Die Linke, der Realsozialismus und die Utopie
Welche Lehren könnte die Linke aus dem Scheitern des Realsozialismus ziehen?
Was bedeutet das für die heutige Alternativendiskussion soweit sie ein nicht kapitalistisches System betrifft?


von
Anne Seeck

02/11

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Große Fragen, die ich nur ansatzweise beantworten kann. Sie werfen wieder neue Fragen auf. Ich bin nicht Marx, sondern eine prekäre Unzufriedene, die auf der Suche ist, was ein fortlaufender Prozeß ist. Wissenschaftlichkeit ist „nicht mein Ding“.

Die Bankrotterklärung von Wissenschaftlichkeit und Erziehungsdiktatur

In der DDR habe ich gelernt, dass es eine „wissenschaftliche Abfolge“ von Gesellschaften gibt: Urgesellschaft- Sklavenhaltergesellschaft- Feudalismus- Kapitalismus- Sozialismus- Kommunismus. Das habe ich als Schülerin geglaubt. Diese Wissenschaft wurde uns in der DDR übergestülpt, mit der ML-Phraseologie wurden wir dauerberieselt. Wir sollten von der Richtigkeit des Marxismus- Leninismus überzeugt werden. Wir sollten mit Zwang zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen werden. Es kann nicht darum gehen, den Menschen eine Ideologie überzustülpen. Das funktioniert nicht ohne Unterdrückung. Schluß mit allen „Ismen“. Im Realsozialismus wollte eine Avantgarde in der führenden Partei die anderen Menschen mittels Erziehungsmaßnahmen verändern.
Die Früchte dieser Erziehung hat man vor allem nach dem Mauerbau erlebt. Die „sozialistischen Menschen“ drückten sich an den Westschaufenstern die Nasen platt. Als sie die DM hatten, entsorgten sie ihr DDR-Leben, indem sie sich sofort ein neues Auto und eine neue Wohnungseinrichtung kauften. Das hat die Linke im Westen vollkommen desillusioniert.

Jede Zukunftsvision, die auf einer Avantgarde beruht, die anderen eine Gesellschaft aufzwingen will, funktioniert nicht. In der DDR wurde keine Veränderung des Massenbewußtseins erreicht, es ist eine Bankrotterklärung an alle Erziehungsmaßnahmen, die auf Zwang beruhten.

Der Zeitfaktor

Der Kapitalismus hat Jahrhunderte gebraucht, um sich zu entwickeln. Der Realsozialismus hat 72 Jahre geschafft, um schließlich zu scheitern. Eines Tages wird auch der Kapitalismus zusammenbrechen. Wir wachen auf und das Finanzsystem ist kollabiert.

Die 68er glaubten an sofortige Veränderung, sie glaubten an einen kurzen Zeithorizont. M.E. ist Freiwilligkeit ein entscheidender Faktor. Es entstehen Gemeinschaften, die freiwillig gewählt sind, und die sich schließlich vernetzen. Insofern weisen die Autoren des Buches „Der kommende Aufstand“ mit ihren Kommunen in diese Richtung. Daher muß auch der Zeitfaktor einberechnet werden. Es wird hunderte Jahre dauern, alles was dagegen abrupt ist, birgt die Gefahr der Unterdrückung.

Es bleibt die Hoffnung

Es dauert also. Aber: In der DDR und Nordafrika erleben wir, wie schnell Staaten zusammenbrechen können, die wir für stabil hielten. Ständig wird uns suggeriert, es gäbe keine Alternative zum Kapitalismus. Viele Menschen sind unzufrieden und drücken ihre Unzufriedenheit durch ihre Wahlverhalten als Wechselwähler und Nichtwähler in der parlamentarischen Demokratie aus. Sie fragen, wie denn eine andere Gesellschaft aussehen kann. Ist eine andere Gesellschaft überhaupt möglich? Sie fragen, was wollt ihr.

Ja was wollen wir. Das können die wenigsten beantworten, weil sie ständig damit beschäftigt sind, Abwehrkämpfe zu führen. Es brennt an allen Ecken und Kanten. Alternativdiskussionen werden dagegen selten geführt, und wenn dann sind es Forderungen an den Staat, der diese natürlich ignoriert, weil die soziale Bewegung so schwach ist. Wir sind alle in einem Hamsterrad gefangen und sind kaum noch in der Lage, eine andere Welt zu denken, so weit haben wir die kapitalistische Welt verinnerlicht.

Am 10.2.2011 hielt ich im Autonomen Seminar an der Humboldt-Uni (gekürzt) ein Referat, das in der längeren Version gleich folgt. Die anschließende Diskussion war sehr spannend. So wurde ich gefragt, welche Lehren kann man aus dem Realsozialismus ziehen, die man aus dem Kapitalismus nicht ziehen kann.

Ein Vergleich

Der Staat war in der DDR allmächtig, aber etwa heute nicht, trotz des Marktregimes. So wird gegenwärtig mit der EU eine Sicherheitsarchitektur aufgezogen, die in unser Leben allmächtig eingreift. Nicht nur der nationale Staat greift in unser Leben ein, Politik und Kapital sichern ihre Macht immer mehr auf globaler Ebene. Der Staat greift in unser Privatleben ein, so sollen wir nicht mehr rauchen und gesund leben. Es geht um unsere Arbeitsfähigkeit, wir sollen dem Staat keine Kosten verursachen. Wir sollen funktionieren und uns als Arbeitskraftunternehmer selbst vermarkten.
Und natürlich gab und gibt es in der BRD auch Spießer und eine traditionelle Lebenswelt.

Und natürlich werden auch Minderheiten in Deutschland mittels parlamentarischer Demokratie und sozialer Unterschiede unterdrückt. Auch ein Manager wird heute erzählen, wie gut es ihm geht, entscheidend ist aber, wie es dem Hartz IV- Bezieher geht.

Und natürlich ist der Marktfundamentalismus genauso zum Kotzen wie die zentralistische Planwirtschaft. Hysterische Überproduktion ist genauso zu kritisieren wie Mangelversorgung. Es geht um eine Lebensweise, die ökologisch vertretbar und trotzdem nicht unerträglich ist.

Und natürlich haben die Menschen in der parlamentarischen Demokratie genauso wenig Mitspracherechte wie in der Parteidiktatur. In der DDR durften sie Wahlzettel falten, heute dürfen sie ein Kreuz machen. Nicht von ungefähr sind viele Menschen politikverdrossen.

Aber der Sozialismus hatte den Anspruch, eine bessere Gesellschaft zu sein.

Ein gravierender Unterschied

Trotzdem gab es in der DDR einen gravierenden Unterschied zur BRD, es fehlten die bürgerlichen Freiheiten, die der Mehrheit dort zugestanden wurden und werden. Natürlich gibt es auch hier Einschränkungen, z.B. bei der Unverletztlichkeit der Wohnung bei Hartz IV- Beziehern (Sozialschnüffler) und dem Recht auf Freizügigkeit bei Asylbewerbern (Residenzpflicht). Das Fehlen bürgerlicher Freiheiten wird von den Herrschenden immer als diktatorische Seite der DDR dargestellt. Das Wort diktatorisch verwende ich für die DDR nicht, denn gerade in den 1980er Jahre nahm sich die Subkultur in der DDR Freiräume und viele DDR-Normalbürger entwickelten einen Eigensinn, indem sie z.B. Eingaben schrieben. Die DDR war für mich autoritär.

Offene Fragen

Ich kann die DDR von ihrem Alltag her kritisieren, habe aber tausende Fragen, was einen gesellschaftlichen Umbruch und die Frage was dann kommt, betrifft. Das Sein bestimmte in der DDR eben nicht das Bewußtsein.

Was ist zuerst da, die Veränderung oder das Bewußtsein? Müssen die Menschen nicht erst ein kritisches Bewußtsein haben, damit sich etwas verändert. Aber wie sollen sie dieses bekommen, wenn sich nichts verändert.
Immer wieder höre ich zur DDR, dass natürlich die Sowjetunion, der Weltmarkt, also äußere Bedingungen zur Situation in der DDR beitrugen. Und ist ein gesellschaftlicher Umbruch in einem Land überhaupt möglich? Muss in Zeiten der Globalisierung nicht weltweit etwas passieren? Wir erleben gerade in Nordafrika, wie der Funke überspringt.
Wenn diese Veränderungen auf freiwilliger Basis in kleinen Einheiten beginnen, wird der kapitalistische Staat und das Kapital das nicht zu verhindern versuchen? Ist Veränderung unter diesen Bedingungen überhaupt möglich? Werden die überhaupt Veränderungen zu lassen?

Die K-Frage

Gesine Lötzsch löste Anfang 2011 mit dem Satz: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ ein Donnerwetter in Politik und Medien aus. ( http://www.jungewelt.de/2011/01-03/001.php )

Das Gekreische war groß, wogegen andere wieder einen Hoffnungsschimmer ausmachten, denn es wurde wieder über den Kommunismus debattiert.

Die Geisterdebatte der Gesine Lötzsch in einer „linken“ Partei, die hier in Berlin neoliberale Politik macht, als auch die hysterische antikommunistische Reaktion beschrieb im Trend schon die Gruppe „vonmarxlernen“.

Wie unterschiedlich die Assoziationen zu dem Wort Kommunismus sind, wurde mir in einem Qualifizierungskurs der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung bewußt. Wir malten ein riesengroßes Mindmap zum Kommunismus. Während ich mich flugs in der Rolle der Mahnerin hinsichtlich der belasteten Vergangenheit sah, malten gerade die Jungen ein Wolkenkuckucksheim auf der Seite der Zukunft. Obwohl mir gelegentlich die Rolle der Antikommunistin angedichtet wird, die ich nicht bin, mache auch ich mir Gedanken über die Zukunft. Wenn Kommunismus die „Diktatur des Proletariats“ bzw. wie in der DDR die „Diktatur einer Partei“ sein soll, dann bin ich strikt dagegen. Ich bin gegen jegliche Diktatur und für eine befreite Gesellschaft.

Fraktionskämpfe

Während bei Älteren oftmals ein antikommunistisches, nostalgisches oder auch differenziertes Weltbild gefestigt ist, bemerke ich gerade bei Jüngeren eine Orientierungslosigkeit. Sie kennen die Vergangenheit nicht und wissen nicht, wie sie sich dazu verhalten sollen.

Denn 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus stehen sich zwei Fraktionen der Erinnerungskultur feindlich gegenüber. Die einen, vor allem auf der Seite der heute Herrschenden zu finden, verteufeln den Kommunismus und betonen immer wieder die diktatorischen Seiten. Das geht bis zum Diktaturenvergleich mit dem Nationalsozialismus.

Dagegen verklären wiederum viele Ostdeutsche die DDR. Und auch in der Westlinken gibt es DDR- Nostalgiker. Je mehr sich der Kapitalismus seit dem Wegfall des Konkurrenzsystems „entfaltet“, desto mehr wächst die Nostalgie. Die Erinnerung ist sehr selektiv, es wird vor allem der „schöne“ Alltag in der DDR erinnert.

Die Nostalgiker heben vor allem die DDR-Sozialpolitik und die soziale Sicherheit hervor, so die Arbeitsplatzsicherheit, den Zusammenhalt der Arbeitskollektive, die Kinderfreundlichkeit aufgrund der Kinderkrippen und -gärten bei gleichzeitiger Berufstätigkeit der Frau, die billigen Mieten und überhaupt die Solidarität. Sie sind stolz auf die Sportnation DDR und den Antifaschismus in der DDR.

Aber warum waren z.B. viele ostdeutsche Jugendliche nach der Wende so empfänglich für den Rechtsextremismus und die Erwachsenen so ausländerfeindlich? Alles die Schuld des Westens?

Überhaupt vergleichen sie viel mit der Situation im Westen. Dass sich auch die Bundesrepublik seit 1990 extrem gewandelt hat, nehmen viele ehemalige DDR- Bürger nicht wahr. Insbesondere üben sie eine radikale Kritik am Vereinigungsprozeß, was ja auch berechtigt ist. Aber die Kritik der Verhältnisse in der DDR werten sie als einen Angriff auf ihre individuelle Lebensleistung. Überwachung und Gängelei in der DDR relativieren und verdrängen sie gern. Der Autoritarismus in der DDR hat sie anscheinend nicht gestört.

