90 Jahre KPD - 40 Jahre KPD/ML
"Kritik konnte die Gründung der KPD/ML nicht mehr aufhalten"
Leseauszug aus: Geschichte der MLPD

ZK der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (Hrsg)

01/09

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Im Juni 1967 kam die erste Ausgabe der Zeitung »Roter Morgen heraus, im Juli/August 1967 folgte die zweite. Die Zeitungen erschienen zunächst anonym, herausgegeben von einer »KPD/Marxisten-Leninisten«, und verfolgten den Zweck, innerhalb der KPD zu arbei­ten, um sie in ihrer »alten Form« wiederherzustellen. Tatsächlicher Herausgeber des »Roten Morgen« war Ernst Aust, der von Anfang 1953 bis Dezember 1966 für die KPD-Zeitung des Küstengebiets mit dem Titel »Blinkfüer« verantwortlich gewesen war. Die Januar-Ausgabe 1968 des »Roten Morgen« stellte die Aufgabe heraus: »Marxisten-Leninisten Westdeutschlands, vereinigt euch!« 

Es ist Ernst Aust später der Vorwurf gemacht worden, er habe im »Blinkfüer« den Revisionismus der KPD verbreitet. Zu seiner Recht­fertigung zitierte er in dem Buch »Die Hindernisse für eine prinzipien­feste Einheit der Marxisten-Leninisten müssen ausgeräumt werden« (S. 34/35) einige Auszüge aus Artikeln des »Blinkfüer« der Jahre 1956—1960, gegen die nichts einzuwenden war, die aber kein Gesamt­urteil über die Zeitung erlaubten. 

Der moderne Revisionismus, den Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 proklamiert hatte, wurde von der KPD erst nach und nach übernommen, und diese Entwicklung fand auch im »Blinkfüer« ihren Niederschlag. Hier begann die Kritik an Ernst Aust, gegen die er sich im theoretischen Organ der KPD/ML, »Der Weg der Partei« 2/1974, in einem Artikel »Der Auf­bau der bolschewistischen Partei im Kampf gegen den modernen Revisionismus«, wehrte:  

»Genossen aus anderen Organisationen haben Ernst vorgeworfen, daß er im >Blinkfüer< früher auch revisionistische Artikel geschrieben und zu lange mit der Trennung gewartet habe. Ernst sagte dazu: „Das stimmt. Aber nicht ich bestimmte den Kurs der Partei, sondern das Zentralkomitee, der Parteivor­stand, dem ich nicht angehörte. Solange ich Mitglied der KPD war, waren für mich ihre Beschlüsse bindend. Auch wenn ich persönlich anderer Meinung war, hatte ich sie durchzuführen. Erst nachdem ich im innerparteilichen Kampf gegen den modernen Revisionismus erkannte, daß die korrekte marxistisch-leninisti­sche Linie nicht durchzusetzen war, vollzog ich den notwendigen Schritt der Trennung. Das war kein leichter Schritt. Schließlich wechselt man eine Partei nicht wie sein Hemd, zumal nicht eine, in die man unter der Voraussetzung eingetreten ist, für den Kommunismus, für die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu kämpfen. Was ich mir vorzuwerfen habe, ist, daß ich über den täglichen Kampf, die tägliche Praxis, nicht ständig mein Wissen m der marxistisch-leninistischen Theorie vervollständigt habe, so daß ich in der Lage gewesen wäre, schon früher den Kampf gegen den revisionistischen Verrat m der Partei zu führen.« (S. 120)

 

Diese Rechtfertigung war zu billig. Gewiß wurde der revisionisti­sche Kurs vom Parteivorstand bestimmt und schrittweise eingeführt, und das kam nicht immer offen zum Ausdruck. Hinzu kam aber etwas sehr Bedeutendes, was die Entwicklung des Revisionismus in der KPD förderte: das Verbot der KPD, ein halbes Jahr nach dem XX. Parteitag der KPdSU. Die KPD wurde in die Illegalität ge­drückt,  und das machte eine breite Parteidiskussion  unmöglich. Nach den Regeln der Konspiration — »Niemand darf von der Orga­nisation und der Arbeit mehr wissen, als zur Durchführung seiner Arbeit notwendig ist« — war die Verbindung der Zellen unterein­ander unterbrochen. Verstöße gegen diese Regel konnten den Ausschluß aus der illegalen Partei zur Folge haben. So war eine Dis­kussion nur im Rahmen der eigenen Zelle und die Weitergabe der Kritik nur über den nächsthöheren Verbindungsmann möglich. Das kam der revisionistischen Führung gelegen, um jede Kritik an ihrer revisionistischen Linie zu isolieren und zu unterbinden. Trotzdem mußte in diesem engen Rahmen eine grundsätzliche und harte Kritik geübt werden. 

