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UND JEDER WEISS WIE"S RICHTIG IST UND WIE MAN"S MACHEN SOLL! 

Das "Bündnis für Arbeit"
Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

von DIETMAR KESTEN, Gelsenkirchen, Teil II

01/99
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zum   Teil I

2. AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN BÜNDNIS.

Der 1. Vorsitzende der IG Metall (KLAUS ZWICKEL) überraschte auf dem Gewerkschaftstag am 1. 11. 1995 (26) die Delegierten wie sooft mit einer eigenwilligen Interpretation, die Geschicke der kapitalistischen Ordnung beeinflussen zu wollen, so als ließe man auf der Titanic die Stühle wieder neu aufstellen, um damit echte Freiheit in der schlimmsten Not zu entdecken: Die Anker sind gelichtet, volle Kraft voraus! ZWICKEL brachte das spektakuläre "Bündnis für Arbeit" ein, daß mit "Bundesregierung und Arbeitgebern" geschlossen werden solle, um "verbindliche Zusa- gen" zu erreichen; für "mehr Arbeit" und um den "Sozialabbau" zu stoppen. Die IG Metall sei im Gegenzug dazu bereit, sich bei den kommenden Lohnverhandlungen "Zurückhaltung aufzuerlegen". (27) Die Vorstellung war ein dermaßen zynischer Akt, daß sie schon in der aus- gesprochenen These, ein "Bündnis für Arbeit" anzustreben, den Verblendungs- zusammenhang zwischen Schein und Wirklichkeit, zwischen der Ware und der Vergesellschaftung charakterisierte, und die bloße Umverteilung zwischen Kapital und Arbeit in die Hände des Staates legte, der jetzt beweisen könne, ob er "handlungsfähig" sei. 

Die Mittlerfunktion zwischen den beiden Polen sollte dabei die IG Metall übernehmen, die damit im dahinsiechenden Todeskampf noch einmal aus  ihrer Versenkung kam, wohl wissend, daß die Macht des Kapitals so unglaublich allmächtig und so allgegenwärtig ist, daß sie scheinbar als unbeugsame Größe gilt. Sprecher aller Parteien lobten ZWICKELs "mutigen" Vorstoß, die Kapitalverbän- de waren zunächst bereit, im "Bündnis" mitzuarbeiten, und jede leise Kritik, die aufkam, wurde im Keim erstickt, oder - wie immer - nicht ernst genommen. Auf die Führungsriege von DGB/IG Metall mußten die Äußerungen des Vor- sitzenden der IG Holz und Kunststoff, SCHLEMMER, wie eine Racheakti- on wirken, als er hervorhob, "das Bündnis für Arbeit nutzt nur den Profis im Regierungs- und Arbeitgeberlager, die ZWICKELs Angebot nur für ihre Interes- sen nutzen wollen". (28) SCHLEMMERs gewisse Geschichtsskepsis bedeutete jedoch nicht, daß es eine Abkehr von der Zwangsneurose, das Machtsystems Arbeit und seine Bewegungsprinzipien zu erhalten, gab, die sich in den bekannten Holzwegen niederschlugen. 

Über stillschweigende Reduktionen, die die Gewerkschaftsführungen in den vletzten Jahren vorgenommen hatten, um ihre eigene Geschichte in eine bestimmte Form zu zwingen (z. B. die Aufgabe jeder weiteren Arbeitszeitverkürzung) wurde ebensowenig reflektiert, wie überzeugende Gründe für den Paradigmenwechsel anzugeben, den ZWICKEL selbst mit der sog. "Arbeitssouveräni- tät" beschrieb: Die Warenproduktion als nützliches Instrument, der ein Rahmen gesetzt werden muß. Damit entstand ein Gedanke neu, der schon unter LUDWIG ERHARD (29) ge- boren worden war, der "Korporatismus" der "sozialen" Marktwirtschaft, (30) die Suche nach einem gesellschaftlichen Konsens, gemeinschaftliches Verhandeln mit den Verbänden, der "Runde Tisch" mit der Regierungspartei. Der Weg, der aus der der Sphäre von Differenz, Umkehr und Abweichung herausführen sollte, mit der Überzeugung gesetzt, daß jetzt ein eigenes Profil verlangt sei, konnte dem erstarrten System jedoch nichts anhaben: Die Gewerkschaftsbürokratie war chancenlos. 