Eine Schülerstudie

Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat haben 2008 eine aufschlußreiche Studie vorgelegt, in der sie zwischen Herbst 2005 und Frühjahr 2007 über fünftausend Schüler der 9. bis 12. Klassen in Bayern, Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen befragt hatten. Allein das ich hier eine Studie vom Forschungsverbund SED-Staat zitiere, wird bei einigen dogmatischen Linken wieder als Antikommunismus ausgelegt. Nein sage ich, denn diese Forscher legen häufig die Finger in die Wunde. Allerdings kann man aus linker Perspektive natürlich auch Fragestellungen kritisieren. Natürlich sind sie keine Kapitalismuskritiker und natürlich denken sie nicht über Alternativen zu diesem System nach. Sie waren erschrocken, dass so viele Schüler in Ost und West für die Idee des Sozialismus offen sind. Auch ich war erschrocken, aber nicht darüber, sondern über das Bild vieler ostdeutscher Schüler über den „Sozialismus“. Dieses Bild wird ihnen in den Familien vermittelt, in den Gleichaltrigengruppen und in der Schule nochmals bestätigt. In den ostdeutschen Familien wird vor allem die eigene Lebenswelt und der Alltag erinnert, in vielen ostdeutschen Schulen die DDR immer noch verharmlost. Kritische Lehrer stoßen an Grenzen, da die Elternschaft den Schülern ihr nostalgisches Bild von der DDR aufzwingt. So betonen ostdeutsche Schüler besonders gerne den Alltag und die sozialen Seiten der DDR. Über die autoritäre Seite der DDR sind die Schüler wiederum oft nicht informiert.

So hörte ein kritischer Lehrer von seinen Schülern in Leipzig, dass man sich schließlich überall an die Spielregeln der Gesellschaft halten müsse. Das mag zwar sein, aber ob man das muss, steht auf einem anderen Blatt.

Die Mehrheit der DDR-Bevölkerung war angepaßt, leider reichte aber im Westen Anpassung nicht, viele Ostdeutsche werden einfach nicht gebraucht. (oder nur als Niedriglöhner) Interessant ist, dass bei den Schülern die Arbeitsplatzgarantie daher solch große Bedeutung hat.

„Für eine Arbeitsplatzgarantie sind viele, vor allem Ostberliner Schüler, durchaus bereit, auf einige demokratische Grundrechte zu verzichten.“ (Deutz- Schroeder, Schroeder, S.167) Vor allem Schüler, die Angst vor der Arbeitsmarktsituation haben, zeichnen ein positiveres Bild von der DDR als jene, die keine Angst haben. In Brandenburg meinten die meisten Schüler, der Staat müsse Arbeitsplätze schaffen und in die Wirtschaft eingreifen. Auch hier spielte die Arbeitsplatzgarantie für sie eine große Rolle.

Dass es neben dem Recht auf Arbeit auch eine Pflicht zur Arbeit in der DDR gab und dass es zu einer Arbeitskräftehortung in den Betrieben kam, es wird von einer verdeckten Arbeitslosigkeit von 1,4 Millionen Personen Ende der 80er Jahre ausgegangen, ist den Schülern meistens unbekannt.

Aber nicht nur viele ostdeutsche Schüler zeichneten ein positives Bild von der DDR, auch ostdeutsche Lehrer. „Auf keinen Fall würden sie den Schülern gegenüber Rechenschaft über ihr Verhalten in der DDR ablegen.“ (Deutz- Schroeder, Schroeder, S.173) Daher wird auch das Thema DDR so wenig im Unterricht behandelt. Die Lehrer wollen sich nicht an dem Schlechtreden beteiligen. Die Lehrer lobten dann noch das Volksbildungssystem der DDR, die Emanzipation der Frauen, die Kinderbetreuung, die Kollektiverziehung und die „außerunterrichtliche Tätigkeit“, so dass die Jugendlichen nicht irgendwo herumlungerten.

„Einige West-Berliner Lehrer, die an Ost-Berliner Schulen gearbeitet hatten, stellten resignierend fest, dass ihre Ost-Kollegen kein Interesse an einer Aufarbeitung der DDR als Diktatur hätten und alles täten, um die negativen Seiten der DDR zu verdecken. Nach ihren Erfahrungen und den Erzählungen von Kollegen, die ebenfalls im Ostteil der Stadt gearbeitet hätten, werden West-Berliner Lehrer an den meisten Ost-Berliner Schulen gemobbt, wenn sie sich kritisch zur DDR äußerten. An vielen Ost-Berliner Schulen würde die DDR weiterleben, sowohl in Bezug auf den Schulunterricht als auch auf die Arbeitsatmosphäre und das Verhältnis unter den Kollegen.“ (Deutz-Schroeder, Schroeder, S.175)

Und so wird das positive DDR-Bild in ostdeutschen Familien und bei ostdeutschen Lehrern gehegt und gepflegt. Rückblickend sind positive Bewertungen des eigenen Lebens nichts Außergewöhnliches. Mit zunehmendem Alter betonen Menschen eher die positiven Aspekte der Vergangenheit, wenn sie nicht nachhaltig negative Erfahrungen gemacht haben. Auch Westdeutsche sehnen sich oftmals nach der Zeit vor der Wiedervereinigung. Problematisch wird es dann, wenn die gesamte Gesellschaft schöngefärbt wird. Den Kindern in der Familie wird dann das schöngefärbte Bild vermittelt, die Gleichaltrigen bekräftigen es und in der Schule wird es nochmals bestätigt. Das gilt für das DDR- aber auch das ehemalige BRD-Bild, mit dem Westlinke oft konfrontiert sind.

Der merkwürdige Anstieg der Nostalgie

Im DDR-Buch „Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ war zur „Nostalgie“ folgendes zu finden: „Vom Unbehagen an der Gegenwart bestimmte Hinwendung zur Vergangenheit, die vergangene gesellschaftliche Verhältnisse meist reaktionär und in manipulierender Weise verklärt.“ (Deutz- Schroeder, Schroeder, S.79)

Noch zu DDR-Zeiten idealisierten dagegen viele DDR- Bürger den Westen, vor allem den dortigen Wohlstand und Konsum, und meckerten über die DDR. In der Wendezeit fand die Mehrheit die DDR-Verhältnisse unerträglich, heute wiederum verklären viele Ostdeutsche die DDR. Das Unbehagen in der gegenwärtigen Gesellschaft führt zur Nostalgie.
Während 1990 noch 72% der DDR-Bevölkerung davon überzeugt waren, dass sich die Verhältnisse in der DDR unbedingt ändern müssen, waren es 2001 noch ganze 44%. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich auf wundersame Weise die Zahl der mit der DDR Zufriedenen. (nach dem Institut für Demoskopie Allensbach)

Auf der Positivseite der SchülerInnen steht die DDR bei den Mietpreisen, auf der Negativseite stehen die Reise- und Einkaufsmöglichkeiten. Die SchülerInnen loben vor allem die SED-Sozialpolitik. Allerdings möchte eine breite Mehrheit den Bedingungen jugendlichen Lebens, wie es in der DDR üblich war, nicht ausgeliefert sein. Leider übte die vormilitärische Erziehung bei Schülern in Ost und West einen gewissen Reiz aus. Ein Viertel der Ostdeutschen sowie Haupt- und Gesamtschüler lehnen einige Aspekte der Unterdrückung Andersdenkender nicht ab oder stimmen ihr zu. Deutz-Schroeder/ Schroeder schreiben: „Das positivste Bild der DDR zeigen Anhänger der Linkspartei/PDS und der NPD, das negativste Symphatisanten der Bündnis- Grünen. Zu einem härteren Urteil über diesen deutschen Teilstaat neigen Schüler, die nach eigenem Eindruck viel über die DDR wissen sowie diejenigen, die im Schulunterricht dieses Thema ausführlicher behandelt haben.“ (Deutz-Schroeder, Schroeder, S. 597) Ostdeutsche Schüler vertreten häufig die These, die DDR würde als System nur schlecht geredet, um die Ostdeutschen auch heute noch herabzuwürdigen. Bei westdeutschen Schülern gibt es dagegen einen Unmut über die hohen Transferzahlungen in den Osten. „Viele- nicht nur ostdeutsche- Schüler symphatisieren aus verschiedenen Gründen mit dem Gedanken, den Ausländeranteil im heutigen Deutschland auf DDR-Niveau zu senken.“ (Deutz-Schroeder, Schroeder, S.599)

Befragungen zeigen, dass viele Ostdeutsche einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollen, auch die Stasi-Aktivitäten sollen nicht mehr thematisiert werden.

„Mehr als jeder Zweite (54%) bejaht im Jahr 2004 das Statement ‘ Wir waren alle gleich und wir hatten Arbeit. Darum war es eine schöne Zeit in der DDR’. Und was noch schwerer wiegt- nicht einmal jeder Fünfte (18%) verneint dies.“ (Deutz-Schroeder, Schroeder, S. 56) 1992 meinten 70% „Die SED hat uns alle betrogen.“, 2004 sind es noch 39%. “Die Strategie der PDS, jede Kritik an den diktatorischen Verhältnissen und den hierfür Verantwortlichen als einen pauschalen Angriff auf alle Ostdeutschen um zu interpretieren, scheint bei einem beträchtlichen Teil der DDR-Bevölkerung erfolgreich zu sein.“ (Deutz- Schroeder, Schroeder, S.58)

Durch die Betonung des Alltags und der individuellen Lebensleistung sollen Täter und Mitläufer freigesprochen werden. Dabei ist die Rolle der ehemaligen DDR-Elite bedeutsam.

Sowohl nach 1945 als auch nach 1990 erfolgte ein Elitenaustausch in Ostdeutschland. Für die Enteignung und Vertreibung der ehemaligen Eliten rächten sich die Herrschenden nach 1990. Die neue Elite der DDR, die Aufbaugeneration, wurde fast komplett ausgetauscht und in den Ruhestand geschickt. Auch sie rächen sich. Es ist ein Kampf zwischen den Eliten und es geht um Macht. Die Linkspartei in Berlin und in Ostdeutschland beweist, dass sie machtbewußt, d.h. pragmatisch ist. Im Gegensatz zur Westlinken hat sie in der DDR Macht gehabt.
In der DDR systemnahe Wissenschaftler arbeiten an einem schöngefärbten DDR-Bild und tragen erheblich zur Meinungsbildung in Ostdeutschland bei. Das verbinden sie schlauerweise vor allem mit einer Kritik am Vereinigungsprozeß und am bundesdeutschen System, und unterfüttern damit die Unzufriedenheit der Ossis. Sie kritisieren z.B. die heutige Massenarbeitslosigkeit, verschweigen aber, dass es in der DDR neben dem Recht auf Arbeit auch eine Pflicht zur Arbeit gab, „Arbeitsscheue“ konnten bis zu zwei Jahren inhaftiert werden. Kritik am Westen verknüpfen sie mit einer Beschönigung der DDR.

Die Kritikpunkte

Für mich kristallisieren sich sechs Schwerpunkte heraus, an denen ich die DDR kritisieren möchte.

  • die Staatsfixierung
  • die traditionelle, spießige Lebenswelt
  • der repressive Umgang mit Minderheiten
  • das Fehlen bürgerlicher Freiheiten
  • die zentralistische Plan- und Mangelwirtschaft
  • die Parteidiktatur

Dafür nenne ich Beispiele, wobei ich mich nicht wiederholen möchte, denn vieles zur DDR habe ich bereits im Trend veröffentlicht. Meine Texte zur DDR unter: http://www.freiheitpur.i-networx.de/ddr.html

1. Die Staatsfixierung

Unerträglich in der DDR war die totale Verstaatlichung des Lebens. Das begann in der Kinderkrippe, ging weiter im Kindergarten, der Schule und im Hort, setzte sich fort in der Berufsausbildung oder Studium, schließlich bei der Wohnungssuche, in der Arbeit und in der Normalfamilie. Das Leben war staatlich vor- und durchstrukturiert.

