AntiFa-AG der Uni Hannover
Diskussion um die Proteste an den Universitäten


Beitrag von
Le Duc Tho

01/04
      
trend onlinezeitung

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Die neuen Studenten oder Ende eines Zyklus

Eine thesenhafte Zusammenfassung der politischen Gründe für den studentischen Rechtsdrift und die notwendigen Konsequenzen der (revolutionären) Linken daraus

Ein erstes Resumee der aktuellen Bewegung

Im November und Dezember haben wir in Deutschland die umfangreichste Studentenbewegung seit dem sogenannten „Lucky Streik“ Ende 1997 und einen der größten Studentenproteste hierzulande seit 1968 erlebt. Es steht außer Frage, dass es sich um eine spontane, phantasievolle und – auf diesen Teil der Gesellschaft bezogen – um eine Massenbewegung handelte. Ob sie (wie 1997) mit der Vorlesungsunterbrechung um Weihnachten und Neujahr bereits ihr Ende gefunden hat oder ob eine Fortsetzung folgt, ist noch offen. Eine Fortsetzung auf demselben quantitativen Niveau ist freilich sehr unwahrscheinlich. Um so mehr ist es an der Zeit ein erstes Resummee zu ziehen, die stattgefundene Protestbewegung historisch einzuordnen und die politischen Konsequenzen für die Linke (insbesondere die revolutionäre sozialistische Linke) herauszuarbeiten, denn bei näherem Hinsehen zeigt sich weit weniger Licht als Schatten.

Die wesentlichen Kritikpunkte sind drei:

1)

Der Protest ist im wesentlichen ein korporativer / ständischer zur Erhaltung der eigenen Privilegien als künftige akademische „Besserverdiener“ und „Leistungsträger“. Er richtet sich ausschließlich gegen die Kürzungen der Universitätsetats und die Einführung von Studiengebühren, d.h. gegen eine befürchtete Verschlechterung und Verteuerung der eigenen akademischen Ausbildung oder – im schlimmsten Fall – die Gefahr diesen Karriereweg aus Geldmangel vorzeitig abbrechen zu müssen. Die Kürzungen, die miserable Ausstattung und der verschärfte Leistungsdruck an den Schulen wird von der Masse der protestierenden Studis ebenso wenig thematisiert wie die Agenda 2010 (d.h. das Kürzungs- und Prekarisierungsprogramm in der Arbeitswelt und im Sozialbereich) oder die Angriffe auf die Tarifautonomie der Gewerkschaften. Daran ändern auch vereinzelte jungsozialdemokratische Lippenbekenntnisse nichts. (Der Koordinator der Landes-Asten-Konferenz Niedersachsen – ein im korporativen Rahmen durchaus kämpferischer Protagonist des Protestes – beispielsweise lehnte, namens der niedersächsischen Studenten, eine Einbeziehung der Agenda 2010 in den Protest Anfang Dezember 2003 definitiv ab.)

Selbst eine Solidarisierung mit den seit 2003 in Niedersachsen von Studiengebühren (500 Euro pro Semester) betroffenen „Langzeitstudenten“ (immerhin 7 000 der ca. 25 000 in Hannover Studierenden) wurde an der Uni Hannover von den aktiven Fachschaftsräten auf mehreren Fachschaftsräte-Vollversammlungen (FSR-VV’en) mehrheitlich abgelehnt. Die dabei gefallenen asozialen Äußerungen gipfelten in dem Spruch, Studentinnen, die während der Ausbildung schwanger würden und das Kind bekämen, seien selber schuld. Im Geschäftszimmer des Juso/PDS-dominierten AStA’s der Uni Hannover gehörten abfällige Bemerkungen und Witze über die sog. „Bummelstudenten“ bis vor kurzem zum guten Ton. Und während die Übernahme der Kosten für eine Rechtsberatung in vier Härtefällen (zu je 40 Euro) in der FSR-VV hart umkämpft war, ging kurz darauf der Antrag des FSR Gartenbau ihm, anlässlich einer bundesweiten Fachschaftentagung, z.B. 1 000 (eintausend !) Euro für die Erstellung einer Website durch eine Werbeagentur (!) zu bewilligen ohne große Probleme durch. Nur bei den Kosten für die „abendliche Lounge“ war man etwas „knauseriger“.

Das „uns“ in dem zentralen Slogan dieser Proteste („Ihr nehmt uns unsere Zukunft !“) meint also faktisch niemanden anderes als den Kernbereich der heute Studierenden.

2)

Tino Bargel (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Hochschulforschung, die seit 1983 alle zwei Jahre den „Studierendensurvey“ erstellt) hat Recht, wenn er in einem Interview für „die tageszeitung“ vom 5.12.2003 feststellt: „Der Protest folgt diesmal den Demos anderer sozialer Gruppen nach. Die Studenten sind nicht die Avantgarde des sozialen Aufbegehrens, sondern ihre Nachhut.“ Tatsächlich beschränkte sich beispielsweise in Niedersachsen der Protest noch Ende Oktober 2003 bei einer, von den niedersächsischen ASten organisierten, „landesweiten“ Protestkundgebung auf dem Opernplatz in Hannover auf ganze 70 (siebzig !) Teilnehmer. Erst nach dem überraschenden Erfolg der zunächst von der politischen und Gewerkschaftslinken sowie von Arbeitslosengruppen angeschobenen und dann (ab Mitte Oktober) auch von ver.di, IG Metall, IG BAU, Attac Deutschland, PDS etc. getragenen Großdemo gegen die Agenda 2010 am 1.11.2003 in Berlin stellte sich auch an den Unis eine Protestbereitschaft ein.

3)

Trotz aller Phantasie und einer seit Mitte November sehr beachtlichen zahlenmäßigen Beteiligung an den Studi-Protesten ist es dieser Bewegung bisher nicht gelungen vom bloßen Protest zu ernsthaftem Widerstand überzugehen. Das hängt sowohl mit der Unfähigkeit bzw. dem Unwillen zu zwingenderen Aktionsformen wie mit der selbstgewählten Isolation von den anderen von Beutelschneiderei, Verschlechterungen, Massenentlassungen und Sozialabbau betroffenen Bevölkerungsteilen wie mit der mangelnden Bereitschaft zum Aufbau selbstorganisierter Strukturen zusammen. Der tiefere Grund dafür liegt im hartnäckigen (und erfolgreichen) Versuch die gesellschaftlichen Ursachen und Bedingungen der herrschenden Zustände nicht in Frage zu stellen, ja nicht einmal darüber nachzudenken. Der protestierende Studi von Ende 2003 ist kein aufrührerischer politischer Rebell, wie 68, sondern: „Der Student als Kunde, der eine ordentliche Dienstleistung einklagt. (…) Alternative grüne Ideen, auch sozialistische Zielsetzungen haben dagegen rasant an Bedeutung verloren – selbst bei den Studenten der Sozial- und Geisteswissenschaften.“ (Tino Bargel, taz 5.12.2003)

Dennoch gibt es natürlich noch einzelne übrig gebliebene Linke an den Unis und – wie immer bei grundlegenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und größeren Protesten – kleine Gruppen von Aktivisten, die sich in diesem Protest politisieren und radikalisieren. Ihnen ist es zu verdanken, dass es über den folkloristischen Protest hinaus auch zu Aktionen wie dem eintägigen Dichtmachen von Göttinger Universitätsgebäuden (mittels Ketten, Vorhängeschlössern u.a.) oder zur Besetzung der Bertelsmannstiftung (als Denkfabrik für Studiengebühren und Eliteunis) in Berlin kam. Insbesondere für diese Kommiliton(inn)en und Genoss(inn)en ist dieses Thesenpapier gedacht. Als ein Versuch den Dingen auf den Grund zu gehen und das Übel an der Wurzel zu packen:

I. Neo-Biedermeier

Wir leben seit 1989 in einer Restaurationsphase – der Restauration des Kapitalismus im Weltmaßstab. Es handelt sich hierbei auf politischem, sozio-kulturellem und ideologischem Gebiet um eine Neuauflage der Biedermeierzeit, die von 1815 bis 1848 auf das Scheitern der ersten Welle der bürgerlichen Revolution und die enttäuschten Hoffnungen in die deutschen Befreiungskriege folgte. Nun allerdings unter den Bedingungen des entwickelten Kapitalismus und als Reaktion auf das Scheitern der ersten Welle der sozialistischen Revolution sowie als Reaktion auf das Ankommen der Revolten von 1968 ff. auf den bequemen Polstern der Leitungsposten, die das Regieren leichter machen. (In Deutschland hatten der Hauptstrom der 68er bzw. ihre politischen Erben bereits 1989 das Stadium der Regierungsfähigkeit erreicht, auch wenn ihnen der Fall der Mauer noch 8 Jahre zusätzliche Wartezeit auferlegte bis sie diese praktisch nachweisen und Jugoslawien in Schutt und Asche legen konnten.)