Als Repräsentanten der Warengesellschaft verfielen sie in die erneute Ohnmacht, in die anämische und verkniffene Politik der früheren Ära. Recht würdelos zog sie sich von älteren politischen Themen zurück, und der Vorrang, den sie jetzt dem "Bündnis" einräumte, war nicht antikapitalistisch und paßte deshalb gut in ein postradikales Zeitalter, auf der Diskursebene eine "Kultur" am Leben zu erhalten, die sich längst aus der Öffentlichkeit verabschiedet hatte, eben dem konsumorientierten Hedonismus eine Bresche schlagen zu wollen. Bei näherer Betrachtung , bei aller Rede von Differenz und Pluralität, war es die raffinierte List der Gewerkschaftsbürokratie, jedem vermeintlichen oppositionellen Standpunkt bereits im Ansatz zuvorzukommen, um auf diese Weise den "Gegnern" ein instrumentelles Handeln aufzuzwingen; die alte humanistische Idee eines selbstbestimmten Indidivuums, daß sich im allmächtigen Apparat verwirklichen könne. Auf diese Weise läßt sich die eigene Ontologie retten. ZWICKEL glaubte tatsächlich, daß sein Weg "Heraus aus der Krise" die Fundierung einer neuen Arbeitsethik ist, indem er verschlug, dem Zustand Deutschlands entsprechend, die Einheit oder Identität in der "Realität" herzustellen. Das "Bündnis" solle als "Dreh- und Angelpunkt den Weg aus der Arbeitslosigkeit heraus beschreiben".(31)  

Unterschwellig brachte er damit zum Ausdruck, daß es die Krisenschranken des warenproduzierenden Systems durchlöchern könne, und daß es ein "grundsätzliches Umdenken in der Arbeitsmarktpolitk" mit sich bringt. (32) Alles in allem sollten " beschäftigungspolitische Korrekturen" (33) angestrebt werden. Diese Ideen implizierten die Rückfälle in die alten Glaubensgrundsätze, daß der vermeindliche Gegner Schreckgespenster braucht, und daß man nur den Faktor "Arbeit" umzugestalten hätte, um aus dem Teufelskreis, der Krise der Lohnarbeit, herauszukommen. Ziemlich schnell näherten sich die Sozialdemokraten diesem "Heiligen Pakt" an, den LAFONTAINE/SCHARPING im "12 Punkte Sofortprogramm" (34) als "gemeinsamen Grundlagen" zu schmieden bereit waren. Orientierte sich dieses doch an den Vorschlägen der IG Metall und am "Bündnis" daß als "zentrales Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen" angesehen wurde. (35) Die "Rationalität", die nun SPD/DGB und IG Metall vorgaben, um den Kapitalismus in die Schranken weisen zu können, oder besser: Die  Geld-Ware Beziehung, die Vergesellschaftung und die Zerstörung, war philosophisch nichts anderes, als der berühmte Konventionalismus; Meinungen bis zur Unbrauchbarkeit hin zu über- reizen, wie im Falle von "Alles ist Interpretion" und "Alles ist politisch". 

Dabei hätten sie in ihre eigene Geschichte zurückblicken sollen, daß die Tage des klassischen liberalen Kapitalismus vorbei sind, wo man es immer noch für möglich hielt, die eigenen Handlungen unter Berufung auf gewisse rationale Argu- mente mit universeller Bedeutung zu rechtfertigen. Da sich das kapitalistische System jedoch entwickelte, neue Völker kolonisierte, neue ethnische Gruppen in seine Arbeitsmärkte importierte, die Arbeitsteilung vorantrieb, die Produktivität der Warenproduktion auf dem höchsten Stand aus- reizte, und sich gezwungen sah, die Widersprüche seiner eigenen Produktions- weise nicht mehr zu verschleiern, wurde die neu gesetzte Strategie immer un- plausibler. Es verwunderte nicht, daß gerade die Sozialdemokraten und deutschen Ge- werkschaften seit diesen Tagen einmal mehr auf England und TONY BLAIR sahen. Sein Ansatz eines "Dritten Weges" versucht nun gerade die marktwirtschaftliche Rhetorik ins rechte Licht zu setzen, und mit einer Fülle von Versprechungen (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Gesundheitsreform, Verbesserung der Infrastruktur,- der Rechte der Arbeitnehmer, Mindestlöhne etc.) soll ein sog. "Sozialkapital" (36) Einzug in die Köpfe der Menschen halten. 