Kinderbetreuung

Ende der achtziger Jahre besuchten ca. 80% eines Jahrganges die Kinderkrippen, über 95% die Kindergärten. „Natürlich“ war die Kinderbetreuung staatlich organisiert, fast alle Einrichtungen wurden in der DDR vom Staat betrieben. In ca. 35% der Kindergruppen waren über 19 Kinder. Danach wurden sie in staatlichen Schulhorten betreut, 1987 waren es ca. 82% der Kinder. Die Frauen sollten arbeiten (und Kinder bekommen), so dass 2/3 der Kinder zwischen dem 9. und 19. Monat in die Krippe kamen. Die durchschnittliche Anwesenheitsdauer in den Krippen lag bei acht Sunden, bei jedem dritten Kind sogar mehr als neun Stunden. Die Anwesenheitsdauer in den Kindergärten stieg oftmals noch an. Die kollektive Erziehung war mit der staatlichen Lenkung der Kinder verbunden, der Ton war oft autoritär und rigide. Die Eltern verbrachten weniger Zeit mit ihren Kindern, da diese an Kollektive gewöhnt werden sollten. Es ist also nicht erstrebenswert, auch nicht im Kapitalismus, eine staatliche Ganztagsbetreuung zu fordern. Der Staat will seine Interessen durchsetzen, das geht zu Lasten der Kinder. Dagegen wollte die Kinderladenbewegung der 1960er Jahre ankämpfen, heute haben die Kinder-und Schülerläden allerdings meistens ihren politischen Anspruch verloren und dienen der Abschottung der alternativen Mittelschichtskinder vor der Unterschicht. (http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderladen )

In Berlin mußten zudem Schülerläden wegen der Umstrukturierung schließen.

Schulausbildung

Auch die Selektionsfunktion in der DDR wurde durch das staatliche Instrument Schule sowie die staatliche Berufs- und Studienlenkung erfüllt.

Die Schulausbildung in der DDR war stark ideologisiert und militarisiert. Es ging oft autoritär zu. Ca. 11-13% eines Jahrganges erhielten die Zulassung zur Erweiterten Oberschule, 4% schlugen den Weg über eine Berufsausbildung und Abitur ein. In den achtziger Jahren machten 13% eines Jahrganges Abitur. (2005/2006 lag die Abiturientenquote in Deutschland bei 43,1 Prozent, damit war sie international gesehen- gering... ) Das Abitur allein berechtigte noch nicht zum Studium. Es gab eine staatliche Zulassungskommission, die eine „aktive Mitwirkung an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft“ forderte. Jugendliche aus bürgerlichen Elternhäusern wurden insbesondere in der Anfangszeit der DDR benachteiligt. Zum Ende der DDR wurden Jugendliche aus christlichen Elternhäusern, nonkonformistische Jugendliche und Bausoldaten ausgegrenzt. Man konnte also in der DDR nicht einfach sein Studienfach frei wählen, es gab eine staatliche Studienlenkung, die individuelle Bedürfnisse und gesellschaftliche Erfordernisse „in Einklang brachten“. Zusätzlich waren Systemloyalität und die Herkunft entscheidend. Funktionärskinder aus der sozialistischen Dienstklasse wurden besonders gern zum Studium zugelassen. (Selbstrekrutierung dieser Klasse)

Seit 1952 wurde die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) aufgebaut. Im Schuljahr 1978/79 wurde der Wehrkundeunterricht für die Klassen 9 und 10 eingeführt. Wehrerziehung gab es bereits im Kindergarten, und setzte sich in der Schule z.B. mit „Pioniermanövern“ fort. Auch in den Schulbüchern fanden sich z.B. mathematische Übungen aus dem Militärleben. Auch der Schulalltag war militarisiert, mit Uniformen und Fahnenappellen.

Vergleicht man die Schule in der DDR mit der heutigen, so ist der Leistungsdruck eine Gemeinsamkeit, wobei mit der Verknappung der Arbeitsplätze der Leistungsdruck im Kapitalismus stark anwächst. Soziale Unterschiede werden mittels Schule naturalisiert, es werden natürliche Begabungsunterschiede suggeriert. Die Funktion der Schule ist die Zuweisung von unterschiedlichen Lebensläufen in einer gesellschaftlich akzeptierten Form.

Es gibt staatliche Versuche, Schule neu zu gestalten: http://de.wikipedia.org/wiki/Laborschule_Bielefeld
Libertäre bevorzugten das Modell der „Freien Schule“ wie in der UfA-Fabrik in Berlin. ( http://www.freie-schule-in-berlin.cidsnet.de/ )

Inzwischen gibt es einen Boom an Freien Schulen, die eher etwas mit der Privatisierung der Bildung bei der Mittelschicht als mit libertärem Gedankengut zu tun haben.

Freizeitangebote für Jugendliche

1987 waren 1,44 Millionen Kinder Pioniere und 2,3 Millionen Jugendliche FDJler. Auch die Ferienzeit wurde staatlich organisiert, so gab es 1987 z.B. 48 Pionierlager. Auch die gesellschaftliche Aktivität außerhalb der Schule war wichtig für das Fortkommen. Konformität war karriereförderlich. In den 70er und 80er Jahren versuchten Jugendliche aus diesen staatlich vorgegeben Strukturen auszubrechen, in dem sie sich eigene Freiräume erkämpften. Der Staat reagierte mit Repressionen, verbot Musikgruppen oder verfolgte z.B. Punks. Weitere Infos zur Jugendopposition in der DDR: http://www.trend.infopartisan.net/trd1010/t231010.html

Staatliche Wohnraumlenkung

Wohnungen wurden in der DDR staatlich zugeteilt. Die Wartezeit bei einer kommunalen Wohnraumversorgung betrug im Normalfall ca. sechs bis sieben Jahre. Die Wohnungen waren meistens in einem schlechten Zustand, so wurden 46% dezentral und mit Kohle beheizt, über eine Innentoilette verfügten 76%, nur 16% hatten einen eigenen Telefonanschluß. Während Plattenbauten errichtet wurden, verfiel die Altbausubstanz. Materalien zur Sanierung, Instandsetzung und Renovierung fehlten. Die Mieten waren in der DDR staatlich festgesetzt, auch in den Häusern von Privatbesitzern. Sie betrugen 0,80 bis 1,25 Mark pro Quadratmeter und Monat. Damit betrug der Anteil der Miete 1989 2,4% am Haushaltseinkommen. Die Mieten waren nicht kostendeckend, so dass nicht saniert werden konnte. Der Staat mußte für die Instandhaltung hohe Mittel investieren, 1988 betrug die Summe der staatlichen Zuwendungen für das Wohnungswesen 16 026 Mio. Mark. Trotzdem saß die DDR aufgrund des Verfalls der Altbausubstanz auf einem Pulverfaß.

Heute geht der Trend in Richtung Entstaatlichung (sozialer Wohnungsbau) und Privatisierung. In Berlin kämpfen Stadtteilgruppen gegen die Gentrifizierung. http://tfa.blogsport.de/category/kiez-entwicklung/

Am 2. Februar 2011 wurde das besetzte Haus Liebig 14 geräumt. Die Häuser denen, die sie bewohnen. Die Hausbesetzerbewegungen in den 1970- 1980- und 1990er Jahren kämpften dafür. Ein großer Teil der gegenwärtigen linken Infrastruktur in Berlin ist aufgrund von Hausbesetzungen entstanden. Aber nicht selten wurden aus radikalen Hausbesetzern schließlich satuierte Hausbesitzer. Anarchisten unterscheiden zwischen Eigentum und Besitz. Eigentum ist Diebstahl. Eigentum an Produktionsmitteln ist unsozial. Eigentum entsteht als Profit infolge Ausbeutung. Besitz, den es allerdings auch in einer libertären Gesellschaft gibt, setzt einen Gebrauch, eine Nutzung von Werten voraus.

Staatliches Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen in der DDR war fast vollständig verstaatlicht und zentralisiert.

1987 gab es 3% Ärzte im nichtstaatlichen Bereich, 1989 nur 1%. Von 1970 bis 1989 erhöhte sich die Ärztedichte um 47%. Die freie Arztwahl war durch die betriebliche ärztliche Versorgung und die Versorgung in Polikliniken eingeschränkt, die Wege waren dadurch kürzer. 58% der Ärzte arbeiteten im ambulanten Bereich in Polikliniken. 1988 gab es zudem 543 staatliche Krankenhäuser. Ende 1989 waren außerdem 75 konfessionelle Krankenhäuser zugelassen. Priorität in der Gesundheitspolitik hatte die Erhaltung und/oder Wiedergewinnung der Arbeitskraft. Andere Einrichtungen für Nichterwerbsfähige wie Alten- und Behindertenheime, Psychiatrien etc. wurden dagegen vernachlässigt. Für Funktionäre der SED, des MfS und der NVA gab es Sonderbereiche in Krankenhäusern und das Regierungskrankenhaus.

Die technische Ausstattung und medikamentöse Versorgung war in der DDR schlechter als in der BRD, auch die Lebenserwartung war geringer, 1986-87 betrug sie in der DDR 75,74 Jahre, in der BRD 78,68 Jahre für Frauen. Im Alkohol- Pro-Kopf-Verbrauch belegte die DDR dagegen seit 1982 immer einen der drei vordersten Plätze in der Welt. Im Alkoholkonsum war die DDR Weltspitze

In der Gegenwart ist dagegen eine Tendenz der Privatisierung zu verzeichnen. CDU und FDP ist es gelungen, das Kopfpauschalensystem in Form von Zusatzbeiträgen einzuführen.

Die LINKE und attac fordern dagegen eine „solidarische Bürgerversicherung“.

In der FAU Berlin gibt es die Sektion Sozialwesen im Allgemeinen Syndikat, die im Pflege- und Gesundheitsbereich Kämpfe führt. Aber wie könnte dieser Bereich unabhängig von Markt und Staat gestaltet werden???? Und wie sollte die Altersversorgung aussehen?

Renten/Versorgung im Alter

Ältere Menschen, Behinderte, chronische Kranke und andere, die nicht arbeiten, hatten in der DDR meistens eine schlechte materielle Versorgung. Das Sozialversicherungssystem bestand in der DDR aus drei Säulen, den Pflichtleistungen, zudem hatten 80% der Erwerbstätigen eine freiwillige Zusatzversicherung, und aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) waren Arbeiter und Angestellte sozialversichert, zudem gab es eine staatliche Versicherung für Freiberufler, Selbständige, Gewerbetreibende und die Mitglieder der Produktionsgenossenschaften. Die Beiträge zur Sozialversicherung waren so gering, dass der Staat sie bezuschussen mußte.

Es gab 1989 ca. 2,8 Millionen Rentner in der DDR, davon bekamen ca. 1,8 Millionen Bezüge aus der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten, ca. 330 000 aus der Staatlichen Versicherung und ca. 700 000 bekamen Zusatz- und Sonderrenten. Der Renteneintritt begann mit 65 Jahren. Die durchschnittliche Rente betrug 1989 450 Mark, die Mindestrente 300 Mark. Natürlich profitierten die Rentner auch von der 2. Lohntüte, den staatlichen Subventionen beim Grundbedarf.

Die 1006 staatlichen Pflege- und Feierabendheime waren medizinisch und personell sehr schlecht ausgestattet. Vor allem Bauten, technische Ausrüstung und Fahrzeuge waren mangelhaft. Pflegebedürftige wurden z.B. in Mehrbettzimmern bis zu 10 Personen untergebracht. Zudem gab es 366 Pflegeinrichtungen und 20 Altenheime, die meistens kirchlich waren und auch besser in der Ausstattung. Auch die Volkssolidarität widmete sich der Versorgung pflegebedürftiger, vor allem alter Menschen. Es wurden warme Mahlzeiten nach Hause gebracht, außerdem gab es HauswirtschaftspflegerInnen, die für die Haushaltsführung der Pflegebedürftigen sorgten.

Viele abweichende Jugendliche arbeiteten in der DDR bei der Volkssolidarität, weil sie in dieser Arbeit aufgrund fehlender anderer Möglichkeiten eine sinnvolle Beschäftigung sahen. Außerdem wurde meistens nur in Teilzeit gearbeitet, so dass viel Zeit für andere Tätigkeiten und Muße blieben.

