Als Anfang Oktober 1998 nach langen Bauarbeiten das Areal in der Nähe des
ehemaligen Potsdamer Platzes in Berlin eröffnet wurde, wollte sich kaum noch jemand daran
erinnern, welche politischen Auseinandersetzungen es Anfang der 90er Jahre um dieses
Grundstück gegeben hatte. Umsonst hatte debis, die Dienstleistungstocher von
Daimler-Benz, damals das Filetstück in
der Innenstadt erhalten, um dieses zu entwickeln; erst Jahre später mußte der Konzern
auf Anweisung der zuständigen EU-Kommission knapp 40 Millionen Mark zahlen. Noch 1997 war
Dieter Kunzelmann über den Vorgang so entrüstet, daß er in seinem Buch Leisten
Sie keinen Widerstand schrieb: Rätselhaft bleibt die Ironie deutscher
Zustände, daß genau der Konzern, der mit seinem Unglücksstern und mafiosem Lobbyismus
nach der Befreiung vom Nationalsozialismus (in dem er bekanntlich auch gut verdiente) die
autogerchte Stadtplanung mitdiktierte, auch noch den politischen Segen erhielt, sein
Brandzeichen dem Zentrum der vereinten Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland
aufzudrücken.
Jetzt hat eine Tochterfirma von debis wiederum gratis ein Filetstück vom Berliner Senat
übereignet bekommen. Diesmal allerdings wird wohl kein Kunzelmann mehr Eier auf
Bürgermeister Diepgen werfen, wie 1993 bei der Grundsteinlegung am Potsdamer Platz; und
es wird keinen Protest aus der
Bevölkerung und keine nachträglichen Zahlungsforderungen aus Brüssel geben. Denn das
Filetstück, das das Unternehmen Primus Online Berlin-Brandenburg,
ein Joint Venture von debis und einem Unternehmen der Metro-Gruppe, erhalten hat, liegt
nicht in der Berliner Innenstadt -
sondern im Cyberspace. Wenn - voraussichtlich
am 8. Dezember - unter der URL www.berlin.de eine komplett überarbeitete
Website der Stadt Berlin ans Netz geht, ist der Betrieber der Site nicht mehr der Senat,
sondern ein kommerziell arbeitendes Unternehmen: Primus Online
Berlin-Brandenburg wird für die Gestaltung der Homepage vom Land Berlin kein Geld
erhalten, sondern versuchen, durch Ecommerce und Werbung den Betrieb des Site
zu finanzieren. Eigentlich war der Start der neugestalteten Homepage Berlins schon für
den Oktober geplant. Aber bisher prangen immer noch Baustellen-Schilder auf der
Eröffnungsseite: Der Berlin-Server befindet sich zur Zeit im Umbau. Jetzt
soll die Site mit zweimonatiger Verstpätung ans Netz gehen.
Wer dann in der nächsten Woche in seinen Internetbrowser berlin.de eingibt,
der wird auf der Berliner Homepage nur noch teilweise Informationen zu sehen bekommen, die
aus der Berliner Stadtverwaltung stammt. Primus-Online Berlin erhält vom
Senat Pressemittlungen, Senatsprotokolle und andere Informationen - bis hin zu den
Öffnungszeiten der Stadtbüchereien. Da mit diesem Material kein Geld zu verdienen ist,
muß sich das Unternehmen nach anderen Verdienstmöglichkeiten umsehen. Auf der Website,
die bisher nur aus Material des Berliner Senats bestand, sollen in Zukunft auch Geschäfte
getätigt und Geld verdient werden. Zwar verbietet der Vertrag mit dem Senat, Werbung auf
den Landesseiten zu schalten. Aber bei Primus-Online ist man trotzdem
zuversichtlich, daß mit der Domain Geld zu machen sein wird.
Auf der neuen Site von berlin.de werden in Zukunft Nachrichten vom Berliner
Tagesspiegel, sowie ein Angebot für Online-Shopping und andere virtuelle
Dienstleistungen zu finden sein. Der CD-Händler an der nächsten Straßenecke soll hier
genauso seine virtuelle Heimstadt einrichten können wie der Kreuzberger
Bioladen. Außerdem soll berlin.de in Zukunft als Plattform für kleine und
mittelständische Betriebe dienen, die sich kein eigenes Internetangebot leisten können.
Auch die Stadtverwaltung soll ans Netz gehen: in der Planung sind die Erneuerung von
Personalausweisen und andere städtische Dienstleistungen per Internet. Wer online ein
neue Hundemarke für den vierbeinigen Liebling ordern will, braucht dafür ein Onlinekonto
bei der Berliner Volksbank. Für alle andere Netzsurfer steht berlin.de als
normale Homepage zur Verfügung. Gleichzeitig will Primus-Onlineals
Internet-Provider auftreten. Auch eine Emailadresse und Speicherplatz für die Homepages
wird angeboten. Tragische Ironie: das Berliner Internetprojekt Internationale
Stadt(www.icf.de), das seit 1995 ähnliche Leistungen für seine User anbot, mußte
Anfang diesen Jahres den Betrieb einstellen - vom Senat war diese Pinonierinitiative nie
finanziell unterstützt worden.
Die Tarife für vollen Internetzugang sollen bei berlin.de pro Monat 199.99 Mark oder
einmalig 199 Mark für ein ganzes Jahr betragen. Gleichzeitig soll es im gesamten
Stadtgebiet Informationssäulen geben, mit denen man kostenlos das Stadtinformationssystem
nutzten kann. Die Säulen sollen zum Teil in Zusammenarbeit mit Coca-Cola aufgestellt
werden, und gleichzeitig als Getränkeautomat dienen; andere sollen mit einem Telefon
gekoppelt sein. Weiterhin werden alle Terminals mit Ticketdruckern und Kartenlesesystemen
ausgestattet werden.
Debis hatte nach einer Ausschreibung im vergangenen Jahr vom Berliner Senat im August
diesen Jahres den Auftrag erhalten, die Berliner Senats-Homepage neu zu gestalten. Dafür
hat die Daimler-Benz-Tochter zusammen mit Primus-Online, einem Kölner
Unternehmen, das zur Metro gehört, eine eigene Firma gegründet. Bei dem Budget für das
Projekt handelt es sich um einen zweistelligen Millionenbetrag für das erste
Jahr, wie es in der Marketingabteilung von Primus Online Berlin-Brandenburg
heißt.
Der chronisch finanzschwache Senat versucht durch diesen Schachzug, zwei Fliegen mit einer
Klappe: Einerseits will man sich der Kosten entledigen, die durch die Pflege einer
Homepage im Internet entstehen. Nach dem Verkauf von städtischem Tafelsilber
wie der Gasag und der Bewag sollen nun auch virtuelle Wertgegenstände wie die einmalige
URL berlin.de veräußert werden. Gleichzeitig sollen gerade kleine und
mittelständische Unternehmen aus Berlin ans Netz gebracht werden und mit Handel im
WorldWideWeb verdienen. Von dem profitieren bislang freilich nur einige große Unternehmen
wie zum Beispiel der amerikanische Buchversand amazon.com. Ob
neben diesen Branchenriesen, der seine Kunden durch gute Konditionen bei der Stange halten
kann, der Nachbarschaftsbuchladen aus Schöneberg bestehen kann, bleibt abzuwarten.
Im übrigen haben sich an großangelegten Stadtinformationsprojekten wie
berlin.de in den vergangenen Jahren schon einige Unternehmen die Zähne
ausgebissen: 1996 wollte der Springer-Verlag mit Go-On ein Internetsystem auf
die Beine zu stellen, das mit ähnlichen Versprechen wie berlin.de an den
Start ging: Zugang zum Internet, Shopping, Stadtinformationen,
Meldungen aus der Springer-Presse. Im Ruhrgebiet versuchte die WAZ-Gruppe zur selben Zeit
mit Cityweb ähnliches. Doch beiden Dienste war damals kein Erfolg beschieden:
Cityweb backt heute als eine auf verschiedene Städte zugeschnittene
Suchmaschine kleine Brötchen. Von Go On ist nur ein Site mit Nachrichten und
Links zu dem Homepages der Tageszeitungen des Springer-Verlags übriggeblieben. Bei debis
ist man freilich sicher, daß man mit berlin.de in absehbarer Zeit schwarze
Zahlen schreiben wird.
Aber die Aussicht, ein Internetangebot anzubieten, ohne dafür zahlen zu müssen, hat
inzwischen auch die Phantasie anderer Bundesländer beflügelt. Nach Berlin wollen auch
Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein ihre Website als public-private
partnership neu organisieren. Schleswig-Holstein hat den Auftrag sogar schon
vergeben. In Zukunft wird auch die Webpräsenz des
nördlichsten Bundesland in Zusammenarbeit mit einem Wirtschaftsunternehmen erstellt
werden: debis. |