Daß diese "Idee" BLAIRs, sein Programm "welfare to Work" die alte Arbeitsgesellschaft aus ihren Zwängen nicht herauslösen kann, sie hinter Begriffen versteckt, sie deshalb nur eine Renaissance der alten darstellt, dafür hatte die plump agierende Gewerkschaftsführung sicherlich keinen Zugang, aber sie zeigt den Kerngedanken, der sich in der einen oderen Weise auch im "Bündnis" niederschlägt: "Sozialer Zusammenhalt" solle für die Produktivität des Gesamtsystems förderlich sein. Nicht von ungefähr hat BLAIRs Vordenker, ANTHONY GIDDENS, den Staat davor gewarnt, "Vertrauensverhältnisse" die entstanden sind, einfach wieder aufzulösen. (37) Und er dürfte damit das Muster Niederlande gemeint haben, daß sein Konzept der "kollektiven Verhandllungen" praktiziert hatte, und den "positiven Wohlfahrtsstaat" als klassisch sozialdemokratisch etablierte. Vielleicht hatte das WALTER RIESTER, ehemaliger 2. Vorsitzender der IG Metall im Blick, als er kurz vor der Bundestagswahl 1998 von einer "Stiftung der Arbeit" nach niederländischem Muster sprach.

Allerdings, und das erklärten weder RIESTER noch ZWICKEL, ist die soziale Ausgrenzung im Nachbarstaat in einer viel verschärferenden Form anzutreffen, als etwa in anderen europäischen Staaten: Der soziale Niedergang nimmt auf der Grundlage starrer Regelwerke und Anspruchsdenken ständig zu, der "Verbändekooperatismus" hat sich längst zerschlagen, ist zerbröckelt, die Wirtschaft unterliegt genau den gleichen Gesetzen der Globalisierung wie in an- deren Ländern. Das vermeindliche "Jobwunder", der "gemeinschaftliche Diskurs" und die "gleichmäßige Verteilung der Arbeit", die erreicht werden sollte, ist ein Ammenmär- chen. Da mag das  "Bündnis für Arbeit" eher aus einer Sinnestäuschung bestehen; denn es arbeitet mit dem versteckten Synonym "Emanzipation" . Erklärt werden kann nämlich nicht, wer denn letztlich in den Genuß dieser evtl. Errungenschaften kommen solle :Bündnis mit wem und für wen? Wenn Billiglohnempfänger einen Zuschuß erhalten, aber der Staat im gleichen Atemzug Arbeitsverweigerern die Sozialhilfe kürzt, dann befinden sich die "festen Blöcke", von denen im "Bündnis" ausgegangen wird, bereits in der   Auflösung. 

Bei der "Bündnis"-Kanzlerrrunde am 24. 1. 1996 (38) war diese Ebene bereits längst verlassen. Schlugen der DGB und sein 1. Vorsitzender (DIETER SCHULTE) tatsächlich vor, einer "Kürzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe" zuzustim- men, wenn als Gegenleistung dafür, "eine Halbierung der Arbeitslosenquote bis zum Jahre 2000" festgeschrieben würde. (39) Wem immer auch das "Bündnis" gegolten haben mag, es war unwahrscheinlich, daß nun eine Drehung der Sichtweise, die heißersehnten Erfolge bringen würden. Kurze Zeit später (15. 2. 1996) war ein Spitzengespräch in Darmstadt für gescheitert erklärt worden, was ZWICKEL "sehr bedauerte", und er hob hervor, daß es nun um "Vorruhestand und gegen Sozialabbau" gehe. (40) Die "Bündnis"-Korrekturen waren angebracht. Es ging nun nicht mehr primär um die "Schaffung von Arbeitsplätzen" , sondern um eine ganze Fülle von "Reformideen", die allesamt die aktuellen Krisenerscheinungen negierten. Je mehr die "Reformer" an ihren eigenen Auffassungen zweifelten, wurde offensichtlich, daß sie der kapitalitischen "Normalität" nichts entgegenzusetzen hatten außer der eigenen Krisenverwaltung und ihrer Ausweglosigkeit. 