Die Volkssolidarität leistet auch heute noch eine wichtige Arbeit: http://de.wikipedia.org/wiki/Volkssolidarit%C3%A4t

2. Die traditionelle, spießige Lebenswelt

Die Kleinfamilie

Das Modell in der DDR war die Kleinfamilie, also die traditionelle Lebensform. 1989 lag der Anteil der verheirateten Personen bei über 70%. Je 10 000 geschlossenen Ehen wurden 3520 wieder geschieden. 1980 war das Erstheiratsalter bei Männern bei 23,4 Jahren, bei Frauen bei 21,3 Jahren. 1989 lag das Alter bei 25,3 bzw. 23,2 Jahren. Es wurde so früh geheiratet, weil es damit erstmals eine Möglichkeit gab, durch die staatliche Wohnraumlenkung eine Wohnung zu bekommen. Außerdem diente die Familie als Rückzugsgebiet. Der Staat wollte aber auch, dass die vielleicht aufmüpfige Jugendphase schnell übersprungen wird. Frühe Erwerbstätigkeit, Elternschaft und Heirat waren Ziel der Bevölkerungspolitik in der DDR. (Kinder waren sehr erwünscht, trotzdem gab es 1989 6789 mehr Verstorbene als Geborene. Frauen bekamen durchschnittlich 1,6 Kinder, in der BRD waren es 1,4.) Klaus Schroeder und Monika Deutz- Schroeder schreiben: „Beide Ehegatten arbeiteten 43,75 Wochenstunden und lebten in der ihnen zugewiesenen Einheitswohnung; Kinder wurden in den staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen versorgt und alljährlich in Pionier- und Betriebsferienlager geschickt.“ (Deutz-Schroeder, Schroeder, S. 227)

Die DDR hielt an dem Modell der traditionellen Kleinfamilie fest, allerdings zerfielen zum Ende der DDR immer mehr Familien, es deutete sich ein Wertewandel an. Die DDR-Führung glaubte auch, dass Frauen gleichberechtigt seien, wenn sie arbeiten gingen. Die Familienpolitik war Bevölkerungspolitik, die berufstätigen Frauen sollten auch Kinder zeugen, für die würde schon der Staat sorgen. Auch die zunehmende Zahl erwerbstätiger Alleinerziehender wurde sozialpolitisch gefördert.

Alternative Lebensformen wie Wohngemeinschaften waren schon durch die staatliche Wohnraumvergabe, die Familien förderte, kaum möglich. Viele abweichende Jugendliche besetzten aber leerstehenden Wohnraum z.B. in der Ostberliner Innenstadt und versuchten so, gemeinschaftlich in Häusern zu wohnen.

Alternatives Leben von Jugendlichen in der DDR, insbesondere in Friedrichshain, wird im Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche gezeigt: http://www.widerstandsmuseum.de/

Gleichberechtigung

Der Mythos der Gleichberechtigung der Frauen in der DDR hält sich bis heute, denn die Frauen durften in der DDR arbeiten, weil ihre Arbeitskraft gebraucht wurde. 91,2% der Frauen in der DDR waren erwerbstätig. Oftmals wird auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als vorbildlich in der DDR dargestellt. Dabei wurden die Frauen mit dieser Doppelrolle belastet, denn auch in der DDR waren die Frauen für die Kindererziehung und die Arbeit im Haushalt verantwortlich. Viele wurden sogar dreifach belastet, weil sie auch noch gesellschaftlich aktiv waren. Frauen in Führungspositionen waren absolute Ausnahmen, im MfS, bei Polizei und SED nahmen Frauen untergeordnete Stellungen ein. Frauen verdienten auch ca. 16% weniger als Männer mit gleicher Tätigkeit. Das Positive war in der DDR, dass Frauen ökonomisch unabhängig von den Männern waren, dementsprechend waren auch die Scheidungsraten hoch. Auch das Scheidungsverfahren war unkomplizierter als im Westen. Trotzdem lebten die traditionellen Rollenbilder in der DDR fort, so wurden auch Mädchen meistens entsprechend geschlechtsspezifisch erzogen.

Die DDR konservierte die spießigen 50er Jahre der BRD. Ein 68 fand dort nicht statt. Das traditionelle Arbeitermilieu dominierte das Leben in der DDR. Spießigkeit hat wiederum viel mit dem autoritären Charakter zu tun, der in der DDR sehr ausgeprägt war. Eine autoritäre Persönlichkeit zeichnet sich durch Konformismus und Unterwürfigkeit aus. Der autoritäre Charakter passte zur Industriegesellschaft und zum Fordismus, wo es um die Befolgung von Befehlen in der Hierarchie ging. Im heutigen Postfordismus ist eher der Marketingcharakter erwünscht, der seine Arbeitskraft selbst vermarktet und quasi Arbeitskraftunternehmer ist. In Arbeitsbereichen, wo Unterordnung und Gehorsam erwartet werden, ist natürlich auch noch der alte Charakter in der Befehlskette anzutreffen.

Am Neoliberalismus wird oft die Atomisierung und Individualisierung kritisiert. Die Menschen werden den Interessen von Kapital und Staat unterworfen.

Libertären und vielen Linken geht es um die soziale Emanzipation. Entscheidend sind dabei gemeinschaftliche Lebens- und Arbeitsformen. Diese Gemeinschaftlichkeit sollte aber frei gewählt sein und nicht zwangskollektiviert wie im Realsozialismus. Es geht nicht um autoritäre Zwangsintegration, sondern um die Akzeptanz der Individualität im frei gewählten Kollektiv und die Emanzipation des Individuums. Auch damit wird die Unterordnung unter Dogmen vermieden. Emma Goldman schreibt: „Jawohl, Autorität, Zwang und Abhängigkeit beruhen auf der Masse, aber nie die Freiheit, nie die freie Entfaltung des Individuums...Als Masse ist sein Ziel immer gewesen, das Leben gleichförmig, grau und eintönig wie die Wüste zu machen...“ (Cantzen 1997, S. 146)

Libertäre sind nicht kleinbürgerlich wie Marxisten behaupteten, weil sie die Bedeutung des Individuums hervorheben. Gerade in der Gegenwart geht es um die „Selbstermächtigung“, die vom individuellen zum kollektiven Widerstand führt.
Mit Frauenemanzipation hatten viele alte Anarchisten allerdings nichts am Hut. Für Proudhon gab es nur zwei der Frau angemessene Lebensweisen: Hausfrau und Mutter oder Hure. Aber in den 1970er Jahren entstand der Anarchafeminismus, der Radikalfeminismus, gemischt mit libertäre Ideen und anarchistischer Theorie und Praxis, bedeutet. Anarchisten kritisieren auch die patriarchale Familie. Die bundesdeutsche Gesellschaft wandelte sich seit 1968. Es gab die sexuelle Revolution, die Frauen- und Schwulenbewegung, es entstanden alternative Lebensformen und neue postmoderne Milieus, schließlich die Gender Studies.

Heute gibt es auch Ansätze von „anders leben“: http://www.autoorganisation.org/mediawiki/index.php/Anders_Leben

3. Der Umgang mit Minderheiten in der DDR

Immer noch herrscht der Mythos, in der DDR hätte es mehr Solidarität gegeben, was allerdings angesichts der vielen Spitzel zu bezweifeln ist. Außerdem hatte das auch mit der Mangelversorgung zu tun, die zu einer Tauschwirtschaft führte. Viele leisteten auch gesellschaftliche Arbeit z.B. im Wohngebiet, weil der Staat das so wünschte. 1990 waren dann nur noch 17% in Ostdeutschland ehrenamtlich aktiv.

Die „Solidarität“ haben Minderheiten in der DDR, wie viele Ausländer, aber auch Menschen, die abweichend von der Norm waren, meistens nicht gespürt. Sie wurden oft sehr repressiv behandelt.

Umgang mit Ausländern

Ich benutze hier den Begriff Ausländer, der auch in der DDR verwendet wurden. Als Migranten werden jene Menschen bezeichnet, die von einem Wohnsitz/Land zu anderen Wohnsitzen/Ländern wandern beziehungsweise durchziehen. In der DDR gab es kaum Einwanderer, die Vertragsarbeiter und Sowjetsoldaten waren nur vorübergehend im Land. Die Einwanderung in die DDR war nur begrenzt möglich.

Anfang der fünfziger Jahre erklärte die DDR-Führung, dass der Faschismus in der DDR „an seinen Wurzeln ausgerottet sei“. Die Nazi-Mitläufer in der DDR wurden von ihrer Schuld freigesprochen, sie lebten ja jetzt in einem antifaschistischen Staat. Das führte dann in den achtziger Jahren zur Verdrängung des zunehmenden Skinhead-Problems, dass mit dem Überfall eines Punkkonzertes in der Zionskirche 1987 öffentlich wurde.

In der DDR gab es kein Recht auf Asyl und nur eine sehr geringe Einwanderung, 1989 betrug der Ausländeranteil ca. 1,2%. Zudem lebten nur 0,25% Ausländer ohne DDR-Staatsbürgerschaft mit ständigem Wohnsitz in der DDR, sie waren zumeist mit einem DDR-Bürger verheiratet. Die Vertragsarbeiter duften vier bis fünf Jahre im Land bleiben und verrichteten Arbeiten, für die keine Einheimischen zu finden waren. Sie lebten auf 5 m² Wohnfläche ghettoisiert in Wohnheimen, die streng kontrolliert wurden. Vertragsarbeiterinnen, die schwanger waren, mußten abtreiben oder wurden abgeschoben. Immer gab es auch Ressentiments gegen bestimmte Ausländergruppen, z.B. Polen.
DDR-Bürger warfen den Ausländern die Übererfüllung von Normen, das Abkaufen von Mangelwaren, den Handel mit Elektrogeräten, den Verkauf von Waren auf dem Schwarzmarkt („Spekulantentum“) oder ihre Privilegierung vor.
Die DDR-Bürger durften auch nur in einige sozialistische Länder reisen, so dass ihnen andere Kulturen fremd blieben. Eine Reisefreiheit gab es nicht, aber RentnerInnen durften in den Westen fahren. In der DDR blühte so ein fremdenfeindliches Milieu.

Obwohl immer wieder Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund vom MfS protokolliert wurden, versicherte das Zentralkomitee der SED noch im März 1989, dass es in der DDR weder Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus gab. Woher Anfang der 90er Jahre die fremdenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung und die rechtsextremen Überfalle kamen, bleibt danach ein Rätsel. Antifaschisten wie Kurt Pätzold betonen, dass hätte nun überhaupt nichts mit der DDR zu tun. Das seien alles westliche Einflüsse und das sei auch der sozialen Situation in Ostdeutschland geschuldet. M.E. ist das Ursachenbündel breiter, und natürlich ist auch die Sozialisation in der DDR bzw. der Einfluß der Familien, die in der DDR gelebt haben, bedeutsam. Immer noch gibt es in vielen ostdeutschen Regionen eine fremdenfeindliche Stimmung, obwohl der Migrantenanteil in den neuen Bundesländern gering ist. Bei den von Klaus Schroeder und Monika Deutz- Schroeder befragten Schülern, ist die Unwissenheit über das Leben von Ausländern in der DDR sehr groß. In Ostdeutschland sind auch die Vorbehalte gegen MigrantInnen groß. So bejaht mehr als die Hälfte der Ostberliner SchülerInnen in der Schülerstudie die Aussage: „An der DDR war gut, dass es nicht so viele Ausländer gab.“ (Deutz- Schroeder, Schroeder, S. 380)

Repression

Am Repressivsten in der DDR war das Grenzregime, es gab viele Tote an der Mauer. In einer Dienstanweisung von 1973 heißt es: „Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben.“ (Deutz-Schroder, Schroeder, S. 357f.)

Wer die Flucht nicht schaffte, wurde inhaftiert. Im politischen Strafrecht herrschte Willkür. Insbesondere Republiksflüchtlinge und hartnäckige Ausreisewillige saßen in den Knästen.
Zwischen 1964 und 1990 wurden 34 000 politische Gefangene von der BRD freigekauft. In den 1980er Jahren verlangte die DDR ein Kopfgeld von ca. 95 000 DM.

Die Oppositionellen wurden dagegen zunehmend zersetzt, dafür bediente sich die Stasi bei der „operativen Psychologie“. Für die Stasi gab es kein Post-, Fernmelde-, Bankgeheimnis, keine ärztliche Schweigepflicht, keine Unverletztlichkeit der Wohnung etc. Die Stasi hatte viele Helfer in der Bevölkerung, so gab es zum Ende der DDR ca. 175 000 freiwillige Helfer der Volkspolizei und ca. 174 000 Inoffizielle Mitarbeiter des MfS. Bemerkenswert sind dabei Ergebnisse der Schülerstudie von Deutz-Schroeder und Schroeder. Danach halten mehr als die Hälfte der ostdeutschen Schüler die Stasi für einen normalen Geheimdienst, wie ihn jeder Staat hat. Dabei kam in der DDR auf ca. 62 Bewohner ein Stasimitarbeiter, auch die Methoden und Konsequenzen für die Betroffenen waren erschreckend. So wurden auch Geruchsproben angefertigt.

