Kommentare zum Zeitgeschehen
Klimaschutz, Green New Deal for Europe und was die Industrie dazu sagt

von Guenther Sandleben

01/2020

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Berlin, im Dezember 2019

Der aufmerksame Zeitungsleser dürfte überrascht gewesen sein, als er Mitte des Jahres die Botschaft aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln erhielt, der Staat sollte ein 450 Mrd. Euro großes Investitionsprogramm (Deutschlandfonds) beschließen, um die Digitalisierung und den Klimawandel zu meistern.(1) Bislang forderten stets Gewerkschaftler und alternative Wirtschaftspolitiker große Investitionsprogramme, scheinbar gegen den Widerstand der Industrie. Und nun stellte sich die Industrie an die Spitze der Bewegung und machte selbst die Klimakatastrophe zum Thema. Haben linke Politiker die Unternehmer unterstützt, als sie zur „Schaffung von Arbeitsplätzen“ hohe Investitionsprogramme forderten? Dies scheint zumindest so, wenn die Industrie nun Gleiches wünscht.

Tatsächlich profitieren in der schwach gewordenen Industriekonjunktur die Wirtschaftsvertreter besonders von staatlichen Nachfrageimpulsen. Infrastrukturinvestitionen und vor allem die Digitalisierung verbessern die Rahmenbedingungen der Wirtschaft, nicht nur um durch Kostensenkungen den inländischen Profite zu mehren, sondern auch, um daraus die Konkurrenzstärke zu gewinnen, die für weitere Eroberungszüge auf dem Weltmarkt erforderlich ist.

Nahe liegt, diese nationale Kraft durch weitere Kooperationen zu verstärken. Bereits seit vielen Jahren kooperieren die Unternehmerverbände in der EU miteinander, um die Politik der EU-Kommission entsprechend auszurichten. Ende März 2016 trafen sich BDI-Präsident Ulrich Grillo und Pierre Gattaz, Präsident des französischen Unternehmensverbands Mouvement des Entreprises de France (Medef), mit einer Delegation von rund 40 Unternehmen in Berlin.(2) Bereits zu dieser Zeit waren öffentliche Investitionen zur Antreibung des Digitalisierungsprozesses in der EU das Thema.

Der deutsche BDI, die größte italienische Arbeitgeberorganisation Confindustria und das Medef verkündeten Anfang Dezember 2019 ihre Kooperation, um ihre Wirtschaftsinteressen gegen die EU-Kommission durchzusetzen. Sie forderten eine Erhöhung der Investitionen in der EU um jährlich 250 bis 300 Mrd. Euro, begleitet von nationalen Förderprogrammen. Damit Europa eine Führungsrolle in der digitalen Wirtschaft erreichen könne, müsse man unabhängig werden von nichteuropäischen Techniken. Kurz: Europe first!

„Europa ist der größte Markt, der größte Importeuer und Exporteuer der Welt, aber politisch ein Zwerg. Darin steckt eine Herausforderung an die Politiker“, sagte Vincenzo Boccia (Confindustria) (3) Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen strickte daraus folgende Sätze: "Europa muss auch die Sprache der Macht lernen". Die sogenannte "soft power" reiche heute nicht mehr aus, wenn sich die Europäer in der Welt behaupten wollten. "Das heißt zum einen, eigene Muskeln aufbauen, wo wir uns lange auf andere stützen konnten - zum Beispiel in der Sicherheitspolitik". Die EU brauche mehr militärische Fähigkeiten. Zum anderen müsse sie die vorhandene Kraft stärker nutzen, um europäische Interessen durchzusetzen.(4) Dem von den Industrieverbänden geforderten Investitionsprogramm gab sie den Namen „Green New Deal for Europe“: „Wir müssen Klimaschutz und Wachstum versöhnen“, sagte sie und verschiedene Industriezweige, darunter die Chemieindustrie, die Mineralöl- und Metallindustrie stellten sich sofort hinter die Klimaziele.(5)

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, verkünden die politischen Verfassungen. Die Fakten sagen was anderes: Tatsächlich verkünden die Politiker das, was ihre jeweilige Wirtschaft benötigt. Und die Wirtschaft ist nicht einfach nur die wirtschaftliche Lebenstätigkeit der Menschen plus das Resultat ihrer Tätigkeiten. Sie wird als fremde Macht empfunden. Die kapitalistische Verfassung verselbständigt die Wirtschaft gegenüber den Menschen und spaltet diese in Klassen, in die Wirtschaftseliten und in die Lohnabhängigen.
Die Wirtschaftseliten tun das, zu was die „unsichtbare Hand der Märkte“ (Adam Smith) sie treibt. Ihr Handlungsfeld ist fest abgesteckt: Maximierung der Profite einerseits durch Lohndrückerei, durch Verschwendung am Leben und der Gesundheit des Arbeiters, durch die Herabdrückung seiner Existenzbedingungen und andererseits durch Wirtschaftswachstum (Akkumulation) und durch rücksichtslosen Umgang mit den produktiven Kräften der Natur. Klimakatastrophen und Armut inmitten des Reichtums sind notwendige Folgen. Die Wirtschaftseliten sind privilegierte Funktionäre des Kapitals, bewusste Träger einer Kapitalbewegung, bei der alle Investitionen möglichst viel Profit erbringen müssen, um dann das Gleiche zu wiederholen und so fort. Sie können dem Green New Deal for Europe zustimmen, weil dieser das Wachstum, d. h. die Spirale der Akkumulation unterstützt und staatliche Förderungen verspricht. Die deutsche Autoindustrie hat wegen der Strukturbrüche besonderes Interesse daran.

Die Lohnabhängigen sind, wie Betriebswirte sagen, „objektbezogene menschliche Arbeitskräfte“, die eingesetzt und fremdbestimmt werden, die kombiniert werden mit den anderen Produktionsfaktoren, mit Betriebsmitteln und Werkstoffen. Sie werden durch die tagtägliche Geschäftspraxis auf „sprechende Werkzeuge“ reduziert. Nicht ihre eigenen Interessen, sondern das fremde Geschäftsinteresse ist maßgebend für ihr tun.
Faktisch geht deshalb die Staatsgewalt vom Kapital, nicht vom Volke aus - es sei denn, die „sprechenden Werkzeuge“ finden sich zusammen, entdecken ihre gemeinschaftliche Kraft und setzen ihre gemeinsamen Interessen durch Massenstreiks gegen die Staatsgewalt durch. In Frankreich versucht man das gerade.

Fußnoten

1) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 14.8.2019
2) https://bdi.eu/artikel/news/industrieverbaende-wollen-digitalisierung-vorantreiben/
3) FAZ vom 6.12.2019
4) https://www.tagesschau.de/ausland/von-der-leyen-rede-101.html
5) FAZ vom 12.12.2019

 

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