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DIE IRRFAHRTEN
DES HERRN SCHRÖDER

von DIETMAR KESTEN
GELSENKIRCHEN, 26. 01. 1999

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Vielleicht wird sie nur Meldung des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts: Bundeskanzler SCHRÖDER schließt eine Beteiligung deutscher Bodentruppen an NATO- Einsätzen im KOSOVO nicht aus. Dem "FOCUS" gegenüber erklärte er, "daß Deutschland in der Region auch militärisch bereits voll engagiert sei" und isolierte Luftangriffe würden zu keiner Verbesserung für die Menschen im KOSOVO führen. Es sei daher "dringend notwendig, jetzt über weiteren militärischen Druck nachzudenken". Laut der WASHINGTON POST würde ein Einsatz von Bodentruppen "in den USA und in europäischen Ländern erwogen". (1) Die Geschichte scheint sich zu wiederholen: Hatten sich bereits deutsche Torna- dos im Sommer 1995 im BOSNIEN-Krieg mit der Option, den dortigen Luftraum zu überwachen, indirekt an rechtsstaatlichen Prämissen des deutschen Bundesta- ges beteiligt, und wurde seit dieser Zeit Stück für Stück der moralische Impetus aufgegeben, daß niemals mehr eine Militärmaschinerie von deutschem Boden aus in Gang gesetzt wird, so könnte man jetzt annehmen, daß die gesellschaftliche Realität als Kurzsichtigkeit gedacht wird; als ein Krieg jeder gegen jeden und alle gegen alle, der die Bereitschaft einschließt, einen künftigen Prozeß der Entzivilisierung einzuläuten, wobei der Krieg oder Kriegshandlungen, in welcher Form er/sie auch immer aufteten mag/mögen -drohende Katastrophen anzeigt.

Augenfällig an SCHRÖDERs Verlautbarungen sind zwei Punkte:

1. Deutschland sei bereits militärisch voll engagiert.
2. Deutsche Bodentruppen für den KOSOVO sind nicht mehr auszuschließen.

All das kommt nicht von ungefähr: Seit der Reichsgründung durch BISMARCK (1871) folgte die deutsche Außenpolitik zweimal dem gleichen Muster: Erst Vorherrschaft über Europa, dann Weltmachtanspruch, dann Krieg. Jedesmal endete diese Expansion in einer Katastrophe. Nach fünfzig Jahren scheinbaren Friedens, glaubt die Welt, die Deutschen brau- chen keine Kriegstrommeln mehr. Doch die Politik nach der Wiedervereinigung zeigt eindeutig: Das Unglück nimmt erneut seinen Lauf. Möglich ist, daß alles wie einst beginnt. Damit das jetzt "vereinigte" Deutschland unter einer einheitlichen Währung (und vielleicht auch vereinigten Streitkräften?) Kräfte sammeln kann, kann die Verhinderung der weltweiten Entspannung, nicht nur auf dem Balkan, einen Zusammenbruch der "Weltpolitik", schneller als erwartet, nach sich ziehen. Die wiedervereinte deutsche Nation lockert bereits seit Jahren seine Bindung nach Westen, und die ursprüngliche Ostorientierung - wie zu Zeiten BISMARCKs - ist kein Hirngespinst mehr. SCHRÖDERs Äußerungen tragen nicht dazu bei, eine gegenteilige Auffassung zu vertreten.

In der erweiterten EUROPÄISCHEN UNION könnten mit "deutschen Bodentruppen" die alten Mitteleuropapläne Wirklichkeit werden, für die WILHELM II. nicht vergeblich kämpfte. Und ist das neue Deutschland erst einmal stark genug, dann kann es seine Inter- essen nicht nur auf dem Balkan, sondern außerhalb Europas definieren und anmel- den. Sind das die alten Begehrlichkeiten, der Wirtschaftsraum im Osten, die Achse Ber- lin-Bagdad, der Platz an der Sonne im fernen China, die mittelafrikanischen Rohstoffquellen, die Nichtverhinderung des Rechtsextremismus und der antisemitischen Ideen und deren Duldung? Wird erst einmal die Zurückhaltung der bisher praktizierten Politik aufgegeben, ist erst die KOHL-Ära vergessen gemacht, dann kann das große geopolitische Tam- Tam Wirklichkeit werden. Man sollte die Frage zuspitzen und sie nicht unter den Tisch kehren: Wie lange braucht Deutschland noch bis zum nächsten Krieg? Wenn Historiker den Eros der Macht in sich aufsteigen spüren, wenn Wirtschaftsfüh- rer sich zu Kriegern stilisieren, die Banken Zurückhaltung aufgeben, Militärs von humanitären Aufgaben schwärmen, oder Politiker die Saturiertheit des Volkes gei- ßeln; wenn eine neue alldeutsche Bewegung aus Teilen des Militärs, der Wirtschaft und der politischen Rechte bereit ist, Kriegsziele zu formulieren, Völker zu versklaven und Einverleibungsgebiete abzustecken, dann kann es wieder einmal zu spät sein. Sollte mit der Kerneuropa-Idee, mit dem Wegfall der Grenzen (Schengener-Abkom- men) und der zukünftigen einheitlichen Währung (EURO) der Grundstein für einen neuen großdeutschen Expansionismus gelegt werden, eben Grenzen nicht mehr zu akzeptieren, dann neigt sich auch die kapitalistische Prosperität endgültig dem Ende entgegen.

