Ziviler Ungehorsam und Transformation
eine Einführung in die neue Rubrik

von Anne Seeck

02/12

trend
onlinezeitung

Nachdem ich die Hartz IV-Rubrik beendet habe, möchte ich im Februar 2012 eine neue Rubrik aufmachen, die sich mit individuellen und kollektiven Protest-/Widerstandsformen beschäftigt, aber auch einen Blick auf gesellschaftliche Transformation wirft. Angesichts der Krise des Kapitalismus ist es m.E. notwendig, wieder über Alternativen jenseits dieses Systems nachzudenken.

Was tun mit Kommunismus?!

Motiv für diese Veranstaltungsreihe im Jahre 2011 war neben der Alternativensuche auch die zunehmende Verklärung des autoritären "real-existierenden" Sozialismus, die insbesondere in der Kato-Veranstaltung "Die DDR und die radikale Linke" und in der darauf folgenden Kommunismus-Debatte (nach der Rosa-Luxemburg-Konferenz) ihren Ausdruck fand. Bernd Gehrke schrieb über die Entstehungsgeschichte unserer Veranstaltungsreihe bei "Sozialistische Positionen" (SoPos).

Auch wenn die Stalinisten nicht an der Macht sind, so sind sie m.E. trotzdem ernst zu nehmen, denn sie prägen das Bewußtsein von Menschen, die für autoritäre Lösungen wieder anfällig sind. Wahrscheinlich ist das vor allem für jene nachvollziehbar, die unter dem "Realsozialismus" gelitten haben und heute wieder mit Ostalgie konfrontiert sind. Wie mit KritikerInnen umgegangen wird, bewies dieses Jahr ein Vorfall auf der LL-Demo.

Bei linksunten indymedia heißt es:

 "Im Verlauf der diesjährigen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration haben wir, eine kleine Gruppe emanzipatorischer Kommunist_innen, am Rand der Demo ein Transparent entrollt, dass sich gegen die positive Bezugnahme linker Zusammenhänge auf die Führerfiguren Stalin, Mao und Lenin wendete. Wenige Minuten später wurden wir von aufgebrachten Teilnehmer_innen aus marxistisch-leninistischen Blöcken mit Stöcken angegriffen, das Transparent in Stücke zerrissen. Menschen die sich spontan mit uns solidarisierten und versuchten uns von den Angreifer_innen abzuschirmen, wurden getreten und mit Fäusten geschlagen."

Inzwischen ist die Veranstaltungsreihe "Was tun mit Kommunismus?!" audio-visuell dokumentiert.

Als Videos bei KanalB:

Als Audios bei Freie Radios/ Radio Friedrichshain: http://freie-radios.net/45221

Weitere Texte sind auf der Website: http://eidesk.wordpress.com/

Es haben zwei Nachtreffen stattgefunden, ein weiterer Diskussionsprozeß ist in Planung, u.a. um die Fragestellung: Wie soll eine zukünftige Alternative zum Kapitalismus aussehen?

In der Linken gibt es m.E. ein zunehmendes Bedürfnis, wieder darüber nachzudenken. Allerdings steht dem im Wege, dass viele Linke zu sehr mit Abwehrkämpfen beschäftigt sind. Hauptsächlich die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat anscheinend die Ressourcen, über Transformation zu diskutieren und Texte zu publizieren. (u.a.: Dieter Klein
Eine zweite Große Transformation;
Mario Candeias Passive Revolutionen vs. sozialistische Transformation ) Aber auch in der Trend-Onlinezeitung wird einiges veröffentlicht und weitere Veranstaltungen sind geplant. (u.a.: "Revolutionäres Minimalprogramm")

Ziviler Ungehorsam

Was zur Zeit in der Linken diskutiert wird, sind Aktionsformen.

Krisenproteste im Frühjahr: http://www.akweb.de/ak_s/ak568/40.htm und http://march31.net/

Obwohl der Begriff "Ziviler Ungehorsam" umstritten ist, habe ich ihn trotzdem gewählt. Die Zeitschrift "analyse und kritik" beschäftigt sich in der Januarausgabe mit diesem Thema. In Dresden fand im Januar eine Konferenz zum "Zivilen Ungehorsam" statt: www.ungehorsam-kongress.com

In dieser Rubrik möchte ich mich sowohl mit individuellem Protest gegen Demokratiedefizite, als auch mit kollektiven Formen beschäftigen. (Ich lade natürlich herzlich zur Mitarbeit ein.)