In der DDR gab es bis 1987 die Todesstrafe, die letzte wurde 1981 gegen einen MfS- Hauptmann wegen Verrats vollstreckt. Die Todesstrafe wurde in der DDR 52mal wegen politischer Delikte, 89mal wegen NS-Verbrechen und 70mal wegen krimineller Taten vollstreckt.

Von NostalgikerInnen wird oftmals die geringe Kriminalität in der DDR hervorgehoben.

M.E. wurde auch durch den repressiven Umgang mit Randgruppen, aber natürlich auch der Arbeitsplatzsicherheit die „Notkriminalität“ sehr klein gehalten.

Die in der DDR erhobenen Zahlen gingen von einer DDR- Kriminalitätsrate von 10% gegenüber jener in der BRD. Nach der Wende hätte es realistischere Berechnungen gegeben, meint Klaus Schroeder. Da lag dann die Aufklärungsquote bei 55,2% gegenüber einem Wert von 84,5% der DDR-Statistik. Auch die Mauer und die Bespitzelung sorgten natürlich für eine geringere Kriminalität, außerdem war die DDR z.B. für den Drogenmarkt nicht attraktiv, das lag vor allem an der Währung- den Alu Chips.

Natürlich kann man in einer herrschaftsfreien Gesellschaft davon ausgehen, dass Andersartigkeit nicht ausgegrenzt und Vielfalt, das Bunte, toleriert und erwünscht ist.

Viele Vergehen wären in solch einer Gesellschaft auch absurd. Was kostenlos zur Verfügung steht, braucht man nicht klauen. Der Abolitionismus fordert die Abschaffung von Gefängnissen und des Strafrechtes. Wie kann man in einer neuen Gesellschaft Gefängnisse und Psychiatrien überflüssig machen? Wie dem Faschismus den geistigen Nährboden entziehen? Horst Stowasser schreibt: „Anarchie kann so vielfältig sein wie die Ideen in den Köpfen der Menschen, aber sie wird nur dann an-archisch funktionieren, wenn diese wenigen, freiheitlichen Prinzipien, die Essentials, als Grundwerte Konsens sind. Sicher, auch das wäre ein Rahmen, eine Grenze der Freiheit, aber mit Sicherheit ein freierer Rahmen als alles, was die Menschheit bisher kennengelernt hat. Schließlich haben Anarchisten nie grenzenlose Freiheit versprochen.“ (Stowasser 1995, S.138)

4. Das Fehlen bürgerlicher Freiheiten

Justiz, Staatssicherheit und Polizei dienten in der DDR der Sicherung der Herrschaft der SED und nicht der Sicherung bürgerlicher Freiheiten. Es war eine politische Justiz ohne Grundrechte. So konnten Verteidiger nicht oder kaum Einsicht in die Anklageschrift oder andere wichtige Akten nehmen. Die DDR war auf jeden Fall im politischen Strafrecht ein „Unrechtsstaat“.

Die Reisefreiheit war in der DDR sehr eingeschränkt und verdiente diesen Namen nicht. Durch die Mauer und die Grenzanlagen waren DDR-Bürger vom westlichen Ausland abgeschottet. Nur RentnerInnen war es möglich, in den Westen zu reisen, da ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wurde. Wenn sie sich in den Westen absetzten, bekamen sie auch keine DDR-Rente mehr, die sowieso meistens gering war. Auch Privilegierte, wie prominente Künstler und Wissenschaftler, konnten in den Westen reisen. Diese genossen zwar ihr Privileg, setzten sich aber nie dafür ein, Reisefreiheit für alle DDR-Bürger zu fordern. Jedenfalls wurde das nicht bekannt. Die „Reisefreiheit“ wurde immer mehr eingeschränkt, so war Polen nach den Aufständen der Solidarnosc für normale DDR-Bürger nicht mehr frei zugänglich, man gelangte nur noch über staatlich organisierte Reisen in das Land. Gerade für nonkonformistische Jugendliche in der DDR, die in die Welt reisen wollten, war das Fehlen der Reisefreiheit ein wichtiger Ausreisegrund. Sie stellten Ausreiseanträge und durften nach der Ausreise nicht mehr in die DDR einreisen. Die Ausreise setzte oft lange Wartezeiten und ggf. den Weg über den Knast voraus.

Auch mit der Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit sah es in der DDR schlecht aus. Das wichtigste Instrument der Journalisten in der DDR war die Schere im Kopf, die sie aufgrund eines gründlichen Ausleseprozesses verinnerlichten. Wer in der DDR Journalismus studieren wollte, mußte sehr systemkonform sein. 70% der Tageszeitungen waren SED-Presse. Die Partei hatte das Wahrheitsmonopol in der DDR. Seit 1960 bedurften alle Druckerzeugnisse einer staatlichen Genehmigung. Die Zensur war das wichtigste Instrument der SED. Viele Bücher durften in der DDR nicht erscheinen, sie landeten in Giftschränken. Giftschrankliteratur war dann z.B. nur systemkonformen Wissenschaftlern zugänglich.

In der DDR wurde viel Weltliteratur gelesen, weil dort die Zulassungspraxis toleranter wurde. Bei geistes-, politik- und sozialwissenschaftlicher Sachliteratur sah es dagegen finster aus. Westbücher durften kaum erscheinen und wenn dann z.B. Bücher des SED-freundlichen Pahl-Rugenstein- Verlages. Biographien wurden mit marxistisch-leninistischer propagandistischer Interpretation unterlegt. Kritische Leser in der DDR lernten es, zwischen den Zeilen zu lesen, so las man dann z.B. ein Buch über Linksradikalismus im Westen mit ständiger ML-Phraseologie. In der Opposition wurden illegal eigene Zeitschriften, wie die Umweltblätter, gedruckt. Beliebt war auch das Samisdat. Ich las in der DDR z.B. das Buch „Farm der Tiere“ von Orwell, das jemand mit der Schreibmaschine abgetippt hatte. Samisdat ist die Verbreitung von alternativer, nicht systemkonformer Literatur auf nichtoffiziellen Kanälen, zum Beispiel durch Handschrift, Abtippen oder Fotokopie und das Weitergeben der so produzierten Exemplare. Das Kopieren war in der DDR kaum möglich, denn die Kopiergeräte waren staatlich limitiert.

Da man sich in der DDR durch Presse, Fernsehen und Radio der DDR nicht wirklich informieren konnte, war das Westfernsehen sehr beliebt, das in vielen Regionen zu empfangen war. DDR-Oppositionelle nutzten dann auch dieses Medium und waren durch ihre Prominenz meistens vor der Inhaftierung geschützt. Natürlich kam es auch vor, dass Menschen, die unerlaubte Druckerzeugnisse verbreiteten, verhaftet wurden.

Nicht nur die Informationsfreiheit sondern auch die Meinungsfreiheit war eingeschränkt. So wurden in den Anfangsjahren der DDR Menschen verurteilt, die Witze über die SED erzählten, später kamen noch Punk-Musiker wegen ihrer Liedtexte in den Knast. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit drücken auch die vielen Akten aus, die DDR-Oppositionelle haben. Die Meinungsfreiheit, auch Redefreiheit, ist das gewährleistete subjektive Recht auf freie Rede sowie freie Äußerung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln. Wer in der DDR öffentlich eine systemkritische Meinung sagte und nicht prominent war, lief Gefahr, von der Stasi überwacht zu werden und ggf. sogar verhaftet zu werden. Allerdings nutzten die wenigen Kabaretts und die Satirezeitschrift Eulenspiegel die Möglichkeit, sich öffentlich kritisch über die DDR zu äußern. Wer etwas über die Realität in der DDR erfahren wollte, schaute nicht in die Tageszeitungen, sondern in den Eulenspiegel.

Allerdings konnte die SED nicht in die Köpfe der Menschen schauen. Viele Menschen lösten das Problem der Gedankenfreiheit, in dem sie zwischen einer privaten und öffentlichen Sprache unterschieden. Während sie zu Hause und im nahen Bekanntenkreis meckerten, bedienten sie sich in öffentlichen Versammlungen der von der SED gewollten Propagandasprache. Offiziell gab es keine Freiheit des Denkens in weltanschaulichen und politischen Dingen. Es herrschte die SED und ihre marxistisch-leninistische Phraseologie.

Auch mit der Religionsfreiheit war es nicht zum Besten bestellt. Kinder aus christlichen Elternhäusern, die sich zum Beispiel konformieren ließen und nicht in der Jugendweihe ein Gelöbnis zum Staat ablegten, wurden bei der Studienbewerbung benachteiligt. Auch Bausoldaten, die aus religiösen Gründen den Militärdienst mit der Waffe verweigerten und statt dessen Militäranlagen bauen mußten, wurden bei der Studienbewerbung benachteiligt. Denn auch mit der Gewissensfreiheit sah es schlecht aus. Pazifisten waren in der militarisierten DDR nicht gern gesehen, obwohl die Staatsführung ständig vom Frieden redete.

Viele aus christlichem Elternhaus studierten dann auch Theologie in christlichen Einrichtungen. Diese Einschränkung der Religionsfreiheit führte in der DDR dazu, dass sich in Kirchen ein oppositionelles Milieu herausbildete. In einer zunehmend säkularen Gesellschaft suchten auch nonkonformistische Jugendliche Schutzräume in den Kirchen, es entstand die Offene Arbeit. Zusammen mit der Friedensbewegung („Schwerter zu Pflugscharren“), in der viele Bausoldaten waren, führte das zum Entstehen der DDR-Opposition, wie sie aus den 80er Jahren bekannt ist.

Das auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, so der Schutz der Individual-, Privat- und Intimsphäre, für viele nicht gewährleistet war, zeigen die Stasiakten. Viele DDR-Bürger wurden ausspioniert, das nannte sich Zersetzung. So spitzelten sogar Ehepartner sich aus. Oder es wurden Gerüchte gestreut und ganze Freundeskreise zerstört usw.usf.

Natürlich gab es in der DDR auch keine Versammlungsfreiheit. DDR-Bürger hatten nicht das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich zu versammeln. Abweichende Jugendliche, die sich z.B. in einem Park zum Musik hören, „gammeln“ und trinken versammelten, konnten wegen Rowdytum verurteilt werden. Es war nicht möglich, systemkritische politische Veranstaltungen in öffentlichen Räumen durchzuführen. Deshalb trafen sich Oppositionelle zu Versammlungen oft in Kirchen oder illegal in Wohnungen. Diese Versammlungen waren häufig von Spitzeln durchsetzt. Sie konnten auch keine Versammlungen unter freiem Himmel anmelden. Systemkritische Demonstrationen waren verboten. Als Oppositionelle und Ausreisewillige 1988 auf der staatsoffiziellen Luxemburg-Liebknecht-Demo das Tranparent „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ hoch hielten, wurden sie verhaftet.

Auch die Berufsfreiheit gab es für viele Menschen in der DDR nicht. Die Berufsfreiheit ist das Grundrecht, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben

In der DDR sollten individuelle Bedürfnisse und gesellschaftliche Erfordernisse übereinstimmen. Viele Jugendliche konnten sich ihren Berufswunsch nicht erfüllen, ihnen wurde durch die staatliche Berufs- und Studienlenkung ein Ausbildungsplatz oder Studium zugewiesen. Auch die Zahl jener, die studieren konnten, wurde in der DDR klein gehalten. Und es gab auch Berufsverbote in der DDR. Wer in bestimmten Berufen systemkritisch war, konnte die nicht ausführen. Aber meistens wurde z.B. in den Geisteswissenschaften so selektiert, dass Systemkritiker diese Fächer nicht studieren konnten. Auch Lehrer, die z.B. einen Ausreiseantrag stellten, wurden gekündigt und hatten Berufsverbot.

Insgesamt war die Freiheit für die DDR-Bürger eingeschränkt. Dafür existierten aber soziale Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Wohnraum, die existentielle Grundvoraussetzugen für viele Menschen sind, um die Freiheit genießen zu können. Allerdings gab es in der DDR auch eine Arbeitspflicht und aufgrund des Verfalls der Altbausubstanz kündigte sich eine noch größere Wohnungsnot an.

