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Gelsenkirchen 1. 02. 1999

SCHARPING
AUF DEN SPUREN SCHRÖDERs

von DIETMAR KESTEN

02/99
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Nach einer Meldung des ZDF-Morgenmagazins vom 31. 01. 1999, erklärte Verteidigungsminister RUDOLF SCHARPING bei einem Besuch von Bundeswehrsoldaten in Mazedonien, daß Deutschland sich "an einer evtl. Stationierung von NATO-Truppen im KOSOVO mit 3000 Soldaten beteiligen will."(1)

Hatte Bundeskanzler SCHRÖDER schon eine Option auf Bodentruppen eingeräumt, so wird SCHARPING nun sehr konkret, und es scheint z. Zt. so, daß im 10. Wendejahr die Anmaßung des deutschen Denkens zurückgekehrt ist; denn gerade in diesem Jahr ist die nationale Debatte zur politischen Orientierung geworden, unwiderruflich; 1999 wendet sie sich nach außen und nimmt leider den Charaker einer imperialen Idee an. Unübersehrbare Zeichen des Paradigmenwechsels sind eigentlich nur kleine Vokabeln, wie der "erweiterte Sicherheitsbegriff", den Ex-Verteidigungs- minister RÜHE ins Gespräch brachte, oder die Betonung der "vitalen Interes- sen Deutschlands überall auf der Welt", die FISCHER Vorgänger KINKEL eindringlich einforderte. Tauscht man sie aus, dann sind die Ansprüche deutscher Politik deutlich formuliert: Von der "nationalen Identität" zu den "nationalen Interessen"; die Wende aus der provinziellen Nabelschau zur sog. realpoli- tischen Sichtweise, vom Primat der Innen- zum Primat der Außenpolitik ist erreicht.

Bei der Gründung des Deutschen Reiches war es nicht anders. Auch damals dauerte die nationale Nabelsichtweise nicht lange. Wenige Jahre nach der Reichseinigung begann Deutschland, seine außenpolitischen Interessen neu zu definieren- und zu formulieren; neu hieß einfach im Sinne der Bildung eines größeren Reiches. Hatte doch der saturierte Nationalstaat in Deutschland keinerlei Tradition; und das Verlangen nach mehr wurde zur ureigentlichen deutschen Passion. Damals bildeten die Jahre 1878/79 die Zäsur. Der Zweibund mit Österreich war das Scharnier zum mitteleuropäischen Reichsgedanken. Heute legt die Kerneuropa-Idee mit dem Wegfall der Grenzen, einer einheitlichen Währung, den Grundstein für neuen Expansionismus. Die These, wenn auch noch von vielen belächelt, ist unterschwellig in den Vor- stellungen der SPD, die jetzt die zentralen politischen Ämter besetzt, enthalten; denn ihr leidenschaftliches Plädoyer für ein vereintes Europa ist nicht die Abtretung von Machtansprüchen, sondern stets Machterweiterung. Sie gleicht darin der Mitteleuropapolitik des Kaiserreichs und den Vorläufermodellen der HITLERschen Großraumordnung.

Es ist die Konstante in der deutschen Außenpolitik, Grenzen nicht zu akzeptieren. Wer angesichts solcher "Entgleisungen", die in Wirklichkeit keine sind, von "Normalisierungen" seit der Ära KOHL redet, hat nicht verstanden, daß militarisieren und Militarisierung zum Krieg führt. Und leider scheint es auch wieder Historikern zuzufallen, den Machtanspruch der Deutschen zu überhöhen und "volkserzieherisch" zu wirken. Nach der Wiederkehr eines CARL SCHMITTs, ERNST JÜNGERs, der Protagonisten der konservativen Revolution, entdecken sie die Frühschriften eines MAX WEBERs, FRIEDRICH NAUMANNs, GUSTAV STRESEMANNs wieder. Vielleicht steht eine nationalliberale Wende der deutschen Politik wieder ins Haus? Wenn ausgerechnet der Nationalkonservative ERNST NOLTE in "Historische Existenz" eine "Nachgeschichte" der Menschen konstruiert, und sich einen "ersten Anfang seiner Geschichte" vorzustellen vermag, die die "theoretische Transzendenz...der Selbstvergewisserung" bringen soll, (2) dann fragt sich, ob es sich hierbei nur um Männerphantasien handelt, oder ob hier nicht die Kernvorstellung vom Wunsch-Ego, daß auf den Staat übertragen wird, und der Staat zum Lebewesen, zur Person wird, die für ihre Selbstverwirklichung reine Macht beansprucht, Macht ohne eingeschränktes Attribut, herumgeistert?