In Dresden wurde die Frage diskutiert: "Ist ziviler Ungehorsam ein demokratisches Korrektiv oder ist es ein radikales Transformationsprojekt?" Im ak schreibt Robin Celikates, dass ziviler Ungehorsam als Dramatisierung funktioniert, und die Praxis mit symbolischen Kämpfen einhergeht. "Als symbolischer Protest kann er nur funktionieren, wenn er mit Momenten der realen Konfrontation, etwa Praktiken des Blockierens und Besetzens, verbunden ist..." Aus liberaler Sicht sei es vor allem eine "Protestform individueller GrundrechtsbürgerInnen gegen Regierungen und politische Mehrheiten". Aus radikaldemokratischer Perspektive sei es ein "dynamisierendes Gegengewicht zu den Erstarrungsformen staatlicher Institutionen". Der Kampf gegen Stuttgart 21 ist vor allem ein Kampf gegen Demokratiedefizite am Beispiel eines Bahnhofs gewesen. Den Herrschenden ist es aber gelungen, den Bürgerprotest wieder in befriedete parlamentarische Bahnen zu lenken. Die Besetzung des Tahrir-Platzes mündete schließlich in eine Militärregierung.

Was wir im Jahr 2011 erlebt haben, ist die Raumnahme. Jens Kastner schreibt im ak, dass es symbolische Aneignungsformen waren, aber keine materiellen Enteignungen. Das "libertäre" Dilemma sei, Plätze zu erobern, aber sie nicht halten zu können. Die Parole der "Wir sind 99 Prozent" sei falsch, denn die Wahlergebnisse hätten gezeigt, dass viele noch eingebunden sind. Das Problem sei die "alltägliche Einübung in Formen der 'materiellen Struktur der Ideologie', wie Gramsci es genannt hat. Dazu zählt er alles, was die öffentliche Meinung beeinflussen kann, und zwar überall, wo sich Ideen wirkmächtig manifestieren, bis hin zur Architektur, zur Anlage, der Straßen und zu den Namen derselben."

Hoffnung machen dagegen weitere Autoren im ak. Zwei IL-AktivistInnen schreiben: "Möglichkeiten zur Intervention gibt es an vielen Orten. Es sind Kämpfe, die das Potential haben, sich zu radikalisieren...Inhaltlich liegt die Verbindung zwischen Alltagskämpfen und revolutionärer Perspektive auf dem Silbertablett vor uns.." Als Beispiel nennen sie den Kampf gegen Energiearmut, das Abklemmen der Stromversorgung. (http://www.akweb.de/ak_s/ak568/38.htm)

Matthew Lawrence Kearney schreibt über die neuen Proteste in den USA. Bei den größten Versammlungen in Wisconsins Hauptstadt Madison waren 100 000- 180 000 Menschen beteiligt, die Stadt hat nur 230 000 EinwohnerInnen. In den USA eröffnen sich neue Wege.

Man darf gespannt sein, was das Jahr 2012 bringt.

Mag Wompels Traum ist die „massenhafte Okkupation einer sozialen Infrastruktur, denn auch Gemeingüter sind Rechte, die wir nicht erbetteln können, sondern uns nehmen müssen. Ein Traum, mein Traum, ist die massenhafte und tagtägliche Erprobung eines gesellschaftlichen Handelns jenseits ökonomischer Sachzwänge und individualistischer Konkurrenz...

Zwangsräumungen bei massenhaftem Leerstand? Die spanische Bewegung zieht bereits von den Plätzen in leer stehende Häuser und die US-amerikanische mischt sich immer mehr gegen Hauspfändungen und in Streiks ein.“

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir von der Autorin. Im Februar ist mit der Einrichtung der Rubrik "Ziviler Ungehorsam und Transformation" zu rechnen.