Und wie ist es mit der heutigen Freiheit bestellt, die „Freiheit“ ist sehr ungleich verteilt. So ist z.B. für Hartz IV- Bezieher das Recht auf Freizügigkeit und der Schutz der Privatsphäre eingeschränkt. Sie sind verpflichtet, sich jede Ortsabwesenheit vom Jobcenter genehmigen zu lassen, und Sozialdetektive können bei Bedarfsgemeinschaften die Wohnung betreten und in Schränken, Betten und Zahnbürsten herumwühlen. Ist das Freiheit? Und haben z.B. Lohnarbeitende Meinungsfreiheit beim Arbeitgeber? Das heißt, dass arme und auch viele lohnarbeitende Menschen in diesem Land in ihren Freiheitsrechten gravierend eingeschränkt sind. Da das Recht auf Menschenwürde so nicht mehr gegeben ist, ist es nur logisch, dass viele Menschen sich nach einer sozialeren und damit auch freiheitlicheren Gesellschaft sehnen. Der Begriff „Freiheit“ ist von den Herrschenden im Kapitalismus besetzt. Dabei ist wirkliche Freiheit für die Mehrheit der Menschen nur im Sozialismus möglich. Deshalb Freiheit und Sozialismus.

Allerdings im Sozialismus ist eine Freiheit eingeschränkt, nämlich die „Freiheit“, auf Kosten anderer sich immer mehr Reichtum anzuhäufen. Es ist die zunehmende soziale Ungleichheit, die den Kapitalismus so unerträglich macht. Während die Armen ausgegrenzt sind oder schuften müssen und noch nicht einmal ihre existentiellen Bedürfnisse befriedigen können, schwelgen die Reichen in ihrem unsagbaren Luxus und richten die Welt auch ökologisch zu Grunde. Verzicht für die einen, Verschwendung für die anderen, das ist Kapitalismus.

Im Sozialismus libertärer Prägung geht es nicht um Gleichmacherei, sondern um die Entfaltung der Persönlichkeit, die allerdings nicht auf der Ausbeutung anderer Menschen beruht. Deshalb gibt es im Sozialismus auch Enteignungen, die natürlich die Rechte der Enteigneten einschränken. In der DDR glaubten die Herrschenden allerdings durch die Enteignungen das Problem gelöst zu haben. Es geht eben nicht um Verstaatlichung, sondern um die

Vergesellschaftung, so dass die Besitzer des „Volkseigentums“ selbstorganisiert und selbstverwaltet auch über ihr „Eigentum“ bestimmen können. Zum Beispiel, was und wie produziert wird.

Dadurch, dass die SED und der Staat über die DDR-Bürger bestimmten und sie ständig mit einer hohlen ML-Phraseologie dauerberieselt wurden, drang die sozialistische Idee nicht bis in die Köpfe der Menschen vor. Das Sein bestimmte eben nicht das Bewußtsein.

In der Studie von Klaus Schroeder und Monika Deutz- Schroeder wird deutlich, dass viele Menschen die Idee des Sozialismus gut finden, die nur schlecht ausgeführt wurde. Davor haben die Herrschenden Angst. Nämlich, dass die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse angetastet werden und dass die Menschen sich wieder für den Sozialismus einsetzen.

Dabei ist natürlich entscheidend, was für ein Bild des Sozialismus die Menschen im Kopf haben. Wenn sie nur die Arbeitsplatzsicherheit wie in der DDR wollen und dabei den Autoritarismus in der DDR billigen, sind sie „leicht“ zufriedenzustellen. Wie wäre es mit der Vollbeschäftigung durch einen Arbeitsdienst, auch Hitler hatte ja bekanntlich bereits nach drei Jahren an der Macht Vollbeschäftigung hergestellt. Auch die Rechten haben das Potential der DDR-Nostalgie und der großen Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland erkannt.

Wenn die Linke nicht begreift, dass sie sich mit einer Verharmlosung der DDR eher schwächt, weil sie unglaubwürdig wirkt und im Westen deshalb selbst dämonsiert wird, dann wird es wohl keine wirkliche Alternative zum Kapitalismus geben. Die Linke muß eine eigene Kritik an der realsozialistischen Vergangenheit und eine Alternative formulieren, die sich von der autoritären Realität in der DDR unterscheidet.

5. Die zentralistische Planwirtschaft- Mangelwirtschaft

Mit dem Plan wurde in der DDR fünf Jahre im Voraus festgelegt, was produziert werden sollte. Die SED glaubte, mit ihren Plänen die menschlichen Bedürfnisse zu kennen. Das führte in Versorgungsmängel bei gleichzeitiger Verschwendung. Es entstanden graue Märkte und eine Tauschwirtschaft, zudem wurde die DM als Zweitwährung eingeführt. Die Arbeitsproduktivität war sehr gering, die Stundenproduktivität betrug in der DDR ca. 20-25% des BRD-Wertes.

Die Versorgungsmängel waren ein wichtiger Grund, weshalb DDR-Bürger den Realsozialismus kritisierten. Die Möglichkeit zu Konsum und Luxus war extrem begrenzt. Für Eliten gab es ein besonderes Versorgungssystem. Knappe Güter wurden aber häufig auch mittels Westverwandtschaft und Beziehungen erworben. Güter des „gehobenen Bedarfs“ konnte man auch in Delikat- und Exquisit-Läden zu hohen Preisen bekommen. Ab 1974 gab es Intershops, in denen man gegen Devisen Westwaren kaufen konnte. Das führte zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft von Westgeldbesitzern und Nichtbesitzern.

Gerade technische Güter waren in der DDR sehr teuer, zudem hinkte die DDR in der technologischen Entwicklung dem Westen hinterher. 1988 besaßen 53% der Haushalte einen Farbfernseher, gerade einmal 5,9% einen Heimcomputer und 3,3% einen Videorecorder. Für Jugendliche gab es zum Beispiel das Dilemma, dass Originalschallplatten aus dem Ausland fast nicht erhältlich waren, Fans westlicher Musik bezogen ihre Musik so durch Radiomitschnitte. Oder die Oma brachte die Punk- Schallplatten aus dem Westen mit, was manchmal kurios gewirkt haben mag.

Einkaufsmöglichkeiten

Aufgrund der Mangelversorgung gab es hunderttausende Eingaben an die Partei und den Staat. Es fehlten banale Alltagsgüter wie Fahrradventile, andererseits waren die Lager mit unattraktiven Gütern überfüllt. Neben den fehlenden Reisemöglichkeiten waren die Versorgungsmängel ein wichtiger Grund für den Sturz der SED-Führung.

Öffentliche Verkehrsmittel

Es gab weniger Autos in der DDR, so dass der öffentliche Nahverkehr eine große Rolle spielte. Ein einfacher Fahrschein kostete in der Provinz 10 Pfennig, in Ostberlin 20 Pfennig, eine Tageskarte betrug 2 Mark, eine Wochenkarte 5 Mark.

Das Schienennetz und die Wagen waren in schlechtem Zustand, zudem war der Schadstoffausstoß der Fahrzeuge hoch. Knapp 20% des Schienennetzes waren in der DDR kaum noch befahrbar, nur weniger als die Hälfte wurden als uneingeschränkt befahrbar eingeschätzt.

Die Umwelt

1989 war mehr als die Hälfte der Wälder in der DDR geschädigt. 45% der Flussabschnitte waren für die Trinkwassergewinnung nicht mehr nutzbar. Bis 1990 waren nur 57,7% der DDR- Bevölkerung an eine Kläranlage angeschlossen. Insbesondere die Braunkohle war für die starke Luftverschmutzung verantwortlich.

6. Die Parteidiktatur

Die Macht in der DDR hatte die SED und vor allem das Politbüro samt Generalsekretär. Bei „Wahlen“ sollte man nur der Einheitsliste zustimmen, in der DDR wurde das „Zettel falten“ genannt. In der Regel stimmten 98%-99% den Einheitslisten zu, 1989 wurden aber Wahlfälschungen öffentlich, Oppositionelle hatten mitgezählt. Schon wer die Wahlkabine benutzte, galt als Abweichler. In der DDR herrschte zentralistisch und streng hierarchisch eine Partei. Von einer Herrschaft der Arbeiterklasse („Diktatur des Proletariats“) konnte keine Rede sein. Da es in der DDR keine kritische Öffentlichkeit gab, waren die Privilegien der Funktionäre den DDR- Bürgern nur aus ihrem Alltag bekannt.

Einkommensungleichheit

In der DDR war die Spaltung der Gesellschaft lange nicht so groß, wie im gegenwärtigen Kapitalismus, trotzdem war die Einkommensungleichheit größer, als allgemein vermutet wird. Das untere Einkommensfünftel verfügte über knapp 13% der Einkommen, das oberste dagegen über knapp 31%. Das untere Zehntel über 4,1%, das obere Zehntel dagegen über 17,6%. Die reichsten 2% der Bevölkerung besaßen 1989 ca. 20% der Spareinlagen, die unteren 80% der Bevölkerung verfügten ebenfalls über 20% der Sparkonten. Privilegierung und Beziehungen entschieden über die Konsummöglichkeiten und den Lebensstandard. Am unteren Ende der Einkommensskala befanden sich 1989 die meisten der ca. 2,8 Millionen RentnerInnen.

Die vollbeschäftigten Arbeiter und Angestellten verdienten 1989 im Durchschnitt ca. 1300 DDR-Mark. Höher lagen die Einkommen beim MfS, der NVA und im Parteiapparat, letztere verdienten 100% bis 200% über dem Durchschnittseinkommen. 1989 hatten 68,88% ein Sparvermögen von 1-5000 DDR-Mark, 2,1% dagegen mehr als 50000 DDR- Mark.

2,1% der DDR- Bevölkerung hatten mehr als 50 000 DDR-Mark Sparvermögen, die DDR war eine arme Gesellschaft gemessen an dem Reichtum der Elite in der BRD. Diese Elite muss sich über die „armen Brüder und Schwester“ totgelacht haben, die auf Wohlstand und Freiheit hofften. Die DDR-Elite wurde zumeist in den „wohlverdienten“ Ruhestand mit guten Renten geschickt. Die normalen ArbeiterInnen der DDR waren die Leidtragenden. Ihre Arbeitskraft wird extrem ausgebeutet oder nicht gebraucht, sie werden mit Almosen abgespeist.

Die Alternativen

Wie ich am Anfang des Textes betont habe, kann es nicht darum gehen, den Menschen eine Ideologie überzustülpen. Ich sympathisiere zwar mit libertären Gedanken, möchte aber nicht, dass diese allen Menschen mit Zwang übergestülpt werden. Denn Anarchisten können genauso dogmatisch sein wie andere Menschen. Veränderungen sind ein Experiment, an dem viele Menschen beteiligt sind. Sie können nicht am Schreibtisch eines Genies geplant werden. Ob es gelingt, eine Gesellschaft im Ganzen zu verändern, hängt von dem Bewußtsein der Menschen ab, die darin leben. Ich zitiere aus den Büchern zweier Anarchisten, deren Gedanken mir symphatisch sind. M.E. geht es aber darum, dass sich viele Menschen an einer Alternativendiskussion beteiligen, aber eben nicht ihre Ideologie anderen überstülpen wollen. Wir sind nicht die Avantgarde, die Menschen müssen sich selbst ermächtigen.

1. Vergesellschaftung statt Verstaatlichung

Die Allmacht des Staates, wie sie in den realsozialistischen Ländern herrschte, kann nicht Ziel linker Politik sein. Die Staatsführung der DDR glaubte, allein durch Verstaatlichung des Eigentums könne auch ein neues Bewußtsein der Menschen erreicht werden. „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“. Mittels einer Erziehungsdiktatur sollte eine „sozialistische Persönlichkeit“ entstehen. Die staatlichen autoritären Strukturen förderten aber eher den autoritären Charakter, der auf Unterordnung und Gehorsam beruht. Die Menschen wurden durch den Staat entmündigt.
Ziel von Libertären ist dagegen die Vergesellschaftung des Staates. Damit sollen herrschaftsfreie bzw -arme Strukturen geschaffen werden, schließlich eine basisdemokratische und selbstverwaltete Gesellschaft. Das wäre z.B. in kleinen Einheiten möglich, indem sich Kommunen selbst verwalten, Nachbarschaftsräte gewählt werden und das imperative Mandat eingeführt wird. Selbstverwaltung könnte es auch im ökonomischen und sozialen Bereich geben. Libertäre richten sich gegen jegliche zentralistische Bestrebungen. Rolf Cantzen schreibt: „Die politisch autonomen Einheiten müßten unter Wahrung ihrer vollständigen Autonomie auf der Basis freier Vereinbarungen kooperieren und zu verschiedenen Zwecken und über festgelegte Zeiträume untereinander Föderationen bilden.“ (Cantzen, S.95) Eine Vergesellschaftung kann durch Räte erreicht werden. Z.B. Vollversammlungen entscheiden auf der untersten Ebene der Nachbarschaften und wählen von Fall zu Fall Delegierte, die die getroffenen Entscheidungen zu vertreten haben. Die gewählten Räte vertreten ihre Wähler und unterliegen dem imperativen Mandat.