Da Ernst Aust theoretisch schwach war, nur über ungenügende Kenntnis des Marxismus-Leninismus verfügte, konnte er die raffi­nierten Methoden der modernen Revisionisten zunächst nicht durch­schauen. Erst als der Kampf der KP Chinas unter Mao Tsetung gegen den modernen Revisionismus der Führung der KPdSU offen ausge­tragen wurde, trat auch der offene Revisionismus in der Redaktion des »Blinkfüer« hervor.  

Hier hat die Kritik am weiteren Verhalten von Ernst Aust zu be­ginnen. Anstatt sich in grundsätzlichen Diskussionen mit der revisio­nistischen Politik der Redaktion auseinanderzusetzen, auch mit der Konsequenz, aus der KPD ausgeschlossen zu werden, ließ er heim­lich den »Roten Morgen« erscheinen. Erst nach der zweiten Num­mer schöpften die Revisionisten Verdacht, daß er der Herausgeber sein könnte. Daraufhin schrieb Ernst Aust im Oktober 1967 seinen »Offenen Brief« und trat aus der KPD aus. Im »Roten Morgen« 3/4 von September/Oktober 1967 begründet er seinen Austritt mit dem Zustand der Partei:

»Der Zustand unserer Partei? Der Ausspruch eines führenden Genossen: Man knallt die Hacken zusammen und gehorcht. Ihr selbst kennt den Zu­stand in unseren Gruppen, soweit sie noch existieren. Kein offenes Wort. Kein Ansprechen der Probleme des Weltkommunismus, die praktisch jeden bewegen . . . Isolierung, und wenn es sich um einen führenden Genossen handelt, Abstempelung als Agent des Verfassungsschutzes im »Freien Volk< sind die Folgen. Bezahlte Funktionäre, die unter vier Augen ihre Meinung offenbaren, halten nach außen und oben den Mund. Schließlich findet man mit 50 oder 60 Jahren als bekannter Kommunist keine Arbeit mehr. Mitglieder lassen sich einschüchtern, in der unberechtigten Angst, vom rechten Weg des Marxismus-Leninismus abzuweichen. Demokratischer Zentralismus wird kleingeschrieben. Kurz gesagt, der Zustand unserer Partei ist erbärmlich.« Ernst Austs Opportunismus lag darin, daß er vor dem ideologi­schen Kampf, der offenen Auseinandersetzung in der Partei und in der Redaktion des »Blinkfüer« zurückwich. Dieser Opportunismus begleitete ihn auch bei späteren Auseinandersetzungen. 

Um den »Roten Morgen« gruppierten sich dann rasch bisher ver­einzelt arbeitende Gruppen. Anfang 1968 kam in Hamburg zum erstenmal der Leserkreis »Roter Morgen« zusammen, der sich aus ehemaligen KPD-Mitgliedern und einem Studenten zusammensetzte. Derartige Versammlungen fanden anschließend fast jeden Monat statt. 

Am 27./28. April 1968 gab es eine erste zentrale Zusammenkunft der »Roter Morgen«-Gruppen in der Gaststätte Werner Heuzeroths in Niederschelderhütte bei Siegen. Es waren Vertreter aus Hamburg, Karlsruhe, Mannheim und Köln anwesend sowie Vertreter der ein Jahr vorher gegründeten FSP/ML (Freie Sozialistische Partei/ Marxisten-Leninisten). 

Diese Gruppen einigten sich darauf, »... ihre Arbeit politisch und organisatorisch mit dem Ziel der Gründung einer deutschen revolu­tionären marxistisch-leninistischen Partei zu koordinieren — ihr Organ ist der >Rote Morgen«« (»Roter Morgen«, Mai 1968).

