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Gruppe NEUE EINHEIT

Internet statement Nr.1/99

ZUM JAHRESWECHSEL
01/99
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Mit dem Jahreswechsel 1998/1999 erfolgt das letzte Mal ganz innerhalb dieses Jahrhunderts und Jahrtausends ein Jahreswechsel. Bereits heute erstrecken sich die Gedanken nicht nur darauf, was das naechste wichtige Jahr bringen wird, sondern auch welche Perspektiven fuer das naechste Jahrhundert bestehen, und sogar fuer das naechste Jahrtausend. Dies ist ein Anlass, zum diesjaehrigen Jahreswechsel, an dem sich wichtige geschichtliche Daten in Erinnerung rufen, einen kurzen Rundblick zu tun.

In dem vergangenen Jahr 1998 hatte es einen tiefen Einschnitt dadurch gegeben, dass vielen Millionen von Menschen in Asien, in Russland, in Lateinamerika und Afrika die Illusionen ueber einen "glueckbringenden" Kapitalismus, einen Kapitalismus, wie er von den Menschenrechtlern und" Reformern" gepriesen worden ist, zunichte gemacht worden sind. Die Krise, die im Sommer dieses Jahres, nachdem sie bereits 1997 begonnen hatte, in grossen Staaten wie Indonesien und Russland ausgebrochen ist, enthaelt viele Hinweise, dass sietrotz der kolossalen Bemuehungen, ihr mit allen Kniffen der Finanztechnik und Regulierung zu begegnen, in eine umfassendere Weltkrise fuehrt. Bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass die fuehrenden Kraefte des Kapitalismus
und der Finanzoligarchie hier irgendetwas korrigieren koennen.

Es hat sich gezeigt, dass die Grundgesetze des Kapitalismus, wie sie von Marx und Engels in dem Kommunistischen Manifest, das 1998 seinen 150. Geburtstag feierte, dargelegt wurden, nach wie vor hochaktuell sind. All die Gesetze ueber den Kapitalismus, die Konzentration des Kapitals und die widerspruechliche Haltung des Kapitals zu der von ihm selbst erzeugten gesellschaftlichen Realitaet werden drastischer vor Augen gefuehrt, als es je im Kapitalismus im alten Europa von 1850 bis ca 1950 erkennbar war. Alle gesellschaftlichen Skrupel werden von den Zentren des Kapitals ueber Bord geschmissen, die Ausbeutung mit all ihren Erscheinungen betrieben, die wir schon vom Manchester-Kapitalismus kennen, sobald nur der Eindruck entstanden war, dass das internationale Proletariat und das Volk keine wirkliche Interessenvertretung mehr haben. Die Schutzfunktion der buergerlichen Demokratie fuer das Volk, fuer die Interessen der Arbeiter erweist sich aber als fast Null. Das Kapital ist seiner Sache sicher in solchen sog. demokratischen Laendern, und kann es auch sein, denn es haelt Parteien an der Macht, die man zwar abwechselnd waehlen kann, die aber alle miteinander sich in der Lakaienhaftigkeit vor der internationalen Ordnung, die den heutigen Weltkapitalismus repraesentiert, zu ueberbieten trachten.