Der politischen Degeneration des bürgerlich-revolutionären Frankreich in seiner Endphase (wo sich Napoleon Bonaparte selbst zum Kaiser krönte) entsprach die politische Degeneration des real-existierenden Sozialismus. Nur dass der Sieg der Restauration dieses Mal (bedingt vor allem durch das atomare Patt) durch die Niederlage in einem kalten und nicht durch die Niederlage in einem heißen Krieg erfolgte. Wobei die Tatsache, dass die RGW-Staaten den Sprung von der extensiven zur intensiven Produktionsweise nicht schafften, vermittelt über den zunehmenden Bodenverlust im Wettrüsten, letztlich das Aus bedeutete.

Dennoch zeichnet sich die heutige Neo-Biedermeierzeit (unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Standes der Produktivkräfte) im Kern durch die gleichen Merkmale aus wie ihre Vorgängerin:

„Im ganzen ist sie durch eine gewisse Philosophiemüdigkeit charakterisiert und durch eine weltschmerzlerische Gesamtstimmung, die sich in der für die Zeit sprichwörtlichen „Tränenseligkeit“ äußert, sich aber auch bis zu religiösem Schwärmertum und Lebensüberdruß steigern kann (…) Eine Erklärung bietet die geschichtliche Krise nach der Jahrhundertwende, die allgemeine nationale Enttäuschung, Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit nach den Befreiungskriegen, die politische Unfreiheit und eine wirtschaftliche Krisensituation. Beunruhigend wirkte ferner eine Unsicherheit in Wert- und Sinnfragen, eine (bei allem Glauben an das Bestehen einer universalen Ordnung) existenzielle Skepsis, die jeden Aufschwung lähmte. Die weitere Folge war ein resignierender Rückzug in die beschränkteren Bereiche der unpolitischen, staatsindifferenten, konservativen Konventikelbildung. Die Häuslichkeit, die Geselligkeit in Familie und Freundeskreis wird zur seelisch-geistigen Grundlage der Biedermeierkultur. (…) Das Biedermeier kehrte z.B. auch zu dem sachlich-nüchternen Empirismus der Aufklärung des 18.Jahrhunderts zurück, zur ‚Beobachtung des Nächstliegenden’ (…) ausgehend nicht mehr von einer einheitlichen Idee (Goethe), sondern von der Erfassung des Vielfältigen. Eine Art Materialbesessenheit zeigt sich auch bei anderen Wissenszweigen (…) Die Biedermeierdichtung gestaltet das sittliche Ziel der Zeit, die genügsame Selbstbescheidung, die Zähmung der Leidenschaften, die stille Unterordnung unter das Schicksal, die Haltung der Mitte und des Maßes, das kleine Glück, die Liebe zu den Dingen, zur Geschichte und Natur. Sie setzt dem erlebten Zwiespalt von Ideal und Wirklichkeit durch Auswahl des Positiven eine heile poetische Welt entgegen…“

(„Meyers Enzyklopädisches Lexikon“, Mannheim / Wien / Zürich 1972)

Wie jede geschichtliche Periode weist natürlich auch diese durchaus unterschiedliche Phasen auf (in Westeuropa bspw. Konjunkturen für radikalen oder gemäßigten rechtspopulistischen Protest, Hoffnungen in die Sozialdemokratie, völlige Frustration und Erstarrung etc.) und wirkt sich in den unterschiedlichen Klassen, Schichten und sozialen Gruppen unterschiedlich stark aus. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass wir im Grundsatz mit einer neuen Biedermeierära konfrontiert sind und diese die Bedingungen für unser Handelns setzt.

