Über den philosophischen Materiebegriff
Leseauszug aus: Materialismus und Empiriokritizismus

von W. I. Lenin

02/12

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Es ist aber völlig unzulässig, die Lehre von dieser oder jener Struktur der Materie einer erkenntnistheoretischen Kategorie zu verwechseln, die Frage nach den neuen Eigenschaften der neuen Arten der Materie (zum Beispiel der Elektronen) mit der alten Frage der Erkenntnistheorie, der Frage nach den Quellen unseres Wissens, nach der Existenz der objektiven Wahrheit u. dgl. m. zu verwechseln, wie die Machisten dies tun. Mach hat „die Weltelemente entdeckt“: das Rote, Grüne, das Harte, das Weiche, das Laute, das Lange usw., sagt man uns. Wir fragen: Ist dem Menschen, wenn er Rote sieht, das Harte empfindet usw., die objektive Realität gegeben oder nicht? Diese uralte philosophische Frage ist von Mach verwirrt worden. Ist sie nicht gegeben, dann gleitet ihr zusammen mit Mach unvermeidlich in den Subjektivismus und Agnostizismus ab und liefert euch der wohlverdienten Umarmung der Immanenzphilosophen, d. h. der philosophischen Menschikow aus. Ist sie aber gegeben, dann braucht man für diese objektive Realität einen philosophischen Begriff, und dieser Begriff ist längst, sehr langer Zeit geschaffen worden, dieser Begriff ist die Materie. Die Materie ist eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität, die dem Menschen in seinen Empfindungen gegeben ist, die von unseren Empfindungen kopiert, fotografiert, abgebildet wird und unabhängig von ihnen existiert. Davon zu reden, daß ein solcher Begriff „veralten“ kann, ist daher kindisches Geschwätz, eine sinnlose Wiederholung der Argumente der reaktionären Modephilosophie. Konnte der Kampf zwischen Idealismus und Materialismus in den zwei Jahrtausenden der Entwicklung der Philosophie veralten? Der Kampf zwischen den Tendenzen oder Linien eines Plato und eines die Demokrit in der Philosophie? Der Kampf zwischen Religion und Wissenschaft? Zwischen der Verneinung der und objektiven Wahrheit und ihrer Anerkennung? Der Kampf zwischen den Anhängern eines übersinnlichen Wissens und seinen Gegnern?

Die Frage, ob der Begriff Materie anzuerkennen oder abzulehnen sei, ist die Frage, ob der Mensch dem Zeugnis seiner Sinnesorgane vertrauen soll, ist die Frage nach der Quelle unserer Erkenntnis, eine Frage, die seit Urbeginn der Philosophie gestellt und erörtert wurde, eine Frage, die zwar von den Clowns im Professorenamte auf tausenderlei Art vermummt werden, aber nicht veralten kann, so wie die Frage nicht veralten kann, ob Gesicht und Tastsinn, Gehör und Geruch die Quelle der menschlichen Erkenntnis sind. Unsere Empfindungen für Abbilder der Außenwelt halten, die objektive Wahrheit anerkennen, auf dem Standpunkt der materialistischen Erkenntnistheorie stehen, das ist ein und dasselbe.

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Band 14, Berlin 1970, S. 124f

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