MALI: Die erste Phase der französischen Intervention scheint vor dem Abschluss zu stehen. Nun stellt sich die Frage nach dem Danach

von Bernard Schmid

02-2013

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Und plötzlich waren sie weg, die Jihadisten: Am Montag dieser Woche (28. Januar 13) erreichten die französischen Truppen und die gemeinsam mit ihnen vorrückenden Truppen der Armee Malis die Stadt Timbuktu, im Nordwesten des Nigerbogens. Am Vortag (Sonntag, den 27. Januar) hatten sie die Großstadt Gao auf der anderen Seite des Bogens, den der Strom in der Mitte Malis beschreibt, eingenommen. Ab dem darauf folgenden Mittwoch folgte die Eroberung von Kidal in Nordost-Mali, beschrieben als „die letzte Hochburg der radikalen Islamisten“.
Von Bernard Schmid erschienen im Januar 2013 folgende Artikel zum Thema Frankreich interveniert in Afrika: Teil I: Zentralafrikanische Republik (ZAR), Dezember 2012 u. Januar 2013 und Teil II: Somalia und Mali – Januar 2013

Bewaffnetes Kulturbanausentum

In Timbuktu kontrollierten die Soldaten ohne Schwierigkeiten innerhalb kürzester Zeit alle Zugänge zur Stadt und den Flughafen, am späten Nachmittag dann die gesamte Stadt. Die Djihadisten, die bis dahin die Stadt kontrolliert hatten, waren nicht zu sehen: Sie flohen, nicht ohne ein Gebäude mit 100.000 wertvollen historischen Manuskripten, die zum Teil aus dem 12. Jahrhundert stammten, in Brand gesetzt und einen Teil des Inhalts auf Pick-Ups mitgenommen zu haben. Die historische Altstadt von Timbuktu beherbergt viele Kulturschätze, darunter die Mausoleen aus früheren Jahrhunderten, von denen die Djihadisten im vergangenen Jahr mindestens ein Dutzend als „Zeichen von Götzenverehrung“ zerstört haben. (Am Donnerstag, den 31. Januar wurde bekannt, es hätten mutmaßlich „90 Prozent“ der Manuskripte gerettet werden können; vgl. http://www.lefigaro.fr)

In Timbuktu und anderswo räumten die radikalen Islamisten allem Anschein nach kampflos das Feld. Von ihren Pick-Ups war seit anderthalb Tagen nichts mehr zu sehen, als die Soldaten einrückten. Nur in Gao weiter östlich lief es insofern anders, als es dort zu Kämpfen kam. Seit Samstag, den 26. Januar waren französische Spezialkräfte (forces spéciales) dort eingesickert, und die Djihadisten waren mutmaßlich durch ihre Präsenz in der Stadt überrascht worden. Zunächst hieß es, etwa fünfzig von ihnen seien im Kampf getötet worden, am Montag Abend wurde ihre Zahl vom französischen Generalstabssprecher Thierry Burkhard auf 25 korrigiert.

Auf französischer Seite gab es bis Redaktionsschluss dieses Artikels keine bekannten Verluste. Was Tote unter den Zivilisten betrifft, so ist die Situation unklar. Französische Presseorgane beklagen sich darüber, nicht außerhalb einer Kontrolle durch französische wie malische Militärs arbeiten zu können. Der Korrespondent von Le Monde, Jean-Philippe Rémy, wartete etwa sechs Tage auf eine Genehmigung, um die von den Djihadisten befreite Stadt Sévaré betreten zu dürfen. Le Monde wie Libération berichten, man habe keine Leichen gesehen, diese seien aber mutmaßlich weggeräumt worden. In Sévaré sprechen verschiedene Quellen übereinstimmend darüber, gut dreißig Leichen seien am Stadtrand verscharrt worden. Darunter sind aber sowohl djihadistische Kombattanten als auch möglicherweise Soldaten der malischen Armee und einige Zivilisten. Aus Sévaré war seit den ersten Tagen wiederholt von möglichen Racheakten malischer Soldaten an Einwohnern, die etwa der Sympathie für die Djihadisten verdächtigt wurden, die Rede. Nähere Überprüfungen waren den Berichterstattern der Ort bislang nicht möglich.