Ziel der Libertären ist auch die Entstaatlichung der Gesellschaft. Bisher bleibt das eine Vision, die in Zeiten der Deregulierung schwer zu vermitteln ist. Ist denn im heutigen Turbokapitalismus die Abschaffung des Staates wünschenswert? Zum Beispiel redet auch die FDP ständig von Freiheit, sie möchte am liebsten den Sozialstaat abschaffen. Um dem totalen Marktregime Einhalt zu gebieten, sind gegenwärtig staatliche Regulierungen notwendig. Der Trend in der Bevölkerung geht in Richtung Markt und Staat.
Hier ein Artikel zum Kapitalismus für Dummies:  http://jungle-world.com/artikel/2010/21/40993.html

Der Staat in einigen westlichen Ländern garantiert z.B. noch bürgerliche Freiheiten, wie (eingeschränkte) Rechtssicherheit, die der Willkür begegnet, sowie soziale Sicherheiten, die erwerbslose Menschen vor dem Verhungern schützen. Sind jene Länder in der Welt ein Hort der Freiheit, in dem es keinen funktionierenden Staat mehr gibt. Dort herrscht Chaos und nicht Anarchie, die Ordnung ohne Herrschaft bedeutet.

Wir müssen allerdings staatliche Einflüsse zurückdrängen, um unsere Freiheitsrechte zu verteidigen. Gerade was den Ausbau des Sicherheitsstaates betrifft, müssen wir für „weniger Staat“ kämpfen. Wir wollen keine „gläsernen Menschen“, sondern „gläserne staatliche Institutionen“. Es kann nicht sein, dass „Sozialschnüffler“ in die Wohnungen von Hartz IV- BezieherInnen eindringen und gegen das Grundrecht der Unverletztlichkeit der Wohnung verstoßen. Es kann auch nicht sein, daß Asylbewerber und Hartz IV- BezieherInnen eine Residenzpflicht haben, die gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit verstößt. Genauso ist gegen die Vorratsdatenspeicherung, Sicherheitsverwahrung und vieles mehr vorzugehen.

Im Kapitalismus können wir auch schon anfangen, unseren Alltag selbst zu organisieren- ohne Staat. Die Projektwerkstatt Saasen bietet diesbezüglich viele Infos: http://www.projektwerkstatt.de/alternative/haupt.html und
http://www.selbstorganisation.de.vu/

2. Alternative Lebensformen statt Spießigkeit

Die alternativen Lebensformen sind auf dem Vormarsch. Jede vierte Familie mit minderjährigen Kindern in Deutschland ist inzwischen eine „alternative Familienform“, wie das Statistische Bundesamt unter Berufung auf den Mikrozensus 2005 mitteilte. Gemeint sind damit Lebensgemeinschaften oder allein erziehende Mütter oder Väter mit Kindern unter 18 Jahren.

Mit den neuen postmodernen Milieus schrumpft auch die Anzahl der typischen Kleinfamilien.

Die typische Lebensform in der DDR war die Kleinfamilie. Auch die DDR war eine patriarchale Gesellschaft. Die Frauen durften zwar arbeiten, hatten aber trotzdem die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt und besaßen wenig Macht. Die Männer in SED, Armee, Polizei und Staatssicherheit setzten die autoritären Strukturen durch. Sie herrschten. Die Libertären wollen, dass niemand herrscht, auch nicht die Frauen. Frauen, die den Männern nacheifern, Karriere machen und an die Macht wollen, scheinen die Emanzipation falsch verstanden zu haben.

Auch in der DDR gab es in den 1980er Jahren einen Wertewandel, Jugendliche wollten nicht mehr die standardisierte Normalbiographie ihrer Eltern, die einen spießigen Muff versprühte.

Schule- Ausbildung- Arbeit- Familie- Rente. Vor allem für immer mehr abweichende Jugendliche war dieses Modell unattraktiv. Sie hangelten von Job zu Job mit Phasen der Arbeitslosigkeit. Sie besetzten Wohnungen und gründeten keine Familien, um vom Staat eine Wohnung zugewiesen zu bekommen. Sie wollten was erleben, reisen, in Konzerte ihrer Musikstars gehen, studieren was sie wollten und stellten deshalb Ausreiseanträge.

Die SED wollte die „sozialistische Persönlichkeit“ erschaffen und reproduzierte am Band Spießbürger, denen es begierig um ihren kleinen Wohlstand ging und denen nicht an einer Veränderung der Gesellschaft gelegen war. Die Konsumorientierung in der Mangelgesellschaft DDR wuchs stetig, vor allem daran ist die DDR gescheitert. Die Kleinbürger sehnten sich nach den Westprodukten, die sie im Westfernsehen gesehen hatten. Für die DM nahmen sie auch die Herrschaft von Antikommunisten in Kauf und bejubelten die Vereinigung. Mit ihren Untertanen hat sich die DDR-Staatsführung ihren eigenen Untergang herangezüchtet. Autoritäre Strukturen verlangen und produzieren autoritäre Charaktere, die autoritätsgläubig sind und gleichzeitig die „Schwachen“ und jene, die „anders“ sind, unterdrücken. Nach oben buckeln, nach unten treten. Die vielen Spitzel, freiwilligen Helfer und natürlich hauptamtlich im Staatsapparat der DDR Beschäftigten sind ein Beispiel dafür. Wer nach der Vereinigung nicht in den Vorruhestand geschickt oder wegen Stasimitarbeit entlassen wurde, passte sich auch im neuen System wieder an. Untertanen braucht jeder Staat.
Libertäre streben eine freie Gesellschaft der Gleichberechtigung an, in der es keine Herrschaft von Menschen über Menschen mehr gibt. Es soll soviel Kollektivität wie nötig und soviel Individualität wie möglich bestehen. Der Realsozialismus versuchte dagegen, die Individualität mittels permanenter Kollektivierung zu unterdrücken. Horst Stowasser schreibt: „Anarchie ist ständig der Veränderung unterworfen. Sobald sie erstarrt und Dogmen gebiert, ist sie nicht mehr Anarchie...Für einen Anarchisten kann sich alles ändern: die Wahrnehmung, die Erfahrungen, die Prioritäten, die persönlichen Einsichten und die eigene Kraft- nur nicht das Ziel. Das Ziel ist eine wahrhaft freie Gesellschaft...Zum Anarchismus gehört immer auch die Suche nach Alternativen und Zukunftsmodellen“ (Stowasser, S.24) Anarchismus ist Freiheit und Sozialismus, wenn er nicht mittels Zwang durchgesetzt wird. Aber ein „Ismus“.
Aber auch in der kapitalistischen Gesellschaft wird mit dem „Anders leben“ begonnen.
Dazu zählen alternative Wohnformen, Kommunen, Umsonstökonomie, Foodcoops, Selbstorganisation und Selbsthilfe im Alltag, Möglichkeiten selbstbestimmter Arbeit bzw. Alternativen zu Lohnarbeit. Mehr dazu: http://www.anders-leben.tk/

3. Der Umgang mit Minderheiten- Toleranz statt Repression

Hiermit ist vor allem der repressive Umgang mit Andersdenkenden, dem „anders sein“ und der Unterschicht in der DDR gemeint. Dazu zählt auch die Ausländerpolitik der DDR, die kaum MigrantInnen ins Land ließ. Die DDR-Staatsführung und ihre staatlichen Institutionen sorgten für ein Klima der Angst, so daß sich die Mehrheit der DDR-Bevölkerung anpasste. Was geschah aber mit jenen, die sich nicht anpassen wollten oder konnten? Nichtkonformes, auffälliges Verhalten wurde oft sanktioniert. Kinder kamen in Heime, Jugendliche in Jugendwerkhöfe, „Asoziale“ in den Knast, Oppositionelle wurden zersetzt, VertragsarbeiterInnen in Ausländerheimen ghettoisiert etc.

Während in der DDR mit der Minderheit, die sich nicht anpasste, oft repressiv umgegangen wurde, werden die Minderheiten in der parlamentarischen Demokratie mittels Wahlen einfach überstimmt. Sie haben keinen oder kaum Einfluß auf Entscheidungen, die von Politikern, aber auch Wirtschaftsbossen getroffen werden. Daraus entstehen Ohnmacht, Apathie und Fatalismus der Unterdrückten.

Während es in der DDR die zentrale Steuerung war, wird in der Gegenwart das Prinzip der demokratischen Legitimation angewendet. Libertäre favorisieren das Rätesystem.

Durch Konsensprinzip und Rätesystem sollen Unterdrückungsmechanismen vermieden werden.

Die Probleme beim Rätesystem werden hier benannt:
http://www.projektwerkstatt.de/hoppetosse/emanzipat/raetesystem.html#rat

Die Grenzen des Konsensprinzip werden in folgendem Artikel dargestellt:
http://www.anarchismus.at/txt4/konsens1.htm

4. Keine Abschaffung bürgerlicher Freiheiten

In der DDR gab es keine Presse- , Meinungs- und Informationsfreiheit. Die Medien mußten sich an die Vorgaben der SED-Instanzen halten. Eine eigene Meinung war nicht gestattet, man sollte die Weltsicht der herrschenden Partei vertreten. Die führende Partei war der neue Herr des Proletariats im Realsozialismus. Die Untertanen bekamen nicht die Freiheit, sondern einen neuen Herrn.

Libertäre wollen, dass die Menschen dagegen selbst entscheiden können, was sie brauchen. Sie bestimmen selbst über ihr Leben und schaffen eine Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen. Sie organisieren ihr Leben und die Gesellschaft selbst. Die Menschen brauchen keine Partei, die über ihr Leben bestimmt und die Parteiherrschaft mittels Unterdrückung durchsetzt. Die Herrschaft wird nicht ausgetauscht gegen die Diktatur einer Partei, sondern abgeschafft. Wie soll aus einer Diktatur Freiheit erwachsen? Horst Stowasser schreibt: „...der Kommunismus hat millionenfach Begeisterung geweckt, Kräfte mobilisiert und Hoffnungen genährt- sie alle wurden auf dem Altar der Autorität den Göttern Zentralismus und Bürokratie geopfert. Im Denken vieler Menschen wird diese gescheiterte Illusion eine lang anhaltende Wunde hinterlassen- eine Scheu, über Alternativen zu dem was besteht auch nur nachzudenken. Schlechte Zeiten also für Träume... Vermutlich werden wir erst dann wissen, ob der Mensch in Freiheit leben will und kann, wenn man ihn läßt.“ (Stowasser, S.130ff.) Wenn die Menschen wieder Sehnsucht nach dem Alten hätten, wer sollte sie aufhalten? Und auch Menschen, die gerne reich sind und andere ausbeuten wollen, hätten es schwer. Und was wäre mit Faschisten? Auch im „Anarchismus“ kann es also keine grenzenlose Freiheit geben? Jan Stehn schreibt: „Wir haben das Recht, unsere Freiheitsrechte zu verteidigen und ungerechte Macht anderer zurückzuweisen. Aber das anarchistische Recht legitimiert niemanden, die Freiheitsrechte anderer zu verletzen. Strafjustiz ist unvereinbar mit dem Anarchismus.“ ( http://www.projektwerkstatt.de/anarchie/a_kontrolle.html )

Eine libertäre „Gesellschaft“ ist ein Experiment. Ob sie möglich ist? Möglich sind freiwillig gewählte libertäre Gemeinschaften, die sich schließlich vernetzen. Aber eine ganze Gesellschaft? Soll sie mittels Zwang durchgesetzt werden?