Die Konstante in der deutschen Außenpolitik über BISMARCK, WILHELM II., HITLER ADENAUER, KIESINGER, BRANDT, SCHMIDT und KOHL war die, un-aufhörlich an die Grenzen der Nachbarstaaten zu rütteln, in der Öffentlichkeit die neue Macht im Geist festzusetzen, getreu dem alten Bibelwort: "Sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über dich hat", aber sie war immer vollends entartet, in einer blinden nationalen Anschauung gefangen, begreiflich nur als der letzte morsche Boden, der seine "Ideale" aus der militärischen Überlieferung zog, aus dem Gehorsamsdrang, dieser triebhaften Verwahrlosung der "soldatischen" Persönlich- keiten. Die EUROPÄISCHE UNION, das Kerneuropamodell, hat unter diesem Aspekt den Vorteil, daß es mit der jetzigen deutschen Europapolitik und einem Außenminister FISCHER, der keinen Zweifel an der Kontinuität der Macht-Stellung Deutschlands aufkommen läßt, seiner "Osterweiterung" ("Erst mit der Öffnung nach Osten löst die EU ihren Anspruch ein, als Kulturraum und Wertegemeinschaft für ganz Europa zu sprechen" -2), weitgehend übereinstimmt, mit der eigenständigen deutschen Machtdemonstration.

Bereits im September 1992 meldete der damalige Außenminister KINKEL, den Anspruch Deutschlands an, einen beständigen Sitz im Sicherheitsrat der VEREIN- TEN NATIONEN zu bekommen, und betonte dabei die "vitalen Interessen überall auf der Welt". Der ehemalige NATO-Sekretär - MANFRED WÖRNER- war nach dem Golfkrieg vom Frühjahr 1991 als erster dazu bereit, den NATO-Auftrag grundlegend zu ändern, der die durchgreifende Militarisierung der deutschen Außenpolitik erst ermöglichte. Die "neue" NATO lieferte gleich die Vorlage mit, die im November 1992 von Bundes-verteidigungsminister RÜHE erweitert wurde. Er erließ die sog. "Verteidigungspolitischen Richtlinien". Jene legten fest, daß die "erweiterte Landesverteidigung" überall auf der Welt (im Persischen Golf oder in Sibiri- en) stattfinden könne, was den Bundeswehrgeneralinspekteur KLAUS NAUMANN, dazu veranlaßte, die Vorbehalte des Grundgesetzes gegen eine global einsetzbare deutsche Armee elegant auszuhebeln. Am 12. Juli 1994 stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil fest, daß künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr zu billigen seien, um nachdrücklich die Bundesrepublik vor "erheblichen außenpolitischen Schäden" zu bewahren; und am 15. Juli billigte das Kabinett erweiterte Möglichkeiten für den Adria-Einsatz deut- scher Marine-Soldaten und rückwirkend alle "Out-of-area"-Einsätze mit der Mehr- heit von 424 Ja - 48 Nein-Stimmen (Entsendegesetz).

