Zu Frankreich Englisch reden

von Bernard Schmid

01/10

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Der ostafrikanische Post-Völkermord-Staat Rwanda tritt dem britischen Commonwealth bei – und nimmt, erstmals seit drei Jahren, wieder diplomatische Beziehungen zum offiziellen Frankreich auf

Der politische Kalender erscheint bisweilen undurchschaubar. Kaum waren im Laufe des November 2009 neue Einzelheiten über die Verwicklung Frankreichs in den Völkermord im ostafrikanischen Rwanda von 1994 - und vor allem über den anhaltenden Schutz für damalige Täter - bekannt geworden (vgl. http://www.trend.infopartisan.net), schien sich am 29. November o9 eine große Wende anzubahnen. An jenem Sonntag gab das französische Präsidialamt im Elysée-Palast eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten bekannt. Und inzwischen hat bereits ein neuer Schritt stattgefunden: Am Mittwoch, den 16. Dezember 2009 empfing Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erstmals seinen rwandischen Amtskollegen Paul Kagamé offiziell in Paris. (Allerdings im Kontext eines Empfangs für alle Staatschefs des Raums Zentralafrika. Ihn organisierte Nicolas Sarkozy am selben Tag – am Rande des Klimagipfels von Kopenhagen – , um die afrikanischen Präsidenten hinter Sarkozy als „hartem Verhandlungsführer für die Zukunft der Regenwälder Afrikas“ und „berufenem Weltenretter, der in Kopenhagen gegenüber US-Amerikanern und Chinesen unnachgiebig auf nachhaltige Ergebnisse pochen möchte“, fürs Gruppenphoto zu scharen.)

Die Ankündigung von Ende November, dass Paris und Kigali erneut in diplomatische Beziehungen zueinander eintreten, kam relativ unerwartet. Umso mehr, als Rwanda an demselben Wochenende seinen Beitritt als 46. Mitgliedsstaat zum britischen Commonwealth bekannt gab. Endgültig hat Rwanda damit formell seinen Übertritt aus der französisch- zur englischsprachigen Zone im postkolonialen Afrika vollzogen. Dieser Schritt hatte sich seit längerem angekündigt: Schon vor zwei Jahren hatte das ostafrikanischen Land den Beitritt zum Commonwealth beantragt. Zur selben Zeit hatte der frühere britische Premierminister Anthony Blair seinem Präsidenten Paul Kagamé zeitweilig als Berater gedient. Neben Großbritannien unterstützen besonders die USA, vor wie nach dem Wechsel von der Bush- zur Obama-Administration, den ostafrikanischen Staat. Einen Verbündeten, der lange Jahre in seinem Nachbarland Kongo Krieg führte. Der aber - vor allem - in Washington als wichtiger „Sperrriegel“ und Stützposten bei dem Versuch, die Regionalmacht Sudan „einzukreisen“ und eine Ausdehnung ihres Einflusses zu verhindern, betrachtet wird.

Zudem hatte die rwandische Administration im September 2008 den formellen Wechsel der Amtssprache vollzogen, durch Austausch des Französischen durch Englisch. Ein Schritt, der innenpolitisch nicht unproblematisch war. Denn das Gros der örtlichen Bevölkerung spricht, neben der Landessprache Kinirwanda, allenfalls Französisch aufgrund ihrer schulischen Ausbildung. Englisch hingegen spricht allein die politisch-militärische Elite der Regierungspartei RPF (Rwandische Patriotische Front). Deren harter Kern besteht aus Tutsi, die vor dem Machtwechsel von 1994 als Flüchtlinge im Nachbarland Uganda - also einer ehemaligen britischen Kolonie - aufwuchsen und zunächst in dessen Armee Karriere machten. Wenn Englischkenntnisse zur Einstellungsvoraussetzung für Arbeitsstellen oder jedenfalls für höhere Posten gemacht werden, so wird die künftig de facto eine politisch-militärische Kaste begünstigen. Jedenfalls mindestens so lange, bis eine neue Generation, die in dieser Sprache an den Schulen ausgebildet worden ist, heranwächst. Dennoch erscheint der Triumph der englischen Sprache in Rwanda unausweichlich, zumal das Land sich ebenfalls im November o9 an der Ausrufung eines Binnenmarktes der ‚East African Community’ EAC zusammen mit englischsprachigen Ländern wie Kenya, Uganda und Tanzania beteiligt hat.

