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junge linke e.V.

Ist integriert deutsch genug?

Einige Bemerkungen zur Frage nach der doppelten UntertanInnenschaft

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Gäbe es in Deutschland eine bürgerlich-liberale, republikanische Tradition, deren Absicherung oder Ausweitung als ein Projekt der rot-grünen Regierungskoalition beschrieben werden könnte: Die Reaktion auf die völkischen Pöbeleien aus CDU/CSU gegen die geplante doppelte UntertanInnenschaft hätte sie ans Licht gebracht. Es gibt sie aber eben nicht. Gegenstand der aufbrausenden Kommentare in den als SPD-nah verschriehenen Zeitungen wie der FR oder der SZ waren nicht die holden bürgerlichen Ideale von Freiheit und Gleichheit, sondern nur die Frage, wie der als vorpolitischer imaginierte Zusammenhalt der StaatsbürgerInnen künftig garantiert werden kann: "Integration: dieses Wort und seine Verwirklichung wird die Zukunft der deutschen Gesellschaft wesentlich bestimmen.". So beginnt beispielsweise der Kommentar der SZ vom 7.1., der die "Selbstvergiftung der Union" sowohl befürchtet als auch im Titel trägt. Was eine gute Gelegenheit gewesen wäre, den eigenen UntertanInnenstatus mit Nachdruck als Bedingung individueller Freiheit zu feiern, wie dies republikanische NationalistInnen zu tun pflegen und weshalb sie extra riesengroße, freundlich lächelnde Freiheitsstatuen an den Rand von Hafeneinfahrten stellen, gestaltete die deutsche Presse als Anlaß, über den inneren Zustand von CDU/CSU nach der Wahlniederlage zu sinnieren. Anstatt deren völkisches Verständnis von Staat und Nation als Ausdruck politischer GegnerInnenschaft anzugreifen, wird sich gewundert, warum der somit nur noch formale politische Gegner angesichts des "eigentlich gemeinsamen Ziels" - eben Integration - sich den dafür notwendigen Maßnahmen widersetzt.

Dabei ist das, was Schäuble, Stoiber, Beckstein und der Rest der unterschriftensammelnden BürgerInneninitiative so von sich geben, alles andere als von Pappe. So schlägt der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann einen Eid als Aufnahmeprozedur vor, der ein "herausgehobener Akt, eine Feierlichkeit" sein soll. Eigenartig ist dabei insbesondere seine Begründung, die er dem WDR verrät: "Es soll ein besonderer Vorgang sein, in die Gemeinschaft eines Volkes aufgenommen zu werden." Eleganter läßt sich die Ehre, die Kindern vermittels einer Geburt durch eine reinrassige deutsche Mutter angetan wird, sicherlich nicht beschreiben. Nicht Form und Inhalt der Verfassung sollen es sein, die einen Eid verlangen, was unbegründet genug wäre nach dem Scheitern der liberalen Illusion, daß schon das Wohl aller herausspränge, wenn nur das Eigentum eines jeden geschützt würde, als auch angesichts der vom Ideal durchaus abweichenden Realität jener Zeit. Vielmehr erscheint die Verfassung und durch sie die staatliche Verfaßtheit der Individuen lediglich als wesensgemäßer Ausdruck einer immer schon gegebenen Gemeinschaft, die die Einzelexistenzen wohlig einschließt. Weiter schlägt er laut dpa vom 2.1.1999 vor, daß es auch möglich sein müsse, die Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen, und zwar dann, wenn sie mit betrügerischen Absichten erschlichen wurde. Wenn also auch zusammenwachsen soll, was Zeitelmanns unmittelbarem Gemeinschaftsempfinden nach nicht zusammengehört, ist Obacht geboten. Ein Gedankengang, der sich wohl nur dem Chirurgen am Volkskörper erschließt, der in der Lage sein möchte, mißlungene Implantate, die von diesem als Fremdkörper abgestoßen werden, mit sauberem Schnitt wieder zu entfernen.

