Über die Umweltpolitik der DDR
Konzepte, Strukturen, Versagen

Ein Fazit von Tobias Huff

01/2020

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Die Korrespondenten und Redakteure der westdeutschen Medien fassten in Worte, was sie Ende der 1980er Jahre in der DDR sahen, aber sie beschrieben nur die halbe Wahrheit. Zum einen kamen sie aus einem Land, das ein ökologisch bewegtes Jahrzehnt hinter sich hatte und waren für die entspre­chenden Befunde sensibilisiert. Zum anderen beschrieben sie eine Entwick­lung, die - in ihren Grundzügen ab 1971 angelegt - in ihrer Drastik erst nach 1982 zum Tragen kam. Die innovativen Ansätze der 1950er und 1960er Jahre blieben ihnen zumeist verborgen.

Die Umweltgeschichte der DDR lässt sich - sofern die staatliche Umweltpolitik als Raster herangezogen wird - in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase datiert von 1949 bis in die Mitte der 1960er Jahre: Für diese Zeit ist sowohl der umfassende, auf eine intertemporale und interglobale Nachhaltigkeit abzie­lende, mit utopischen Zügen versehene Umgestaltungsplan Reinhold Lingners charakteristisch, als auch das Bemühen Erich Ziegers, im Zusammenspiel traditioneller Mechanismen und neuer Elemente im Einzelfall zu tragfähigen Lösungen zu kommen.130 Für diese Zeit ist noch keine koordinierte Umweltpolitik erkennbar, jedoch erlaubt die finanzielle Unterstützung, die Lingner für seine Arbeiten aus dem Staatsapparat erhielt, den Schluss, dass er mit seinen Ideen nicht gänzlich außerhalb aller Vorstellungen der SED-Spitze stand. Die zweite Phase umfasst die Zeit ab Mitte der 1960er Jahre bis in die Jahre 1971/1973 und ist als Hochphase der staatlichen Umweltpolitik zu bezeich­nen. Hier setzte, im Zusammenhang mit dem NÖSPL, eine konzeptionelle Bündelung von Einzelfragen ein, die schließlich im Landeskulturgesetz von 1970 mündete. Das Experimentieren mit innovativen Modellen zur Interna-lisierung externer Kosten zielte auf eine wirtschaftliche Stärkung der Plan­wirtschaft ab. Die exekutiven Instrumente wie das Staub- und Abgasgeld erwiesen sich in letzter Konsequenz als zu schwach und der angedachte institutionelle Apparat mit dem MUW an der Spitze spielte in den Überle­gungen Erich Honeckers keine Rolle mehr.

Der Machtwechsel im Mai 1971 ist als entscheidende Zäsur in der DDR-Umweltgeschichte zu sehen. Die Ausweitung der sozialen Transferleistungen in den 1970er Jahren diente der politischen Stabilisierung und der wirtschaft­lichen Stimulierung. Das Konzept der „Einheit von Wirtschaft- und Sozial­politik" brachte die DDR auf einen Entwicklungspfad, in dessen Verlauf der Verteilungsspielraum von Investitionen immer geringer wurde.131 Vor die Wahl gestellt zwischen Umweltschutz- und Konsumgüterinvestitionen, fiel die Wahl zumeist auf letztere.

Die dritte Phase der Umweltpolitik von Beginn der 1970er Jahre bis zum Ende der DDR war geprägt von der beständigen Verschärfung dieses Zielkonfliktes und von einer weitgehenden Stagnation im Bereich des Umweltrechts und des Institutionengefüges. Erst mit dem Aufkommen der Umweltschutzdiplomatie Ende der 1970er Jahre gelang es Minister Reichelt, den Zustand struktureller Handlungsunfähigkeit des MUW leicht zu verändern. Sobald es jedoch darum ging, internationale Vereinbarungen umzusetzen, geriet die DDR an die Grenze ihrer wirtschaftlichen Potenz. Die Antwort der SED-Führung auf diese Diskrepanz war eine Mischung aus Geheimhaltung, Verleugnung, Ignoranz und Unterdrückung, die die Umweltpolitik der DDR nachhaltig diskreditierte.

Fußnoten

130) Zur Nachhaltigkeit vgl. Felix Ekardt u. Cornelia Richter, Soziale Nachhaltigkeit? Anmerkungen zu einer zweifelhaften neuen Begriffsbildung im Kontext der umwelt-und wirtschaftspolitischen Debatte, in: Zeitschrift für Umweltpolitik 29. 2006, S. 545-556, hier S. 547.

131) Vgl. Christoph Boyer, Zwischen Pfadabhängigkeit und Zäsur. Ost- und westeuropäische Sozialstaaten seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Konrad H. Jarausch (Hg.), Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008, S. 103-119.
 

Quelle zum Weiterlesen:
https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2012-1/Huff_2014.pdf /