François Hollande sprach am selben Tag bereits vom „Sieg“, der nahe sei. Am darauffolgenden Samstag, den 02. Februar 13 eilte er dann auch persönlich nach Bamako sowie Timbuktu, wo er sich als „Befreier“ feiern lassen konnte, ähnlich wie dereinst am 15. September 2011 Nicolas Sarkozy und David Cameron im libyschen Benghazi nach dem Sturz von Mu’ammar Al-Qadhafi / Gaddafi. (Vgl. http://www.lemonde.fr/l oder http://actu.orange.fr/ Tatsächlich gab es dort nicht wenig manifeste Zustimmung zur Intervention als solcher, und vor allem viele Frauen feierten ihr wiedergewonnenes Recht, sich zu kleiden, wie sie es wünschen – und beim Anstecken einer Zigarette keine Inhaftierung oder Peitschenhiebe fürchten zu müssen. Aber es gab auch Kritik an der Inszenierung des Präsidenten-Auftritts, bis hinein in die französischen Medien, wo teilweise François Hollandes Heldenpose veräppelt wurde, vgl. etwa http://www.facebook.com/

Doch es ist unwahrscheinlich, dass damit die seit drei Wochen dauernde Intervention bereits weitgehend beendet ist. Sogenannte asymmetrische Kriege haben es an sich, dass auf der einen Seite reguläre, strukturierte und schwer bewaffnete Truppen stehen, auf der anderen Seite aber irreguläre und die Form ihres Auftretens leicht wandelnde Gegner, die unter Umständen nur schwer greifbar sind. Auf diesem Terrain fühlen Djihadisten sich oft am wohlsten, da sie sich dann als „Widerständler“ inszenieren können. Solche, die im Namen eines kulturellen Partikularismus, da die Ideologie sich nur an Muslime adressiert – ohne jedoch an irgendwelchen Grenzen halt zu machen – gegen einen weltweiten Feind kämpfen, und dabei Bilder an vergangene Widerstände gegen das Vordringen der kolonialen Eroberer in denselben Weltgegenden wachzurufen versuchen. Die jeweiligen historischen Situationen unterscheiden sich dabei allerdings radikal.

Die Monate, in denen die Djihadisten die örtliche Bevölkerung in weiten – wenngleich dünn besiedelten – Landstrichen im Norden Malis kontrollierten, haben ihnen kaum Sympathien eingebracht. Im Wesentlichen ist der Bevölkerung im von ihnen beherrschten Nord- ebenso wie im übrigen Mali dabei die Verhängung von Körperstrafen im Gedächtnis behalten, in Gestalt von Amputationen und Auspeitschungen, wegen angeblicher Verstöße gegen die Scharia.

Jihadisten gespalten

Ihr harter Kern besteht aus einer internationalen Ansammlung von Kämpfern, die gezielt nach Nordmali kamen oder aber dort gestrandet sind. Die Gruppe „Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb“ (AQMI) etwa besteht überwiegend aus Algeriern, die in ihrem eigenen Land bei dem Versuch einer islamistischen Machtübernahme vor 15 Jahren definitiv gescheitert sind und ihren Djihad seitdem zu exportieren versuchen. Sie hat aber auch Afghanen und Pakistaner rekrutiert. Eine Abspaltung der Gruppe, der MUJAO (zu deutsch „die Bewegung für Einheit und Djihad in Westafrika“) hat daneben auch West- und andere Afrikaner in ihren Reihen. Dagegen ging die dritte islamistische Gruppe, die im Norden Malis aktiv ist, Ansar Dine („Anhänger der Religion“), aus der malischen Gesellschaft selbst hervor. Ihre Ziele sind weniger dem planetaren Djihadismus verhaftet, sondern beziehen sich eher auf eine Umgestaltung der malischen Gesellschaft im nationalen Rahmen.