Wenn man heute das Kriterium fuer Progressivitaet stellt, dann muss man vor allem zwei Pruefsteine aufstellen: Erstens, ist die betreffende Kraft bereit, dieser neuen internationalen Ordnung mit dem Finanzkapital an der Spitze die Stirn zu bieten, und zweitens, vertritt diese Kraft auch das Element der Moderne, das Element einer Gesellschaft, die dieser heutigen imperialistischen und kapitalistischen "Superordnung" progressiver gegenuebersteht, als diese selbst ist. Es gibt heute viele Arten der Opposition gegenueber diesem Kapitalismus und Imperialismus. Manche traeumen von einem Kapitalismus, wie er noch vor einigen Jahrzehnten existierte, in der gewisse kapitalistische Kraefte, aber auch ein betraechtlicher Teil der Arbeiteraristokratie in relativ geordneten Bahnen steckten. Oder manche traeumen auch von einer anarchistischen Gesellschaft, in der angeblich alle Bande aufgeloest werden, und die Produktion auch auf ein viel tieferes Niveau heruntergezogen wird. Manche reden von einer sogenannten alternativen Ordnung daher, von einer bewussten Beschraenkung der Beherrschung der Natur und von der Selbstbescheidung des Menschen, wobei sie die zentralen Kraefte der heutigen internationalen kapitalistischen Herrschaft unangetastet lassen. Um eines klarzustellen: die Verwirklichung derartige Ziele, wie sie soeben genannt wurden, ist in jedem Fall noch um ein vielfaches schlimmer, als die jetzige herrschende Ordnung und ihre zu erwartende Entwicklung. Opposition gegen den Kapitalismus ist nicht gleich Opposition gegen den Kapitalismus. Dazwischen liegen Welten. Wie Lenin zurecht in Fortfuehrung des Marxismus feststellte, ist der Imperialismus progressiv gegenueber allen frueheren Formen des Kapitalismus, das Gleiche gilt auch fuer die Weiterentwicklung der kapitalistischen imperialistischen Welt, wie sie sich so imposant in den letzten 25 Jahren vollzogen hat.

Der Kapitalismus von heute benutzt alle gesellschaftlichen Tendenzen, um sich an der Macht zu halten, um sich selbst auch in anderen Laendern weiterzuentwickeln. Darunter sind insbesondere die verschiedenen fundamentalistischen Kampagnen zu erwaehnen, von denen einige behaupten, sie wuerden den Kapitalismus kritisieren; in Wirklichkeit kratzen sie die Herrschaft des heutigen Kapitalismus und Imperialismus nicht im geringsten an. Da gab es die angebliche Bewegung zum Erhalt der natuerlichen Bedingungen auf der Erde (Oekologismus), die heute nahezu vollstaendig in den Kapitalismus integriert ist. Da gab es fundamentalistische Kampagnen auf religioeser Basis, z.B. der neue Islamismus, auch dieser wandelte unter dem Vorzeichen des Antikapitalismus herum, aber er hat nicht im geringsten den Kapitalismus kritisiert. Allenfalls hatte er die Voelker ins Elend gestossen wie z.B. in Afghanistan. Ueberall wo der islamische Fundamentalismus regiert, regiert er auch in bester Symbiose mit dem internationalen Kapital. Der Kapitalismus ist pragmatisch, wendet jede Methode an, die ihm geeignet erscheint. Gestern kommt er in Form autoritaerer Regime - sagen wir in Form eines Autoritarismus eines Ronald Reagan oder auch eines Autoritarismus, wie ihn die klassische katholische Kirche vertritt - heute aber kommt er in Form von Liberalismus, der angeblichen Freiheit von allem und jedem, in Wirklichkeit der Freiheit der gezielten Ausbeutung und der Freiheit der Zerstoerung jeder Art von gesellschaftlichen Zusammenhaengen und Substanz, einschliesslich der Propagierung der Rauschgiftkultur oder voelliger sexueller Zuegellosigkeit, deren Kritik er dann in die Kategorie "kirchliche Einstellung" abzuschieben versucht, derweil er selbst gestern noch die autoritaere Kirche unverhohlen unterstuetzt hat. Alles ist ihm recht, wenn es nur zur Unterdrueckung, wenn es nur zur Ablenkung, wenn es nur zur Zersetzung dient.