5. Anders wirtschaften statt Zentralistische Planwirtschaft

Die zentralistische Planwirtschaft hat eindeutig versagt. Aber auch der heutige Marktradikalismus ist abzulehnen, so die hysterische Überproduktion, um Profit zu machen. Die Wirtschaftswissenschaften sind meistens von der neoliberalen Ideologie beseelt, die Keynesianer sind dort die Linken. In Zeiten des Klimawandels kann es aber nicht mehr um die Stärkung der Massenkaufkraft gehen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das gesamte System von Angebot, Nachfrage und Wachstum ist zu hinterfragen, und damit neben der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik auch die nachfrageorientierte. Es geht um ein grundsätzlich anderes Wirtschaften, das die Wachstumsideologie in Frage stellt, um die Welt vor dem Klimakollaps zu retten. In dieser anderen Logik muß gefragt werden, was und wie produziert wird. Die sinnlose Hyperproduktion ist abzulehnen, denn wir ertrinken im Konsummüll. Viele Arbeitsplätze sind einfach überflüssig. Ein anderes Wirtschaften ist mit einem anderen Arbeiten verknüpft. Es geht nicht nur um Arbeitsplätze und Arbeitsplatzsicherheit, es geht um den Sinn, die Inhalte, die Bedingungen der Arbeit.

Es geht darum, neue Formen des Wirtschaftens zu finden. Hier hat es schon einige Experimente der Alternativökonomie gegeben, die allerdings oft mit dem kapitalistischen Markt bzw. wie die Sozialistische Selbsthilfe Mühlheim mit der staatlichen Beschäftigungsindustrie (Ein-Euro-Jobs) konkurrieren müssen.

Relativ neu ist der Begriff der „Solidarischen Ökonomie“, der eine andere Form des Wirtschaftens bedeutet. Projekte der Solidarischen Ökonomie gibt es vor allem in Lateinamerika. So wurden in Argentinien Fabriken besetzt, die in Kooperativen umgewandelt wurden. Entscheidungsorgan ist die Betriebsversammlung. In Deutschland haben Wissenschaftler der Universität Kassel im Jahr 2007 erstmals begonnen, unter dem Begriff "Solidarische Ökonomie" alternative Wirtschaftsformen zu erheben, die darauf zielen, auf andere Weise zu produzieren, zu verkaufen, zu konsumieren und zu leben. Es geht darum, auch vor Ort im Alltag viele solcher Experimente zu starten, um eine andere Arbeits- und Lebensweise zu erproben. Anderes Wirtschaften läßt sich nicht als Kopfgeburt erfinden, sondern muß praktiziert werden.

In der anarchistischen Literatur finden sich bei Proudhon selbstverwaltete Produktionsgenossenschaften, bei Kropotkin Kommunen, in denen gemeinschaftlich gelebt und gearbeitet wird. Landauer plädiert für einen aktiven Generalstreik, um dann die Alternativökonomie zu errichten. Die arbeitenden Menschen sollen sich weigern, für die Reichen und für den Götzen zu arbeiten, sie sollen nur noch für ihren wirklichen Bedarf arbeiten. Rudolf Rocker war für die Übernahme der Verwaltung jedes einzelnen Betriebes durch die Produzenten selbst. „Die syndikalistische Arbeiterbewegung erstarkte vor allem in Frankreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie organisierte sich in zwei Strängen: Einmal bildeten sich auf der Basis einzelner Betriebe und Industriezweige Rätevertretungen und Föderationen- alle ‘von unten nach oben’-, zum anderen entstanden auf kommunaler Basis ‘Arbeiterbörsen’, denen zunächst die Aufgabe zukam, Arbeitsplätze zu vermitteln, die aber schließlich vor allem kulturelle und soziale Funktionen übernahmen.“ (Cantzen 1997, S. 114f.) Für Anarchisten ist die Dezentralisierung, Selbstverwaltung und Selbstorganisation wichtig. Rolf Cantzen meint aber auch, dass überregionale Planungen wichtig bleiben. „Trotz weitgehender Dezentralisierung wird man auf überregionale Wirtschaftskontakte nicht verzichten wollen und können. Eine kooperative Planung und Kontrolle der Produktion und vor allem der (ökologischen) Beschaffenheit der Produkte bleibt notwendig. Hier könnten die anarchistischen und syndikalistischen Rätekonzepte herangezogen werden. ‘Von unten nach oben’ könnten die Rätevertretungen der industriellen Genossenschaftsbetriebe, der Vertretungen der Handwerker und kleineren Betriebe zusammen mit den Vertretern der Kommunen, die das Verbraucherinteresse zum Ausdruck bringen könnten, für bestimmte Produkte und Rohstoffe und für bestimmte ‘Wirtschaftsräume’ Pläne erstellen und zudem Kontrollfunktionen wahrnehmen.“ (Cantzen 1997, S.133)

Horst Stowasser schrieb von einer „dezentralen Bedürfnisproduktion“. „Durch die dezentrale Vernetzung einer solchen Gesellschaft würden viele Waren, Produkte und Lebensmittel in der näheren Umgebung erzeugt und verbraucht.“ (Stowasser 1995, S. 82) Niemand braucht mehr die Ersatzbefriedigung im Konsum, denn es kann eine neue Lebensqualität erreicht werden. Da für die meisten Menschen im Kapitalismus der „wirtschaftliche Wohlstand“ das Entscheidende ist, erfordert dies ein Umdenken, vor allem auch im Interesse der Umwelt.

M.E. ist aber die Frage nach einer anderen Wirtschaft der Knackpunkt auf der Suche nach einem neuen System. Hier bedarf es vieler Ideen und Experimente.

Zwei aktuelle Buchempfehlungen:

  • Elisabeth Voß hat einen Wegweiser Solidarische Ökonomie geschrieben:
    https://mensch.coop//solioeko
  • Gisela Notz: Theorien alternativen Wirtschaftens. Fenster in eine andere Welt. Schmetterling-Verlag Stuttgart 2010

6. Rätedemokratie statt Parteidiktatur

Zur SED- Herrschaft ist bereits viel gesagt worden, diese will kaum jemand wiederhaben. Wie soll aus einer Diktatur Freiheit erwachsen? Diese Herrschaften haben dafür gesorgt, dass der Kommunismus diskreditiert wurde. Antikommunisten können viele Beispiele der Unterdrückung und gar Vernichtung von Menschen (Stalinismus) benennen.

Kommunismus kommt vom lateinischen Wort „communis“, das ‚gemeinsam‘ heißt. Auch Peter Kropotkin hat vom Kommunismus geschrieben, dem anarchistischen.

Gemeinsam geht es darum, das Wort Kommunismus neu zu füllen.

Libertäre haben aber nicht nur Kritik an einer Parteidiktatur, sondern auch an der parlamentarischen Demokratie. Allerdings beteiligten sich Anarchisten z.B. im Spanischen Bürgerkrieg an der Volksfrontregierung in Katalonien.
Kritik an der parlamentarischen Demokratie hat z.B. Johannes Agnoli in dem Buch „Transformation der Demokratie“ geübt. Der Parlamentarismus diene der Befriedung, die Kämpfe sollen auf parlamentarische Auseinandersetzungen reduziert werden. Mit diesem parlamentarischen Spiel soll der Kapitalismus legitimiert werden, der Staat soll nicht gefährdet werden. Herrschaftskonflikte sollen aus dem politischen System verschwinden. Die Massen werden von politischen Entscheidungen ferngehalten und entpolitisiert. Der Kapitalismus versucht, die Linke zu parlamentarisieren. Aber: „Nur Fundamentalopposition ist daran interessiert, politische und gesellschaftliche Mißstände schonungslos aufzudecken.“ (Agnoli 2004, S. 87) Horst Stowasser schreibt: „Wenn ich ein Leben ohne Regierung will, ist es absurd, mir die Leute auszuwählen, die mich regieren sollen... Sein Räderwerk (des Parlamentarismus) mahlt stetig, arbeitet zäh und hat eine ungeahnte Kraft, Menschen in seinen Bann zu ziehen, zu korrumpieren und zu integrieren. Auch die nobelste Idee, jede noch so integre Persönlichkeit bleibt am Ende auf der Strecke.“ (Stowasser 1995, S. 37)
Im Rätesystem wird dagegen die Macht so verteilt, dass sie niemanden zu mächtig macht.
http://deu.anarchopedia.org/R%C3%A4tekommunismus

Karl- Heinz Roth, der stark vom Operaismus beeinflußt ist, machte folgenden Vorschlag:

„Es sollten erste lokale bzw. regionale Initiativegruppen auf allen Kontinenten gegründet und ein gemeinsames Kommunikations- und Öffentlichkeitsnetz (Internet, regionale Medien) installiert werden. Die Assoziation sollte sich zweitens an der Gründung transnationaler Föderationen der Arbeiterinnen und Arbeiter in den wichtigsten Schlüsselsektoren beteiligen. Drittens sollte sie eine globale Krisenanalyse initiieren, wobei die sozialen Krisenauswirkungen besonders zu berücksichtigen wären (Globale Sozialberichte). Parallel dazu sollten der konzeptionelle Rahmen und die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen erarbeitet und laufend weiterentwickelt werden.“ ( http://www.wildcat-www.de/aktuell/a068_khroth_krise.htm )

So etwas läßt sich allerdings nicht am Schreibtisch entwickeln, sondern muss durch starke soziale und revolutionäre Bewegungen getragen sein. Gemeinschaften sollen sich vernetzen, dazu bedarf es der Menschen, die sich daran freiwillig beteiligen.

Der Marxist Robert Schlosser bemerkte auf dem Trend-Veranstaltungswochenende im Januar 2011 in Berlin, dass keine Aktualität einer sozialen Revolution bestehe.  

Für ihn seien drei Komponenten einer neuen Gesellschaft wichtig:

  • Gemeineigentum
  • Selbstverwaltung
  • demokratische Planung  (Dazu müßte noch ein verantwortlicher Konsum kommen.)

Die Bourgeoisie hätte heute die Deutungshoheit über den Kommunismus und Sozialismus. Dagegen müssten wir angehen.

Mit meiner Kritik an der DDR versuche ich die Fehler des Realsozialismus aufzuzeigen und wieder Neues zu denken. Es bleiben tausende Fragen. Trotz der Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus nützt keine Beschönigung des Realsozialismus, nach der Devise „Augen zu und durch“. Wacht auf Verdammte dieser Erde!

In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat aus dem Epilog des Buches „Krisenlabor Griechenland“ enden:

„Mehr als wir denken, ist möglich...

Nicht die äußerliche Solidarität mit dem ‘Anderen’, der es so schwer hat, sondern die Erkenntnis, dass der ‘Andere’ nur das eigene Ebenbild des Elends ausdrückt, bringt uns im Widerstand zusammen. Genau jene Lebenslagen, in die nicht ‘abgerutscht’ werden darf, sind längst die eigenen. Orte des Austausches werden Orte des Bruchs mit der Illusion vom heutigen ‘guten Leben’, der Absage an vermeintliche Interessenvertreter oder Repräsentanten, die nichts weiter als Staatstrottel und Claqueure der Ausbeutung und Unterdrückung sind...

Das alles bedeutet, mit unseren Aktionen die Frage ums Ganze zu stellen und andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, unseren Turm zu verlassen, und zu begreifen, dass vielleicht auch andere Menschen sich erste systemabweichende Fragen stellen. Kämpfen nicht nur um der Betroffenheit willen, sondern wegen der Lust an der Veränderung. Wo längst die Angst vor der nächsten Reform das politische Bewusstsein des Sachzwangs beherrscht, liegt die Perspektive in der Revolution. Die mögliche Revolte kann nur darum gehen, zusammen aus den Fängen und Grenzen des Systems auszubrechen. Den Bruch mit staatstreuem Kämpfen zu vollziehen, bedeutet auch praktische Antworten zur Entfaltung zu bringen und unserem nackten Interesse für die soziale Revolution Ausdruck zu verleihen. Seien wir realistisch, werden wir so radikal wie die Wirklichkeit.“ (Hartmann, Malamatinas 2010, S. 132f.)

Und nach der sozialen Revolution nicht die alten Fehler wiederholen....??!!!

Literatur:

Horst Stowasser, Freiheit pur, Eichborn Frankfurt am Main 1995
Rolf Cantzen, Weniger Staat- mehr Gesellschaft, Trotzdem Verlag Grafenau 1997
Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, Konkret Literatur Verlag Hamburg 2004
Monika Deutz-Schroeder, Klaus Schroeder, Verlag Ernst Vögel München 2008
Detlef Hartmann, John Malamatinas, Krisenlabor Griechenland, Assoziation A Berlin, Hamburg 2010
 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von der Autorin. Es handelt sich hier um das überarbeitete Manuskript ihres Vortrages gehalten in HU Berlin am 27.01.2011 im Rahmen des

Autonomen Seminars an der Humboldt-Universität zu Berlin – seit 1998
Infotelefon: 030 – 42857090 -
http://autonomes-seminar-humboldt.webs.com/