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ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 422 / 21.01.1999

Die Ökonomie des Codes
Gen-Ressourcen der gesamten Bevölkerung Islands wurden vermarktet

von Erika Feyerabend

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Der 17. Dezember 1998 war ein denkwürdiger Tag. Erstmalig hat ein Parlament mehrheitlich beschlossen, die gesamte Bevölkerung seines Landes als "genetische Datenressource" zu betrachten und einem Konsortium auf dem Markt der Genomanalysen zur freien und kommerziellen Verfügung zu stellen.

Die Rede ist von Island und seinen 270.000 EinwohnerInnen. Regierung und Parlament haben mit dieser Entscheidung demonstriert, daß sie der neuen Wachstumsbranche - von ihren Erfindern "genomics" genannt - politisch und juristisch jede nur erdenkliche Unterstützung gewähren. Trotz zahlreicher Proteste im In- und Ausland hat das Parlament in Reykjavik mit 37 gegen 20 Stimmen ein Gesetz verabschiedet, das der isländischen Firma DeCode Genetics in Kooperation mit dem multinationalen Pharmagiganten Hoffmann-La Roche ganz offiziell das Monopol an Aufbau und Ausbeute einer nationalen Gendatenbank zuspricht.

Der Gesetzesentwurf stammt aus der Feder des deCode-Firmengründers Karí Stefánsson. Führende Mitglieder der Regierung, wie der Ministerpräsident David Oddsson, förderten das Vorhaben. Die ehemalige Präsidentin Vigdís Finnbogadóttír sitzt gar im Beirat des Gentech-Unternehmens. Dementsprechend sind die Buchstaben des Gesetzes angeordnet: Sämtliche genetischen, gesundheitlichen und genealogischen Informationen (1) über jede in Island lebende - oder verstorbene - Person dürfen in einem zentralen Rechner gespeichert und verknüpft werden. Der automatische Datentransfer nach einem Krankenhausaufenthalt oder einem Arztbesuch wird nur bei ausdrücklichem Widerspruch der PatientInnen unterlassen. Bislang ein weltweit einzigartiger Freifahrtsschein für den ungehinderten Umgang mit Gesundheitsdaten.

Vier verschiedene Komitees, u.a. ein sogenanntes Datenschutz-Komitee und ein sogenanntes Ethik-Komitee, sollen Anonymität und Verwendung der Daten überwachen. In jedem dieser Expertengruppen sitzt aber nicht nur ein Vertreter der Firma DeCode Genetics, um die Interessen des Lizenzhalters zu "wahren". Die vermeintlichen Überwachungsagenturen werden auch von der Firma via Lizenzgebühren bezahlt. Selbst die renommierte Zeitschrift Nature Genetics beklagt, daß die jährlichen zu zahlenden Gebühren an der Profitrate des Unternehmens orientiert werden.

Rechtsstaatlich abgesichert wurde eine 12-Jahres-Lizenz der isländischen Firma DeCode Genetics. Ihr wird die exklusive Kontrolle über die Datenbank überlassen. Mit einer Investition von 170 Millionen Dollar sind der ehemaliger Harvard Genetiker Stefánsson und seine 200 Mitarbeiter bereits mit dem Aufbau der Datenbasis beschäftigt. Für 12 Jahre sind damit einzigartige Vermarktungsrechte festgeschrieben. DeCode darf in diesem Zeitraum als Lizenzhalter die gesammelten Daten kommerziell nutzen und entscheiden, welchen Firmen Zugang zu den Daten erlaubt wird. Laut Gesetzestext sicherte sich das junge Unternehmen auch noch ein Vetorecht besonderer Art. Sollten isländische WissenschaftlerInnen die Daten benutzen und ihre kommerzielle Monopolstellung gefährden, kann DeCode den Zugriff auf die wertvolle Information verweigern.

"Ideale" Bedingungen auf dem Eiland

Die Millionen-Investition für den kommerziellen Datenpool sicherte sich der erst vor zwei Jahren mit 12 Millionen Dollar Risikokapital gegründete Aufsteiger im Genomics-Markt über einen Vertrag mit Hoffmann-La Roche. Für 200 Millionen Dollar erhält der Schweizer Pharmakonzern nun die potentiellen Rechte an ca. einem Dutzend genetischer Strukturen, die mit häufigen Krankheiten assoziiert werden. Mit genetischer Diagnostik und gentechnologisch fabrizierten Medikamenten will auch Hoffmann-La Roche profitieren. Die neuen Medikamente sollen unentgeltlich der isländischen Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden. Mit anderen Worten: die IsländerInnen sind nicht nur Gen-Ressource für internationale Geschäfte, sie dürfen auch zum Selbstkostenpreis am Menschenversuch für neue Pharmaka teilnehmen.

Überhaupt könnten die Bedingungen für den Deal günstiger nicht sein: Island gilt als "ideale Population" für die Gensuche. Seit mehr als 1.000 Jahren leben die IsländerInnen recht isoliert. Für den Genforscher ist ihre "genetische Homogenität" ein Zeitfaktor ersten Ranges. Im Vergleich zu anderen Bevölkerungen sind "auffällige Genstrukturen" schneller identifizierbar. Extensive genealogische Berichte über Großfamilien, die z.T. Jahrhunderte zurückreichen, eine große Gewebebank, in der die Autopsie-Berichte und Gewebeproben seit mehr als 50 Jahren aufbewahrt sind, ein ausgebautes und computerisiertes Gesundheitssystem und eine willige Regierung vervollständigen das Bild.

Gesucht - und aus den geschaffenen ökonomischen Sachzwängen wohl auch gefunden - werden genetische Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Bluthochdruck, von Stoffwechselstörungen wie Darmentzündungen oder Schuppenflechte, Osteoporose oder von psychischen Leiden wie Schizophrenie und Depression. Ganz oben auf der Liste steht auch der Alkoholismus, der scheinbar ganz selbstverständlich zum genetischen Fehler avanciert ist. Hier war DeCode Genetics auch ohne Gesetz schon aktiv. Bei einem unangemeldeten Besuch fanden Datenschützer in den Firmenetagen eine komplette Liste aller Anonymen AlkoholikerInnen. Auch die zugänglichen Ahnenreihen von 600.000 der 750.000 IsländerInnen, die jemals die Insel bevölkerten, werden bereits erfaßt. Nun fehlt nur noch die Auswertung mittels "Genhunter plus", so der Name jener Software, die die wissenschaftlich attraktiven Gene identifizieren soll.

Die Datenbank wird aber nicht nur ein Eldorado für humangenetisch interessierte Forscher sein. Wenn von der pränatalen Diagnose bis zu Krankheitsbild und Medikation, von der Röntgenaufnahme bis zu Blut- oder Gewebeanalyse und zum Totenschein alles gespeichert wird, dann ist die Datenbank auch für Medikamentenhersteller, Krankenkassen, Gesundheitssystemplaner, Epidemiologen u.a.m. attraktiv. Ein schier grenzenloser Markt entsteht, in dem die virtuellen Informationen einer ganzen Bevölkerung in bare Münze verwandelt werden - vom genetischen Code bis zur Reaktion auf neue Medikamente. Ein wissenschaftlich-industrielles Perpetuum mobile.

Von der Produktion zur Simulation

Die KritikerInnen in den Reihen der isländischen Ärzteorganisation, in Patientengruppen, im isländischen Verbraucherverband, unter GenetikerInnen und JuristInnen konnten weder einer relevanten Öffentlichkeit - die wie anderswo auch auf neue Therapien hofft - noch der Regierung und dem Parlament - die sich internationale Konkurrenzfähigkeit und neue Märkte trotz einer sonst düsteren ökonomischen Perspektive ausmalt - dieses neue Perpetuum mobile ausreden. In Island gibt es vorerst "nur" noch Platz für individuelle Verweigerung. ÄrztInnen und PsychiaterInnen können Gesundheitsdaten nicht weiterleiten, aufmerksame Datenschützer den Verbleib der Informationen verfolgen, PatientInnen der Registrierung im Zentralcomputer widersprechen und JuristInnen Widersprüche zur internationalen Rechtsprechung thematisieren.

Das Beispiel Island zeigt, daß die Politik sich verabschiedet und gesellschaftspolitische Gestaltung längst der "neuen Ökonomie des Codes" überantwortet hat.

Diese Ökonomie beginnt erst gerade und sie markiert ein neues Zeitalter. Die "Produktion" von Waren als bestimmendes Schema des industriellen Zeitalters weicht der "Simulation". Digitale Zeichen, deren Struktur ein molekularer Code von Kommando und Kontrolle ist, und deren "Wert" allein darin besteht, mit anderen Zeichen verknüpfbar zu sein, versetzen Pharmakonzerne, Wissenschaftler und Politiker scheinbar in eine Art "Rauschzustand". Wo weder Fischfang noch industrielle Produktionsnischen auszumachen sind, wird ein virtueller Datenkörper nicht nur zum Abbild einer traditionsreichen, wenn auch armen Bevölkerung, sondern zum Standortvorteil in einer Ökonomie, deren Ausgangs- und Endpunkt die Simulation ist. So virtuell die Zeichen aber auch sein mögen, die aus dem Gewebe der IsländerInnen, aus ihrer Familiengeschichte und ihren Krankenakten konstruiert werden, sie verändern ganz materiell die gesellschaftliche Wirklichkeit. Nicht übertrieben sind die Befürchtungen isländischer GewerkschafterInnen, daß die genetischen Zeichen auch für die Personalpolitik der Unternehmen attraktiv sind. Und ganz und gar nicht virtuell ist die Perspektive, daß private Versicherer diese Informationen zum eigenen Vorteil nutzen. Die sozial- und gesundheitspolitische Planung der Bevölkerung in Form eines bei DeCode leicht verfügbaren Datenkörpers wird auf Kostendämpfung hinauslaufen und so effektiv erscheinen, daß die wirklichen Menschen, die hinter diesen Daten stehen, kaum mehr sichtbar werden. Und wenn Stefánsson mit seiner Firma an die New Yorker High-Tech-Börse geht, Hoffmann-La Roche seine Medikamenten-Studien durchführt und an den Aktienmärkten Gewinne verzeichnet, wird kaum jemand bemerken, daß es auch im Zeichen des Codes reale Gewinner gibt.

Fast zynisch mutet vor diesem Hintergrund die Entscheidung der Regierung an, derzeit von der informationellen Ausbeute weiterer, nationaler "Reichtümer" Abstand zu nehmen. DeCode Genetics wollte auch das Monopol auf die Bakterien haben, die in den heißen Quellen Islands zu Hause sind.

Erika Feyerabend ist Mitherausgeberin von BioSkop, einer Zeitung zur Beobachtung der Biowissenschaften. Das Kontor für Journalismus und BioSkop sind umgezogen. Die neue Adresse lautet: Bochumer Landstraße 144a, 45276 Essen, Tel.: 0201/5366706

Anmerkung:

1) Genealogie: Stammbaumforschung

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