II. Ende des 68er Zyklus

Trotz der studentischen Proteste, die im Windschatten der großen Anti-Agenda 2010-Demo am 1.11.2003 in Berlin zustande kamen, ist die Entpolitisierung, Rechtsentwicklung und Verspießerung unter den Studenten stärker als in anderen Bevölkerungsgruppen (z.B. der Arbeiterklasse bzw. den Arbeitslosen) – eine Entwicklung, die sich in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen wird. Dies hat mit dem Ende des 68er-Zyklus zu tun, d.h. dem – im bürgerlichen Sinne – erfolgreichen Abschluss des 1968/70 begonnenen "Marsches durch die Institutionen" mit dem rot-grünen Wahlsieg auf Bundesebene 1998. Dies beseitigt die Anomalie einer linken Hegemonie an den Unis, die dadurch bewirkt wurde, dass aufgrund eines veränderten Kapitalinteresses die Einbeziehung neuer sozialer Gruppen und Schichten (Frauen und Arbeiterkinder bspw.) in die Hochschulen auf der Tagesordnung stand – eine Notwendigkeit der damaligen wissenschaftlich-technologischen Revolution. Heute stehen die Zeichen hingegen auf Ausgrenzung, Abkapselung und Eliteunis. Wir erleben aktuell eine Renaissance von “Klassen- und Elitebildung”.

Politisch-historisch hatte die neue Mittelschicht Ende der 60er Jahre das Nachholen der bürgerlich-demokratischen Revolution, d.h. den ideologischen und personalpolitischen Bruch mit dem Faschismus, die Aneignung der von den Alliierten geschenkten bürgerlichen Demokratie und zugleich die Abnabelung von diesen (d.h. die Rückeroberung der nationalen Souveränität Deutschlands als Zwischenschritt auf dem Weg zu einem geeinten kapitalistischen Westeuropa unter deutsch-französischer Hegemonie) zu bewerkstelligen. Sie tat dies weitgehend erfolgreich (Vertreibung des "Muffes von 1000 Jahren unter den Talaren", mehr "Basisdemokratie", "Bürgerbeteiligung" und "Bürgerbeauftragte", nachhaltiges Eintreten für den Euro als „Sicherung gegen einen deutschen Sonderweg“ …), auch wenn sie angesichts der Schwäche der bürgerlichen Ideologie zunächst auf die (entsprechend „umgestaltete“) marxistische Theorie und ein revolutionär-sozialistisches Vokabular zurückgreifen musste. Zuhilfe kam ihr dabei der Wirtschaftsboom, in dem es sich – anders als in schweren ökonomischen Krisenzeiten, wo Abstiegsängste dominieren – leicht "links" bzw. "fortschrittlich" sein lässt. Begünstigt wurde die 68er Bewegung in Deutschland und ihre linksradikale Form darüber hinaus durch das Zusammenfallen mit der Hochphase des weltweiten antikolonialen Befreiungskampfes, der chinesischen Kulturrevolution und analoge, aber stärker durch die kommunistische und Arbeiterbewegungstradition beeinflusste Studentenbewegungen in Frankreich und Italien. Dieser gesamte Zyklus ist definitiv abgeschlossen.

III. Mauerfall und „Globalisierung“

Historisch ebenso einschneidend wie das Ende des 68er Zyklus war für das studentische Denken der Zusammenbruch des Großteils des sozialistischen Lagers 1989/90. Er bedeutete eine nie dagewesene historische Niederlage und politische Schwächung der sozialistischen / kommunistischen und Arbeiterbewegung und zog auch die Befreiungsbewegungen in der 3.Welt schwer in Mitleidenschaft. (Krassestes Beispiel war die kurz vor der Revolution stehende FMLN in El Salvador. Eine partielle, aber nicht grundlegende Ausnahme bildet heute noch Asien, aufgrund der Existenz der VR China, Vietnams und Nordkoreas, auch wenn zumindest China längst nicht mehr als sozialistisch, wohl aber als bürgerlich-eigenständiges und bedeutendes machtpolitisches Gegengewicht zu den USA, Japan & Co. betrachtet werden muss.)

Auf der sozio-ökonomischen und technologischen Ebene hat – ermöglicht durch die Ereignisse von 1989 ff. – die sogenannte “Globalisierung” ihren Teil dazu beigetragen die politischen und ideologischen Verhältnisse nachhaltig zu verändern. Wobei unter “Globalisierung” nicht die Geburt einer kapitalistischen Weltwirtschaft, Welthandel etc. zu verstehen ist (die es bereits vor 150 Jahren gab), sondern eine bedeutende Ausweitung und Intensivierung dieses Phänomens bedingt durch das Zusammenwirken technischer Neuerungen (weltweite Informationsübertragung und Kapitaltransfers in Echtzeit, ein weiterer Rationalisierungschub, d.h. eine weitere spürbare Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals inklusive der dementsprechenden Verschärfung des tendenziellen Falls der Profitrate und der dadurch verschärften Forderung des Kapitals nach unbezahlter Mehrarbeit) mit einer enormen politischen und sozialen Schwächung der Arbeiterbewegung (auch infolge der gewachsenen internationalen Möglichkeiten zum Lohn- und Sozialdumping) sowie einem durch den Fall des “eisernen Vorhangs”, Zusammenbruch des Warschauer Paktes, Schwächung der Befreiungsbewegung etc. enorm gesteigerten Offensivgeist der Bourgeoisie.