Die letztgenannte Gruppe hat sich vorvergangene Woche gespalten. Am Donnerstag, den 24. Januar 13 wurde die Entstehung der „Dissidenten“gruppe MIA bekannt. Das Kürzel steht für „Islamische Bewegung von Azawad“, unter Benutzung des Namens, den die Tuareg für Nordmali verwenden. Ihr Anführer ist Albagas Ag Intalla, der nach den geltenden Nachfolgeregeln künftig als chef traditionnel – eine Art Feudalchef – der Tuareg in der Region Kidal amtieren wird, sobald der momentan noch besetzte Posten vakant wird. Er hat vor allem auch Kontakte zum Regime im Nachbarstaat Burkina Faso, wo er im vergangenen Jahr als Verhandlungsführer von Ansar ed-Dine bei den Gesprächsrunden mit Vertretern der malischen Regierung dabei war. Burkina-Faso, ein enger Verbündeter Frankreichs in der Region Westafrika, ist zugleich an einer tendenziellen Schwächung des Nachbarlands Mali interessiert. Sein Präsident Blaise Compaoré hält deshalb auch Kontakte zu den Tuareg-Separatisten der Sezessionsbewegung MNLA, deren Führungsspitze sich am 28. Juni 12 nach Burkina-Faso flüchtete, als die Djihadisten ihren früheren Bündnispartner in Gestalt des MNLA bekämpften. Letztere Bewegung bietet sich in den letzten Wochen den malischen und französischen Armeen als Hilfstruppe bei der Bekämpfung der Jihadisten an und argumentiert mit ihrer Ortskenntnis, will sich aber auch vor allem selbst wieder ins Gespräch bringen. Ähnliches tun nun auch die „Dissidenten“ von Ansar ed-Dine. Sie erklären nicht nur, dass sie „den Terrorismus verurteilen“, sondern auch, dass sie „an seiner Bekämpfung teilnehmen“ wollten. Augenscheinlich versuchen sie vor allem Plätze in der Nachkriegsordnung für sich zu sichern.

Mali – Afghanistan?

Oft wird in diesen Tagen in Frankreich der Feldzug in Mali mit jenem, der am o7. Oktober 2001 in Afghanistan begonnen hat und noch immer nicht zu Ende ist, verglichen. Tatsächlich sind einige Aspekte wohl übertragbar. Etwa die Feststellung, dass man bei einem solchen Krieg zwar in etwa weiß, wann wie und wie er begonnen hat – aber nicht, wann und wie er aufhören könnte. Auch in den USA sieht man dies ähnlich. So stellt die US-Administration der französischen Armee zwar zwei großräumige Truppentransporter zur Verfügung, um ihre Soldaten nach Mali zu befördern, bremst aber bislang nach Kräften dagegen, tiefer in den Konflikt hineingezogen werden. Man befürchtet, nach den Brennpunkten der vergangenen Jahre, besonders Iraq und Afghanistan, sich auf längere Dauer einen neuen Klotz ans Bein zu binden. Nach der ersten Konfliktwoche schickte die US-Administration gar eine Rechnung für die erfolgten Transportflüge nach Paris und verlangte, die Kosten wie bei einer x-beliebigen Dienstleistung zu begleichen. Nachdem die französische Regierung dies publik machte und als skandalös darstellte, zogen die Nordamerikaner ihr Ansinnen jedoch zurück.

Eine wichtige Differenz zu Afghanistan besteht unter anderem darin, dass die meist aus der Bevölkerungsgruppe der Paschtunen stammenden Taliban aus einer der größeren Komponenten der afghanischen Gesellschaft stammen. Zudem waren sie zumindest in der allerersten Phase ihres Auftauchens, von 1994 bis 96, von manchen Afghanen als kleineres Übel wahrgenommen worden. Und zwar im Vergleich zu den Warlords der damaligen Mudjadehin – und späteren Nordallianz -, die zuvor die sowjetische Präsenz bekämpft hatten, und danach das Land in Kämpfen untereinander in Schutt und Asche legten. Dabei kam es zu zahlreichen Vergewaltigungen. Die Taliban, die selbige als Verstöße gegen die Scharia ablehnten, schwangen sich zu Verteidigern der kompromisslosen Durchsetzung allgemeingültiger Regeln, statt der unter den Warlords herrschenden Willkürherrschaft, auf. Auch ihre Herrschaft mit der Peitsche wurde später von vielen in Afghanistan als Schrecken erlebt. Doch jene der Djihadisten in Teilen Malis stieß von Anfang an auf viel stärkere Widerstände.