Es wurde eine provisorische zentrale Leitung zusammengestellt, in der die wichtigsten Gruppen vertreten waren: Hans Kolbe (ehemals KPD, Hamburg), Günter Ackermann (Köln), Werner Heuzeroth (FSP/ML, Siegen), Helmut Günther (Mannheim) und Rainer Strähle (Mannheim). Ernst Aust als Leiter des Redaktionskollektivs »Roter Morgen« konnte an allen Sitzungen teilnehmen. 

Der Wunsch nach einem »schnellen Aufbau einer revolutionären marxistisch-leninistischen Kampfpartei« (»Roter Morgen«, Mai 1968) prägte bereits dieses erste Treffen, statt daß die Teilnehmer ihre Auf­merksamkeit auf die Schaffung der ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen der Parteigründung gelenkt hätten. Diese hätten in der damaligen Situation darin bestanden: 

  • Gründliche Entlarvung der revisionistischen KPD als Nachweis der Notwendigkeit, die marxistisch-leninistische Partei zu gründen. Gemeinsame Erarbeitung der dazu nötigen Schriften.
  • Gemeinsame praktisch-politische Aktionen, da sich die Gruppen ja selbst noch gar nicht kannten, und zur Überwindung der Isolierung von der Arbeiterklasse. Erfahrungsaustausch und Ausein­andersetzung darüber im »Roten Morgen«.
  • Einführung des Demokratischen Zentralismus zunächst in den einzelnen Gruppen, Verdrängung des vorherrschenden Zirkel­wesens.
  • Gemeinsame Schulungen.

Auf diese Weise hätte eine ideologisch-politische Klärung für die weitere Arbeit der Marxisten-Leninisten in der BRD herbeigeführt und hätten proletarische Kader entwickelt werden können. Gerade das aber geschah nicht. So mußten sich die fehlenden Voraussetzun­gen der Parteigründung immer wieder in ideologisch-politischen Ab­weichungen, innerer Zerfahrenheit und Spaltungen auswirken. 

Die Einheit des ersten Treffens zerbrach rasch am persönlichen Führungsanspruch Ernst Austs. Er beschuldigte ohne jegliche Beweise den zum Gesamtleiter gewählten Hans Kolbe, ein »Agent der Revisionisten« zu sein, und nahm dessen Platz ein. Die Mannheimer Gruppe   kritisierte   das   Vorgehen   gegen   Kolbe,   die   Gruppe Rhein/Ruhr unterstützte es. Gleichzeitig traten die politischen Wi­dersprüche zwischen und in den einzelnen Gruppen immer stärker hervor. Das wurde dann eines der Motive für die rasche Parteigrün­dung: die Annahme, die Gruppen würden durch die Bindung in der Partei organisatorisch zu einer festen Einheit. 

Ernst Aust begründete die rasche Parteigründung mit einer völlig überspitzten, ultralinken Fehleinschätzung der politischen Situation und des Klassenkampfes in der BRD: 

»Wir leben unter einer militaristisch-faschistischen Herrschaft, die sich nur noch aus optischen Gründen Formen der bürgerlich-parlamentarischen Ord­nung bedient.« (»Roter Morgen«, Juni 1968) 

Und diese angeblich »militaristisch-faschistische Herrschaft« sollte bereits »angeschlagen« sein: »Notstandsgesetze, Einsatz von Schuß-waffen und Tränengas gegen Demonstranten sowie Schutzhaftbe­stimmungen sind die Mittel, mit denen die herrschende Klasse ihre angeschlagene Stellung zu retten versucht.« (»Roter Morgen«, De­zember 1968/Januar 1969) Eine so zugespitzte Klassenkampfsituation ersetzte in diesen Köpfen natürlich die Voraussetzungen für den Parteiaufbau.