Auf einer Veranstaltung in der Nähe von Stuttgart erklärte ZWICKEL Ende Februar 1996, daß "der gewerkschaftliche Druck in den Betrieben zunehmen müsse", um damit "Bündnisse auf regionaler Ebene" vorzubereiten. Er steigerte sich in die Behauptung hinein, daß "Überstunden nur dann zu genehmigen sind, wenn sie auf Arbeitszeitkonten gesammelt werden können...Dann wird es in wenigen Wochen Neueinstellungen geben." (41) Das "Bündnis" trat nun in der Form seiner Verkleidungen hervor, als Legitmationsidee: Die notdürftige Reparatur einer erstarrten Theorie sollte mit Hilfe der Kategorie "Produktion" die Differenzen in der Anpassung an die Marktbasis "ausgleichen". Ergebnisse brachte das Kuriosum nicht: ZWICKELs vorgetragenen Argumente, die "materielle Teilerfolge" zum Ziel hatten, entsprachen ganz und gar der betriebs- wirtschaftlichen Rationalität. Verbindliche Absprachen wurden nicht erzielt; erst recht gab es keine Investitionen in die Mitarbeiter; die "hire and fire" -Kultur überlebte.  

Aber damit noch nicht genug: Das Bild, daß die Gewerkschaften vom "status-quo" zeichneten, von der "Instandhaltung" der Gesellschaft, entsprach der kapitalistischen Fahrtrichtung, dem offenen politischen Bündnis mit der SPD, der ökonomisch-strategischen Blockbildung mit den Kapitalverbänden. Einerseits wollte man dem "Bündnis" eine ähnliche Rolle oktroyieren, wie der ominösen "35-Stunden-Woche", andererseits sollte es sich auf ein vorherbestimmtes Ziel zubewegen, und die innere Dynamik seines unaufhaltsamen Aufstiegs zu bewirken. Doch die Geschichte hatte ihre eigene Logik und entschied sich dafür, es von der Bildoberfläche verschwinden zu lassen. Die Beendigung des Spektakels kleidete Gesamtmetall-Präsident WERNER STUMPFE am 7. 3. 1996 in die Worten, daß "das Bündnis wohl scheitern wird". (42) Es hatte sogar den Anschein, als wollten alle Beteiligten von diesem nichts mehr wissen; denn der Kontext hatte unscharfe Ränder und wirkte deshalb durchlässig. 

Eigentlich gab es nur die polemische Gewohnheit der Kapitalverbände und deren "gut" funktionierende Regierungspartei, die das "Bündnis" im "Wandel der Zeit" betrachtet, als Eingriffe in ihre Staatsautorität interpretierten. Mit den "Signalen zum Aufbruch" hatten weder die einen, noch die anderen etwas zu tun. Alle gaben sich der lächerlichen Selbsttäuschung hin: Wirtschaftsminister REXRODT erklärte Anfang April 1996, daß das von ZWICKEL angestrebte "Bünd- nis tot sei" (43); SCHRÖDER ließ als Ministerpräsident von Niedersachsen im April das dortige "Bündnis für Arbeit" platzen, als es um die Arbeitszeitverlängerung für Beamte ging. Kurze Zeit später (23. 4. 1996) erklärte SCHULTE nach erneuter Aufnahme der Gespräch im Kanzleramt unter Beteiligung von KOHL, daß "das Bündnis gescheitert, tot ist". (44) Da hatte selbst das norddeutsche "Bündnis", daß am 26. 4. 1996 platzte, keine Chance mehr. Das Skalpell zur "Schaffung von Arbeitsplätzen" war den Operateuren aus der Hand geglitten. Die Verbesserung der Lage, die es erreichen sollte, die es so oder so NICHT gegeben hätte, war weiterhin die permanente ökonomische Kriegserklärung des staatlichen Unterdrückungsapparates, der die Auspowerung der Arbeitskraft zu einer alltäglichen Angelegenheit werden ließ. 