Manche Menschen werden an diesem Punkt erwidern, dass auch der Kommunismus die Menschen ins Elend gestuerzt habe, und sie verweisen dabei auf Russland oder andere Laender, die vor Jahrzehnten eine kommunistische oder annaehernd kommunistische Gesellschaftsordnung hatten. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Revolution von 1917 und der sozialistische Aufbau von den zwanzigern bis in die fuenfziger Jahre der gesamten Entwicklung des 20. Jahrhunderts die Impulse gegeben haben, neue grundsaetzliche Massstaebe gegeben haben, die allen Menschen das Glueck zubilligen. Der sozialistische Aufbau war grossartig, hat den Kapitalismus selbst zu grossen Anstrengungen getrieben, und auch weltweit die marxistische Erkenntnis und den Willen zur Fortentwicklung der Menschheit zu der grundlegenden, zur beherrschenden Stroemung in der ueberwiegenden Zeit dieses Jahrhunderts gemacht. Wir profitieren heute noch davon. Der Kapitalismus hat, wie schon erwaehnt, alle angeblichen sozialen Grundsaetze sofort ueber Bord geschmissen, sobald er den Kommunismus ueberwunden geglaubt hat. Schliesslich ist der grosse Aufbau in China, der Volkskrieg von 1927 bis 1949, der unglaubliche Volkskraefte entfaltet hat und der groessten Macht des Kapitalismus, den USA, eine erste grosse geschichtliche Niederlage beigebracht hat, ein weiteres zentrales Ereignis dieses Jahrhunderts. Die Aufbauideen des sozialistischen China lernten bereits aus den Erfahrungen der Sowjetunion, und sie brachten die historische Kraft der aeltesten und groessten Nation der Erde zur Geltung. Auch wenn heute in China, nach dem Umbruch 1976-78, ein kapitalistischer Weg beschritten wurde, dessen Protagonisten sich verschiedene Einseitigkeiten der vorherigen Entwicklungen zunutze machten, der aber auch den politischen Schwung der Revolution fuer seine Ziele ausnutzte, so ist doch die Umwandlung Chinas das vielleicht markanteste Merkmal der 2. Haelfte des 20. Jahrhunderts.

Der sozialistische Aufbau der Sowjetunion hat, bis er in Revisionismus und Erstarrung verfiel, der Menschheit einen unermesslichen Erfahrungsschatz gegeben, durch praktisches Beispiel, durch positives Beispiel, aber auch durch negatives, denn nur in der Praxis kann eine solche Gesellschaftsordung ausgelotet werden. Auch die sozialistische Revolution in China und die Errichtung und Weiterfuehrung der Volksrepublik konnte nur erreicht werden, weil die Sowjetunion so entschieden in der Stalinschen Epoche verteidigt wurde.

Mit den neunziger Jahren, mit der Entwicklung ganz neuer Produktivkraefte gab es auch, obwohl man unter dem Vorzeichen der alternativen Bewegung 20 Jahre zuvor zunaechst einmal eigentlich zurueckkehren wollte zur Kleinproduktion, eine neue Stufe der Internationalisierung. Die neuen Mittel der Kommunikation bringen auch eine Revolution in der Information und damit neue Moeglichkeiten der Demokratisierung mit sich. Es gibt einige Ideologen des Kapitals, die darauf verweisen, dass die alten kommunistischen Systeme etwa unter Stalin oder Mao Zedong nicht Bestand haetten haben koennen, wenn eine solche neue internationale revolutionaere Kommunikation existiert. Und obwohl wir ja die historische Bedeutung dieser beiden Systeme so positiv einschaetzen, so wollen wir konzedieren, dass bestimmte Momente der Schwerfaelligkeit und der Abgeschlossenheit, wie sie damals existierten, in der Tat mit dieser modernen Entwicklung unvertraeglich waeren. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist, dass auch der Kapitalismus Information entschieden fuerchtet, und es ist noch sehr die Frage, wer am Schluss mehr argumentieren kann und die Massen und damit die entscheidenden politischen Kraefte auf seiner Seite haben wird. In der Tat gab es einen nicht geringen Teil von Kommunisten, die rueckwaerts gewandt sind, die Gegner einer modernen Technik sind, und die heute nicht zufaellig auf der Seite der Naturschutzbuendler und Alternativen stehen, oder die sich sogar zu Anti-Wachstums-Aposteln entwickelt haben. Sie bilden in der Tat eine Sackgasse. Aber die Ideen der grossen sozialistischen Fuehrer stehen keineswegs im Gegensatz zu dieser modernen Technik, denn sie sehen eine moeglichst weitgehende Auseinandersetzung letztlich auch als eine Fundierung einer tiefgehenden sozialistischen Bewegung an. Mao Zedong haette eine solche Entwicklung nicht gefuerchtet, und eine neue Kultur revolutionaerer Entwicklung in China in die Wege geleitet, die nach Moeglichkeit auf breiter Basis diese Technik auch angewendet haette. Nebenbei bemerkt zeigt sich, dass gewisse Stroemungen, wie sie bei der sogenannten Viererbande vorhanden waren und die in einer Geringschaetzung der Technik und der Grundlagenforschung sich aeusserten, in der Tat in der Geschichte zum Scheitern verurteilt gewesen waeren. Fuer die sozialistischen Ideen sind daher bessere Voraussetzungen gegeben als frueher, und in einem gewissen Sinn kann man postulieren: der Sozialismus faengt erst richtig an. Die Pioniertaten des 20. Jahrhunderts werden sicherlich irgendwann einmal als muehsame Durchbruchsarbeit begriffen werden. Aber als solche sind sie natuerlich schon sehr wichtig und werden den Menschen im Gedaechtnis bleiben. Andere grundlegende gesellschaftliche Errungenschaften der Menschheit haben sich ebenfalls nur in einem muehsamen Hin und Her entwickelt, manchmal sogar noch viel komplizierter als in dem Fall unseres Jahrhunderts.