Ihrer Eroberung gingen nicht zwanzig Jahre Krieg und allgemeine Verrohung, wie in Afghanistan seit 1979, voraus. Ferner spielt die ethnische Differenz eine wichtige Rolle: In den Augen der Bevölkerung Südmalis werden die DJihadisten oft als ein Problem von „Hellhäutigen“, also Arabern oder Tamaschek - malischen Tuareg – wahrgenommen. Auch wenn die Realität komplexer ist: Die Gruppe „Ansar ed-Dine“ etwa besteht aus dunkelhäutigen Maliern. Und selbst die arabischen Djihadisten in Nordmali, wo sie immerhin seit 2003 präsent sind, haben durch Einheiraten auf lokaler Ebene Bündnisse mit Teilen der örtlichen Gesellschaft geschlossen. Aufgrund der „ethnisierten“ Wahrnehmung kam es in den vergangenen Tagen wiederholt zu Übergriffen und Racheakten auf Tuareg oder arabischstämmige Malier, denen ihr Hab und Gut weggenommen wurde. Vereinzelt auch in der Hauptstadt Bamako, vor allem aber aus Timbuktu und anderen von den Djihadisten befreiten Städten im Norden. Anders könnte es bei der erst begonnenen Rückeroberung von Kidal verlaufen, wo sehr viele Tuareg leben. (In Kidal, im Nordosten von Mali, landeten französische Truppen am Mittwoch, den 30. Januar 13. Dort blieben sie jedoch aufgrund eines Sandsturms zunächst am Flughafen blockiert. Am Sonntag, den 03. Februar d.J. wurden dann massive Bombardierungen durch die französische Luftwaffe nördlich von Kidal vermeldet. Dort liegen die mutmaßlichen Rückzugsräume der Djihadisten, v.a. im Bergland „Massif des Ifoghars“, einer schwer zugänglichen und insofern Schutz bietenden, aber auch extrem lebensfeindlichen Wüstenzone, welche in Richtung algerische Grenze reicht.)

Regionale Reaktionen

Die Djihadisten würden den Konflikt gerne internationalisieren. Bislang gelang dies jedoch nur in Ansätzen. Auf dem Gebiet terroristischer Aktionen widerspiegelte die Geiselnahme auf dem Gelände einer Gasförderstätte in In Amenas, im Südosten Algeriens, ab dem 16. Januar 13 zwar die Internationalisierung der djihadistischen Aktivitäten. Die Angreifer kamen über die Grenze aus Libyen, und unter den rund vierzig Geiselnehmer waren elf Tunesier; der Sprengstoffexperte der als „die Unterzeichner durch das Blut“ auftretenden Gruppe war ein kanadischer Staatsbürger tschetschenischer Herkunft. (29 der Geiselnehmer wurden mutmaßlich getötet und drei lebend gefasst; 38 Geiseln starben, unter ihnen Japaner, Philippiner, Malaien, Norweger, Briten und ein Franzose sowie ein Algerier – eine Widerspiegelung der Präsenz sowohl eines multinationalen Proletariats als auch der „nördlichen/westlichen“ sowie japanischen Fachkräfte auf den Öl- und Gasfeldern. Die Geiselnahme endete mit der Erstürmung der Gasförderstätte am 19. Januar 13 durch die algerische Armee.) Diese Vorgänge widerspiegeln jedoch vor allem das Agieren des harten Kerns der radikal-islamistischen Kräfte, eine Massenbewegung konnten sie nicht initiieren.