Die Empörung, die daraufhin von der Sozialdemokratie wie der Gewerkschaften einsetzte, und bestens inszeniert die massive "Ablösung Kohls" verlangten, zerrieb sich schnell, so wie im Herbst 1996 ,als der letzte "Aufruhr" des DGB und seiner Industriegewerkschaften den "vollen Lohnausgleich" herbeistreiken wollten. Jene verzerrte Perspektive nahm niemand ernst: Der Massenkonsum der moder- nen Arbeitsgesellschaft, in der die Geldsubjekte ihr eigenes Grab schaufeln, interessierte sich nicht für die Schizophrenie eines gestrickten Zusammenhangs. Wichtig war, was "hinten raus kam", (45) das potentielle Geld, daß erst Bedürfnisbefriedigung auf höchsten Stufe garantiert. Das geschlossene Geschichtsbild der Gewerkschaften, den Umbau des "Sozialstaates" durch den Konsens, der "sozialen" Modernisierung erreichen zu können, war im höchsten Grade Geschichtsklitterung ,und sie wiederholten die traditionellen Fehler des philosophischen Idealismus: Menschliche Gleichheit und Emanzipation in einem Atemzug zu nennen. 

Als Doktrin eignete sich das "Bündnis" gar nicht mehr. Es war schon zu einem Betriebsunfall geworden, der Machtverhältnisse und Bürokratisierung zurechtrückte, die "klassenkämpferisch" getönte Krititk versank im Sumpf der Anbiederung, der marktwirtschaftlichen Anpassung, des Opportunismus. Das war die endgültige Selbstaufgabe und der totale Verzicht auf jedwede Kapitalismuskritik Ein solches "historisches" Projekt wie das "Bündnis für Arbeit" hielt ausgesprochen oder unausgesprochen nur die Reproduktionsprozesse der Arbeitsgesellschaft in Gang. Insofern war es 1995/96 uninteressant, denn es fand nicht statt; hätte es stattgefunden, wäre es an Staat und Markt gescheitert, wie jene Arbeitszeitverkürzungsmodelle der Vergangenheit, als es darum ging, eine gegen die bürgerliche Ordnung gerichtete Forderung zu etablieren. Unter den Bedingungen von Armut und Unterdrückung mußten diese und ähnliche Überlegungen wie "Sozialarbeiter"-Versuche wirken, die die Warenproduktion und Staatlichkeit der Moderne in die Schranken weisen sollten. 

Für die, die im Amerikanismus der postmodernen Gesellschaft groß wurden, war der Stellungswechsel, den die IG Metall vollzog, relativ egal, denn sie gehören zur Arbeitsgesellschaft, die die IG Metall erhalten will, und ein "gerechtes Tagwerk" , daß die SPD in ihrem Europawahlprogramm 1994 mit den Wor- ten "Arbeit, Arbeit, Arbeit" umschrieb, entspricht eben keinerlei historischen Entwicklung mehr. Geschichte sollte als Widerspruch betrachtet werden, als nicht-metaphysische Operation. Das muß gleichzeitig bedeuten, daß man sich von der Lüge als Norm zu verabschieden hat, oder der Illusion, die sie in Wirklichkeit ist. Man kann nicht an einen historsichen Fortschritt glauben, wenn die Veränder- barkeit der Dinge der Gegenwart widersprechen, und man kann erst recht nicht an das unaufhaltsame Wachstum der Produktivkräfte glauben, wenn sie sich bereits als ahistorisch herausgestellt haben. Jeder Bezug auf die menschliche "Naturalität", (46) die diese Begriffe von Haus aus implizieren, sind in der Tat fragwürdig, lediglich eine verschleierte Bezeichnung für "soziale Klassen" , stereotype politische Forderungen, oder einfache "Kampfparolen" , die aus dem gegenwärtigen Wesen des Menschen abzuleiten seien.