Günter Ackermann äußerte seine Variante der Rechtfertigung der überstürzten Parteigründung in einem Brief vom 9. Oktober 1968: 

»Wir müssen die Partei so schnell wie möglich gründen, denn der Klassen­feind läßt uns nicht allzuviel Zeit . . . Bei uns bereitet die Bourgeoisie den Faschismus vor, und der Antikommunismus ist stärker als in allen anderen Ländern Westeuropas.« 

Gleichzeitig verarbeitete der »Rote Morgen« sein Wunschdenken in Meldungen über den Stand der Parteigründung, die nicht den Tat­sachen entsprachen: 

»Überall in Westdeutschland, zur Zeit in 21 Städten und Orten, arbeiten marxistisch-leninistische Gruppen oder befinden sich solche im Aufbau, ver­einigen sich mit dem Ziel der Gründung einer deutschen revolutionären marxistisch-leninistischen Partei.« 

Es waren jedoch kaum zehn Gruppen, die eine längerfristige Ar­beit leisteten, und sie zeigten zudem starke Schwankungen. In einem Brief vom 13. Oktober 1968, 13 Tage vor dem zweiten zentralen Treffen, wies die Mannheimer Gruppe mit Nachdruck auf die feh­lenden politischen und organisatorischen Voraussetzungen einer Parteigründung hin: 

»Ausgehend von unserer Situation in Mannheim, können wir die Wieder­gründung der KPD nicht befürworten . . . Wir konnten die politische Arbeit in der letzten Zeit nicht so durchführen, wie es notwendig gewesen wäre.« Als wichtigster Einwand galt für die Mannheimer Genossen: »Ebensowenig wie man ein Haus ohne Fundament bauen kann, können wir eine Partei ohne qualifizierte Kader gründen.« Vor allem forderten sie: »Rechenschaft aller Gruppen über ihren personellen, qualitativen und finanziellen Stand sowie über ihre bisher geleistete Arbeit.« (zitiert nach: REBELL 21/22/1970, S. 25) 

Ende September 1968 hatte bereits die Hamburger Gruppe um Hans Kolbe in einer Stellungnahme zur Parteigründung festgestellt: 

"….die auf den >Roten Morgen< orientierten Gruppen sind weder ideolo­gisch noch organisatorisch in der Lage, eine Partei zu gründen. Beweis dafür ist einerseits die innere Zerrissenheit der Gruppen, andererseits die meist rein persönlich motivierten >Machtkämpfe< zwischen den einzelnen Gruppen. Wir sehen darin einen klaren Ausdruck mangelnder politischer Reife . . . Die Bildung einer marxistisch-leninistischen Partei, die diesen Namen auch wirklich verdient und nicht etwa dem Gespött ausgesetzt ist, kann nur das Ergebnis eines langen Prozesses sein.« (ebenda S. 25) 

Als Konsequenz schlugen sie vor, die »offene Diskussion um eine Reorganisierung der westdeutschen Marxisten-Leninisten zu eröff­nen« (ebenda S. 25). Die Hamburger Gruppe strebte dann die Bil­dung einer marxistisch-leninistischen Liga an. Ähnliche Kritik an einer verfrühten Parteigründung äußerten die Gruppen aus Karls­ruhe und Tübingen. 

Die Stellungnahmen aus Hamburg und Mannheim waren in der Hauptseite berechtigt, kennzeichneten richtig die Schwächen, die einer raschen Parteigründung im Wege standen. Sie waren aber selbst Ausdruck einer ideologisch-politischen Perspektivlosigkeit und be­schränkten sich entweder auf eine Bestandsaufnahme (wie Mann­heim) oder wiesen in eine falsche Richtung der Bildung einer Liga (wie Hamburg). Denn eine Liga ist ein unverbindlicher Zusammenschluß von Zirkeln, keine Schule für den Parteiaufbau. 

Trotz allem Hickhack der Auseinandersetzung beeilte sich Ernst Aust, mit der Gründung der KPD/ML Ende 1968 vollendete Tatsachen zu schaffen, um sich auf das »Erstgeburtsrecht« berufen zu können. Bei allen späteren »Vereinigungsgesprächen« mit anderen Gruppen hat er den Standpunkt vertreten, daß diese sich der KPD/ML »anschließen«, das heißt, sich unterordnen sollten….. 