In der heutigen Lage gibt es auch Gefahren. Die modernen sozialen Widersprueche entwickeln sich in Laendern mit einer langwierigen feudalen oder asiatischen Tradition, in der es wenig demokratische Kultur gegeben hat. Der Kapitalismus waere nicht der Kapitalismus, wenn er nicht versuchen wuerde, dies fuer sich auszunutzen und Mentalitaeten des Fatalismus und Selbstverleugnung in diesen Laendern zu verfestigen. Er wird versuchen, da, wo sich Widerstand entwickelt, die Proletarier erneut zu verlassen und die Ausbeutung in andere Schichten und Regionen hineinzutragen, die vorherigen Arbeitskraefte sich selbst oder dem Verfall zu ueberlassen und so durch die Ausnutzung des Menschenreservoirs seine Herrschaft zu verewigen.

Auf die Arbeiterklasse in den entwickelten Laendern schlaegt heute voll die Tendenz zurueck, sich nur mangelhaft um die Ausbeutung dieser Laender zu kuemmern und den Arbeiteraristokratismus zu akzeptieren. Heute sind neue Ansaetze zu schaffen unter den Menschen, die die Folgen dieser neuen Entwicklung tragen. Die ganzen letzten drei Jahrzehnte sind durch keinen Vorgang mehr gepraegt als den, dass aus entwickelten und kapitalistischen Laendern ganze Produktionszweige verlagert worden sind, und neue Produktions- Verhaeltnisse (im wahrsten Sinne des Wortes) weltweit geschaffen worden sind. Die Spaltung bezieht sich mehr denn je auf ganze Regionen in der Welt. Aufgabe heutiger Kommunisten ist es, die Menschen, das heisst natuerlich die progressiven Menschen, auf die Verbindung mit dieser Ausbeutung in der 3. Welt hinzuweisen und sie fuer die Unterstuetzung des proletarischen Kampfes in diesem internationalen Sinne und fuer die Regeneration der sozialistischen Parteien in den alten kapitalistischen Laendern zu gewinnen. Die Verbindung zwischen beidem wird die Schluesselaufgabe fuer die heutigen internationalen sozialistischen Parteien sein.

EINIGE HISTORISCHE ERINNERUNGEN DES ABGELAUFENEN JAHRES

Unsere Organisation legt an erster Stelle Wert auf die notwendigen Aufgaben, die sich in der konkreten Praxis stellen, die Weiterfuehrung der Bewegung, die theoretische Erfassung der heutigen Realitaet usw. Dies ist ausreichend und auslastend fuer eine Gruppe wie unsere. Gedenktage haben fuer uns nur eine zweitrangige Rolle. Wir gehoeren nicht zu den Kommunisten, die jeden Geburtstag und jedes historische Jubilaeum feiern, aber in den substantiellen Aufgaben vollkommen hinterherhinken. Leider gibt es diesen letztgenannten Typus des oefteren. Da nun die Jahre 1998 und 1999, zum Teil sogar zusammenhaengend, soviele Jubilaeen aufweisen, wollen wir hier kurz einmal auf einige wesentliche Aspekte eingehen, zumal einige in einem sehr konkreten Zusammenhang mit der heutigen Entwicklung stehen.