IV. Zweierlei Erben

Folge dessen ist zum einen die Stärkung bürgerlich-demokratischer / liberaler Kräfte, die die nationale Frage zentral setzen und bisher sozialistisch/kommunistisch auftraten bzw. dies noch heute versuchen (ex-KB, Teile der Antifa-, Autonomen- und Antiimp.-Szene). Sie finden heute in Israel ihr neues "Vaterland aller... " und stellen eine pseudo-linke Variante der rechtsliberalen, massen- und kollektivfeindlichen ICH-AG-Ideologie dar. Ihr Denken findet vordringlich in nationalen und völkischen Kategorien statt. Ihr erklärtes Ziel ist die Bekämpfung der verbliebenen Linken, die Hetze gegen jeden Ansatz konkreten und massenhaften sozialen Widerstandes und die ideologische Abwicklung des Antikapitalismus und Antiimperialismus.

Das andere Resultat sind die „Anti“ bzw. „Alterglobalisierer“, die in kleinbürgerlich-illusionärer und theorieloser Weise (wenn man von ihrem Enzyklopädismus absieht) die soziale Frage thematisieren und nach einem neuen “ehrlichen” Reformismus suchen. Beides ist ein enormer Abstieg gegenüber den End 60er, 70er und sogar noch den 80er Jahren. Beides bewegt sich de facto im Rahmen der bürgerlichen Ideologie und des bürgerlich-kapitalistischen Systems. Beide Erbengemeinschaften sind – trotz aller vollmundigen Sprüche – nicht willens bzw. nicht in der Lage den Kapitalismus tatsächlich in Frage zu stellen.

Daher müssen beide entschieden von links kritisiert und bekämpft werden. Doch auch hier kann es keine Äquidistanz geben. Mit den Anti- (oder neuerdings: Alternativ-) Globalisierern gibt es konkrete Berührungspunkte in sozialen Kämpfen, so halbgar sie dort auch agieren. Deshalb existiert mit ihnen die Voraussetzung für punktuelle Aktionsbündnisse, die über den Kampf für das konkrete Ziel hinaus von der antagonistischen / revolutionären Linken auch dazu genutzt werden müssen, durch konkrete praktische Vorschläge und Initiativen im Rahmen einer Einheitsfronttaktik die Unzulänglichkeit von Attac & Co. vor Augen zu führen und die Richtigkeit des eigenen Ansatzes für alle erfahrbar nachzuweisen, um so neue Aktivisten und größere Zustimmung zu gewinnen. Die anti-deutschen und pro-zionistischen Kräfte dagegen müssen als aggressive Vertreter der anderen Seite, wie alle Reaktionäre, konsequent ausgegrenzt und rücksichtslos bekämpft werden.

Bei den „Äquidistanz“-Vertretern wäre jeweils zu prüfen, in welchem Maße es sich um eine kaschierte anti-deutsche bzw. anti-nationale Position handelt oder ob die Bereitschaft zu einer konkreten Beteiligung an den sozialen Kämpfen und zu einer „Vermassung“ überwiegt, d.h. Entwicklungsmöglichkeiten hin zu konsequent antikapitalistischen und antiimperialistischen Positionen existieren. Ja nach dem muss man sie den Antideutschen oder den Anti-/Alternativglobalisierern zurechnen.

V. Privilegien zu verteidigen

Fern von als unnütz, störend und ewig-gestrig angesehenen sozialistischen bzw. politischen Positionen überhaupt, frönen die heutigen Studis dem individuellen Konkurrenzkampf (Stichwort: akademische ICH-AG's, Bücherklau, Seitenschwärzen und Seitenrausreißen in den Bibliotheken etc.). Die materielle Grundlage dafür ist die privilegierte Position, die sie bei der Jobsuche genießen, auch wenn es für den Traumberuf oftmals nicht mehr reicht.