Auf diese Weise hat sich die Befürchtung französischer Geopolitiker und Strategen von vor 1994 just als ‚self fullfilling prophecy’ erwiesen. Ein Teil der politischen Klasse Frankreichs hat damals das rwandische Regime, das den Völkermord verübte, bis zum bitteren Ende im Juli 1994 unterstützt - aus Furcht, im Falle eines Sieges der damaligen Guerillapartei RPF könne Rwanda vom französisch- in den englischsprachigen Einflussbereich wechseln. Ihr Vormarsch (= der RPF) ebenso wie Vorwürfe, das bis dahin herrschende Regime begehe Völkermord, wurden als Komplott der Anglo-Amerikaner verstanden, denn die USA wurden als Hauptunterstützer der Tutsi und der RPF begriffen. Was nicht einmal stimmte, denn die US-Administration von Bill Clinton rührte im Frühjahr 1994 keinen Finger zum Schutz der Völkermordopfer - ihre Protagonisten hatten soeben negative Erfahrungen bei der „humanitären Intervention“ in Somalia von Ende 1992 bis Anfang des Jahres gesammelt. (Am 07. April 2004, zum zehnten Jahrestag der Auslösung des Völkermords, hat Ex-US-Präsident Bill Clinton dies auf einer Rede vor Ort in Rwandas Hauptstadt ausdrücklich eingeräumt. In seiner Rede sprach Altpräsident William Clinton von unschuldigen Opfern, die damals massakriert wurden, im Originalton: ‚but all over the world there were people like me sitting in offices, day after day after day, who did not fully appreciate the depth and the speed with which you were being engulfed by this unimaginable terror.’ Vgl. auch http://www.theatlantic.com/doc/200109/power-genocide ) Doch nach dem vollzogenen Völkermord beeilte sich die RPF-Elite, mit Frankreich zumindest teilweise zu brechen und neue strategische Verbündete für Rwanda zu suchen.

Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen im Dezember 2006 war jedoch nicht das direkte Ergebnis davon. Er resultierte aus den geradezu fanatischen Bemühungen eines französischen Anti-Terror-Richters namens Jean-Louis Bruguière, die RPF-Führung selbst für den Völkermord verantwortlich zu machen: Durch ein Attentat auf den damaligen Präsidenten Juvenal Habyarimana habe sie den Völkermord an ihren eigenen Tutsi-Landsleuten selbst und bewusst ausgelöst, um ihre Eroberung Rwandas zu rechtfertigen. Dafür gibt es, gelinde gesagt, keine Beweise, und die Ermordung Habyarimanas geht mutmaßlich auf Ethno-Extremisten seines eigenes Regimes zurück, die das Signal zum Losschlagen beim Massenmord geben wollten.

Bruguière ist inzwischen aufs Altenteil geschoben worden. Sein Nachfolger, Mard Trévidic, zeigt sich in seinem Herangehen ungleich moderater. Und seit Juni 2007 amtiert Bernard Kouchner, der während des laufenden Völkermords als humanitärer Helfer war und die damalige Pariser Politik teilweise kritisierte, als französischer Außenminister: Präsident Nicolas Sarkozy schob ihn mehrfach in Richtung Kigali vor, um zu einer „Normalisierung“ der französisch-rwandischen Beziehungen zu kommen. Im Hintergrund steht wahrscheinlich hauptsächlich, dass Sarkozy der pro-amerikanischste Spitzenpolitiker Frankreichs seit langem ist: Die USA drängten mutmaßlich Frankreich zu diesem Schritt, umgekehrt aber auch Rwanda dazu, keinen „kalten Krieg“ mit Paris einzugehen: Das Land benötigt eine Rückendeckung der westlichen Großmächte, da sein Regime heute seinerseits an kritikwürdigen Aktionen und Kriegsverbrechen im Osten der Demokratischen Republik Kongo und an der Ausplünderung dortiger Rohstoffvorkommen beteiligt ist.

Ferner spielt auch eine Rolle, dass der Gestank der rwandischen Leichen im Keller der französischen politischen Klasse auf die Dauer als Problem erkannt wurde, das Sarkozy durch eine staatsoffizielle „Normalisierung“ nun ausräumen möchte. Die Früchte soll in der Öffentlichkeit nun aber nicht Kouchner ernten, sondern Sarkozys für die grobe Staatsraison zuständiger Präsidentenberater Claude Guéant, der kurz vor der Ankündigung der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen in Kigali aufwartete.

Als „Faustpfand“ für Rwanda entsandte Frankreich in der letzten Novemberwoche 2009 aber auch erstmals zwei Untersuchungsrichterinnen - Fabienne Pous und Michèle Ganascia -, die gegen in Frankreich lebende Völkermordtäter ermitteln, nach Kigali. Dort vernahmen sie ab dem 23. November o9 rwandische Zeugen. Dies wurde in Rwanda als wichtige Geste betrachtet. In Frankreich wurden circa 15 Strafanzeigen gegen rwandische Genozidtäter eingereicht, es kam aber bisher noch zur Einleitung keinerlei Gerichtsverfahrens. Anders als etwa in Belgien, wo am 1. Dezember der Hauptfinanzier der Völkermordmilizen - Ephrem Nkezabera - zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde. Dies könnte sich aber nun künftig in Frankreich ändern, denn auf die Dauer an der Nase herumführen dürften sich die rwandischen Politiker nicht lassen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt.