zurück

aus:BLN/POLITIK v.18.01.1999
H.DOGANAY@VLBERLIN.comlink.de

PINOCHETS GÖTTERDÄMMERUNG

01/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Am 16. 1. 99 fand im Mehringhof in Berlin eine Solidaritätsfiesta gegen den chilenischen Ex-Diktator Pinochet mit mehreren hundert TeilnehmerInnen statt. Dabei wurde auch folgender Rückblick über die Entwicklung gegeben, die zur Festnahme Pinochets geführt hatte:

Chile, 11. September 1973: Das Militär putscht mit Panzern, Flugzeugen und Bajonetten gegen die gewählte Regierung der Unidad Popular. Putschistenführer Augusto Pinochet war erst kurz zuvor zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt worden. Präsident Salvador Allende wird ermordet. Mit ihm tausende Arbeiter und Jugendliche, die in den Stadtteilen, Fabriken, Universitäten erbitterten Widerstand leisten.

Die Bilder vom Fußballstadion, in dem die Gefangenen gequält, aussortiert und für die Folter oder einen schrecklichen Tod vorbereitet werden, gehen um die Welt. Hunderttausende chilenische Männer und Frauen verlassen seitdem das Land. Milliarden von Dollar strömen dafür hinein. Das Land, das zur Todesfalle für Gewerkschafter und Linke wird, wird zum Investitionsparadies für das internationale Kapital. Gefängnis und Tod für die einen, absolute Freiheit für die anderen. Hier werden zum ersten Mal in der Praxis die neoliberalen Modelle der Chicaco-Boys, der von Milton Friedmann gelehrte Monetarismus ausprobiert. Der US-Geheimdienst CIA hatte den Putsch vorbereitet, ITT und die anderen Konzerne, die über das chilenische Kupfer verfügen wollen, haben ihn bezahlt.

Berlin, 16. Januar 1999: Heute müßte unser Freund Juan Rojas Castro hier unter uns sein. Er müßte berichten. Aber er ist in London. Dort beteiligt er sich an einer Kundgebung für die Auslieferung von Pinochet. Von dort fährt er weiter nach Spanien, um vor dem Richter Garzón auszusagen. Am 20.12. 1973 öffnete er, 16jährig, Pinochet ´s Schergen die Haustür in La Legua, Arbeiterstadtteil von Santiago de Chile. Sie verschleppten seinen Bruder Pedro Rojas Castro, 21 Jahre, Textilarbeiter, Mitglied der Kommunistischen Jugend., in einem
Kühlwagen ohne Autokennzeichen.

Mit ihm verhaftet wurden auch Alejandro Gomez Vega, 22 Jahre, Luis Orellana Pérez, 25 Jahre, Luis Canales Vivanco, 27 Jahre, Carlos Cuevas Moya, 21 Jahre. Am 22. Dezember gab das Radio unter Klängen von Militärmusik bekannt: "5 Individuen wurden in der Nacht von einer Militärpatrouille  überrascht, als sie unter einer Hochspannungsleitung verdächtige Aktionen unternahmen. Bei dem anschließenden Schußwechsel starben die 5 Extremisten. Sie trugen Dynamit und sowjetische Waffen. In der Tasche eines der Terroristen befand sich ein Manuskript mit dem Titel "Plan Leopardo", in dem detailliert ein komplettes Projekt für
subversive Operationen mit systematischer Sabotage aufgeführt ist."

Heiligabend werden die fünf Leichname dem Priester Luis Dias übergeben. Sie weisen keine Schußverletzungen auf, dafür Spuren schwerster Folterungen. So waren die Fingernägel von Pedro Rojas herausgerissen. Vor kurzem erschien in der Zeitung La Estrella ein Bekenntnis des ehemaligen Sicherheitsbeamten Fernando Palma González. Er gab zu, bei den Verhaftungen beteiligt gewesen zu sein und das Manuskript des angeblichen Plans Leopardo geschrieben zu haben. Doch für die bestialische Ermordung der fünf sei er nicht verantwortlich.
Das habe Major Luis Fontaine befohlen. Leider ist dieser bereits eines natürlichen Todes gestorben.

Es gab keinen "Plan Leopardo", sehr wohl aber einen Plan Condor. Der CIA entwarf ihn, General Augusto Pinochet Ugarte führte ihn in Chile aus. Die Militärs und herrschenden Klassen in Argentinien, Uruguay und Bolivien setzten ihn fort. Die alten Diktaturen Brasiliens und Paraguays fühlen sich bestätigt. Der Internationale Währungsfonds bestimmt die Wirtschaftspläne, gibt Kredite und regelt die Zahlung der Schulden.

Aus der Pressemitteilung Nummer 113 der chilenischen Militärjunta: "Der Kampf gegen den marxistischen Extremismus ist nicht zu Ende. Die militärische Autorität wird weiter mit aller Energie vorgehen. Die militärischen Aktionen wollen lediglich die Bevölkerung schützen
...und zweitens jeden Versuch des marxistischen Feindes im Keim ersticken. ... Wenn wir wollen, daß Chile in Freiheit voranschreitet, daß es seine Ziele des Fortschritts und Wohlstands ohne Einmischung erreicht, müssen wir es vollständig von jenen schlechten Bürgern befreien, die unserem Vaterland nur Ärger und Schmerzen bereiten wollen. Und so werden wir es machen, koste es was es wolle!"

Seit dem 11. September 1973 kämpft das chilenische Volk für Gerechtigkeit. Sperrspitze sind die Opfer und Familienangehörigen der Diktatur und die hunderttausenden Exilierten.
Aber auch die Arbeiterbewegung macht sich bemerkbar. Die beginnende Weltwirtschaftskrise trägt dazu bei. 1979 betragen die Auslandsschulden 4 Milliarden Dollar, 1981 14 Milliarden. Für die gleiche Warenmenge muß dreimal soviel Kupfer verkauft werden.

1978: Die Diktatur erläßt eine Amnestie für ihre eigenen Verbrechen

Juli 1979: Der Sturz der Somozadiktatur durch einen bewaffneten
Volksaufstand in Nikaragua zeigt an, daß die Blütezeit der Diktatoren
zu Ende geht.

Buenos Aires, Argentinien, Juni 1982: Mit Unterstützung der USA und
Pinochets hatte die britische Armee der Eisernen Lady Thatcher
Argentinien im Krieg um die Malvinen besiegt. Die seit 1976
herrschende Diktatur mußte unter dem Druck der Bevölkerung abtreten.
Die Verantwortlichen für 30000 Ermordete, General Videla, Galtieri,
Masera und andere landen im Gefängnis. Nur mühsam gelingt es späteren
Regierungen, über Schlußpunktgesetze und Amnestien die vollständige
Zerstörung der Streitkräfte zu verhindern.

Chile, 11. Mai 1983: Einem Aufruf der streikenden Kupferbergarbeiter
schließt sich die große Bevölkerungsmehrheit in den Städten und dem
Landesinneren an.

Ende 1985: die Taxifahrer, Studierenden, Kohle-, Kupfer- Erdöl- und
Hafenarbeiter streiken. Das immer stärker isolierte Regime weiß, daß
es einen Ausweg finden muß. Auch die USA erkennen, daß nur durch
Zugeständnisse eine Revolution verhindert werden kann.

Oktober 1988: Entsprechend der Verfassung, die Pinochet 1980 auf ihn
maßgeschneidert verabschieden läßt, findet ein Plebiszit statt. 53%
stimmen dagegen, daß Pinochet Präsident bleibt.

Chile 1989: Pinochet akzeptiert seine Niederlage. Es kommt zu
Präsidentschaftswahlen. Der Christdemokrat Alwin gewinnt. Der
"Übergang" wird mit praktisch allen politischen Kräften paktiert..

Seine drei zentralen Punkte sind:

  • Fortsetzung der Wirtschaftspolitik zugunsten der großen Unternehmergruppen
  • Amnestie und Straflosigkeit der Militärs
  • Weitere Gültigkeit der von der Diktatur 1980 durchgesetzten Verfassung

Die wichtigsten Punkte der Pinochetverfassung von 1980:

  • Der Präsident besitzt sehr große Vollmachten und ist auf 8 Jahre gewählt.
  • Die Streitkräfte ernennen ihre Chefs selbst
  • Sie üben mittels des Nationalen Sicherheitsrates (COSENA) eine starke Kontrolle über den Kongreß und den Präsidenten aus
  • 26 Mitglieder des Senats werden gewählt, 9 werden von der Diktatur bestimmt. Pinochet wird Senator auf Lebenszeit
  • Ein allmächtiges "Verfassungsgericht" ahndet ideologische Delikte wie "Lehren, die die Familie in Frage stellen, die Gewalt befürworten oder auf den Klassenkampf begründet sind".

1998: Infolge der Südostasienkrise stürzt die Diktatur Suhartos in  Indonesien. Deren Schockwellen beginnen sich auf die Wirtschaft und Politik Lateinamerikas auszuwirken.

3. September 1998: Das britische Rüstungsunternehmen Royal Ordnance
lädt Pinochet nach London ein: Gesprächsthema: "Die Erörterung der
Verteidigungsbedürfnisse Ihres Landes"

22. September: Pinochet trifft in London ein. Dort läßt er sich am
Rücken operieren, später trinkt er mit Frau Thatcher Tee.

16. Oktober: Auf Ersuchen der spanischen Justiz verhaften Beamte von
Scotland Yard den 82jährigen. Pinochets Pech: seine Leute hatten auch
mindesten 94 Spanier ermordet, einige davon mittels Agenten in Spanien
selbst.

Die Ereignisse seitdem zeigen: es geht nicht allein darum, einen alten
Mörder seiner gerechten Bestrafung zuzuführen.

  • Die USA versuchen die Auslieferung Pinochets zu hintertreiben, nicht
    zuletzt aus Angst, bei einem Verfahren könnte ihre Verwicklung in den
    Putsch zur Sprache kommen.
  • In Chile verlangen unterdessen 75% der Befragten die Bestrafung des
    Diktators. Und da diese leider in Chile noch nicht möglich ist,. soll
    er in Spanien verurteilt werden. Die Angst verfliegt. Das Ende der
    Diktatorischen Demokratie steht auf der Tagesordnung. Und mit ihr das
    Ende des chilenischen Modelles.. Auch in den Gewerkschaften, deren
    Mitglieder besonders unter der Wirtschaftspolitik leiden, findet eine
    Neuorientierung statt.
  • Nur die Nutznießer aus Kreisen der Militärs und derer, die sich dank
    der Diktatur bereichern konnten, sowie die Mitglieder der
    faschistischen "Partei der Nationalen Erneuerung" demonstrieren für
    den Diktator. Unterdessen unterstützen auch Teile der Sozialistischen
    Partei und die Jugend der Christdemokratie die Verhaftung, während die
    Parteiführer an der Regierung weiterhin auf Pinochets Immunität
    beharren.
  • In Argentinien wurden die Generäle Masera und Videla unter
    Hausarrest gestellt. Für die Entführung von Kindern, die sie ihren
    Opfern abnahmen und zur Zwangsadoption freigaben, gab es keine
    Amnestie.

    25. November 98: Mit 3 zu 2 Stimmen erklärt das Oberste Gericht in
    London Pinochets Auslieferung für rechtmäßig.

    9. Dezember: Der britische Innenminister Straw leitet das
    Auslieferungsverfahren offiziell ein.

    ? Dezember: Auf Betreiben von Pinochets Anwälten wurde ein
    Lordrichter von der Berufungsinstanz für befangen erklärt und der
    Spruch aufgehoben. "Befangen" weswegen? Weil der Richter und seine
    Frau sich zuvor für Menschenrechte eingesetzt hatten!!! Daß
    Großbritannien jahrelang Pinochets Diktatur unterstützt hatte, ist
    hingegen kein Befangenheitsgrund!

Doch für uns besteht nach dieser Entscheidung um so mehr Grund, nicht aufzugeben, sondern den Druck zu erhöhen. Es war schließlich das jahrelange zähe Ringen der Familienangehörigen und Freunde der Opfer auf der ganzen Welt, das überhaupt die Chance eröffnete, Pinochet vor
ein Gericht zu stellen.

Ab dem 18. 1. soll weiterverhandelt werden. Pinochet wurde nur dank des weltweiten Drucks verhaftet. Mahnwachen, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen. Diesen Druck müssen wir fortsetzen. Die heutige   Solidaritätsfiesta soll dazu beitragen.

nach oben