VI. Back to the Roots

Sozialistische / kommunistische Studenten werden daher langfristig, wie bereits im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in den 50er Jahren eine krasse Minderheit sein, die sich zunehmend auf außeruniversitäre Protagonisten beziehen müssen, wenn sie politisch wirksam sein wollen (inbesondere natürlich auf die am ehesten kampfbereiten Teile der Arbeiterklasse, aber auch auf die rebellierenden Massen im Trikont). An den Unis gibt es nur die Grundlage für punktuellen, korporativen Standesprotest und auch den nur dann, wenn die individuelle Schiene gar nicht mehr geht. Dafür sollten Linke den politisch lethargischen studentischen Jungbürgern nicht das organisierende Personal stellen und sich dabei verbrauchen. Eine Neuauflage breitgefächerter, linker, basisdemokratischer Strukturen (Wahllisten etc.) ist unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten. Daher ist eine Bildung sozialistischer Studizirkel mit gesellschaftlicher Außenanbindung notwendig. Denn im Mittelpunkt des beginnenden neuen historischen Zyklus wird – wie schon vor 68 die Arbeitswelt und die Verteilungsfrage stehen, anders gesagt der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital. Die Linke und die soziale Bewegung wird in der kommenden Phase weit weniger von der Mittelschicht dominiert, sondern sehr viel stärker proletarisch und subproletarisch geprägt sein, was ohne Frage einige Umstellungsprobleme bei der verbliebenen Restlinken mit sich bringt.

VII. Eine Linke ohne Uni ?

Der weitgehende Wegfall der Unis als Stütze der Linken (via Geld, Infrastruktur, Wissensvermittlung und Aktivistengewinnung) ist kein Beinbruch, denn wie bereits bis Mitte der 60er Jahre ist politische Schulung ebenso über die diversen Organisationen (inclusive linker Gewerkschaftskreise), Bildung selbstorganisierter Kollektive etc. möglich und die hier erworbene politische Bildung wird aufgrund ihrer sozialen Einbettung außerhalb des Campus-Spielplatzes eine wesentlich höhere Brisanz haben, stärkere Befruchtung finden und realistischer sein (müssen).

VIII. Die Intervention hier und jetzt

Natürlich kann es bei aller notwendigen Nüchternheit und Illusionslosigkeit gegenüber dem Charakter der gegenwärtigen Studentenbewegung nicht darum gehen aus der Theaterloge heraus den linksradikalen Stänkerer zu geben und sich an der Richtigkeit der eigenen Analyse zu erfreuen. Das wäre politische Selbstbefriedigung anstelle revolutionärer Politik. Die taktische Leitlinie revolutionärer Linker in diesem Kampf muss lauten: Konsequente und umfassende Ablehnung der “Reformen” egal von welcher Partei sie lanciert werden; kein “kreatives Mitgestalten” oder “verantwortungsbewusstes Sparen” sondern unversöhnliche Ablehnung; Überschreiten des studentisch-ständischen Tellerrandes, d.h. Ablehnung nicht nur aller Gegenreformen im Bildungsbereich, sondern auch der Agenda 2010, der Hartz- und Herzog-Pläne; Erläuterung des politischen Zusammenhangs und der sozio-ökonomischen Ursachen (Kapitalinteressen); Insistieren auf einem engen Widerstandsbündnis mit Arbeitern, Arbeitslosen, Schülern, Rentnern usw.; Hinweis auf die internationale Dimension (GATS, ähnliche Reformen in den übrigen EU-Staaten...) und Versuch der Kontaktaufnahme über die Staatsgrenzen hinweg; und last but not least Förderung von Aktionsformen, die einschneideren Charakter haben, wie Uni-Streiks, Besetzungen, Blockaden, Go-ins bei repräsentativen Veranstaltungen der anderen Seite und was ihr sonst noch weh tut.

So richtig diese taktischen Orientierungen sind und so hilfreich ihre Umsetzung für den studentischen Widerstand wäre, werden sie – unter den gegebenen Bedingungen – in ihrer Gesamtheit bestenfalls von einer kleinen Minderheit übernommen werden. Es gilt dafür zu sorgen, dass sich diese Aktivisten organisieren und ihre Fähigkeiten und Erfahrungen dort nutzbar machen, wo der soziale und politische Widerstand nicht korporativ und damit in der Lage ist die versteinerten Verhältnisse tatsächlich zum Tanzen zu bringen: in der Arbeitswelt (bei Kernbelegschaften und prekär Beschäftigten) genauso wie unter den Arbeitslosen, bei Schülerprotesten genauso wie bei Immigrantenaktionen, die eine soziale Perspektive haben…

Le Duc Tho (Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover), 28.12.2003