Was sich doch im "mündigen" Deutschland herauszukristallisieren scheint, ist ein kommender Wilhelminismus, der ohne jedwede Berührungsängste auszukommen vermag, und erhaben die Ebene der Nur-Mitsprache, oder Nur-Nachbarschaft, der Nur-Gleichberechtigung selbstredend längst verlassen hat.Der Ex-KOHL Regierungsberater und Historiker GREGOR SCHÖLLGEN (3) hatte diesen Aspekt ins Spiel gebracht, und darauf verwiesen, daß es notwendig sei, Unsentimentalitäten zu absorbieren, wenn es um "nationale Interessen" geht. Eigentlich war das auch vor mehr als 100 Jahren das Kennzeichen der "Geo- politik", die in die heutigen Europa-Politik einmünden kann, wobei die schreck- lichen Zustände im KOSOVO zum Alptraum für den Westen, für Deutschland, für seine Bürger werden könnten. Die Abläufe ähneln in vielem dem Einsickern des Freund-Feind-Denkens und des Dauergeredes über die Macht.

Verklausuliert drückte das CONSTANZE STELZENMÜLLER in dem Leitartikel der ZEIT Nr. 4/1999 " Im Kosovo entscheidet sich die Zukunft der NATO - und der europäischen Außenpolitik" aus: "Dann wäre es auch vielleicht etwas einfacher, bei der Debatte um das neue strategische Konzept Europas Gewicht als gleichberechtigter Partner einzubringen. Und wenn es gar gelänge, dem KOSOVO etwas Frieden zu bringen, dann gäbe es im April bei der Jubiläumstagung in Washington wirklich etwas zu feiern." (4) Eine merkwürdige kulturstiftende, charakterbildende und sittliche Kraft bricht sich hier Bahn! "Neue strategische Konzepte", bringen sie die "Umverteilung aller Werte"? Die Darstellung des Friedens von Frau STELZENMÜLLER ist durchgefüttert mit den vorherrschenden Lehren der gesamten Geschichts- und Rechtsphi- losophie des Imperialismus, die auf dem Recht des Stärkeren beruht und alles gutheißt, was staatliche Macht besitzen könnte. Niemand, der Augen im Kopf hat, wird bezweifeln, daß die Interessen Deutschlands am besten gewahrt sind, wenn seine Selbständigkeit im mitteleuropäischen Staatenbund wiederhergestellt wird. Daher muß das "europäische Gleichgewicht" durchbrochen werden; denn es schadet seiner freien Ent- faltung. Und jene mächtepolitische Konstellation muß in den Argumentations- ketten der Medien auch vorbereitet werden; denn Machtpolitik ist auch Pro- gramm, jene "vitalen Interessen" des Grundschul-Dreisatzes: Zuerst Europa, dann die Welt, dann Krieg.

Globalisierung und Auflösung der Arbeitsgesellschaft haben den außenpolitischen Schwenk gebracht; der sich mit der Einverleibung der DDR unvermindert fortsetzt. Die unausrottbare deutsche Vorstellung von der gefährdeten Mittellage und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit, europäische Vormacht werden zu müssen, ist jetzt keine fixe Idee mehr, sondern vielmehr die ewige Wiederkehr des Gleichen. Das Verblüffende an den z. Zt. stattfindenden nationalen Debatten ist, daß sie über die Jahre und Jahrzehnte hinweg offenbar stabil geblieben sind, geopolitisch, geographisch und von der Gewichtung her. Seit der "Wiedervereinigung" geht es doch um eine Stabilisierung Deutschlands in Europa. Die KOHL-MITTERAND Idee vom "vereinten Europa" , die im über- tragenen Sinne zunächst eine Schützengrabengemeinschaft war, hat sich in der Zwischenzeit zur Idee eines deutsch beherrschten Europas gemausert, und am Ende des ausgehenden 20. Jahrhunderts, kann die deutsche Expansion Wirklichkeit werden, auf die die Nationalliberalen einer evtl. künftigen Alldeutschen Bewegung setzen mögen. Ein Mitteleuropafahrplan liegt schon lange vor; er wird von der Präventivdiplo- matie, "Verschwörungstheorien" und deutschen Autonomiegeredes wagemutig unterstützt. Im politischen Überbau scheint sich ebenfalls der alte/neue Geist zu stabilisie- ren. Weitreichende Schlüselfunktion bekommt dabei die Rückkehr zur Sprache der Macht. Ohne sie sind die alten Kriege und die neuen Kriege nicht denkbar, nicht vorstellbar.