….Warum waren im Herbst 1968 Aust, Ackermann und Heuzeroth so hektisch bestrebt, die Parteigründung in aller Eile voranzutreiben? Weil die Widersprüche zwischen den Gruppen und innerhalb der einzelnen Gruppen sich derartig zuspitzten, daß die Gründung über­haupt in Frage gestellt war. Die Prinzipienlosigkeit und die Zerfahrenheit dieser Gruppen kam darin zum Ausdruck, daß sie sich gegenseitig beschuldigten, Agenten der Revisionisten zu sein. 

Letzte Vorbereitungen 

Am 26. Oktober 1968 fand in Köln ein zweites Treffen statt (das erste war im April), zu dem die Hamburger Gruppe um Hans Kolbe gar nicht erst eingeladen wurde und die Gruppen aus Mannheim und Karlsruhe nicht erschienen. Ernst Aust legte den später im »Roten Morgen« veröffentlichten »Gründungsaufruf« erst auf dieser Tagung vor. Die Teilnehmer wählten einen »vorläufigen Vorstand der sich neu konstituierenden KPD/ML« — mit Ernst Aust an der Spitze. Zu dieser Tagung wurden auch zwei Studentengruppen aus Kiel und Westberlin hinzugezogen. 

Ernst Aust, der vorher Hans Kolbe beschuldigt hatte, ein Agent der Revisionisten zu sein, schaltete die Hamburger Gruppe auto­ritär aus. Diese reagierte empört in einer von Hans Kolbe, Knut Mellenthin und Peter Rosenberg unterschriebenen Stellungnahme vom 6. November 1968 »Zum Ergebnis der Kölner Tagung vom 26. 10. 1968«: 

»Auf der Kölner Tagung vom 26. 10. 1968 hat Werner Heuzeroth den Mannheimer Genossen Rainer Strähle als >Agenten der DKP< bezeichnet. Heuzeroth versicherte darüber hinaus, er habe Beziehungen zur >DKP< und könne den Beweis für seine Behauptung jederzeit antreten. 

Die in Köln zusammengekommenen Genossen haben sich daraufhin ein­deutig von Werner Heuzeroth und seiner >FSP/ML< abgegrenzt. Das ist zu begrüßen und hätte schon früher geschehen sollen. 

Wir weisen jedoch darauf hin: Diese Methoden sind keineswegs auf dem Mist von Werner Heuzeroth gewachsen, sondern wurden eindeutig von Ernst Aust selbst in unsere Bewegung hineingetragen. Das wiegt umso schwerer, da Ernst Aust gewiß intelligenter und weniger cholerisch ist als Werner Heuzeroth. Die Methode, fehlende Argumente durch wilde Ver­leumdungen und Beschimpfungen zu ersetzen, wird übrigens auch von der Kölner Ackermann-Gruppe praktiziert, die sich jetzt anscheinend sehr über die >FSP/ML< und Werner Heuzeroth ereifert. Wenn auch in Köln unsere Stellungnahme als >Verrat< abqualifiziert wurde, so betrifft das alle fünf Ge­nossen, die nach wie vor hinter dieser Erklärung stehen. 

In Anbetracht dieser Situation und weil wir gegenwärtig keinerlei Einfluß auf die weitere Entwicklung innerhalb der auf den >Roten Morgen< orientier­ten Bewegung haben, lehnen wir es ab, weiter die Verantwortung für deren Handlungen zu tragen. Wir werden daher in Zukunft auf die Bezeichnung >Gruppe Roter Morgen« verzichten. Damit distanzieren wir uns auch ganz klar von Ernst Aust, der dabei ist, die marxistisch-leninistische Bewegung in Westdeutschland in den Sumpf zu führen.« 

Auf Betreiben von Günter Ackermann ließ Ernst Aust sich bewe­gen, auch Heuzeroth fallenzulassen, der nicht mehr zu den nachfol­genden Sitzungen eingeladen wurde. Die »Einheit« der Gruppen war bereits zerstört, bevor es zur Gründung der Partei kam. Knut Mellenthin schrieb in einem Brief an einen gewissen Anton über den Ausschluß der Hamburger Gruppe: 

»Aust hat auf dem Kölner Treffen über den Ausschluß unserer Gruppe diskutieren lassen und damit eine Abfuhr erlitten. Für uns gibt es kein Ge­spräch mehr mit einem derart niederträchtigen Menschen, weder in Mann­heim noch in Hamburg. Wenn Du uns nun vorschreiben willst, wir müßten nach Mannheim kommen, widrigenfalls Du uns als Revisionisten betrachten willst, so ist das — nimm's mir nicht übel — reichlich anmaßend. Kolbe und Rosenberg sind Arbeiter, ich bin Student, wir können nicht wie Aust in der Weltgeschichte herumkutschieren.