In vielen Ländern der Region, in Afrika und im arabischsprachigen Raum betrachtet man die französische Intervention zwar mit einiger Skepsis, es kam jedoch bislang nicht zu starken Protesten. Auch, weil die Bevölkerung in Mali selbst die Intervention, jedenfalls bis jetzt, mehrheitlich begrüßt oder jedenfalls als kleineres Übel betrachtet. In Kairo demonstrierten am Ende der ersten Woche nach Interventionsbeginn Islamisten gegen Frankreichs Eingreifen, im Vergleich zu anderen Demonstrationen blieb diese jedoch überschaubar. Allerdings missbilligte dann auch der aus den Reihen der Muslimbrüder kommende Präsident Mohammed Mursi die Intervention. Zu schwächeren Protesten, auch dort von Islamisten, kam es zudem in Tunis und in Algier. Auf tunesischem Boden gibt es auch Kontakte zu den Djihadisten in Mali, so sprach Präsident Moncef Marzouki in Interviews mit mehreren französischen Medien besorgt von einem Transit von Waffen durch Tunesien nach Nordmali. 

Ferner wird aus Benghazi im Osten Libyens berichtet, dass alle westlichen Ausländer dort von ihrer jeweiligen Botschaft Ende vergangener Woche dringend zum Verlassen der Stadt und zur Ausreise aufgefordert wurden. Dahinter steckt die Vermutung, dass die Milizen, die noch einen Teil ihrer Waffen aus der Zeit des Kampfs gegen das Gaddafi-Regime von 2011 behalten haben, oder jedenfalls ihr radikal-islamistischer Teil, Übergriffe oder Entführung planten. Am Montag, den 28.01.13 war auch von einem Alarmzustand für die britische Botschaft in Tripolis die Rede.

Dass die aktiven Proteste jedenfalls auf der Straße bislang schwach ausfielen, bedeutet nicht, dass in den Staaten der Region innenpolitische Ruhe zur Frage der Intervention herrschen würde. Dies gilt vor allem für Algerien und Marokko. Bislang unterstützten die Führungen beider Staaten das Vorgehen Frankreichs im südlichen Nachbarland, was nicht ohne innenpolitische Spannungen und Kritik in der Presse, aber auch von mehreren Oppositionsparteien abgeht. Im Falle Algeriens ist die Angelegenheit besonders heikel, da das Land seit dem extrem blutigen antikolonialen Befreiungskrieg von vor 1962 ein extrem belastetes historisches Verhältnis zur früheren Kolonialmacht aufweist. Auch wenn Algerien selbst in den neunziger Jahren einen blutigen Bürgerkrieg mit radikalen Islamisten durchlief, weshalb ein Großteil der Bevölkerung diese Gruppen vehement ablehnt, so ist doch die Öffnung des Luftraums ausgerechnet für die frühere Kolonialmacht ein heißes Eisen. Linke Gruppen wie die orthodox-kommunistische PADS oder die trotzkistisch inspirierte PST – die kleine Parteien darstellen, jedoch über die französischsprachige Presse mitunter einen stärkeren Einfluss haben – wandten sich scharf gegen die Benutzung des algerischen Luftraums durch Frankreich. Auch ein Teil der Armee begann deswegen zu grummeln. Nach der Geiselnahme von In Amenas machte die algerische Regierung allerdings Anstalten, dieses Nutzungsrecht wieder in Frage zu stellen, da man Attacken auf den für das Regime überaus wichtigen Öl- und Erdgassektor fürchtete. Es wurde nicht aufgekündigt, aber in der Praxis überfliegen die französischen Militärtransporter nicht mehr Algerien, sondern Marokko und Mauretanien. Die dortigen Regierungen unterstützen die Intervention ebenfalls.