Zur Zeit des Urteils waren deutsche Soldaten in zahlreichen Kriegsgebieten aktiv (BOSNIEN-Konflikt, Blauhelm-Aktivitäten; Tornados mit deutscher Besatzung über BOSNIEN), die ihr Mandat dem Beschluß der Bundesregierung vom Dezember 1994 und der SPD über die sog. "außenpolitischen Notgemeinschaft" verdankten. Mit der Änderung des NATO-Vertrages fiel ein fast vierzigjähriges Tabu; die gesamte Außen- und Militärpolitik erfährt eine unheilvolle Wende; d. h. aus einer Verteidigungs-armee wird eine "Interventionsarmee" und SCHRÖDERs verschachtelte Ideologie ist nichts anderes, als das Festmachen der europäischen Vormachtstellung und die Durchsetzung deutscher Interessen, die davon abhängig sind, ob es gelingt, ökonomisch eine strategische Linie in der Handelspolitik durchsetzbar zu gestalten. Dafür wären folgende Instrumente möglich: Der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die WTO (Nachfolgeorganisation des GATT). In der WTO sind z. Zt. 125 Staaten zusammengeschlossen, die allesamt die Globa-lisierung der Moderne beschleunigen (Senkung der Zölle, Öffnung der Märkte, Libe- ralisierung des Welthandels, Infiltration durch Ausweitung des Handels, Erschließung von Einflußzonen). Kaum wahrgenommen, aber Fakt ist der seit dem Jahre 1992/93 stattfindende "Weltwirtschaftskrieg", bei dem die G-7 Staaten (die die Hälfte des Welthandels be-streiten) eine dominierende Rolle spielen. Der Kampf der Triade USA - Kerneuropa - Japan ist in vollem Gange, und die Sum- me von ca. 500 Milliarden Dollar, die es jährlich zu verteilen gibt, sagt viel über das sichtbare Zeichen dieses Handelskrieges aus. Bei gleichzeitiger "Liberalisierung" die- ses Marktes (was nichts anderes heißt, als die Schaffung sog. Freihandelszonen) forcieren die zu errichtenden Handelsblöcke die Einkreisungspolitik mit den ver- schiedenen Wirtschafts- und Währungsunionen. HERMES steht dabei für das risikolose Geschäft. Zahlt der Kunde seine Rechnung nicht, überweist der Bund die Außenstände und treibt die Forderungen ein. Dem dienen die 1993 verabschiedeten Richtlinien zur Umwandlung der Botschaf- ten zu Außenbüros der Exportwirtschaft, die "europäische Harmonisierung", der Er- laß des deutschen Außenministers KINKEL über die "neuen Richtlinien zur Förderung der Außenwirtschaft" und die damit verbundene "politische Einkreisung".

Die Aufteilung der Welt, beginnt sie tatsächlich? Der zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes ernannte oberste Militärberater des Kaisers, ALFRED von TIRPITZ, erklärte einst in seinem Flottenprogramm von 1897, daß der "Schutz des deutschen Handels in Übersee" erreicht werden müsse. Die Außenbüros tragen dafür "entscheidende Verantwortung". 1991 reißt der schon erwähnte KLAUS NAUMANN die außen- und sicherheitspoliti- sche Definitionsmacht an sich, tritt wie TIRPITZ als heimlicher Superminister auf, der in seiner Person auf groteske Weise Auswärtiges Amt und Verteidigungsministe- rium vereinigt. Ein Putsch? Wenn das bejaht werden sollte, ist Deutschland seit jener Zeit ein Mi-litärstaat in spe.

NAUMANN verlangte in der Vorlage "Militärpolitische und militärstrategische Grundla- gen und konzeptionelle Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr" ihre komplette Umrüstung, von einer Verteidigungs zu einer Interventionsarmee, von einer Wehrpflichtigen zu einer Berufsarmee. RÜHE erläßt daraufhin am 26. November 1992 die bereits erwähnten Richtlinien. Der eigentliche Auftrag der Bundeswehr - die Verteidigung der Nation - wird damit ad acta gelegt. Seit dieser Zeit dient sie den "nationalen Interessen". Sie reichen von der Aufrechterhaltung des freien Welthandels bis zum ungehinderten Zugang zu Märkten und Roh- stoffen. Der "erweiterte Sicherheitsbegriff" muß nach dieser Definition als ein imperia- listisches Programm bezeichnet werden. Die Bundeswehr wird seit 1991 gnadenlos einem Neuaufbau unterzogen: Mobilmachungsarmee (ca. 300. 000 Soldaten; schnelle Eingreiftruppe mit ca. 50.000 Solda- ten, unbegrenzte Aufstockung mit Reservisten, was nach der Notstandsverfassung auch die Einbeziehung von Bürgern aller Altersklassen bedeutet; Training unter Kampf- bedingungen für den Einsatz unter und über Wasser, Wüste, Sumpf oder Dschungel;Ausbau eines gigantischen GSG-9 Apparates; Ausbau der Marine und der Luftwaffe (allein für den Marine Etat sollen in den nächsten Jahren 7, 7 Millionen DM veran- schlagt werden); U-Boote, Zerstörer; weitere Rüstungsprojekte (ca. 65 Milliarden DM); EURO-Fighter; Kampfhubschrauber; Haubitzen; Luftabwehrsysteme; Satelitenaufklärer; Großraumtransporter.

Es scheint sich tatsächlich alles zu wiederholen: Der Wehretat wird in den nächsten Jahren enorme Steigerungsraten erfahren; die Streitkräfte werden spätestens bis zum Jahre 2010 runderneuert und bereit für jeden Einsatz sein. Selbst Atomwaffen sind nicht mehr auszuschließen; und eine "Neutralität" auf diesem Gebiet gibt es schon lange nicht mehr. Die Beschaffung kann über eine etwaige Außen- und Sicherheitspolitik eines künftigen Kerneuropas erreicht werden (Eurokorps, EURO, Weltraumüberwachung, Teilhabe an der "Nuklearen Force de frappe") oder über die geplante "Osterweiterung" der NATO. KINKELs einstige Idee von der Aufgabe der "Kultur der Zurückhaltung" war eben nicht nur so dahingesagt, sondern hat im Nachhinein eine Entsprechung gefun- den. Im Rahmen der EUROPÄISCHEN UNION kann Deutschland zu einem "Su- perstaat" auflaufen, der sich dann gegen die "beständige Bedrohung aus dem Osten", und der Stationierung der neuen "SS-25" vielleicht auch nuklear zur Wehr setzen muß? Bis es soweit ist, daß der Besitz von Atomwaffen als "Erfolg" gefeiert werden kann, wird Deutschland die NATO als Schutzschild benutzen können, und alle möglichen Einbindungsstrategien und Variablen ausschöpfen, um sein Interventionsprogramm erfolgreich zu absolvieren. Daß Generalinspekteur NAUMANN am 1 Januar 1996 den Vorsitz des Militärausschusses übernommen hat und oberster Militärstratege der NATO wurde, ist vor diesem Hintergrund das Unterstreichen der "vitalen Interessen" Deutschlands.

Was jetzt noch fehlt, ist der Feinstschliff, der langsam aber sicher von ROT - GRÜN vorbereitet wird, und man sollte jede Illusion aus dem Kopf verdammen, die eine Erneuerung der gesellschaftlichen Verhältnisse unter ihrer Regierungsverantwortung vorgaukelt. Die Globalisierung der Weltwirtschaft mit ihren katastrophalen Zusammenbrüchen schreitet unaufhörlich voran, geopolitisch gibt es keinerlei Grenzen mehr, die nicht antastbar wären, das Mitteleuropa kann schnell zur "eurasischen Option" werden. Deutschland hat durch die EU und den kommenden EURO nach allen Seiten offene Grenzen. Das ist die eigentliche Gefahr; es muß zu jedem Zeitpunkt militärisch stark sein, auch aufgrund seiner geographischen Lage. Zeiten der Schwäche macht es zur Beute der Staaten von Westen, Osten und Nor- den, schließlich sogar von Süden. Es wird sich bis an die Zähne bewaffnen müssen, um den Verkauf in die Sklaverei zu verhindern. Der Außenpolitik kommt dabei besondere Bedeutung zu; sie muß nämlich die ganze geschichtliche Vergangenheit "bändigen", jene jammervollen Verirrungen, die personifizierte Gestalt annahmen; sie muß die geschichtliche Schuld Deutsch- lands absorbieren; und das kann sie nicht; sie muß vielmehr den ganzen irrationalen Nationalismus geschichtsphilosophisch bejahen, die Hast der Gewaltsamkeit in die deutschen Gehversuche eindrehen; die sehnsüchtig angelegte deutsche Geschich- te politisch durch Eingreifen von Machtmitteln in die Werkzeuge der Zerstörung wiederherstellen. In der Tat ist das Unheil apokalyptisch, und die SCHRÖDER Äußerungen lassen den Kausalzusammenhang zwischen Bedingungen und Forderungen, zwischen Willkür und Gewalt erkennen. Die Verschleierung dieses Grundbestandes hat sehr viel mit den Unklarheiten ü- ber die Bedeutung der Macht im menschlichen Zusammenleben zu tun; die fal- sche Verabsolutierung der Macht, führt sie denn zum allein bestimmenden Faktor der Ereignisse, ist das Verhängnis, daß die Grundschuld der deutschen Außen- politik zeigt. Sollte die "soldatische Bewährung" zur Pflicht werden, aus einer nationalen Ge- sinnung heraus, das "Vaterland" nicht nur zu verteidigen, sondern Krieg zu füh- ren, der im Gedächtnis des Volkes schnell zum Verteidigungskrieg werden könn- te, der wunderlichen Heiligkeit des Befehls aus der militärischen Überlieferung entsprechend, "es ist Befehl", dann kann sich im Augenblick irgendeine "Rassen- kunde" etablieren, die sich aus der Natur der Sache heraus unaufhaltsam in den Gang der Weltgeschichte einfügt. SCHRÖDERs Töne sind pornographisch, blamabel; der Vorstoß in das Europä- isch-Abnorme, in die Kunst des Häßlichen. Es scheint sich nämlich diese unglaubliche Sache zu konstituieren: Das Gewitter des kommenden Jahrhunderts; die Negierung der Introspektion, die Evidenz des Gelebten. Jede geistige Haltung schafft sich ihren eigenen Stil. Da ist es schon egal, ob sich Soldaten der Bundeswehr im Juli 1997, als der er- ste Oderdeich gebrochen war, zur Äußerung, daß sie "ohne Hochwasser schnel- ler in Polen seien" hinreißen ließen, ob der Rechtsradikale MANFRED ROEDER 1995 bis in die Führungsakademie der Bundeswehr gelangen konnte, oder ob SCHRÖDER und im Gefolge sein Außenminister über Schutzmaßnahmen und Sicherheitsauflagen beraten.

Abstrakte Wahrheiten werden von Generation zu Generation weitergegeben; am schlimmsten sind die historischen Fehler, die SCHRÖDER unter "historisch be- lastet" (3) faßt, die jedoch mit einer merkwürdigen Simplifizierung ausgesprochen sind, trügerischen Lösungen, weil der Zweck als Waffe benutzt wird, und die Ohn- macht durchdringt; die Halbbarbarei im Kulturkampf; die Entblößung des Alltäg- lichen. Die Atmosphäre scheint unwiderruflich vergiftet, und da in der Erinnerung alle Ta- ge gleich sind, sie zur allmählichen Normalität werden, geht kein Aufschrei durchs Volk, weil der "Ausnahme-Deutsche" die Extremsituationen und Auswüchse kennt: Der geistige Verfall, die Dekadenz. Wenn die Warenproduktion nicht mehr dazu in der Lage sein wird, die Gesamt- heit der Menschen in seine gesellschaftliche Form aufzunehmen, der Staat der Moderne zum Fossil wird, unnütz geworden, überflüssig, zum tautologischen Selbstzweck degeneriert, mag es nicht mehr weit sein bis zur individuellen Sätti- gung des Blutes, zum alten Brandgeruch, zu Kommandohöhen, Aufopferung und Mannöver, Störfeuer, weiträumige Gebiete, Interventionen, Zermürbungskrieg: Gesamtkapitalistische Tendenz, in der der "Deus ex machina" auf einem Hügel stehend sich schon selbstzufrieden ins Fäustchen lachen mag, und in Gedan- ken die äußersten Grenzen überschreitet. 

"Nationalismus heißt Krieg. Krieg, das ist nicht nur Vergangenheit.
Er kann auch unsere Zukunft sein."

(Francois Mitterand, 1995)

 Anmerkungen: 

(1) Alle Zitate: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 25. 01. 1999; Süddeutsche Zeitung 25. 01, 1999; Frankfurter Rundschau; 25. 01. 1999; FOCUS Nr. 4/1999, S. 21ff. Weitere Äußerungen von SCHRÖDER im "FOCUS": "Es ist aber nicht nur erlaubt, sondern dringend notwendig, jetzt über weiteren militärischen Druck nachzudenken. Eine solche Politik ist für Deutschland nur möglich, wenn sie auf Punkt und Komma mit den europäischen Partnern und mit den Vereinigten Staaten verabredet ist." (S. 21) "Wir sind heute bereits in der Region voll engagiert, sowohl militärisch als auch zivil. Wir sind Teil der NATO; und wir sind an den Entscheidungen beteiligt. Und wir werden uns auch an deren Konsequenzen weiter beteiligen." (S. 22) Auf die Frage von "FOCUS": "Auch mit deutschen Bodentruppen in nicht be- friedeten Gebieten", lautete SCHRÖDERs Antwort: "Wir handeln in und mit der internationalen Staatengemeinschaft, und angesichts dessen kann man nichts ausschließen." (ebd.) SCHRÖDER geht weiter davon aus, daß diese Optionen in der Koalition und in der Gesellschaft verstanden werden: "Ich bin sicher, daß die beschriebene Option in der Koalition und und in unse- rer Gesellschaft verstanden und akzeptiert wird...Der Bundesaußenminister bemüht sich langem um jede Möglichkeit zu einer friedlichen Lösung zu kom- men. Aber wenn es denn unumgänglich ist, können wir auf die andere Option nicht verzichten."(ebd.)

(2) FISCHER vor dem Parlament in Straßburg am 12. 01. 1999. Zitat aus: Die Zeit Nr. 4/1999, S. 3.

(3) Vgl. "FOCUS" NR: 4/199, S. 22.

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