Angebliche radikale Kritik an den Kapitalverhältnissen, bei der DONALD TRUMP (47) genauso als Kapitalist eingeordnen wird wie ein OLAF HENKEL (48), mag da nichts anderes mehr sein, als die Überführung der Gewerkschaften in das Gesamtsystem, wo alle "gleich" sind, Kapitalisten, der Staat und die Lohnabhängigen. Da war das "Bündnis" geradezu prädestiniert, die Integration in das Herrschafts- modell Deutschland voranzutreiben, es hatte alle Voraussetzungen, das Fahr- wasser der arbeitsgesellschaftlichen Logik erfolgreich zu befahren. Der Reformismus der Sozialdemokratie lieferte dafür die Grundthesen, das "Tradeunionistische" Bewußtsein der Gewerkschaften kam einer radikalen Kritik der Kapitalverhältnisse nicht im enferntesten näher. Die historische Diagnose: Die Krise der Arbeitsgesellschaft hatte die wahren Qualitäten solcher "Bündnisse" unter Beweis gestellt, und in der modernen Warenproduktion kommen sie höchstens nur noch einmal zum Vorschein; wenn sie etwa in den unaussprechlichen Tiefen der Geldmoderne unter der glatten Oberfläche lauern, um irgendwann nach einem Zustand der Barbarei in die atavistischen Tendenzen der Moderne zurückzukehren. 

Anmerkungen: 

(26) ZWICKEL wurde auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall wieder zum 1.Vorsitzenden gewählt und erhält 92,4 % der Stimmen. Sein Vize wird WALTER RIESTER, späterer Bundesarbeitsminister in der Regierung SCHRÖDER. 

(27) Datenbank TAZ-Archiv, 2. 11. 1995. 

(28) Datenbank TAZ-Archiv, 11. 12. 1995.

 (29) LUDWIG ERHARD: Erhard, Politiker (CDU-Fürth 4. 1. 1897 - 5. 5. 1977- Bonn), war 1928/42 am Institut für Industrieforschung in Nürnberg tätig, befasste sich gegen Ende des 2. Weltkrieges mit Fragen der Wirtschafts- und Finanzentwicklung Dtls. nach dem Kriege. Nach dem dt. Zusammenbruch war er 1945/46 bayer. Wirtschaftsmin., 1948/49 Direktor der Wirtschaftsverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, erklärte am Tag der Währungsreform (20.6. 1948) gegen den Widerstand der Besatzungsmächte das Ende der Zwangswirtschaft. 1949/76 war er MdB, 1949/63 Bundeswirtschaftsmin., 1957/63 zugleich Vizekanzler. Er setzte das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft durch, wobei er sich bes. gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch Kartelle und Monopole wandte. Der von ihm geleitete Aufschwung begründete seinen Ruf als »Vater des Wirtschaftswunders«. Von Okt. 1963 bis Okt. 1966 führte er als Bundeskanzler eine Reg.-Koalition aus CDU/CSU und FDP, vom Okt. bis zum 1.12. 1966 eine CDU/CSU-Minderheitsregierung. Seine Kanzlerschaft scheiterte an den Spannungen innerhalb der Koalition sowie an der Kritik innerhalb der Unionsparteien an seinem Führungsstil. 1966/67 war E. auch Vors. der CDU, danach ihr Ehrenvorsitzender. Er schrieb: »Wohlstand für alle« (1957); »Dt. Wirtschaftspolitik« (1962). Datensatz entnommen aus: Mutimedial DER BROCKHAUS, Mannheim 1998. 

(30) KORPORATISMUS/KORPORATIVISMUS: Gilt als politisch-soziale Theorie mit ökonomischer Komponente; steht für ein "Ideal" eines "harmonischen Zusammenwirkens aller organisierten gesellschaftlichen Kräfte" (Zitat nach: MICROSOFT ENCARAT 1997, ENZYKLOPADIE). Er setzt ein Modell des eigenverantwortlichen Interessenausgleichs der organisierten Gemeinschaft bzw. der gesellschaftlichen Gruppen in Anlehnung an den im angelsächsischen Sprachraum gebräuchlichen Begriff des "corporatism". Er kam in Deutschland mit der Krise 1996/67 neu auf. Praktisches Beispiel für einen solchen neuen Korporativismus ist die zur Zeit der großen Koalition (1966-1969) ins Leben gerufene „Konzertierte Aktion" (von französisch concerter: verabreden), in der das Verhalten der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden), der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften aufeinander abgestimmt wurde, um gesamtwirtschaftliche Ziele zu erreichen. Als "Vater" der "sozialen" Marktwirtschaft gilt LUDWIG ERHARD, der sich auf seine Vordenker: WALTER EUCKEN, ALEXANDER RÜSTOW, ALFRED MÜLLER-ARMACK, WILHELM RÖPKE stützen konnte. 