Das BISMARCKsche und WILHEMinische Vokabular ist Bestandteil eines jeden außenpolitischen Kommentars und jeder Sonntagsrede geworden. Und hier hat die SPD-Regierung die Großmansucht umfassend im "Schutz der Bevölkerung" agierend, in ein neues System hineingepreßt, daß zwar vorgaukelt, Europa den Frieden bringen zu wollen, aber im gleichen Atem- zug von dem einen "wirtschaftsraum redet, wie es dem SCHRÖDER Interview mit dem FOCUS (5) zu entnehmen ist. Wie lange wird es dauern, bis auch die SPD die Sprache von DER Gesell- schaft, von DEN Parteien und von DEN Bürgern aufgegeben hat, und nur noch von Großmächten, Achsen, nationalem Interesse und Prestige redet? Die Deutschen und die europäische Hegemonie; die Politik des "Großen Kabinetts" unter Einschluß von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Kunst des sich gegenseitig auszutricksen. Wie es scheint, handeln dort nicht mehr Menschen wie du und ich, sondern Nationale, Völker oder Hauptstädte, als wären es Personen.

Da paßt die Meldung der TAZ wie die Faust auf"s Auge: "Bundesaußenminister JOSCHKA FISCHER setzt zum Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in seinem Haus einen europapolitischen Akzent ganz eigener Art. Er will dem Vernehmen nach den Herausgeber der linksintellektuellen Zeitschrft Kommune, JOSCHA SCHMIERER, in den Planungsstab des Auswärtigen Amtes berufen. SCHMIERER ist ein exzellenter Kenner der europäischen Politik, der durch zahlreiche Beiträge die Debatte um die Integration gefördert hat, unter anderem in seinem Buch "Mein Name sei Europa". Der Planungsstab ist der Think-Tank des Auswärtigen Amtes, ihm steht GEORG DICK vor, ein Vertrauter FISCHERs aus Frankfurter Tagen. Auch SCHMIERER kommt aus Frankfurt, war aber im Gegensatz zu DICK und FISCHER nie politisch bei den Grünen aktiv." (6) Alles vereint, das liberale Unbehagen am deutschen "Kotau", hintergründiges Lächeln, "stille Diplomatie", Ex-Linke werden auf einmal zu "Kennern der euro- päischen Politik", und die TAZ entblödet sich nicht, diese Peinlichkeiten auch noch zu publizieren; Glaube, Gesittung und das "Gute" im Menschen scheinen zu obsiegen, wenn das "Haus Europa" gebaut wird. Die Außenpolitik hat zuförderst alles auf den Plan gerufen, was laufen kann und Beine hat; Vorteile, Macht und Profit, die Gebärden des Gehorsams, alles unter dem Deckmantel des veränderten NATO-Konzepts. Doch der viel tiefer liegende Impuls ist der: Das Verschmelzen des irrationalen Ich und dem Staat zu einem Übervater, zu einer Übergröße, dem ich mich un- terordnen muß.

NIETZSCHE als Kronzeuge läßt schon grüßen! Zur Wiederholung der deutschen Geschichte gehört nicht nur die praktizierte, sondern auch die gedachte Katastrophe wie das Ei zum Huhn; patriotisch ge- sproche:Psychotherapie! Die "schwarze Messe" für Deutschland, ein exorbianter Versuch, daß seit der deutschen Vereinigung herauszukriechende Gedankengut auszutreiben, es "zu Ende" zu denken; denn Größe und Vaterland ist, wie wir sehen, nicht nur der großen Politik vorbehalten, sondern dümpelt selbst in der gesamten angeblichen "Fortschrittlichkeit" Linker und linksansässiger Apologeten munter weiter.