Unterstützung, auch finanzieller Art, für die Jihadisten kommt mutmaßlich aus Saudi-Arabien und Qatar. Genauere Angaben dazu sind umstritten. Im Laufe des vergangenen Jahres 2012 war in französischen Reden mehrfach die Rede von einer Rolle Qatars als Geldgeber, auch in der Wochenzeitung Le Canard enchaîné, die neben Satire auch für Enthüllungen aus den Kulissen der Politik bekannt ist und oft auch Teilen des Staatsapparats oder den Diensten als Briefkasten für die Veröffentlichung von Nachrichten oder politischen Botschaften dient. Im Spätherbst 2012 allerdings wurde an derselben Stelle, im Canard enchaîné, eine bedeutende Rolle der qatarischen Monarchie unter Berufung auf Sicherheitskreise wiederum dementiert. Vergangene Woche wiederum wurde eine solche Rolle affirmiert. Der Golfstaat lieferte jedenfalls offiziell im Jahr 2012 (über den nationalen „Roten Halbmond“) humanitäre Hilfe nach Nordmali, was nur möglich war, weil er direkt mit den jihadistischen Gruppen verhandelte. Zudem sprechen örtliche Journalisten davon, dass ein Flugzeug aus Qatar als erstes auf dem Flughafen von Tisselit im Nordosten Malis gelandet sei, nachdem dieser vor wenigen Wochen durch die Jihadisten erobert wurde. Eine Hilfestellung aus Qatar für die radikalen Islamisten ist hochgradig wahrscheinlich, auch diese mutmaßlich über die offiziellen Kanäle der Monarchie läuft, sondern über private Stiftungen. Wie auch in Saudi-Arabien haben Islamisten sich seit langem ins NGO-Geschäft gestürzt, und die Monarchie lässt es gewähren, auch um innenpolitisch ihre Ruhe zu haben.

Kontroversen in Mali selbst

Im Süden Malis ist das Eingreifen gegen die Djihadisten als solches wenig umstritten. Oft, aber nicht bei allen Maliern, verbindet sich dies auch mit dem Bekunden von Dankbarkeit gegenüber der Intervention, die zumindest als kleineres Übel betrachtet werden, auch wenn von neokolonialen Hintergedanken die Rede ist. Die Medizinstudentin Aminata berichtet dem Verfasser dieser Zeilen telefonisch aus Bamako, Bekannte hätten sogar ihre in vergangenen Tagen geborenen Kinder auf die Vornamen „François Hollande“ getauft.

Insgesamt wird jedoch vor allem die Haltung zu der französischen Intervention kontrovers diskutiert, wobei die Konfliktlinien sich dabei zum Teil mit denen decken, die die Positionierung zum Putsch junger Offiziere vom 22. März vergangenen Jahres betreffen. Letzterer war gegen den Willen der Militärführung und der alten Oligarchie erfolgt. Er erfolgte im Kontext der Empörung über Korruptionspraktiken der Armee, aufgrund derer Soldaten ohne Bewaffnung an der Nordfront – wo die Rebellen seit Januar 2012 vorrückten – „verheizt“ wurden, weil Material auf dem Schwarzmarkt landete. Den Putsch hatten Demonstrationen von Zivilisten und, vor allem, von Soldatenfrauen begleitet.

Seitdem hat sich eine linksnationalistische Koalition unter dem Namen „Bewegung des 22. März“ gebildet. Ihre stärkste Kraft ist die linksnationalistische Partei SADI („Afrikanische Solidarität für Demokratie und Entwicklung“). Letztere begrüßte in einer Presseerklärung vom zweiten Tag der Intervention das Vorrücken von malischen Truppen gegen die Islamisten, erwähnte die französische Armee jedoch mit keinem Wort. Die Linksnationalisten wollen diese schnellstmöglich durch afrikanische Truppen ersetzt sehen. Gegen diese Kräfte unterstützen Frankreich und die Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO – ECOWAS eher die Kräfte der alten Oligarchie, die die Übergangsregierung dominieren. Die Worte des französischen Botschafters in Jeune Afrique von vorvergangener Woche, nun sei „Schluss mit den Demonstrationen“, gehen ebenfalls in diese Richtung.