Die Behauptung der Regierung, daß eine solche Operation notwendig ist, halten CDU/CSU allerdings selbst schon für einen Skandal, scheint sie doch die ureigensten Kräfte des deutschen Volkes in Frage zu stellen. Unter SPD-Führung hatten die sich zum letzten Mal im deutschen Herbst 1977 so richtig geregt und so macht sich Stoiber daran, die SPD bei ihrer nationalen Ehre zu packen indem er sie daran erinnert, daß sie auch anno dazumal im großen Krisenstab in der Lage war, die postfaschistische Volksgemeinschaft gegen den einheitsstiftenden Feind RAF in Anschlag zu bringen. Nun allerdings sei sie es, die eine ähnliche Gefahr heraufbeschwöre, lautet die absurde Behauptung. Das die taz, die den Schily Entwurf übrigens für "ein Meisterstück politischer Klugheit" (13.1.) hält, das zur Gelegenheit nimmt, den Ball zurückzuspielen und Stoiber vermittels einer Karrikatur auf der Titelseite der Ausgabe vom 7.1. in Gestalt eines fragenden Sohnes, der von seinem Vater wissen möchte, ob die RAF wirklich "so harmlos" gewesen sei, Verharmlosung der RAF vorwirft, war wohl zu erwarten.

Derart gepusht, kann auch Bayerns Innenminister Beckstein nicht hintenanstehen und verpaßt sich selbst einen Adrenalinkick, indem er den Radikalenerlaß weiterspinnt. Auf Verfassungstreue will er alle Einbürgerungswilligen überprüfen lassen, was Schily inzwischen auch so sieht. Irgendwie sind halt alle Bürger Angestellte ihres Staates und als solche zur unbedingten Loyalität verpflichtet. Ohne Berücksichtigung eines derartigen autoritären Konzepts ist auch das Kernargument Wolfgang Schäubles, warum der doppelte UntertanInnenstatus Integration verhindere, nicht begreifbar. So erklärt er: "Denn der Wille zur Integration muß Grundvoraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bleiben. Die unbegrenzte, allgemeine Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft, die jedem Ausländer, der für ein paar Jahre in Deutschland lebt, einen Anspruch auf einen deutschen Paß einräumt, ohne daß er seinen alten abgeben muß, enthebt ihn dieser positiven Entscheidung. Deshalb fördert die doppelte Staatsbürgerschaft als Regelfall nicht die Integration, sondern behindert sie. Sie wird deshalb nicht mehr, sondern weniger Toleranz zur Folge haben." Die rassistische Drohung, die hier aufblitzt und die die Feld- Wald und WiesenvolksgenossInnen sicherlich trefflich zu deuten wissen, ist klar: Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Der Slogan "Unser Thema ist Integration", mit der Wolfgang Schäuble die zitierte Stellungnahme vom 6.1.99 überschreibt, ist daher alles andere als gelogen oder geheuchelt. Vielmehr bringt er die gemeinsame Basis auf den Punkt, die alle an der Debatte beteiligten unhinterfragt teilen und die die Beschuldigungen beider Seiten erst zu solchen machen: Politik, das soll das kollektive Handeln einer schicksalhaft miteinander verbunden vorpolitischen und möglichst homogenen Gemeinschaft sein.

Otto Schilys Beruhigung, daß die doppelte UntertanInnenschaft "moderner europäischer Standard" sei und "nirgendwo zu gesellschaftlichen Destabilisierungen geführt habe" teilt sie genauso wie die Grünen Cem Özdemir (innenpolitischer Sprecher) und Marielouise Beck (Ausländerbeauftragte), die in der Fraktionszeitung "grün & bündig" den multikulturellen Wunsch hegen, daß die BesitzerInnnen von "Bindestrich-Identitäten" (sie meinen diejenigen, die sie z.B. "Deutsch-Türken" nennen) "ihre Identität in der "Doppelstaatlichkeit" gespiegelt sehen" können. Sie sollen eins sein mit der Autorität, welche sie über sich erheben auf das sie ihnen das Gefühl von Macht verleihe. Über nationale Identitäten weiß auch die stellvertretende Hamburger CDU-Vorsitzende Antje Blumenthal bescheid: "Die Staatbürgerschaft umfaßt mehr als Rechte und Pflichten. Sie definiert auch die Zugehörigkeit zu einem Land und seiner Identität." antwortet sie im Interview mit der Hamburger Morgenpost.

Der Unterschriftensammelei steht sie laut MoPo eher kritisch gegenüber, mitmachen will sie aber trotzdem. Was die völkische Front so fuchsig macht, ist allerdings trotz aller Gemeinsamkeiten mehr als die Notwendigkeit des politischen Tagesgeschäfts, sich als Opposition von der Regierung abzugrenzen. In der Differenz, daß die einen Integration als positives Ziel bestimmen, während die anderen sie als immer schon gegeben gegen jede vermeintliche Abweichung verteidigen, deutet sich eine unterschiedliche Stellung zum gesellschaftlichen Zwangszusammenhang an, den der Staat verwaltet und als Gewaltmonopolist exekutiert. Die homogene Einheit, die sich den rot-grünen Vertragsmystikern als sachliche Notwendigkeit zeigt, zu deren Erledigung der Staat wie geschaffen scheint und womit aller damit verbundene exekutive Zwang sowie alle Selektion zur Voraussetzung eines "friedlichen Zusammenlebens" werden, offenbart sich den Blutsrationalisten als innerstes Bedürfnis. (Warum, sei hier einmal ausgeklammert.) Aus dieser unmittelbaren Identität mit ihrem durch die staatliche Form gestifteten gesellschaftlichen Bezug beziehen sie ihren Haß auf diejenigen, die sie aufgrund ihrer formal erzwungenen Distanz ihrem Wesen nach für unfähig halten, dieses Bedürfnis jemals zu verspüren. So kann bei ihnen die relative Gelassenheit, mit dem SPD und Grüne an das "Problem" der doppelten Loyalität herangehen weil sie darauf bauen, daß die Doppelpäßler die sachliche Notwendigkeit auch schon registrieren werden, nur Widerspruch provozieren. Sie läßt sie ahnen, daß auch ihr eigener unmittelbarer Bezug zum Kollektiv erst in der verdrängten gesellschaftlichen Vermittlung besteht. Den Grund dafür finden sie so nicht in ihrer eigenen gesellschaftlichen Vermitteltheit, was erst den Gedanken daran möglich machte, daß es ja auch anders zugehen könnte in der Welt, sondern in jenen "überfremdenden" Elementen, von deren Existenz sie nun umso überzeugter sind als vorher. Eine Dynamik, der ihr immanenter Gegenpol nichts entgegenzusetzen hat. Vielmehr ist sie auch dort schon angelegt, weil der gleichen Unmittelbarkeit gehuldigt wird.

Die durchaus berechtigte Frage, ob die doppelte Staatsbürgerschaft nicht wenigstens für diejenigen, die sie erhalten, ein - wenn auch kleiner - Fortschritt ist, tritt angesichts der allgemeinen Bekundung des Wunsches, unmittelbar als Staatsbürger anerkannt zu werden, zurück. Wer das Recht, sich aus einem mehr oder weniger unterschiedlichen Angebot an Herrschaftspersonal nach eigenem Geschmack wählen zu können, für einen solchen hält, darf ruhig einen Fortschritt entdecken. Als antirassistische Schutzmaßnahme oder gar Bollwerk gegen Schlimmeres als die Drohung, demnächst als vollwertiges untertäniges Subjekt der deutschen Verhältnisse auftreten zu können, taugt das, was die rot-grüne Regierung da gerade zurechtzimmert, allerdings bereits im Ansatz nichts. Ganz im Gegenteil: Ihre Begründungen lassen eben dieses Schlimmere befürchten, selbst für diejenigen, die als zweieinhalbte Generation kurz vor Toreschluß den Sprung ins angeblich volle Boot noch schaffen könnten. Im Aufstöbern vermeintlich undeutscher Elemente auch im Innern des nationalen Kollektivs wollen sich auch SPD und Grüne von niemandem übertreffen lassen. Ausgenommen von der Möglichkeit der Einbürgerung sind unter anderem alle diejenigen, die vorbestraft sind bzw. jene, die mit der Einbürgerung sozialhilfeberechtigt würden. Mal ganz abgesehen von der nun wohl anstehenden Verfassungsprüfung. Alternative Vorschläge, die dem deutschen StaastbürgerInnenschaftsrecht seinen volkstümelnden Charakter zumindest tendenziell nehme könnte, beispielsweise die vor einigen Jahren diskutierte Möglichkeit, BürgerInnenrechte wie das Wahlrecht unabhängig von der Staatsangehörigkeit zu gewähren, standen garnicht erst zur Debatte. In Deutschland käme soetwas aber wohl ohnehin einer Revolution gleich. Die im Rahmen der völkischen Kategorien agierenden rassistischen Schlägertrupps hat die formale Staatsangehörigkeit ohnehin noch nie interessiert, fühlen sie sich doch der Norm so mächtig, daß sie quasi blind all diejenigen identifizieren, deren Nase ihnen nicht paßt.

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