Von BERND RABEHL bis HORST MAHLER (7) GEORG DICK, JOSCHA SCHMIERER UND JOSCHKA FISCHER wird jetzt anscheinend die "Demokratie" gelebt. Sie dürfen jetzt eine eigenständige Politik machen, die sogar vom Staat Unterstützung erfährt, da sie den Dunkelbereich verlassen hat, und nun offen die "Schicksalsgemeinschaft" mit ihren angeblich so profunden Kenntnissen bereichern darf. Zwar fehlen ihnen noch viele Gemeinsamkeiten, sie sehen jedoch ihrer Einlassung mit großer Gelassenheit entgegen. Die "Deutschlandkenner" wittern eine einmalige Chance, in ein neues Machtvakuum hineinzustoßen. Die von der KOHL-Regierung abgesteckte Außen- und Sicherheitspolitik enthielt die Verwirklichung endgültig bei der Maastrichter Regierungskonferenz 1996; eine Zäsur in der Nachgeschichte Europas. Der runde Tisch wurde zertrümmert, der Sternenkreis, das Geburts- und Flaggensymbol Europas, zur Pyramide umgenäht, mit einem dicken deutschen Stern an der Spitze und einem runden Dutzend Sternchen darunter.

Begann damit das Schielen nach der neuen Führungsmacht Europas? Daß die "Liebe zu Deutschland" auch blind machen kann, erleben wir hier ziemlich ausdrucksvoll: Die Schmiedung der Allianz des "deutschen Lagers", angefangen von den rechten Scharfmachern, über SCHÄUBLE und STOIBER, bis zu SCHRÖDER, LAFONTAINE, FISCHER, den Deutschliberalen der FDP, bis zu den "linken Natioalbolschewisten", der Schmusekurs mit "ihrem Land". Was fehlt, ist eine Hymmne, mit der Deutschland im ersten und zweiten Welt- krieg gekämpft hat, mit der man sich an die Europäische Union "heranführen" könnte, wie die Kinder an den Weihnachtsbaum. Ihre immerwährende Dankbarkeit wäre ihnen sicher; denn Deutschland, daß in der "Osterweiterung" einen zentralen Punkt künftiger europäischer Politik sieht, steht bereit, um den heute zu 50 Prozent ausmachenden Handel mit dem Osten, weiter auszubauen, mit der deutschen Konjunktur, mit den deutschen Zinsen, den alten deutschen Liedern, des deutschen Kraftprotzens.

Vielleicht kam es nicht von ungefähr, daß am 1. September 1994, dem Jahrestag des Überfalls auf Polen, einen Tag nach dem Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter SCHÄUBLE das Strategiepapier "Überlegungen zur europäischen Politik" vorlegten. Die dortige Forderung nach einer "Wende der deutschen Außenpolitik" ist in jedem Falle Führungsanspruch. Die übrigen Staaten sind nur noch eingeladen, sich als Sateliten um den künf- tigen Kernstaat zu drehen. Wird Deutschland unter ROT - GRÜN zum Führungszentrum, kann der alte Satz BISMARCKs schnell umschlagen:

"Ich habe das Wort Europa immer im Munde derjenigen Politiker gefunden, die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten."
(OTTO von BISMARCK) 

Anmerkungen:

(1) ZDF-Morgenmagazin, 31. 01. 1999.

(2) ERNST NOLTE: "Historische Existenz, München 1998, S. 669ff.

(3) Vgl. GREGOR SCHÖLLGEN: "Die Macht in der Mitte Europas",

München 1992.

(4) CONSTANZE STELZENMÜLLER in: ZEIT Nr. 4/1999, S. 1.

(5) Vgl. FOCUS Nr. 4/1999, S. 21ff.

(6) Vgl. Taz vom 21.1.1999 Seite 6.

(7) BERND RABEHL UND HORST MAHLER haben sich in den letzten Wochen mit Äußerungen hervorgetan, die selbst im "Brockhaushochdeutsch" dankbar aufgenommen werden dürften. MAHLER brachte sich als "Freiheitskämpfer" ins Gespräch, sprach für die geknechtete-deutsche Volksseele: "Ich kann nur sagen, daß ich keinen Juden umgebracht (habe) und sehe daher auch keine persönliche Schuld. Diese Einstellung prägt die heranwachsende Generation." (zitiert nach: ZEIT Nr. 3/1999, S.34). MAHLER in der Rolle des Alleswissenden IGNATZ BUBIS, der klimpernde SCHUMANN, wird vom SDS-Altveteranen BERND RABEHL allerdings noch übertroffen, der Würdigung in der nationalen Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT fand, die einen Artikel von ihm abdruckte, in dem er vor "politischer Über- fremdung" warnte und einer "grundlegenden Zerstörung von Volk und Kultur". Laut ZEIT soll sich RABEHL auch um die Wiederbelebung alter nationaler Bündnisse aus der Weimarer Zeit "verdient" gemacht haben, so bei einem Vortag bei einer Veranstaltung der Burschenschaften Danubias." (vgl. ZEIT, ebd).

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