Neben den linksnationalistischen Kräften, die eine Rückeroberung Nordmalis ohne französische Intervention wünschten und jetzt die schnelle Ablösung der französischen durch afrikanische Truppen fordern, aber durchaus einen Flügel der Armee unterstützen, gibt es auch zivile Initiativen. In Nordmali fanden wiederholt Revolten von unten gegen jihadistische Warlords statt. In das Repertoire zivilgesellschaftlicher Initiativen gehört auch der „Weiße Marsch“, der ursprünglich Mitte Januar dieses Jahres hätte stattfinden sollen und dann, infolge des Beginns der Intervention, zunächst auf Ende Januar 13 verschoben wurde. Dabei ging es darum, durch einen Fußmarsch von Zivilpersonen – unterschiedlichen Alters und Geschlechts – die letzte Stadt im Süden mit der ersten Stadt in der bislang von Jihadisten beherrschten Nordhälfte Malis zu verbinden. Dadurch sollten die Kräfte der Zivilgesellschaft gegen die Warlords, Oligarchen und gegen die Djihadisten gefördert werden. Allerdings besteht eine strukturelle Ambivalenz: Manche der unterstützenden Kräften streben eher einen Dialog unter Ausschluss militärischer Mittel an, andere verstehen die zivilen Initiativen eher als Begleitung zu einer auch militärischen Rückeroberung des Nordens. Beide Ansätze existieren nebeneinander.

Nach neuesten Informationen muss diese Initiative nun jedoch erneut verschoben werden, da die französischen, nicht die malischen, Militärbehörden sie verboten: Sie erklärten die Straße ab Ségou – eine Provinzhauptstadt in Zentralmali – für gesperrt, da militärische Bewegungen Vorrang haben müssten und die Sicherheit nicht gewährleistet sei.

Viele Malier befürchten unterdessen vor allem, Frankreich werde die Tuareg-Rebellen der MNLA (Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad), die ab Januar 2012 zunächst zusammen mit den Jihadisten in die Offensive gegangen waren und ab Juni dann von diesen abgeschüttelt und bekämpft wurden, wieder ins Spiel bringen. Eine solche Initiative favorisiert besonders der frühere konservative Außenminister Alain Juppé, in dessen Regierungszeit quasi-offizielle Pläne zur Unterstützung eines unabhängigen Tuareg-Staats ausgearbeitet worden waren. Seit einer Woche kommen die MNLA-Rebellen, die sich nunmehr der malischen Armee als Hilfstruppe gegen ihre vormaligen jihadistischen Verbündeten andienen, in französischen Medien wie dem Radiosender RFI und dem Fernsehkanal France24 wieder verstärkt zu Wort.

Viele Malier befürchten, Frankreich werde Mali zwar bei der Vertreibung der Jihadisten helfen, strebe aber zugleich danach, das Land selbst zu schwächen und in halb abhängiger Position zu halten. Auch viele Malier befürworten Lösungen in Gestalt einer Dezentralisierung des Landes für die Nachkriegszeit, um Sezessionsbestrebungen der Tuareg den Wind aus den Segeln zu nehmen und diese zu schwächen. Allerdings gibt es auch dafür negative Vorbilder: Nach früheren Rebellionen der Tuareg im Norden, die sich marginalisiert fühlten, wurden 1991 und 2006 Abkommen geschlossen, die unter anderem vorsahen, eine neue militärische Offizierselite aus früheren Tuareg-Kämpfern zu rekrutieren. Das Resultat war jedoch, dass auf der Basis von „ethnischen“ Kriterien eine neue Elite im Norden geschaffen wurde, die ebenso korrupt wie jene im Süden war, aber immer neue „Stücke vom Kuchen“ für sich einforderte. Viele höhere Offiziere der malischen Armee schlossen sich Anfang 2012 der MNLA-Rebellion an.

Erneut einer regionalen Elite, die im Namen „des Nordens“ zu sprechen vorgibt, Machtpositionen einzuräumen, scheint vielen deswegen, scheint vielen deswegen nicht erstrebenswert. Zumal die Tuareg auch in Nordmali nur 19,5 Prozent der Bevölkerung stellen, im ganzen Land zwei Prozent. Die französische Politik könnte aber, zusammen mit Burkina-Faso, in diese Richtung gehen.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.