(31) Datenbank TAZ-Archiv, 12. 1. 1996 und 10. 2. 1996 

(32) Datenbank TAZ-Archiv, 25. 1. 1996 und 28. 6. 1996 

(33) Datenbank TAZ-Archiv, 9. 10. 1996. ZWICKEL spricht dort auch von "beschäftigungspolitischen Vereinbarungen". 

(34) Datenbank TAZ-Archiv, 12. 1. 1996 und 24. 2. 1996. Teile des "12 Punkte Sofortprogramms" von 1996 werden übrigens kurz vor der Bundestagswahl 1998 ins "100-Tage Programm der SPD" aufgenommen. 

(35) Ebd. 

(36) SOZIALKAPITAL: Die Theorie des "Sozialkapitals" gilt als besondere Variante in der Debatte "linker" Ökonomen, Sozialdemokraten und Reformisten verschiedener Coleur. Es soll einen "Dritten Weg" beschreiben, der den gesellschaftlichen Konsens gleichermaßen mit der Wirtschaft fördert. Sie wird zurückgeführt auf den französichen Soziologen PIERRE BOURDIEU und den Amerikaner JAMES COLEMANN. Danach soll das "Sozialkapital" das Maschinenkapital in seine Schranken ver- weisen, dem "Humankapital" solle mehr Rechnung getragen werden. 

(37) ANTHONY GIDDENS: Britischer Soziologe; versucht in seiner Theorie der Strukturierung den herkömmlichen Gegensatz zwischen der Annahme individuell handelnder Subjekte und "objektiver" gesellschaftlicher Gegebenheiten und Systeme zu überwinden. Dabei gelangt er zu merkwürdigen Schlüssen, die den Wandel der "Arbeitsgesellschaft" betreffen, etwa, daß der Begriff der "Arbeit" ausgedehnt werden müsse, sie gehöre in eine "ökologische Konzeption" , müsse den "ökonomischen Erfordernissen" und auch den "gesellschaftlichen Idealen" entsprchen. Wichtigste Schriften: "Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung (1984), Frankfurt/M. 2. Auflage, 1997. Ders.: "Kritische Theorien der Spätmoderne", Passagenheft Nr. 5/1992 Ders.: "Konsequenzen der Moderne", 1990 Ders.: "Der dritte Weg. Erneuerung der Sozialdemokratie", 1996/97. 

(38) Datenbank TAZ-Archiv, 25. 1. 1996. 

(39) Ebd.  

(40) Datenbank TAZ-Archiv, 13. 2. 1996. 

(41) Datenbank TAZ-Archiv, 24. 2. 1996. 

(42) WERNER STUMPFE: Gesamtmetall-Präsident. 

(43) GÜNTER REXRODT (FDP) damaliger Wirtschaftsminister der KOHL-Regierung. 

(44) Datenbank TAZ-Archiv, 23. 4. 1996. 

(45) Geflügeltes KOHL-Zitat. 

(46) Die ganze Debatte um das "Bündnis" wird auch immer wieder mit dem Slogan "Recht auf Arbeit" verbunden. Es hat den Anschein, als sei damit DER "Naturcharakter" des Individuums gemeint, der unter der Knute der kapitalistischen Lohnarbeit keinen anderen Ausweg weiß, als immer wieder dieses "Recht" einzufordern. Der "Naturalität" des Menschen müsse eine Verkürzung der Arbeitszeit, der Lebensarbeitszeit, Teilzeitarbeit etc. entsprechen. Dies würde sich in mehr "Lebensqualität", Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Gesundheit nieder- schlagen. 

(47) DONALD TRUMP New Yorker Baulöwe, Immobilienzar, Spekulant.

(48) OLAF HENKEL: BDI-Präsident.

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