Wir gedenken zum einen der 150. Wiederkehr der Revolution von 1848/49. Diese Revolution war die erste gesamteuropaeische Revolution, bei der sich in vielen Zentren in kurzer Abfolge zumeist sowohl die Buerger als auch die Arbeiter erhoben, um das aristokratische und finanzoligarchische Joch abzuschuetteln, das sich seit der Franzoesischen Revolution entwickelt hatte. Karl Marx und Friedrich Engels analysierten in dieser Revolution sehr deutlich die Rolle der verschiedenen Klassen, der Haute-Bourgeoisie, der industriellen Bourgeoisie, des Proletariats und des Kleinbuergertums. In ihren beruehmten Schriften zur Revolution in Deutschland und den Klassenkaempfen in Frankreich brachten sie zum ersten Mal eine detaillierte Analyse der Klassenzusammenhaenge hervor. (Sie setzen bei ihrer Analyse, das darf man nicht vergessen, die Struktur der europaeischen Zivilisation als Grundlage voraus.) Der Februar 1848, der den Ausbruch der Revolution markierte, war zugleich das Datum der Veroeffentlichung des Kommunistischen Manifestes, das zum erstenmal in programmatischer und populaerer Form die historische Rolle des Proletariats und auch die Vergaenglichkeit der Bourgeoisie formulierte. Inmitten der Entfaltung der buergerlichen Kraefte meldete sich eine grundsaetzlich andere Anschauung, naemlich die historisch bewusste Arbeiterklasse zu Wort. Dies geschah durch die damals fortgeschrittensten Intellektuellen, die mit dem buergerlichen Regime gebrochen hatten. Seitdem hat sich aus diesem kleinen Funken in Europa ein weltweiter und wechselhafter Kampf entwickelt. Die Kommunisten mussten sich seitdem mit zahlreichen anderen gesellschaftlichen Formationen am Rande Europas oder ausserhalb dieses Kontinents auseinandersetzen und zahllose neue Analysen entwickeln.

Unser Land im besonderen gedachte auch des Jahres 1648, denn 200 Jahre vor jenem Geschehen von 1848 fand in Muenster und Osnabrueck der Westfaelische Frieden statt. Nach 30 Jahren verheerendsten Krieges kam es zu einem internationalen Vertrag, der unser Land politisch knebelte und zumindest zu einem betraechtlichen Teil regelrecht versklavte. Er war aber nicht nur ein Vertrag, der den 30jaehrigen Krieg beendete, sondern im Grunde genommen ein Schlussstein eines 130- jaehrigen Buergerkrieges, der sich seit der Erhebung des grossen Bauernkrieges um 1520 zugetragen hatte. Deutschland war als historische Kraft ausgeschaltet. Ueber 350 Einzelstaaten, zumeist unter der Fuehrung kleiner Potentaten, konnten eigenmaechtige Vertraege abschliessen, auslaendische Maechte konnten nach eigenem Gutduenken innerhalb Deutschlands schalten und walten. Durch Deutschland ging der Riss der Konfessionen, der den ganzen Kontinent beherrschte. Das Land war ausgeliefert der verraeterischen habsburgischen Macht im Sueden. Diese hatte jegliche Rolle in der nationalen Frage verraten und sogar Hand an diejenigen gelegt, die es gewagt hatten, an dem Zusammenhang des Landes zu arbeiten. Auf der anderen Seite kuendigte sich eine neue Grossmacht an, Brandenburg-Preussen, das lange Zeit ebenfalls jede gesamtdeutsche Rolle leugnete, das an der Spaltung arbeitete und erst durch die napoleonischen Kriege und vor allem durch die Industrialisierung der dreissiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts und schliesslich durch die Revolution von 48/49 in einer beschraenkten Weise sich die deutsche Einigung zum Ziele machte. Auf Deutschland lastete damals die eigene Vergangenheit. Einst die fuehrende feudale Macht in der Zeit des Hochmittelalters in Europa, war sie gerade wegen ihres Feudalismus politisch zurueckgeblieben und war nun ins Abseits gestellt. Nur in einigen einzelnen deutschen Staaten fand die Entwicklung Anschluss an die moderne buergerliche Entwicklung, wie sie in den Niederlanden und England stattfand Erst die Revolution von 1848 begann mit diesen Zustaenden von innen heraus Schluss zu machen. Allerdings war sie viel zu schwach, um mit den spalterischen Maechten aufzuraeumen. Die buergerlichen Revolutionaere von 1848 waren nicht imstande, dem preussisch-oesterreichischen Doppelregime in Deutschland den Kampf anzusagen. Und Kraefte wie die von Marx und Engels geleiteten konnten diese Zielsetzung auch mehr oder minder nur propagieren. Das historische Erbe der besonderen Entwicklung hat auch auf den weiteren Revolutionen und unserer Entwicklung gelastet. Und es lastet sogar, wenn auch unter ganz anderen internationalen Bedingungen, noch heute auf uns. Es sei daran erinnert, dass Friedrich Engels das deutsche Kleinbuergertum als die Frucht einer gescheiterten Revolution (naemlich der des 16. Jahrhunderts) bezeichnete.

Vor 80 Jahren, von November 1918 an aber erhob sich nach dem 1. Weltkrieg das deutsche Proletariat. Die November-Revolution, mit der man meistens die Revolution vom November 1918 bis circa Januar-Februar 1919 beschreibt, ist in Wirklichkeit nur die erste Phase eines revolutionaeren Buergerkriegs, der sich in mehreren Wellen bis 1923 und, wenn man so will, sogar bis 1933 hinzog. Er sollte das Thema einer anderen laengeren Abhandlung sein. Auf jeden Fall ist es die bedeutendste Revolution, die wir in einem entwickelten kapitalistischen Land als bewaffneten Kampf des Proletariats, wie auch als politisch-propagandistischen Kampf innerhalb der buergerlichen Republik haben. Die Erfahrungen dieses Kampfes sind bis heute noch nicht ausreichend beschrieben. Zum Jahreswechsel 1918/19, das heisst genau vor 80 Jahren, wurde die KPD gegruendet. Dies geschah in grosser Eile, aus der Notwendigkeit der Situation heraus. Wir wissen heute, dass die KPD es nicht wirklich schaffte, den Sozialdemokratismus zu kritisieren, und in vielem trotz bester Absichten und revolutionaerer Ergebenheit die Unzulaenglichkeiten und verraeterischen Momente, die der Sozialdemokratie anhafteten, nicht ausreichend ueberwand.

Auf das brutalste wurden die Arbeiter in jenen Tagen unterdrueckt, Tausende kamen bereits im Januar- Februar 1919 ums Leben, revolutionaere Fuehrer, darunter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wurden ermordet von ultrarechten Organisationen, die im Auftrage der Sozialdemokratie und buergerlicher Parteien handelten. Als sehr bezeichnend kann man eine Situation nehmen, wie sie sich auf einem Kongress der Arbeiter- und Soldatendeputierten im Dezember 1918 stellte. Die Mehrheitssozialdemokratie, die den imperialistischen Krieg Deutschland unterstuetzt hatte, und von der ein Teil jetzt offenbar die pazifistischen Phrasen vertrat, warfen der neuen revolutionaeren Partei nun vor, einen neuen Militarismus zu repraesentieren. Welch unglaubliche Verleumdung! Aber wir begegnen ihr nicht nur damals.

Das Jahr 1998 hatte noch einen anderen beruehmten Vorlaeufer. Das ist das Jahr 1898. Es wurde seinerzeit als der Beginn des imperialistischen Zeitalters bezeichnet, des Zeitalters der um Verteilung der Kolonien und der Machteinfluesse ringenden kapitalistischen Maechte. Kennzeichen dafuer war der spanisch-amerikanische Krieg, mit dem die USA endgueltig ihre Herrschaft ueber den gesamten amerikanischen Kontinent absicherten, aber auch ihre dominante Rolle gegenueber anderen Erdteilen auszuspielen begannen. In der heutigen Zeit, in der die USA, zum Teil massgeblich in Verbindung mit finanzoligarchischen Gruppierungen, die bis nach Grossbritannien und anderen Staaten hinueberreichen, die einzige Weltmacht sind, ist es von Wert, an den Beginn dieser Entwicklung zu erinnern.

Schliesslich sollte man noch an die sogenannte 68er- Bewegung erinnern, die vor 30 Jahren zu einem Ausgangspunkt einer neuen revolutionaeren Entwicklung wurde. Von der *sogenannten* 68er-Bewegung zu sprechen ist deshalb wichtig, weil sich die Studentenbewegung genau genommen bereits von Anfang 1966 bis ca. 1972 erstreckte. 1968 war allerdings ein Jahr, in dem sich international und im Lande in dieser Auseinandersetzung eine neue Qualitaet entwickelte. Die grosse Vergesellschaftung der Produktion, die Konzentration der Arbeiterklasse bildete das praegnanteste Merkmal der damaligen Zeit in den europaeischen Laendern, war aber seit der Niederschlagung der revolutionaeren Bewegungen im Jahre 1933 politisch nicht mehr zur Geltung gekommen. In dieser Zeit sieht sie sich wieder in das oeffentliche Gedaechtnis zurueckgerufen. Der Marxismus bekam mit einem Mal wieder rasche und populaere Verbreitung. Das ist die eine Seite der "roten" Sechziger. Aber bei weitem nicht die einzige. Dazu kommen Erschuetterungen, die die westliche sogenannte Demokratie belasten: die Barbarei des Vietnamkrieges, die Offenbarung, dass die "Demokratie" nicht die freie Entscheidung fuer den Kommunismus eines Volkes bzw. eines Landes beinhaltet. Weiter sind zu nennen die chinesische Kulturrevolution und der Marxismus-Leninismus vertreten durch Mao Zedong, die klarmachten, dass die chinesischen Revolutionaere entschlossen waren, aus Fehlentwicklungen der Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen - es vollzog sich eine Volksrevolution unter den Bedingungen des Kommunismus und fuer dessen Erhaltung und Verbesserung. Auch wenn wir wissen, dass diese Kulturrevolution wie jede Revolution eine Reihe unbeabsichtigter, von Einseitigkeit beherrschte Eruptionen hervorgebracht hat, so stellt sie einen Massstab setzenden Versuch der Revolution dar, neue Fortsetzer der Revolution in der Praxis hervorzubringen, die Revolution unter der Diktatur des Proletariats fortzusetzen. Nach fast 50 Jahren Revolution, und verschiedenen revolutionaeren Kampagnen, zeigten Mao Zedong und die kommunistische Partei Chinas unter Mao Zedong, dass sie gewillt waren, die Revolution nicht bei dem bisher Erreichten zu belassen und der Regeneration der ausbeutenden Klassen den Kampf anzusagen. Sie stuetzten sich dabei ohne Zweifel auch auf die Groesse und auf die langen kulturellen Traditionen dieses Landes, die guenstige Faktoren waren, aber die Sache hatte, wenn auch mit gewissen Variationen, Allgemeingueltigkeit, sie zog eine Welterschuetterung nach sich. Nicht nur dass der Revisionismus vernichtend getroffen wurde, wie er in der Sowjetunion repraesent war, auch der Westen geriet ins Wanken. Hatte er nicht ueberall verkuendet, die Degeneration sei unvermeidlich, die kommunistische Revolution nicht sinnvoll, so sah man ihn jetzt ueberall bemueht, alle negativen Entwicklungen zu unterstuetzen, auf der anderen Seite fieberhaft sich alle internationalen Verbindungen, moeglichst in alle sozialistischen Staaten hinein, zu sichern, und zugleich das revolutionaere und vorwaerts weisende Geschichtsbild zu verleugnen.

Der Westen wurde von einer Kulturkrise ueberrollt, die sich naturgemaess anders aeussern musste. Ein extremer Individualismus kam auf, sowohl aufgrund der historischen Traditionen als auch auf Grund der massenhaft in diese Laender stroemenden Extraprofite. Dieser zum Teil exaltierende Individualismus wurde massiv gefoerdert, gerade gegen die neuen kollektivistischen Ideologien, die Platz griffen, zum Einsatz gebracht. Natuerlich hatte die Entwicklung durchaus ihre positive revolutionaere Seite, denn die Infragestellung der verknoecherten patriarchalischen Verhaeltnisse, die Befreiung der geschlechtlichen Liebe von den Konventionen ist auch eine solche revolutionaere Zielsetzung. Ablehnung einer progressiven materialistischen Auffassung, Ablehnung von Revolution, schliesslich Hinwendung zur Mystik und schliesslich einer zersetzenden Rauschgiftkultur waren die Stufen einer immer weiter um sich greifenden Entwicklung, die den schliesslichen voelligen Kniefall dieser Bewegung vor dem etablierten Imperialismus praedestinierte.

Man sieht daran, wie sehr sich in dieser kurzen Periode verschiedene Sachen ueberlagerten. Niemals konnte auch in der kurzen Periode der "Unordnung" fuer alles eine Loesung gefunden werden.

In Europa kamen die Gesetze der Absprache der USA und der Sowjetunion zum Vorschein, letztere laengst in einer kapitalistischen Entwicklung befindlich. Mit der Besetzung der CSSR kam die Absprache ueber die Hegemonialinteressen zwischen den USA und der Sowjetunion zum Vorschein. Auch dies fuehrte zu massenhaftem Protest. Das Jahr 68 ist auch das Jahr der Gruendung der Roten Garde und anderer marxistisch-leninistischer Organisationen. Am 50. Jahrestag der Gruendung der KPD kam es zur Gruendung der KPD/ML, die sowohl an die eigene revolutionaere Geschichte wie auch an die chinesische Kulturrevolution anzuknuepfen suchte. Diese jaehrt sich daher gegenwaertig zum 30. Mal. Daraus gingen auch wir hervor. (Siehe:"Ausführliche Entschließung zur Abänderung des Organisationsnamens".

Schliesslich noch ein Wort zu der 68er-Bewegung, an die man in den letzten Wochen und Monaten kaum mit ausfuehrlichen Beitraegen gedachte, und zwar mit Grund. In der Tat ist der groesste Teil der 68er-Bewegung heute laengst in den Staat integriert. Diejenigen, die sich von ihr absetzten und zu einer tatsaechlichen revolutionaeren Opposition vor allen Dingen waehrend des Jahres 69 dann tendierten, wurden rigoros unterdrueckt und ausgegrenzt in der Folgezeit. Wir selbst gehen auf diese letzteren Quellen zurueck. In der 68er-Bewegung befanden sich sehr widerspruechliche Komponenten. Solche Bewegungen wie die sogenannte alternative Bewegung, der Anti- Industrialismus, Anarchismus und die sogenannte Fundamentalopposition gegen die moderne Gesellschaft waren auch schon in der Studentenbewegung im Ansatz vorhanden. Mit den letzten Monaten stehen wir vor der erwiesenen Tatsache, dass diese Komponenten sich heute in Form der gruenen Bewegung sehr wohl in den Staat und in die NATO und in das imperialistische System insgesamt integrieren lassen. Geschulte Revolutionaere wundert dies nicht, sie hatten es lange vorhergesagt, aber es ist heute ein offenkundiger geschichtlicher Fakt geworden. Schliesslich muss man daran erinnern, dass auch der "Club of Rome", der die Alternativbewegung von ganz oben, sozusagen von hoechster kapitalistischer Seite propagierte, ein "68er" ist. Damit meldete sich von Anfang an die andere Seite zu Wort..

neue einheit
Zeitschrift fuer Politik. Oekonomie und Kultur
Internet: http://www.neue-einheit.com

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