Du möchtest, was verständlich ist, die >Einheit< erhalten. Aber welche >Einheit<? Mag sein, daß Du eine >Einheit< mit Aust und seiner >KPD/ML< möchtest. Wir lehnen diese Einheit ab. Die Spaltung, die Du verhindern möchtest, ist ohnehin schon eingetreten, und zwar durch den Alleingang von Ernst Aust.« 

Ernst Aust, der sein Verhalten Hans Kolbe gegenüber rechtfertigen wollte und Auswirkungen auf die Parteigründung befürchtete, schrieb in seiner Prinzipienlosigkeit am 13. November 1968 einen vier Seiten langen Brief an Hans Kolbe, in dem er auch auf die Be­schuldigung der Agententätigkeit einging: 

»Du selbst kennst doch die Methoden der KPD am besten, eine im Ent­stehen begriffene Bewegung zu zerschlagen oder zu übernehmen. Nachdem mein Auftreten trotz aller Bestechungs- und Überredungsversuche seitens der KPD nicht mehr zu verhindern war, mußte man jemanden finden, den man in die Bewegung einschleuste mit dem Auftrag, sie zu übernehmen und, wenn das nicht gelang, zu zerschlagen. Und wer wäre dazu besser geeignet gewesen als Du? Die Partei wußte doch genau, daß uns eine persönliche Freundschaft verband, daß Du mich am ehesten im Sinne der Verhinderung des Entstehens einer marxistisch-leninistischen Partei beeinflussen könntest. Außerdem besitzt Du die für einen solchen Auftrag nötigen politischen Qualitäten . . .

Wenn Du ganz ehrlich bist, mußt Du zugeben, daß mein Verdacht, Du seist von den Revisionisten geschickt, begründet war.« 

Die in diesem Brief zutage tretende Demagogie war kaum zu überbieten: Hans Kolbe erst verleumden, dann ausschalten, um sich selbst an die Spitze zu stellen, hinterher wegen mangelnder Beweise erklären: Es könnte so gewesen sein! So wurde die Parteigründung vorbereitet! 

Auf der dritten zentralen Konferenz zur Parteigründungsvorberei­tung im November 1968 war Ernst Aust bereit, den Druck des REBELL zu übernehmen unter der Bedingung, daß der ideologische Kampf um die Parteigründung im REBELL nicht geführt würde. Das lehnte die Mannheimer Gruppe ab, die sich dann allerdings spaltete: Ein Teil nahm an der Gründung der KPD/ML teil, ein anderer Teil scharte sich um den REBELL als selbständige Gruppe. 

Zur letzten zentralen Tagung vor der Parteigründung am 7./8. De­zember 1968 wurden keine kritischen Gruppen mehr eingeladen. Trotzdem verstummte die Kritik nicht. Eine Gruppe aus Altenkirchen-Neuwied beklagte in einer Stellungnahme: »Diese Konfe­renz hat gezeigt, daß der dort eingeschlagene Weg nicht zum Ziele führt, einfach nicht führen kann ... daß vor dem Entwurf einer Sat­zung keine Einigung in den marxistischen Grundfragen erreicht wurde. Es herrschten sehr verschiedene Meinungen, teils in formeller Dialektik, teils im unduldsamen Parteijargon oder im dogmatischen Schlagwortstil vorgetragen. Das sehr oft gebrauchte Wort Revisionis­mus schien nur noch ein leeres Modewort.«  Doch konnte diese Kritik die Gründung der KPD/ML nicht mehr aufhalten.

Editorische Anmerkungen

ZK der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (Hrsg), Geschichte der MLPD,  Stuttgart 1985, Teil 1, S.30 - 54

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Siehe im TREND zur KPD/ML-Gründung auch: