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Texte aus dem GNN-Verlag

Kurden in Berlin
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kube2.jpg (6087 Byte) mit Beiträgen von
Dr. Hassan Mohamed-Ali, Gülnür Polat,
Ismet Topal und anderen

S.58 A4, 5.00 DM

Bezugsquelle:

GNN-Verlag
Dieffenbachstr. 33
10967 Berlin

ODER per email: R.Loetzer@tbx.berlinet.de

Leseauszug:
Kurdische Einwanderung, speziell nach Berlin

Am 30. Oktober 1961 wurde eine bilaterale Regierungsvereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Türkei abgeschlossen. Gleich nach dem Bau der Mauer im August 1961 konnte die Berliner Wirtschaft bekanntlich keine Arbeitskräfte mehr aus der Umgebung der Stadt gewinnen. Man brauchte aber vor allem unqualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter für die Textil-und Elektroindustrie der Stadt sowie im Baubereich. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei sollte helfen, diese Lücken zu schließen.

Die ersten Kurden kamen aber erst ab dem Jahre 1964 nach Berlin. Zwei Jahre später erschütterte ein großes Erdbeben die kurdischen Gebiete um die Städte Mus und Er-zurum. Tausende von Menschen kamen ums Leben, hunderte von Ortschaften wurden zerstört. Die türkische Regierung ließ in der Folgezeit auffällig viele Überlebende aus dem Erdgebengebiet nach Deutschland rekrutieren. Offensichtlich erhoffte man sich in Ankara davon auch eine Verringerung des Konfliktpotentials und der Wiederaufbaukosten in den Erdbebengebieten.

Viele der damals nach Deutschland angeworbenen Kurdinnen und Kurden kamen nach Berlin. Heute leben etwa 7.000 von ihnen noch immer in der Stadt-Menschen aus den Gebieten um Mus, Hasankale, Hinis, Erzurum und Varto.

Sie wurden in der ersten Zeit in Berlin völlig von der "einheimischen Bevölkerung" isoliert in Arbeiterwohnheimen untergebracht.

Ohnehin von ihren Anwerbefirmen bedrängt, aber auch aus eigenen Antrieb, um rasch zu etwas Geld zu kommen und dann womöglich wieder in die Heimat zurückkehren zu können, arbeiteten viele in Schicht, leisteten zahllose Überstunden oder verrichteten Akkordarbeit unter den schlechtesten Bedingungen. Viele hofften, in diesem ihnen sozial und kulturell völlig fremden Land nicht lange bleiben zu müssen.

1971, nach dem Militärputsch am 12. März dieses Jahres in der Türkei und den daran anschließenden erneuten Verfolgungen auch und besonders prokurdischer Organisationen und Parteien, kamen dann erstmals in größerem Umfang auch politisch verfolgte kurdische Intellektuelle nach Berlin. Mit der Ankunft dieser politischen Flüchtlinge begann auch eine leichte Politisierung unter den kurdischen Arbeitsmigranten, die bald zur Gründung der ersten kurdischen oder prokurdischen Vereine führte.

Mit dem Inkrafttreten des 1973 im Gefolge der Ölkrise von der Bundesregierung verhängten Anwerbestopps fürArbeiter von außerhalb der EU begann dann die Welle des Familiennachzugs. Ehegatten, zumeist die Ehefrauen, und später dann auch die Kinder der in Berlin lebenden kurdischen Arbeitsmigranten zogen nun zu ihren Familienvätern oder -müttern. Die so wieder vereinten kurdischen Familien verließen nun auch die Arbeiterwohnheime und mieteten sich in normalen Wohnungen ein. Der Kontakt mit der deutschen Bevölkerung nahm deutlich zu.

Es begann eine soziale Entwicklung, die schon bald zu vielfältigen neuen Problemen - Probleme der schulischen Erziehung der Kinder, des Zusammenlebens und Zusammen-Aufwachsens von deutschen, kurdischen und anderen Kindern in Kitas und Schulen traten hervor. Aber gleichzeitig damit entstanden auch vielfältige neue sozialen Kontakte. Viele Kurdinnen und Kurden, die bisher mit ihrem gesparten Geld so schnell wie möglich hatten zurückkehren wollen, begannen nun, sich auf ein dauerhaftes Leben in der neuen Heimat einzustellen.

Der Kampf um einen besseren Lebensstandard hier trat stärker in den Vordergrund, viele kurdische Arbeiter traten in die Gewerkschaften ein.

1980 mit dem neuerlichen Militärputsch kam dann eine große Welle von politischen Flüchtlingen aus der Türkei. Etwa 60.000 davon ließen sich in der Bundesrepublik nieder, zwei Drittel waren Kurdinnen und Kurden.

Infolge der immer weiter wachsenden Polarisierung in der Türkei, der Urbanisierung und der zugleich damit wachsenden politischen Repression hatte zugleich der Zuzug von Familienangehörigen so zugenommen, daß die Bundesregierung versuchte, dem entgegenzuwirken. 1981 wurde das Nachzugsalter auf 16 Jahre herabgesetzt, um so insbesondere den Nachzug von EhePartnern der hier lebenden kurdischen Migrantinnen und Migranten einzuschränken.

Nachdem diese Maßnahme nicht viel bewirkte, folgte dann im 1983 das sogenannte "Rückkehrförderungsprogramm" der neuen Regierung Kohl bzw. des neuen Bundesarbeitsministers Blüm. Unter den kurdischen Migrantinnen, die ohnehin auch aus politischen Gründen in der Regel nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, fand dies aber kaum Resonanz.

In den 80er und 90er Jahren wuchs währenddessen die 2. Generation der kurdischen Migrantinnen heran. Diese Generation kannte vielfach bereits die deutsche Sprache und spielte so für ihre eingewanderten Eltern eine wichtige Dolmetscherrolle gegenüber deutschen Behörden und Institutionen.

Langsam trat sie auch aufdemAr-beitsmarkt in Erscheinung. Aber viele qualifizierte Stellen erhielten auch diese Menschen nicht, unter anderem, weil sie vielfach keine abgeschlossene berufliche Ausbildung vorweisen konnten.

Eine tiefe soziale Krise war für viele die Folge, eine Krise, die zu einer umfassenden Identitätskrise wuchs. Zu dem ohnehin vorhandenen Generationenkonflikt kam für diese Menschen auch der Konflikt zwischen der im elterlichen Haus erworbenen "heimatlichen" kurdischen Kultur und der Kultur der Bundesrepublik.

Auch die inzwischen heranwachsende dritte Generation kurdischer Migrantinnen und Migranten wurde von dieser schon von einer Identitätskrise belasteten zweiten Generation erzogen.

Hinzu kommt die ohnehin schroffe strukturelle Benachteiligung für diese Menschen, zum Beispiel beim Zugang zu Bildungsinstitutionen. Bis heute gibt es für die Kinder der kurdischen Migrantinnen und Migranten kein Konzept und keine Rahmenbedingungen für eine zweisprachige Erziehung.

An den wenigen Schulen, die überhaupt eine zweisprachige Erziehung anboten, wurde den kurdischen Kindern zudem statt ihrer Muttersprache kurdisch Unterricht in türkischer Sprache angeboten. Kinder, die die türkische Sprache nicht beherrschten, wurden vielfach in Sonderschulen geschickt.

Der Anteil kurdischer Kinder an den Sonderschulen in Berlin ist deshalb bis heute überproportional hoch. Das Ergebnis dieses bestehenden Bildungs(unter-)angebots und der sozialen Konflikte ist, daß von den kurdischen Kindern in Berlin etwa ein Drittel die Schulen ohne einen Abschluß verläßt.

Nurein Drittel von ihnen schließen die Hauptschule mit einem Abschluß ab, und nur noch 10% erreichen einen Abschluß, der ihnen die Aufnahme eines Studiums erlaubt.

Irakische Kurden

Aus dem irakisch beherrschten Teil Kurdistans kamen bis in die 50er Jahre nur vereinzelte Kurdinnen und Kurden nach Berlin, zumeist, um ein Studium aufzunehmen. Zu ihnen gehörte z.B. Abdullah Kadar, der Ende der 50er Jahre nach Berlin gekommene Hasan MuhamedAli, heute Leiter der kurdischen Gemeinde und Dozent, Kemal Furat, Politbüromitglied der PUK. Auch Edip und Tarek Eziz Kurd kamen in dieser Zeit als Studenten nach Berlin. Bald danach, im Jahr 1961, wurde in Berlin der erste kurdische Studentenverein gegründet.

Die ersten kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak kamen dann nach der Niederlage der kurdischen Revolution im Jahre 1973. Die Bundesrepublik hatte damals eine Gruppe von etwa 250 kurdischen Flüchtlingen aufgenommen. Zum Vergleich: von März 1975 bis Ende 1976 wurden über 300.000 Kurdinnen und Kurden aus dem irakischen Teilen Kurdistans deportiert, hunderte starben. In der Folge dieser Deportationen wurden auch die vorher gewonnenen Autonomierechte wieder weitgehend abgeschafft.

Die zweite Flüchtlingswelle nach Deutschland aus Irakisch-Kurdistan kam dann nach dem Beginn des Krieges zwischen Iran und Irak. Die Kurden wurden von beiden Kriegsgegnern massiv vertrieben, nur wenigen von ihnen gelang die Flucht nach Europa, und noch weniger kamen nach Deutschland und Berlin.

1988 folgte dann im Rahmen der "Operation Anfal" der furchtbare irakische Gasangriff auf die kurdische Stadt Halabja. Über 5.000 Kurdinnen und Kurden kamen allein bei diesem furchtbaren Angriff ums Leben. Weitere tausende wurden schwer verletzt. Die Beteiligung deutscher Firmen an der irakischen Giftgasproduktion ging später um die Welt, auf eine Wiedergutmachung warten die Opfer noch heute. Etwa 150.000 Kurdinnen und Kurden wurden während dieser Zeit vom irakischen Regime erneut vertrieben, auch von ihnen kamen einige nach Berlin und leben zum Teil noch heute hier.

Eine dritte Flüchtlingswelle folgte dann nach dem Golfkrieg, als die Alliierten sich wieder aus dem Irak zurückzogen. Diese Fluchtwelle in die BRD hielt auch nach der Errichtung der UN-Schutzzone im Norden des Irak (bzw. in Südkurdistan) bis heute an. Die Zahl der irakischen Kurdinnen und Kurden in der gesamten Bundesrepublik wird heute auf ca. 60.000 geschätzt. Mindestens 3.000 von ihnen dürften in Berlin leben.

Iranische Kurden

Auch aus dem iranisch beherrschten Teil Kurdistans kamen die ersten Kurden nach Deutschland bzw. in das damalige Deutsche Reich vermutlich zu Studienzwecken. Der erste namentlich bekannte kurdische Einwanderer aus diesem Gebiet in Berlin war Javad Kafi, der im Jahr 1904 zum Studium nach Berlin kam. Er studierte Rechtswissenschaft in der Stadt und schrieb auch mehrere Aufsätze für Berliner Zeitungen.

Während des Schahregimes kamen dann in den 60er und 70er Jahren einige iranische Kurden sowohl wegen der politischen Verfolgung als auch zum Studium nach Berlin.

Die erste Flüchtlingswelle der neueren Zeit waren dann die politischen Flüchtlinge der Jahre nach 1978, als die im Iran an die Macht gekommenen Mullahs gegen den kurdischen Freiheitskampf mit äußerster Brutalität vorgingen - eine Brutalität, die bis heute anhält und tausende kurdischer Politiker aus den östlichen und nordöstlichen Teilen Kurdistans nach Europa vertrieb. Das Mykonos-Attentat in Berlin war das bislang letzte Beispiel, mit welcher Brutalität die Mullahs die kurdische Bewegung niederhalten wollen. Die dabei erneut zutagegetretenen engen Verbindungen des damaligen deutschen Geheimdienst-Koordinators im Kanzleramt Schmidbauer mit seinem iranischen "Amtskollegen" sind ein weiteres Beispiel für deutsche Machtpolitik im Mittleren Osten und ihrer Gegnerschaft zu kurdischer Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

Am 10. April 1997 verkündete das Kammergericht Berlin sein Urteil: Die Hauptangeklagten im Mykonos-Pro-zeß wurden wegen vierfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, die iranische Staatsspitze, insbesondere der Geheimdienstminister Fal-lahian, klar als Auftraggeber der Morde benannt.

Der Berliner Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig, der die Witwen zweier ermordeter Oppositioneller in dem Verfahren als Nebenkläger vertreten hatte: "Bis zuletzt arbeitete die Bundesregierung im Mykonos-Verfahren den Ermittlungsbehörden entgegen ... Umso mehr ist dieses klare Urteil ein erfreulich selbstbewußtes Pochen auf die Unabhängigkeit der Justiz ..."

(zitiert nach Kurdistan Aktuell, Nr. 62, April/Mai 98)

Syrische Kurden

Zur Zeit leben in Berlin ungefähr 500 bis 700 Kurden syrischer Abstammung. Der größte Teil von ihnen kam bereits in den Jahren 1970 bis 1975 nach Berlin, zumeist, um ein Studium oder eine Ausbildung zu absolvieren, etwa ein Viertel zur Arbeitsaufnahme. Etwa die Hälfte hat hier geheiratet. Ungefähr 60% der syrischen Kurden in Berlin sind Kinder unter 18 Jahren.

Die eher kleine Gruppe der syrischen Kurden umfaßt auch etwa 20 Akademiker, 6 Ärzte, 2Apotheker und 5 Diplomingenieure.

Die meisten Familien sind integriert und haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa jeder fünfte von ihnen ist in kurdischen Vereinen aktiv. Einige sind auch in deutschen Parteien aktiv.

Auch die Kinder der syrischen Kurden in Berlin haben keine Möglichkeit, in der Schule kurdisch zu lernen.

(Giyas Sayan)

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