gehen kaputt, wenn wir jetzt nichts unternehmen. Und dann haben wir eine große Versammlung gehabt und da erkannte man schon anhand der Abstimmung, daß man bereit war, sich überzeugen zu lassen, daß die Hochöfen in Gang gesetzt werden mußten. Das bedeutete aber gleichzeitig, das Ende des Streiks einzuleiten. Daß diese Abstimmung baden ging, lag daran: man hatte von der Werksleitung her viele Angestellte mobilisiert, außerdem waren Teile da, die sich haben belabern lassen. Unter den ungefähr 1500 Leuten auf der Versammlung waren 400 — 600, die dagegen stimmten und das waren die bewußtesten, die den ganzen Streik über durchgehalten hatten, Tag und Nacht. Nach der Abstimmung standen ihnen die Tränen in den Augen, sie haben sich dann aber wieder gefangen und die letzten drei Tage bis zum Arbeitsbeginn noch durchgestanden. Aber die organisatorische Kraft war nicht mehr mehr da, um etwas zu mobilisieren und den Streik weiterzuführen, wie bei Ho-waldt. Es gelang auch nicht, den Kollegen klarzumachen, daß eine eigene Streikleitung gebildet werden müsse, Pressekonferenzen und ähnliches.

Frage: Wie war das dann bei der letzten Abstimmung? Die war doch sehr knapp?

Betriebsrat: Ja, die war ganz knapp. Da zeigte sich auch noch einmal die große Bereitschaft. Ein paar Stimmen',mehr, es drehte sich nur um 200 Stimrrten oder so" dann wären die Tarife abgelehnt worden, dann wäre weitergestreikt worden und was dann? Dann war das Baden gegangen, die Kraft hätte dann nicht ausgereicht. Dann hätte die Werksleitung etwas organisiert, dann hätte sie sich ein paar Mann rausgegriffen und die gefeuert — bei Howaldt haben sie es doch versucht.

Es hätten zwar sehr viele weitergestreikt, aber das reichte alles nicht aus, da waren zuviele dagegen. Das durfte nicht weitergehen, das ist meine Meinung.

Frage: Du sagtest vorhin, die meisten Arbeiter hätten den Streik als Niederlage empfunden?

Betriebsrat: Niederlage kann man eigentlich nicht sagen. Es ist schwer, das richtige Wort zu finden. Ihr dürft das nicht so vom Wort her nehmen. Zumindest eins war entscheidend: wir haben dann 16% bekommen. Wir haben damit innerhalb von ganz kurzer Zeit das wieder wettgemacht, was wir einstecken mußten, nämlich den Verlust von fünf bis sechs Schichten. Die Abstimmung ist natürlich ein Schlag gewesen, aber man kann nicht sagen, daß hinterher irgendwelche Anzeichen von Demoralisation im Werk zu bemerken gewesen wären. Das war nicht da. Sie sind im vollen Bewußsein abgetreten, sie haben 16 "% bekommen. Heute, wenn sich jemand hinstellt und sagt: hier, wir im September und wie im September und was wir erreicht haben und so weiter, das ist das, was die Belegschaft sagt! Ganz klar, das ist in dem Sinne keine Niederlage gewesen. Man hat zuerst dadurch einen Schlag gekriegt, daß es jetzt so zu Ende ging. Aber es ist ja die erste Erfahrung gewesen und wenn der erste Kampf seit so langen Jahren stattfindet, dann ist es wichtig, daß der gut über die Bühne geht. Der erste Kampf der deutschen Arbeiterschaft seit langem ist erfolgreich beendet worden.

Streiks nach dem September 69

Frage: Kannst du sagen, was sich bei den Arbeitern, im Betrieb nach dem September 69 geändert hat? Was gab es für Streiks?

Betriebsrat: Ja, man kann nicht sagen, daß es entscheidend war, aber man merkte, daß die Vorgesetzten einen Kopf kleiner waren. Der Werkschutz hat bisher wesentlich weniger kontrolliert. Zum ersten Mal nach dieser Tarifrunde geht das Direktorium dran und schneidet uns die Rechte ab, zum ersten Mal werden wieder Kontrollen auf Pünktlichkeit durchgeführt. Bis zur Tarifrunde unterließ man alles, was eine Provokation hätte sein können. Wir hätten jetzt neu streiken müssen, um das alles zu erhalten. Nach dem September haben wir in diesem Jahr 18 Pfg. auf den Ecklohn bekommen, das sind fast vier Prozent, die wir innerbetrieblich mehr bekommen haben, nur aufgrund der Forderungen des Betriebsrats. Man gab nach, um einen neuen September zu vermeiden. Die haben aber trotzdem gestreikt, zum Beispiel gegen den einen Meister, der seine Kollegen in die Pfanne gehauen hatte: Da war ein Verbesserungsvorschlag, der hat mehrere Tausend Mark eingebracht. Vorher war in der Abteilung besprochen worden, das wird umgelegt. Aber als das Geld da war, da hat er das mit noch zwei anderen selber in die Tasche stecken, wollen. Ais der Meister dann zur Schicht kam, abends, ist schon vorher gesagt worden: wann er kommt, dann wißt ihr Bescheid, dann haben sie auch gestreikt und habe.i nicht eher aufgehört zu streiken, bis der Mann aus dem Betrieb raus war.

Über drei Tage zogen sich Streiks im August hin. Es begann so: im Eisenbahnbetrieb stellte man Lohnforderungen. Im Werk herrscht seit eh und je eine starke Unterbesetzung, die Kollegen machen die Arbeit für andere mit. Und da haben sich die Eisenbahner gesagt — gerade in dem Sommer, wo es besonders heiß war, — da wollen wir eben mehr Lohn. Eine Lohngruppe ist eine Illusion, da macht noch nicht einmal der Betriebsrat mit. Deshalb haben die eine spezielle Forderung von 25 Pfg. aufgestellt, als Sonderzulage. Sie haben dann angefangen nach Vorschrift zu arbeiten, so'ne Art Bummelaktion. Sonst sind die mit ihren Loks mit 40 Stundenkilometern über die Bahnübergänge gefahren, jetzt sind sie genau nach Vorschrift gefahren mit 20 km/st. Jetzt läuft der Rangierer vor, schön langsam, weil er aufpassen muß, daß er nicht hinfällt, weil alles Mögliche rumliegt auf den Gleisen, guckt rum, rechts frei, links frei, winkt die Lok vorbei, geht dann schön hin, steigt wieder rauf. Wenn sie dann rangieren sollten, das war lustig: Wo sie sonst keine fünf Minuten für brauchen, da brauchten sie jetzt eine halbe Stunde. Da sind sie schön langsam vorangegangen, haben gepfiffen, und dann nochmal, weil der Lokführer nicht richtig zugehört hatte. Rangiert, dann hat der die Weiche aus Versehen falsch umgelegt, haben sie also falsch rangiert.. Die sind dann von anderen Kollegen aufmerksam gemacht worden, ist ja falsch, also sind sie wieder zurück, usw. Das haben sie aber nicht so ganz durchgehalten, die Überstunden waren nicht gesperrt und das reizt ja dann doch. Deshalb haben sie ausgesetzt und etwas länger vorbereitet, mit Flugzeug. Da klappte es dann besser aber au'cn noch nicht so, schließlich gab es dann doch eine Sonderprämie.

Da kam aber folgendes: Die Kranführer im KW haben gestreikt, es ging auch um spezielle Forderungen. Die haben nämlich ein halbes Jahr lang auf legalem Wege versucht ihren Lohn zu verbessern. Sie sahen dann nur noch den Ausweg: Streiken. Obwohl wir so argumentiert haben: Das hat kein Zweck eine Lohngruppe mehr zu fordern, da kann durch den Tarifvertrag noch nicht mal der Betriebsrat mitziehen; das haben sie nicht begriffen, das war so spontan geboren. Die hatten sich nicht abgesprochen, so daß einige noch arbeiteten. Die hatten sich nicht abgesprochen.

Die nächste Schicht hat das dann schon besser gemacht. Die stellten eigene Forderungen auf, aber da waren Kollegen drunter, die wußten nicht so recht um was es ging. Die kamen dann runter und frugen, was ist eigentlich los? Die haben sich dann so verquatscht vor den Vorgesetzten Es war deswegen eine klägliche Geschichte, da ist nicht viel rausgekommen. Außer dem einen, die Vertrauensleute und die paar Kontaktpersonen sind jetzt bewußter geworden. Die haben sich jetzt schon gesagt, das muß das nächste Mal besser ablaufen. Mit denen kann man heute viel besser zusammenarbeiten. Nun haben die Flämmer eigene Forderungen aufgestellt, es waren aber nicht mehr als große Versammlungen. Als diese Streiks liefen, schlossen sich die Eisenbahner an. Da zeigte sich dann auch wieder, was so hinter einer spontanen Bereitschaft dahintersteckt. Die fuhren ihre Loks zusammen. Das war herrlich anzusehen, diese Kette von den zehn Loks, nachts, überall die Lichter. Die Chefs kamen dann hinterhergerannt und wollten sie aufhalten. Aber die Kollegenhaben sie hinterherrennen lassen durch das Klöck-nergelände, sind mit ihren Loks vorneweg gefahren und haben sich versammelt. Als dann die Chefs kamen und fragten, was macht ihr denn nun, die Kollegen haben dann gar nicht mehr geantwortet, sie waren dann so selbstbewußt, daß sie nur gesagt haben: Was wir wollen, ist 20 Pfg. Sie standen auf einem Haufen und haben diskutiert. Dann kam die nächste Schicht, die sahen sofort was los war. Obwohl die Betriebsräte ihre gesetzliche Pflicht erfüllten und versucht haben sie wieder zur Arbeit zubringen, haben die sich nicht beirren lassen. Als diese zweite Schicht kam, da hatte das Direktorium die Hoffnung, jetzt werden sie weiterarbeiten: Da kam aber bald dir Meldung, die wollen auch nicht arbeiten. Sie haben gesagt, die anderen haben zwei Stunden gestreikt, das müssen wir auch. Und die Spätschicht hat nochmal das gleiche gemacht. Die haben alle mit vollem Bewußtsein den Streik abgebrochen. Das scherte die auch nicht, daß ihnen die zwei Stunden abgezogen wurden. Aber die sind nur für ihre Teilforderungen eingetreten, aber nie ist diese Teilforderung zu einer allgemeinen geworden. Das ist eine Schwäche, die wir ausbügeln müssen.

Zu einem größeren Streik ist es 1970 nicht gekommen, weil sie sich gesagt haben, diesmal soll es die Gewerkschaft zahlen. Diese ließ es natürlich nicht so weit kommen.

Da war dann noch ein Streik, wo sie konsequent für ihre Teilforderungen eintraten: Kollegen im KW droht die 48-Stunden Woche. Die haben dann nur alle vier Wochen ein freies Wochenende und sonst nur in der Woche Tage frei. Durch den beschissenen Schichtplan verlieren die Kollegen außerdem Prozente, da sie keine Überstunden mehr bezahlt bekommen — in sechs Wochen kommen nämlich dann durchschnittlich 40 Stunden heraus. Dann war das so am Brodeln und sie haben sich abgesprochen: Morgen Mittag um 12. Und am nächsten Tag um 12 Uhr haben sie dicht gemacht. Das war dann auch gleich so brisant, daß andere Abteilungen gleich mitgezogen haben. Betriebsrat gleich hin, Direktorium gleich hin. Da war der Betriebsleiter gleich da, der hat erzählt, das ginge nicht, er sei Kaufmann und müsse das so und so sehen. Daraufhin haben die ihm gesagt, sie seien auch Kaufleute und müßten sehen, daß sie genug Geld kriegen : wir haben nur unsere Arbeitskraft da. Da ist er völlig auseinanderdividiert worden mit seiner Argumentation, da waren sie auch noch stolz drauf, daß sie es ihm so gezeigt hatten.

Aber insgesamt war die Bereitschaft bei den Auguststreiks nicht da, anknüpfend an die Forderungen der Abteilungen etwas größeres durchzuziehen. Der Betriebsrat hatte das zwar erwartet und hatte dann die Forderung zu einer allgemeinen gemacht. Die Firma hatte schon vorgesorgt, hatte sich auf einen Streik vorbereitet, hatte schon Schreibmaschinen und Akten in PKWs nach Hause schaffen lassen und erwartete nun einen Streik. Aber der blieb aus. Der Betriebsrat hatte es überschätzt. Die Bereitschaft war einfach nicht da.

Die Lehren aus diesen Bewegungen müssen organisatorische sein. Einige Kollegen diskutieren diese Probleme, aber erst die Widersprüche im Betrieb werden die Voraussetzungen für neue Kämpfe schaffen. Wir können auf einer besseren Basis beginnen als bisher, mit mehr Kontaktleuten und selbständiger handelnden Arbeitern. Wenn wir mehr Erfahrungen haben, könnt ihr ja wieder ein Interview machen.

 

 

Editorische Anmerkungen

Artikel und Interview erschienen in
POLITIKON 34
Studentenzeitschrift Göttingen

November/Dezember 1970
Göttingen 1971 - Seite: 3 - 13

OCR-San by red. trend 

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