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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 11

Mit uns keine Uni ohne uns!

von Ulrike Gonzales
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Die Uni als ein Ort, wo Lösungsansätze für soziale, ökonomische und ökologische Fragen der Gesellschaft erarbeitet werden? Ein Jahr nach den bundesweiten Studierendenprotesten sind die Hochschulen von dieser Utopie weiter entfernt denn je.

Kaum ist die neue Bildungsministerin Edelgard Bulmahn im Amt, beschließen ihre Parteigenossen in Niedersachsen per Gesetz 100 DM "Verwaltungsgebühren" pro Semester einzuführen. Ein offener Affront in mehrfacher Hinsicht: Edelgard Bulmahn ist nicht nur Landesvorsitzende der niedersächsischen SPD, sie war es auch, die sich in ihrer Partei am deutlichsten gegen Studiengebühren ausgesprochen hatte.

Wie schon in Berlin und Baden-Württemberg werden die Einnahmen aus den "Verwaltungsgebühren" den Hochschulen aus ihrem Etat gestrichen und direkt in die Landeskasse fließen, was auch der niedersächsische Bildungsminister Oppermann in einem Streitgespräch mit studentischen VertreterInnen unumwunden zugab: Die EXPO 2000 müsse eben irgendwie finanziert werden. Außerdem wird die in Aussicht gestellte Reform der Studienfinanzierung als Rechtfertigung für die Erhebung von Studiengebühren herangezogen. Da die Regierungskoalition bis Ende 1999 eine Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vorlegen wolle, durch die die materielle Situation der Studierenden verbessert werde, bräuchten sich diese ja keine Sorgen zu machen – sie hätten dann ja Geld, so die Argumentation des niedersächsischen Bildungsministers.

Ein Jahr nach dem Unistreik

Vor einem Jahr hätte dieses dreiste Vorgehen erheblichen Aufruhr verursacht: Protestaktionen, Großdemonstrationen, Vorlesungsboykotts, besetzte Hochschulen. Für wenige Wochen hatten es die Studierenden geschafft, Bildung tatsächlich zu einem "Megathema" zu machen. Nach einem Jahr scheint nun wieder Normalität eingekehrt zu sein, alle besuchen brav ihre Vorlesungen, bei Erwähnung der Worte "Vollversammlung" oder "Streik" verdrehen Studierenden nur genervt die Augen.

Gebessert hat sich die vielfach beklagte Situation an den Hochschulen bislang nicht. Immerhin fand aber ein Regierungswechsel statt, der viele Studenten hoffen läßt. Hatten nicht gerade die Oppositionsparteien, die sich nun auf der Regierungsbank wiederfinden, hoch und heilig gelobt, die Forderungen der StudentInnen umzusetzen?

Trauen wollten sie den Solidaritätsbekundungen und Reformversprechen der Politiker nie ganz, doch war es ermutigend, daß die SPD und die von ihr regierten Länder aufgrund des studentischen Streiks in der Auseinandersetzung um das Hochschulrahmengesetz nicht vollends auf die damalige Regierungslinie einschwenkten.

Was aber blieb davon? Wenige Absätze im "rot"-grünen Koalitionsvertrag, die darüber hinaus äußerst schwammig formuliert sind. So heißt es, man wolle die Erhebung von Studiengebühren "ausschließen" und das Hochschulrahmengesetz "weiterentwickeln".

Dazu ist jedoch sowohl eine Mehrheit im Bundestag nötig als auch die Zustimmung der Länder, die in diesen Fragen nicht übergangen werden können. So aber dürfte es Bildungsministerin Bulmahn schwer haben, gutgemeinte Reformansätze zu realisieren; denn die Bildungsminister der Länder erhielten durch die jüngste Novelle des Hochschulrahmengesetzes Spielräume, die sie nun nicht einfach wieder hergeben wollen. Und auch die Finanzminister der Länder werden den Hochschulen eher weniger als mehr Geld zubilligen wollen. Wieviel unter diesen Bedingungen von den verheißenen Hochschulreformen übrigbleiben wird, ist fraglich.

Doch eine umfassende Hochschulreform bedarf mehr als der Änderung einiger Gesetze. Und hier muß sich die neue Regierung zu recht vorwerfen lassen, daß es mit ein paar technokratischen Vorschlägen nicht getan ist; Hochschulpolitik bewegt sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen staatlichen Regelungen, gesellschaftlichen Ansprüchen und Anforderungen der Arbeitswelt. Dem versuchten die StudentInnen in ihrem Protest Rechnung zu tragen, indem sie nicht nur (wie die Presse glauben machen wollte) für die Verbesserung allein ihrer Lernbedingungen eintraten, sondern sich auch bemühten, andere gesellschaftliche Gruppen miteinzubeziehen.

Hochschulen sind ein zentraler Dreh- und Angelpunkt in der Verteilung von Lebenschancen; hier erwerben Menschen Qualifikationen, die für ihren beruflichen Werdegang entscheidend sind. Nicht alle können dies tun – selektiert wird schon in der Schule, nur wer die Möglichkeit hat, das Abitur zu machen, darf auf die Hochschule. Hochschulen sind darüber hinaus auch Orte der Ideologieproduktion: Durch die Prioritätensetzung in der Forschung – sei es im naturwissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Bereich – werden bestimmte Ergebnisse erzielt und so gesellschaftliche Diskurse wesentlich geprägt. Die wesentlichsten Fragen zur Funktion der Hochschulen müssen daher die nach dem Zugang und der gesellschaftlichen Partizipation am Wissenschaftsprozeß sein.

Professorale Besitzstandswahrung

Zur Zeit liegt die Entscheidungsgewalt an den Hochschulen in den Händen der Professoren. Seit das Bundesverfassungsgericht 1973 entschied, daß den Professoren in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung die Mehrheit der Sitze und Stimmen gebühre, werden jegliche Ansätze zur Demokratisierung der Hochschulen mit dem Verweis auf jenen Richterspruch abgebügelt. Die übrigen Mitglieder der Hochschule – wissenschaftliches und technisches Personal, StudentInnen – dürfen zwar an Entscheidungen teilhaben, können sie aber meist nicht wesentlich beeinflussen.

Dazu kommt, daß Professoren durch das System der Selbstrekrutierung (wissenschaftlich "Habilitation" und "Berufung" genannt) häufig einem feudal anmutenden Standesdünkel verhaftet sind. International einmalig ist darüber hinaus das Arbeitsverhältnis der deutschen Professoren – sie sind Beamte auf Lebenszeit und damit unkündbar. Durch die im Grundgesetz verbürgte Wissenschaftsfreiheit genießen sie ein weiteres Privileg: Professoren sind individuelle Grundrechtsträger, d.h., sie sind in ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit frei und ungebunden.

Diese drei Absicherungen auf institutioneller, arbeitsrechtlicher und wissenschaftlicher Ebene erlauben es, von einer "professoralen Kaste" zu sprechen, die die Hochschulen beherrscht. Dies führt in mehrerer Hinsicht zur Stagnation, da Professoren wenig dialogbereit und -fähig im Hinblick auf die anderen Mitglieder der Hochschule sind. Gerade in Zeiten enger Hochschuletats betreiben sie eine Politik der Besitzstandswahrung. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, alternative Wissenschaftsansätze, studentische Interessen und Reformvorschläge bleiben so auf der Strecke. Ebenso verhindert das von patriarchalischer Kumpanei geprägte Professorenkartell Wissenschaftlerinnen den Zugang und erstickt so feministische Forschung und Lehre im Keim.

Lebenslängliches Lernen

Auf der anderen Seite wird insbesondere von Wirtschaft und Industrie verstärkt die Forderung formuliert, "bedarfsgerecht" auszubilden. Hochschulen sollen ihren AbsolventInnen möglichst nur noch die sog. "Schlüsselqualifikationen" vermitteln, die fachspezifische Ausbildung soll größtenteils in den Betrieben laufen und direkt den Bedürfnissen vor Ort angepaßt werden. Unter dem Stichwort "Lebenslanges Lernen" sollen sich die Arbeitenden im Laufe ihrer Beschäftigung z.B. an den Hochschulen weiter fortbilden, um den Erfordernissen der Arbeit zu entsprechen.

Hochschulen werden aus dieser Perspektive nurmehr als Lernfabriken betrachtet, in denen die human ware entsprechend den Anforderungen der Arbeitgeber geformt wird. "Lernen" wird hier als bloßes "Updating" und als Bereitschaft, sich den Bedingungen der kapitalistischen "Wissens- und Informationsgesellschaft" anzupassen, definiert.

Mit Begriffen wie "Wettbewerbsfähigkeit" und "Effizienz" werden Eingriffe in die Struktur der Akademischen Selbstverwaltung gerechtfertigt, um demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten einzuschränken oder abzuschaffen.

Die Stichwortgeber finden sich mittlerweile nicht mehr nur auf der Arbeitgeberseite (wie z.B. das von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte "Centrum für Hochschulentwicklung"), solche Positionen werden inzwischen auch in "Modernisierungs"-Kreisen der SPD und der Grünen vertreten.

An den Hochschulen zeigt sich der Einfluß der Wirtschaft und der Industrie in der Drittmittelforschung, wo Firmen zweckgebundene Mittel für die Forschung zur Verfügung stellen und in der Finanzierung von Stiftungsprofessuren ("S- Professuren"). Mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes fand auch die "leistungsgesteuerte Mittelvergabe" (Output-Steuerung) Eingang in die Hochschulhaushalte. Künftig sollen die Hochschulen ihre staatlichen Mittel anhand von "Leistungskriterien" erhalten, anhand derer ihre "Effizienz" gemessen werden soll. Die gängigen Kriterien sind hier die Zahl der AbsolventInnen innerhalb der Regelstudienzeit, die Höhe der eingeworbenen Drittmittel, die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen usw.

Beide Tendenzen, die der neoliberalen Modernisierung und Effektivierung und die der konservativen Besitzstandswahrung, halten sich zur Zeit die Waage und gehen streckenweise sogar Zweckbündnisse ein. Wie weit dies tragen wird und welche Richtung sich gegen die andere durchsetzen wird, ist noch nicht klar; sobald aber den Professoren der Verlust ihrer Pfründe durch eine konsquente "effiziente" Modernisierung drohen sollte, werden sie diese unheilige Allianz aufkündigen.

Gemein ist jedoch beiden Tendenzen, die Selektivität im Bildungssystem zu verstärken – einerseits durch fragwürdige elitäre "Begabungs"konzepte, andererseits über eine materielle Ausgrenzung durch Studiengebühren. Bildung wird allein in die Verantwortung des einzelnen gestellt und so zum privaten (finanziellen) Risiko.

Um die Gestaltung der Bildungspolitik nicht den Konservativen und Modernisierern zu überlassen, ist es dringend geboten, eine breit angelegte Debatte von links zu führen. Hochschulen dürfen nicht länger nur als lästige Kostenfaktoren gesehen werden – im Gegenteil: Bildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, der Staat darf sich daher weder seiner finanziellen noch seiner inhaltlichen Verantwortung entziehen. Als öffentliche Institutionen müssen Hochschulen bedarfsgerecht finanziert werden; dabei ist unumgänglich, die überkommenen akademischen Strukturen von Grund auf zu demokratisieren, da sonst die Mittel wiederum in den üblichen professoralen Nischen versickern.

Dazu müssen alle Mitglieder der Hochschule gleiche Mitwirkungsrechte erhalten, wie es seit Anfang der 60er Jahre eingefordert wird. Selbstverständlich reicht eine Demokratisierung allein auf der Strukturebene nicht aus; auch der Zugang zur Hochschulbildung muß wesentlich ausgeweitet werden.

Wenn Wissenschaft und Forschung nicht allein für den wirtschaftlichen Fortschritt instrumentalisiert werden sollen, müssen wir uns verstärkt mit der Problematik der gesellschaftlichen Partizipation am Wissenschaftsprozeß auseinandersetzen. Die Elfenbeintürme müssen geöffnet werden für relevante gesellschaftspolitische Fragestellungen, an denen sich Gewerkschaften, Umweltverbände, Bürgerinitiativen, Frauenverbände, MigrantInnen und andere Gruppen beteiligen können müssen.

Nur dann wird es möglich sein, Hochschulen in öffentliche Orte der Emanzipation umzuwandeln, an denen zufriedenstellende Lösungsansätze für die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme der Gesellschaft erarbeitet werden können. Erst dann wird es den Hochschulen möglich sein, ihrer Funktion und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Doch um diesen Prozeß in Gang zu setzen, ist weit mehr nötig als der kurzatmige Protest einer Studierendengeneration, die bislang nur ihre Ohnmacht im Kampf gegen finanzielle Sachzwänge erfahren hat.

Ulrike Gonzales ist Referentin für Hochschulpolitik des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fzs) und Mitglied des Bundesvorstands des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)

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